Workshop des DFG Graduiertenkollegs 1458 Schriftbildlichkeit: Über
Materialität, Wahrnehmbarkeit und Operativität von Notationen.
29. und 30. Januar 2010, Institut für Philosophie der FU Berlin,
Habelschwerdter Allee 30, 14195 Berlin.
Schriften organisieren ihre Sichtbarkeit, ihr Schriftbild in einer ihnen je
spezifischen Weise; ihre ästhetische Präsenz ist deshalb nie rein dekorativ,
sondern bietet einen privilegierten Zugang zu ihrer inneren Organisation.
Thema unseres Workshops soll die Ordnung der Schrift im Bleisatz sein,
welcher über lange Zeit synonym mit Druckschrift war. Seine beweglichen,
einheitlichen Bleilettern haben Rezeption wie Reflexion der Schrift
entscheidend geprägt, indem sie die Unterscheidung von konkretem
Zeichenexemplar und abstraktem (Lettern)typus begünstigten und gedruckte
Seiten (in Abgrenzung von der Handschrift) als ein geometrisches Raster aus
Lettern und Lücken, litterae und lacunae, präsentierten.
Obschon Lettern ganz ohne Lücken kaum lesbar wären, wird unser Blick früh
geschult, die Spatien im Leseprozess konsequent auszublenden und als
neutralen Hintergrund ohne Bedeutung für die Sinnkonstitution zu sehen. Beim
Setzen erweist sich nun aber, dass die Zwischenräume keineswegs leer sind,
sondern Bleiteile mit Namen wie Blindmaterial oder Fleisch, welche deutlich
genug auf ihre Materialität verweisen. Letter und Lücke erscheinen so nicht
als Gegensatz, sondern als ineinander verzahnte, sich komplementär ergänzende
Körper, wobei die Lücken sowohl analytisch (Wörter und Buchstaben voneinander
abtrennend) als auch synthetisch (Buchstaben zu Wörtern und Wörter zu Sätzen
verbindend) wirken.
So ergeben sich zwei Schwerpunkte für den Workshop: erstens die Spatialität
der Druckschrift überhaupt, die sich fortsetzt in einer kreativen
typographischen Gestaltung, welche ihre Aufmerksamkeit gerade auch auf die
von der Schrift geformte und durchschnittene Fläche richtet. Zweitens werden
diejenigen Lettern für die Fragestellung interessant, welche diese
prinzipielle Lückenhaftigkeit auf die semantische Ebene transponieren und
Lücken in der Textur markieren, etwa Auslassungszeichen und Gedankenstriche.
Konkrete literarische Drucktexte im Bleisatz sollen so - von ihren
Leerstellen und Lücken ausgehend - in Wort und Bild vorgestellt, neu gesehen
und gelesen werden.
Programm:
Freitag, 29. Januar 2010
13.30 Uhr Prof. Dr. Thomas Fries (Universität Zürich/AVL): Der weiße
Zwischenraum
15.00 Uhr Dr. Susanne Wehde (München): Eine singt ... Und singt. Auslassung
und freie Fläche in Rilkes "Lieder der Mädchen"
16.45 Uhr Prof. Dr. Bettine Menke (Universität Erfurt/AVL):
AUSLASSUNGSZEICHEN, OPERATOREN DER SPATIALISIERUNG: - "GEDANKEN"STRICH
(anhand von Jean Paul u.a.)
18.00 Uhr Dr. Christine Abbt (Universität Zürich/Philosophie): Vom
Lückenbüßer zum Kronzeugen. Das Auslassungszeichen
19.30 Uhr Dr. Christof Windgätter (Research Fellow der Kulturabteilung der
Stadt Wien/Sigmund Freud Museum): Moderne ChoreoGraphien. Farben, Flächen und
Fonts in der Umschlaggestaltung
Samstag, 30. Januar 2010
9.30 Uhr Dr. Annette Gilbert (FU Berlin/Peter Szondi-Institut für AVL): Die
70 Gesichter des heiligen Textes. Die Lücken der Schrift in der jüdischen
Tradition
10.45 Uhr Thomas Nehrlich (FU Berlin/Languages of Emotion): Theorie und
Praxis der Ligatur
13.00 Uhr Rea Köppel (FU Berlin/Graduiertenkolleg Schriftbildlichkeit):
Characteres und Schriftzüge. Ernestis Wol-eingerichtete Buchdruckerey und
Goethes Abschrift
14.00 Uhr Bernhard Metz (FU Berlin/Peter Szondi-Institut für AVL): Absicht
oder Versehen? Von Gießbächen, Rivers of White und Lézardes
15.30 Uhr Mareike Giertler (FU Berlin/Graduiertenkolleg Schriftbildlichkeit):
In zusammenhanglosen Pünktchen lesen. Zu den Auslassungszeichen in Robert
Musils Die Vollendung der Liebe
16.30 Uhr Schlussdiskussion
http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/v/schriftbildlichkeit/veranstaltungen/index.html
Organisation: Mareike Giertler, Rea Köppel
Ein Reader mit Vorbereitungstexten kann angefordert werden bei:
hiwisschriftbildlichkeit.de
Quellennachweis:
CONF: Zur Ordnung der Schrift im Bleisatz (Berlin, 29-30 Jan 2010). In: ArtHist.net, 15.01.2010. Letzter Zugriff 20.04.2025. <https://arthist.net/archive/32199>.