Naturextreme als Erfahrungs- und Reflexionsräume der Vormoderne.
In der Vormoderne bildeten Meer, Wüste und Gebirge elementare Heterotopien, denen neben einer grundlegenden Unwegsamkeit in ihrer immensen räumlichen Ausdehnung auch und vor allem eine mit der gefahrvollen Exponiertheit des Menschen gegenüber den Naturgewalten einhergehende Lebensfeindlichkeit gemeinsam war. Als ökologische Realitäten erschwerten die Naturräume des Extremen nicht nur wiederholte Versuche einer territorialen Inbesitznahme, empirischen Vermessung und zeitlichen Verortung, sondern bedingten vielfach drastische Erfahrungen der Wahrnehmungstäuschung sowie des Bezugsverlustes und verweigerten sich so einer sinnlich verlässlichen Erfassung. Das von zahlreichen Werken der Kunst und Literatur belegte epistemische Potenzial jener Gegenräume, denen zugleich stets auch positive Eigenschaften im Sinn ernährender Ressourcen, schützender Rückzugsgebiete und kunstreflexiver Sphären der Inspiration zukamen, gründete auf dieser prinzipiellen Unzugänglichkeit und Unbegreifbarkeit. Durch ihrer andersartige, die Schöpfungskraft des deus artifex bezeugende Schönheit und Erhabenheit stellten sie wirkmächtige Orte des Numinosen dar, in denen sich göttliche Interventionen und Offenbarungen, Gewissensprüfungen und Selbstreflexionen meist als diffizile Aushandlungsprozesse zwischen Gott und Mensch vollzogen und oft die conditio humana bis zum Äußersten herausforderten.
Die geplante Veranstaltung möchte Meer, Wüste und Gebirge im Anschluss an neuere Forschungen zu historischen Naturkonzepten sowie den korrelierenden kulturellen Strategien der Konstitution organischer Umwelt(en) als gerade in ihrer ontologischen Eigenart wirkmächtige Projektions- und Aushandlungsflächen anthropologischer, religiöser, soziopolitischer und künstlerischer Diskurse in den Fokus rücken. Endlos weite Meeresflächen und wundersame Unterwasserwelten, vegetationsloses Ödland und verdorrte Wüstenregionen, schroffe Berggipfel und unpassierbare Gebirgszüge bildeten – so die Ausgangsthese – existenzielle Tabu- und Todeszonen, die weniger trotz als vielmehr aufgrund der ihnen inhärenten (Lebens-)Gefahr zu topischen Sehnsuchtsorten einer die Transzendenz- und Selbsterfahrung stimulierenden Weltflucht avancierten. Mithilfe kreativer Strategien der Evidenzerzeugung wurde in heterogenen Akten und Artefakten dabei kontinuierlich die urgewaltige Eigenwilligkeit jener Naturgebiete thematisiert, beschworen und bewältigt. Dadurch entstanden gesellschaftlich und künstlerisch kultivierte Räume des Extremen, in denen die wesensgemäße Widerständigkeit von Meer, Wüste und Gebirge gegenüber menschlichen Erkenntnis- und Imaginationsprozessen in einer sinnstiftenden Ästhetik der Alterität transformiert erscheint.
Davon ausgehend möchte der interdisziplinäre Workshop (4. bis 6. Dezember 2025), der in Berlin stattfinden soll, in historischer Perspektive die Analogien und Differenzen im kulturellen Umgang mit Meer, Wüste und Gebirge als ebenso reale wie metaphorische Erfahrungs- und Reflexionsräume des Extremen anhand von unterschiedlichen Fallbeispielen ausloten.
Über Vorschläge für einen 30-minütigen Vortrag aus den Fachbereichen der Kunstgeschichte, Literatur- und Theaterwissenschaft, Theologie, Kultur- und Wissensgeschichte würden wir uns freuen. Bitte senden Sie hierfür ein Abstract im Umfang von ca. 300 Wörtern zusammen mit einer tabellarischen Kurzbiographie bis zum 4. Mai 2025 an sophie.ruethfu-berlin.de und mirjam.wulffuni-rostock.de. Bei Fragen können Sie sich ebenfalls gern an diese beiden Mail-Adressen wenden.
Reise- und Übernachtungskosten werden, vorbehaltlich der Bewilligung der Fördermittel, übernommen. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.
Konzeption und Organisation:
Dr. des. Sophie Rüth
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Freie Universität Berlin
Kunsthistorisches Institut
sophie.ruethfu-berlin.de
Dr. des. Mirjam Wulff
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Universität Rostock
Theologische Fakultät
Fachgebiet Kirchengeschichte
mirjam.wulffuni-rostock.de
Quellennachweis:
CFP: Meer, Wüste, Gebirge (Berlin, 4-6 Dec 25). In: ArtHist.net, 09.04.2025. Letzter Zugriff 20.04.2025. <https://arthist.net/archive/47218>.