Reduce to the Max.
Medienminiaturisierung im Fokus von Natur- und Kulturwissenschaften
SFB/FK615 "Medienumbrüche", Universität Siegen
19.10.2007-20.10.2007
Deadline: 28.02.2007
Geht es um grundlegende technologische Revolutionen, ist nicht selten vom
Wandel mechanischer zu elektrischen und elektronischen Systemen oder vom
digitalen Medienumbruch die Rede. Die Medienminiaturisierung ist zumindest
in den Kulturwissenschaften weitaus weniger im Fokus, obwohl sie als ebenso
bedeutend eingestuft werden kann. Teilchenphysik, Molekularbiologie und
Informationstechnologie gründen in einer Miniaturisierung ihrer
Untersuchungsgegenstände und Operationen. Mit einer neuen Disziplin wie der
Nanotechnologie wird die Tendenz zu immer kleineren Operationseinheiten zum
Signum einer neuen Disziplin. Dass auf den "Apple iPod mini" der "iPod nano"
folgen musste, ist nur allzu offensichtlich. Doch führt Moore's Gesetz nicht
zu der kollektiven Unsicherheit, dass es immer schon zu früh ist, von einer
Medienminiaturisierung zu profitieren?
Ist Miniaturisierung eine permanente Medienrevolution? Das Mikroskop ist
jedenfalls, obwohl 400 Jahre alt, immer noch nicht an eine Grenze der
Sichtbarmachung neuer Details gestoßen. Die permanente Unterbietung von
Mikrostrukturen scheint einen epistemischen Zoom in die Dinge hinein zu
garantieren. Schafft Medienminiaturisierung eine mediale Technik, die hinter
dem Rücken der beteiligten Forscher und Naturgrößen die
Begründungsleistungen naturwissenschaftlicher Forschung übernommen hat?
Können mit der Kenntnis immer kleinerer Details wirklich neue Wahrheiten
entdeckt werden? Und werden alle Vergrößerungen und Verkleinerungen - wie
Bruno Latour postuliert - schließlich doch durch das "Flatland" einer
konstanten Größe von Diagrammen und Displays verschickt und archiviert?
Diese Fragen fordern eine wissenschafts- und kulturhistorische Untersuchung
von Mikrostrukturen des Wissens und der Medien heraus, zu der diese Tagung
Vorschläge entwickeln soll.
Aufgaben, die zuvor von sozialen Netzwerken geleistet wurden, haben sich im
Prozess der fortschreitenden Medienminiaturisierung individualisiert. Das
Rasieren hat sich beispielsweise durch die Verfügbarmachung elektrischer
Rasierer von einer professionalisierten Dienstleistung mit sozialen
Austauschbörsen in eine privatisierte Selbstpflege verändert. Der Wandel von
der Feuerstelle über den Ofen zur Mikrowelle kann als Medienentwicklung
beschrieben werden, die zur Erhöhung der individuellen Arbeitsbelastung im
Haushalt beitrug. Führt die Medienminiaturisierung zu einer engeren
Nutzerbindung, zu einem Kontraktieren des Actor-Network? Basieren unsere
Infrastrukturen auf dem Prinzip des "below-the-line design", das nur durch
Medienminiaturisierung ermöglicht werden konnte? Gab nicht die
Miniaturisierung erst den Designern die konzeptionelle Freiheit, Grundsätze
wie "form follows function" zu formulieren? Mit den Verkleinerungstendenzen
geht eine Zunahme des Abstraktheitsgrades der Funktionen einher, bis hin zu
einer Funktionsverschleierung, die es den Dingen nicht mehr ansehen lässt,
was sie tun.
An die Stelle der offensichtlichen Reparierbarkeit früherer Artefakte tritt
ein Netzwerk von Reparaturketten und Garantien, das oft genug jenseits der
Schwellen ihrer Versicherbarkeit - also bei der Mehrheit der Weltbevölkerung
- ausfällt und durch bastlerische Fähigkeiten ersetzt wird, die wir keinem
Spezialisten zumuten (oder zutrauen) würden. Hier ist eine entscheidende
design- und medienhistorische Schwelle und Spaltung aufgetreten, dies es
näher zu untersuchen gilt.
Der Aufstieg der Mikrokosmen ist gerade in der Evidenz seiner Unsichtbarkeit
begründet, in der Virtualität des Kleinen. Doch verschiebt sich im Zuge der
Aufwertung von Mikrodimensionen nicht auch die Quantität in umgekehrt
proportionaler Weise? Die Tatsache, dass durch unscheinbare Details
plötzlich komplexe Sachverhalte einsichtig werden, scheint sich parallel zur
statistischen Auslöschung des scheinbar Marginalen als eine der
kontinuierlichen wissenschaftlichen Evidenzen seit dem späten 19.
Jahrhundert zu erweisen.
Die Frage nach Mikrostrukturen und ihren Medien kann keiner einzelnen
Disziplin angehören. Daher möchte diese Tagung einen Austausch zwischen den
Disziplinen auf einer konkreten Ebene befördern, indem er sich auf räumliche
Praktiken und Operationsketten konzentriert, die in aller Unscheinbarkeit
eine erhebliche Bedeutung für die Konstitution unseres Wissens gewonnen
haben. Konstelliert werden die Beiträge zu thematischen Schwerpunkten
(Quantencomputing, Mikroskopie etc.) nach dem Respondenzprinzip: Einem
30-minütigen naturwissenschaftlichen Vortrag mit materialen Beispielen aus
der natur- und ingenieurswissenschaftlichen Nano- und
Miniaturisierungsforschung folgen Erwiderungen, die das Thema aus medien-
und kulturwissenschaftlicher Perspektive entfalten. Alle Interessierten sind
eingeladen, Ideenskizzen für entsprechende Vorträge bis zum 28.2.2007 an
Tristan Thielmann (thielmannspatialturn.de) zu schicken.
"Reduce to the Max" ist eine Tagung der Medienwissenschaft an der
Universität Siegen in Kooperation mit den Teilprojekten "Media Geography"
und "Net Literature" des SFB/FK615 "Medienumbrüche". Tagungsleitung und
Organisation: Peter Gendolla, Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann.
Quellennachweis:
CFP: Reduce to the Max (Siegen, 19-20 Oct 07). In: ArtHist.net, 13.12.2006. Letzter Zugriff 14.05.2025. <https://arthist.net/archive/28839>.