CFP 21.01.2010

ilinx. Berliner Beitraege zur Kulturwissenschaft: Mimesen

Jasmin Mersmann

ilinx 2: Call for Papers

[English version below]

Mimesen

llinx. Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft erprobt die Potentiale
kulturwissenschaftlicher Forschung. Der Name (ilinx, gr. = Wirbel) ist
Programm, denn Strudel entstehen dort, wo verschiedene Strömungen, Theorien
und Materialien aufeinander treffen, Gleichfluss durch die Rekonfiguration
von Wissen und Dingen dynamisiert wird. Die zweite Ausgabe fragt nach den
Techniken, Agenten und Methoden, die dort zum Einsatz kommen, wo
Ähnlichkeiten erzeugt werden - sei es in künstlerischen oder kultischen,
technischen oder wissenschaftlichen Prozessen. Im Anschluss an Walter
Benjamin können all diese Formen der Mimese als Ausdruck eines "mimetischen
Vermögens" begriffen werden, das sowohl das Erkennen als auch das Herstellen
von Ähnlichkeiten umfasst und so kognitive, praktische und ästhetische
Dimensionen vereint.
Mimetische Praktiken sind zugleich aktiv und passiv, sie können spielerisch
oder strategisch, zielgerichtet oder ziellos-unwillkürlich sein. Wurde
die "Mimikry" der Tiere von ihren Entdeckern im 19. Jahrhundert vor allem als
eine Strategie im evolutionären "Kampf ums Dasein" interpretiert, machte der
Surrealismus mimetische Tiere zu Ikonen einer Ökonomie des Nutzlosen, des
Überschusses und des Spiels. Roger Caillois erweiterte den Begriff
schließlich zu einer Theorie des mimetisme, die Analogien zwischen
biologischen und kulturellen Phänomenen der Nachahmung und Anpassung
aufdecken wollte. Kunst, Religion oder auch menschliche Phantasmen konnten so
etwa als (traumhafte) Wiederholungen tierischer Verhaltensmuster er¬scheinen.
Dies kann als Ausgangspunkt dienen, um nach dem ambivalenten Charakter zu
fragen, der dem Sehen von Ähnlichkeiten eigen ist: Die Welt nach
Ähnlichkeiten zu ordnen, Muster zu erkennen und sie auf diese Weise lesbar zu
machen, gehört sowohl zur Ökonomie der Kreativität als auch zu den
Kennzeichen der als pseudowissenschaftlich geltenden Wissensformen.

ilinx bittet um Beiträge, die sich den mimetischen Phänomenen auf
unterschiedlichen Ebenen nähern:

1. Praxis. Zu fragen ist zunächst nach der Mimese als Praxis: den Akten der
Nachahmung, Anähnelung, Simulation oder Assimilation. Wann haben diese Akte
Zwangs-, wann Spielcharakter? Welchen Gefahren setzen sich Individuen aus,
wenn sie zu wenig oder zu viel Bereitschaft zu "Assimilation" zeigen?
Können ‚normale’ und eskalierende Formen der Nachahmung, wie sie Gabriel
Tarde, Marcel Mauss oder René Girard beschrieben haben, gleicher¬maßen Basis
sozialer Integration sein? Mit den Praktiken stehen zugleich die
Protagonisten in diesem "Spiel der Ähnlichkeiten" zur Disposition. Zu denken
wäre an mimetische Tiere ebenso wie an Parasiten aller Art, an Hochstapler
und Simulantinnen, Feldforscher und Geheimagentinnen, Epigonen und Fans, an
Mimen, Magier und Mitläufer und nicht zuletzt an die
Kulturwissenschaftlerinnen selbst.

2. Technik. Zum zweiten soll nach der Relevanz mimetischer Prozesse in
Technologie und Kunst, Architektur und Design gefragt werden. Kunst und
Technik begegnen sich hier in ihrem Interesse für Strukturen, Materialien und
Oberflächen. "Protagonisten" dieser Sektion sind deshalb strukturelle und
optische Muster; Materialien, die vorgeben, etwas anderes zu sein; Gebäude in
Tarnkleidung, die mit ihrer Umwelt in "Stoffwechsel" treten oder auch die
Produkte der Bionik, die Natur auf technischem Weg zu imitieren oder zu
verbessern sucht. Wie präsentiert sich dieser Typus bio-mimetischer
Forschung? Welche Genealogien lassen sich aufzeigen? Auf welche
anthropologischen Annahmen und imaginären Dimensionen verweist er?

3. Wissen. Schließlich geht es um die Bedeutung der Mimese im Kontext
wissenschaftlicher Verfahrensweisen. Dies betrifft all diejenigen
Wissenschaften, die Ähnlichkeiten beobachten oder selbst hervorbringen, indem
sie sich Ritualen, Symbolen oder auch den Korrespondenzen zwischen
menschlichem und tierischem Verhalten zuwenden. Mimetische Prozesse bieten
Anlass, über Gewinne und Gefahren kulturwissenschaftlichen Arbeitens
nachzudenken. Immerhin gründet sich der interdisziplinäre Anspruch oftmals
gerade auf das Erkennen und Herstellen struktureller Ähnlichkeiten zwischen
scheinbar weit auseinander liegenden Phänomenen. Inwiefern gibt die Lust an
Ähnlichkeiten Aufschluss über die Logiken segregierten Wissens und die
"moralischen Ökonomien" der Wissenschaften (Lorraine Daston)? Deutet sie auf
ein Nachleben der Episteme der Ähnlichkeit hin?

Es gibt zwei Modi für Texte:

1. Aufsätze in deutscher oder englischer Sprache im Umfang von 30.000-35.000
Zeichen (ca. 15 Druckseiten) zum Thema des Hefts. Diese Texte durchlaufen ein
anonymisiertes Begutachtungsverfahren und werden ein Jahr nach dem Erscheinen
der Druckausgabe Heftes digital auf der Internetseite von ilinx zugänglich
sein.

2. Kürzere Texte, essayistische Betrachtungen, künstlerische Beiträge,
Interviews oder Vorstellungen kulturwissenschaftlicher Projekte mit max.
15.000 Zeichen (ca. 7-8 Druckseiten). Die Beiträge dieser Rubrik können, aber
müssen sich nicht auf das Thema des CfP beziehen.
ilinx. Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft erscheint in Zusammenarbeit
mit dem Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.
Heftredaktion dieser Ausgabe: Jörn Ahrens, Eva Johach und Jasmin Mersmann.
Die Redaktion bittet um Abstracts von 1-2 Seiten bis zum 1. März 2010 an
redaktion.ilinxgooglemail.com. Die Frist für die angeforderten, fertigen
Beiträge ist der 1. Juni 2010.
www.culture.hu-berlin.de/forschungsprojekte/ilinx

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Mimesen

ilinx. Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft tests the potential and
limits of cultural science. Its title (ilinx, gr. = vortex) is programmatic,
since vortices emerge where different approaches, theories, and data collide,
where calm continuous flow is disturbed and turbulently transformed by the
reconfiguration of knowledge and things. The second volume focuses on the
techniques, agents, and methods that come into play at sites where
similarities are being produced - whether in artistic, cultic, technological
or scientific processes. Following Walter Benjamin all these kinds of mimesis
can be understood as expressions of a “mimetic capacity” that encompasses
the
recognition as well as the production of similarities and thus combines
cognitive, practical, and aesthetical dimensions.
Mimetic practices are at the same time both active and passive; they can be
playful or strategic, intentional and goal-oriented or involuntary and
aimless. While the "mimicry" of animals was interpreted as a strategy in the
evolutionary "struggle for existence" by its discoverers in the 19th century,
Surrealism made mimetic animals become icons of an economy of uselessness,
excess, and play. Roger Caillois finally expanded the term into a theory of
mimetisme that strived to expose analogies between biological and cultural
phenomena of imitation, simulation and adaptation. Thus art, religion as well
as cultural phantasms appeared as (dreamlike) repetitions of animal behaviour
patterns. This background can serve as a point of departure to inquire into
the ambivalence that is inherent in seeing similarities: The organization of
the world according to similarities, to perceive patterns and make them
legible through their semblance, is as much part of the creative economy as
it is a characteristic of such forms of knowledge that are regarded as being
pseudo-scientific.

This volume of ilinx calls for contributions that approach mimetic phenomena
on different levels:

1. Practice. This line of inquiry focuses on mimesis as practice: acts of
imitation, simulation, or assimilation. When do such acts occur under
compulsion, when as a form of play? Which dangers do individuals expose
themselves to when they show too little or too much willingness to
assimilate? Can "normal" and escalating forms of imitation such as Gabriel
Tarde, Marcel Mauss, or René Girard have described, be the basis for social
integration? The focus on practice also inquires into the protagonists of
the "play of semblances". Papers could, for example, reflect upon mimetic
animals, all kinds of parasites, impostors and malingerers, field researchers
and secret agents, epigones, followers and fans, mimes and magicians — and,
last but not least, upon the cultural scientists themselves.

2. Technique. The second focus is centred on the relevance of mimetic
processes for technology and art, architecture and design. Art and technology
meet in their interest for structures, materials, and surfaces.
Therefore, the "protagonists" of this section are structural and visual
patterns; materials that pretend to be something else; camouflaged buildings
that become part of the environmental "metabolism," or bionic products that
seek to imitate or even to improve on nature by technical means. How does
this type of bio-mimetic research present itself? Which genealogies can be
identified? To which anthropological assumptions and imaginary dimensions
does this type of science refer?

3. Knowledge. The final focal point of this volume is the meaning of mimesis
within the context of scientific procedure. This concerns all disciplines
that observe or produce similarities by concentrating on rituals, symbols, or
the correspondences between human and animal behaviour. Mimetic processes
encourage reflection on the advantages and risks of cultural scientific
inquiry. After all, the interdisciplinary claim of this field is often based
on the recognition and production of structural similarities between
phenomena that seem to be very far apart. To what extent does the pleasure
offered by similarities give insight into the logics of segregated knowledge
and into the "moral economies" of science (Lorraine Daston)? Does it point to
the episteme of similarity's continued existence?

ilinx offers two types of textual modality:

1. Articles of 30.000-35.000 characters length maximum (ca. 15 printed pages)
that refer to the volumes subject. Articles may be submitted in German or
English and will be peer reviewed. One year after publication of the printed
version they will be available via the ilinx-website.

2. Shorter texts, essayistic reflections, artistic contributions, interviews,
or presentations of projects of 15.000 characters length maximum (ca. 7-8
printed pages). The contributions to this section may refer to this CfP's
subject, but do not need to.
ilinx is released in cooperation with the Institute for Cultural History and
Theory at Humboldt University Berlin. Editorial Board of this volume: Jörn
Ahrens, Eva Johach und Jasmin Mersmann.
Please submit abstracts of 1-2 pages until March 1st, 2010, to
redaktion.ilinxgooglemail.com. The deadline for the realization of the
requested texts is June 1st, 2010.
www.culture.hu-berlin.de/forschungsprojekte/ilinx.

Quellennachweis:
CFP: ilinx. Berliner Beitraege zur Kulturwissenschaft: Mimesen. In: ArtHist.net, 21.01.2010. Letzter Zugriff 20.04.2025. <https://arthist.net/archive/32266>.

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