REV-EX 23.04.2025

Roma Pittrice. Artiste al lavoro tra XVI e XIX secolo

Museo di Roma, Palazzo Braschi, 25.10.2024–23.03.2025
verlängert bis 04.05.2025

Rezensiert von Brigitte Sölch, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Redaktion: Livia Cárdenas
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Im dritten Viertel des 17. Jahrhunderts schuf vermutlich Pietro Paolini (1603–1681) ein von sanften Brauntönen sowie Licht- und Schatteneffekten geprägtes Ölgemälde, dessen Zentrum das Halbfigurenbildnis einer jungen Künstlerin hinter einer Werkbank bildet, auf der Pinsel und Malpalette drapiert sind. Die Künstlerin trägt gläserne Perlenohrringe und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. Sie blickt die Betrachter:innen direkt an und wendet ihren Körper zugleich der Leinwand zu, die sie mit einem Arm stützt und mit dem Pinsel in der anderen Hand berührt. Zu ihrer Rechten ist ein Blumenstilleben thematisiert, das in der frühneuzeitlichen Gattungshierarchie den unteren Rängen zugeschrieben war, sich realiter aber vom 16. Jahrhundert an zu einer beliebten Bildgattung entwickelte. In der misogynen, am Künstlergenie interessierten Kunsthistoriographie seit dem 19. Jahrhundert wurde das Blumenstillleben allerdings – teils infolge der Erkenntnis, dass es auch von Künstlerinnen geschaffen wurde – als ‘Frauenkunst’ in den Bereich des Dekorativen zurückverwiesen. Derartige Prozesse beobachtete Linda Nochlin bereits in “Why Have There Been No Great Female Artists?” (1971) und schon Lu Märten betonte in „Die Künstlerin“ (1919) das nachträgliche Unsichtbarwerden von Künstlerinnen in der Geschichtsschreibung. Inzwischen ist das Blumenstillleben anhand von Künstlern wie von Künstlerinnen und Naturforscherinnen wie Maria Sibylla Merian (1647–1717) und der zuletzt in München ausgestellten Rachel Ruysch (1664–1750) unter Einschluss der Erkenntnisse der feministischen und Gender-Forschung gut untersucht – und in Pietro Paolinis Gemälde in Form eines Blumenstraußes präsent, der vor einer Staffelei in einer das Licht reflektierenden Kristallvase steht.

Paolinis Gemälde aus der Londoner Lampronti Gallery bildet den Auftakt der sehenswerten, in 14 Sektionen unterteilten Ausstellung „Roma Pittrice. Artiste al lavoro tra XVI e XIX secolo“ im Palazzo Braschi in Rom. Mit dem Gemälde deutet sich schon an, dass die Ausstellung diverse Autorschaften vereint, um das Arbeiten von Künstlerinnen in der Stadt Rom vom 16. bis ins 19. Jahrhundert in den Fokus zu nehmen. Neben populären Namen wie Artemisia Gentileschi und Angelika Kaufmann werden der Fachwelt bekannte wie auch weniger bekannte und erforschte Künstlerinnen präsentiert. Von Lavinia Fontana (1552–1614) bis Erminia de Sanctis (1840–1919) reicht das Spektrum der 127 Exponate, die in hervorragend ausgeleuchteten und farblich angenehm unterschiedenen Räumen aus geringer Distanz betrachtet werden können. Mehr als 30 Werke aus dem Bestand des Museo di Roma wurden für diese Ausstellung, die von Ilaria Miarelli Mariani und Raffaella Morselli in Zusammenarbeit mit Ilaria Arcangeli kuratiert wurde, um Leihgaben aus mehr oder weniger gut zugänglichen Museen und (Privat-)Sammlungen ergänzt. Italienisch- und englischsprachige Wandtafeln sowie Texte zu ausgewählten Kunstwerken erläutern knapp und präzise die Inhalte der chronologisch und innerhalb dessen thematisch geordneten Sektionen.

Der erste Raum ist der bekannten Künstlerin Lavinia Fontana gewidmet. Erstmals lassen sich zwei nur geringfügig variierte Versionen ihres frühen, in Öl gemalten Selbstporträts am Spinett miteinander vergleichen: Nebeneinander hängen das aus Privatbesitz stammende Selbstporträt aus dem Jahr 1575, das auf Kupfer gemalt ist und daher eine besondere Leuchtkraft entfaltet, und die 1577 auf Leinwand gemalte Variante aus der Accademia Nazionale di San Luca in Rom. Warum Fontana, wie einige frühneuzeitliche Künstlerinnen, in der Signatur auf ihren Vater, den bekannten Maler Prospero Fontana aus Bologna, verweist und den eigenen Status als Jungfrau (“virgo”) hervorhebt, erschließt sich vor dem Hintergrund der sozialhistorisch grundierten feministischen Forschung seit den 1980er Jahren. Künstler:innenfamilien sowie befreundete Künstler und Werkstätten waren für die Ausbildung von Frauen zentral, zumal ihnen das Aktstudium und der Zugang zu Kunstakademien (weitgehend) verwehrt blieb. Im Rekurs auf Boccaccio lassen sich zudem die in der Ausstellung nicht erläuterten Gründe für den Verweis auf den Status als Jungfrau (“virgo”) erschließen, der die soziale Angemessenheit des Habitus als Frau und als arbeitende Künstlerin (in jungen Jahren) betont. Einige Frauen blieben zugunsten ihrer künstlerischen Tätigkeit bewusst unverheiratet.[1] Nicht so Lavinia Fontana. Sie heiratete den Maler Gian Paolo Zappi, der ihre künstlerische Tätigkeit unterstützte und dies im Ehevertrag garantierte. Das Paar hatte elf Kinder und zog 1604 dank päpstlicher Patronage nach Rom, wo Fontana Mitglied der Accademia di San Luca wurde. Dass ihr Selbstbildnis am Spinett schon früh ihre Bildung und ihr malerisches Können demonstrierten, lässt sich mit dem “Self-Fashioning” im 16. Jahrhundert verbinden.[2] Zudem wurde der Bildung und Ausbildung von Frauen in Bologna eine besondere gesellschaftliche Bedeutung beigemessen.[3] An Aufträgen mangelte es Fontana nicht, wie auch das kleine Brustbild einer elegant gekleideten jungen Aristokratin (17x13 cm, Privatbesitz) belegt, das in Öl auf kostbarem afghanischem Lapislazuli gemalt ist. Derart preziöse Porträts waren in Rom, wie auch der Ausstellungskatalog betont, häufig diplomatische Geschenke, etwa an Päpste, Fürsten, Kardinäle oder internationale Gesandte.

Fontanas Porträts bilden somit einen gelungenen Start für den Ausstellungsrundgang, der einem Gang durch das historische Rom mit seinen vielfältigen familialen und sozialen Netzwerken, Institutionen und Auftraggeber:innen aus der Perspektive der dort tätigen Künstlerinnen gleicht. Entdeckt werden können Stillleben, Natur- und Antikenstudien, Altarbilder und Landschaftsbilder, Familien- und Einzelporträts sowie zahlreiche Selbstbildnisse. Zu diesen zählt im dritten Raum das Selbstbildnis von Giovanna Garzoni (1600–1670) als Apoll. Mit diesem Kopfstück beweist die Künstlerin ihre Fähigkeit, dem blauen Stoff ihrer Gewandung und dem vom Schatten zum Licht übergehenden Hintergrund etwas Leuchtendes und Atmendes zu verleihen. Zugleich zeugen der Lorbeerkranz auf ihrem lockigen Haar und das Detail der Leier vom Studium der Natur und der Beherrschung der Feinmalerei. Garzonis Selbstbildnis hängt in einem Raum zum Stillleben im 17. Jahrhundert, in dem neben Zeichnungen mit zarten Naturstudien in leuchtenden Farben aus der Hand derselben Künstlerin zudem großformatige Blumenstillleben in Öl von Künstlerinnen wie Anna Stanchi (um 1613–1681) und Laura Bernasconi bzw. Laura dei Fiori (2. H. 17. Jh.) gezeigt sind, die das Blumenarrangement mit mythologischen Szenen und figürlichen Vasen kombinieren. Dass Garzoni an vielen europäischen Höfen tätig war, die Tier- und Pflanzenwelt studierte und aufgrund ihrer Qualitäten als Miniaturmalerin 1633 Mitglied der Accademia di San Luca wurde, hebt die Wandtafel ebenso hervor wie die Tatsache, dass Anna Stanchi, die ihre römische „casa bottega“ in der via Paolina mit ihren drei Brüdern teilte, erst in jüngerer Zeit entdeckt wurde.

In den folgenden Räumen lassen sich sodann nicht nur einige Selbstporträts vergleichend betrachten. Zu entdecken sind zum Beispiel auch Marienbilder von Caterina Cherubini (um 1728–1811), Architekturveduten der Graphikerin Laura Piranesi (1754–1785) und lichte Landschaftscappricci, die der im Kloster tätigen Maria Luigia Raggi (vor 1742–1813) zugeschrieben werden. Nur ein Raum, der kleinste, fällt insofern aus dem Rahmen, als er wie auf einem Nebenschauplatz heterogene Werkgruppen vereint, dabei aber faszinierende Beispiele zeigt: Gravierte verchromte Kupferplatten etwa, die als Druckvorlagen für die Stiche nach Giulio Romanos „Christus und die Ehebrecherin in der Tempelportikus“ (1575) dienten. Sie wurden von Diana Scultori (um 1547–1612) gefertigt, die mit dem Architekten und ihrem Ehemann Francesco Capriani von Volterra nach Rom gezogen war. Inspiziert werden kann auch das 1616 datierte Büchlein „Teatro delle nobili et virtuose donne“ von Elisabetta Cattaneo Parasole (um 1575/1580–1617), das ein weißes Spitzenmuster auf schwarzem Grund zeigt. Die im Waisenhaus aufgewachsene Künstlerin war mit den Holzdrucken ihrer selbst erfundenen Stickmuster- und Klöppelvorlagen auch in der instruktiven Ausstellung „Muse oder Macherin? Frauen in der italienischen Kunstwelt 1400–1800“ (2023) im Berliner Kupferstichkabinett zu sehen.[4] In Rom sind im ‚Raritätenraum‘ zudem neben einem leicht und lebendig wirkenden Gouache-Miniaturporträt von Maddalena Corvina (1607–1664) Architekturzeichnungen (um 1800) und eine kleine Architekturvedute (um 1850) von Giambattista Bassi ausgestellt. Diese zeigen il Vascallo und damit jene Villa in Rom, für die Plautilla Bricci (1660–1705) als Architektin verantwortlich zeichnete. Wie breit das Spektrum des Arbeitens von Künstlerinnen in Rom tatsächlich war und welcher Stellenwert ihnen zukam, lässt sich in diesem kleinen Raum nur ansatzweise erahnen.

Der begleitende, italienischsprachige Katalog geht auf die ausgestellten Werke ebenso ein wie auf einige übergeordnete Fragen. Er zeichnet sich durch eine hervorragende Abbildungsqualität aus und lässt die ambitionierte (Forschungs-)Arbeit der Kuratorinnen und Autorinnen erkennen. Vier Essays von Raffaella Morselli, Ilaria Miarelli Mariani, Ilaria Arcangelo und Simona Feci zusammen mit Rosanna De Longis behandeln die Präsenz und den Ruhm der Künstlerinnen des 16. und 17. Jahrhunderts in der Stadt Rom, die von der Patronage der Papst- und Kardinalsfamilien wesentlich geprägt war. Sie nehmen darüber hinaus Künstlerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts in den Blick, gehen der Kunstproduktion von Ordensfrauen im 17. Jahrhundert nach und erörtern die sozialhistorische Situation von Frauen in der männlich geprägten Stadt. Das künstlerische Berufsfeld war in Rom wie andernorts vorwiegend unter männlichen Akteuren aufgeteilt, die Werkstätten führen und Schüler:innen ausbilden konnten. Zwar seien, so Raffaella Morselli, viele Künstlerinnen auszumachen, die im Schatten ihrer männlichen Verwandten gemalt, skulptiert, gestickt oder Stichvorlagen erstellt haben, da es ihnen rechtlich nicht gestattet war, Verträge beim Notar oder Urkunden zu unterzeichnen, Werkstätten zu leiten oder in Malergilden aufgenommen zu werden. Einigen von ihnen gelang aber auch dies, oft mit Hilfe männlicher Unterstützer. Dass Frauen der Zugang zu (Kunst-)Institutionen verwehrt blieb, änderte sich jedoch am 10. April 1580, als die Compagnia di San Giuseppe di Terrasanta – unter der Leitung von Federico Zuccari und seinem Stellvertreter, dem Architekten und Ehemann von Diana Scultori, Francesco Capriani – , einer Statutenänderung zustimmte, die mit der Bulle von Papst Gregor XIII. bestätigt wurde. Infolgedessen konnte Diana Scultori zum Beispiel als eine der ersten Künstlerinnen in die Congregazione dei Virtuosi al Pantheon aufgenommen werden. Die 1593 gegründete Accademia di San Luca ließ Frauen erst ab 1607 zu. Es sind Mikroanalysen und -geschichten wie diese, die Bedingungen und Möglichkeiten des Arbeitens von Künstlerinnen in der Frühen Neuzeit am Beispiel der ‘Ewigen Stadt’ konkretisieren und auf der Basis bekannter Forschungsergebnisse sowie neuer, archivalisch gestützter Erkenntnisse vermitteln. Damit wird auch die Rolle von Familien, akademischen Institutionen, dem päpstlichen Umfeld und dem Tourismus für das Arbeiten von Künstlerinnen in Rom aufgefächert. Der Katalog bietet damit eine gute Grundlage und auch ein wichtiges Nachschlagewerk, da die kommentierten Werke um Biographien zu den 57 ausgestellten Künstlerinnen ergänzt werden.

Indirekt folgen wir im Katalog wie in der Ausstellung dem gesellschaftlichen und politischen Wandel Roms bis zum Risorgimento und Nationalstaat: Anhand der (Selbst-)Porträts von Charlotte Napoléone Bonaparte (1802–1839) etwa, Tochter des ältesten Bruders von Napoleon, oder des 1853 datierten Familienbildnis von Emma Gaggiotti (1825–1912), die sich darin selbst als Malerin vor der Staffelei porträtiert. Am Ende verlassen wir die Ausstellung mit Blick auf die Künstlerin Giulia Rizzoli (1857–1890), die als Pleinair-Malerin am Fluss sitzend von Raffaele Faccioli 1874 porträtiert wurde. Damit endet ein gehaltvoller Parcours, der mit dem Porträt einer jungen Künstlerin am Werktisch einsetzte. Noch ist der Inhalt dieses Parcours nicht an sein Ende gelangt und es wird noch einiges auf diesem Gebiet zu entdecken und erforschen geben. Dennoch vermisst man eine Künstlerin: Mary Edmonia Lewis (1844–1907) aus den USA, die als erste afroamerikanische Bildhauerin internationales Ansehen erlangte und einen großen Teil ihrer künstlerischen Laufbahn in Rom zubrachte.

Seit Linda Nochlin und Ann Sutherland Harris 1976 erstmals „Women Artists: 1550–1950“ ausstellten und mit Artemisia Gentileschi einsetzten, hat sich viel auf diesem Gebiet getan. „Roma Pittrice“ gelingt es, den Fokus auf eine Stadt unter dem Gesichtspunkt des Arbeitens zu legen und ihre Besucher:innen mit wichtigen Informationen zu entlassen. Mit Grundrissen der Stadt Rom, in denen zum einen die Arbeitsorte der Künstlerinnen verzeichnet sind und zum anderen die Orte, an denen einige ihrer Werke noch heute besichtigt werden können.

[1] Ricarda Müller, Die jungfräuliche Künstlerin. Ein humanistisches Frauenideal in Boccaccios De mulieribus claris, in: Antike und Abendland (1992), S. 124–132.
[2] Vgl. auch Simona Lorenzini, Deborah Pellegrino (Hg.): Women’s Agency and Self-Fashioning in Early Modern Tuscany. (1300–1600), Rom 2022.
[3] Vgl. zuletzt auch Babette Bohn, Women Artists, Their Patrons, and Their Publics in Early Modern Bologna, Pennsylvania State University Press 2021 sowie zu Lavinia Fontana bereits Caroline P. Murphy: Lavinia Fontana and “Le Dame della Città”: Understanding female artistic patronage in late sixteenth-century Bologna, in: Renaissance Studies 10 (1996) 2, S. 190–208.
[4] Vgl. den Katalog der Ausstellung: Muse oder Macherin? Frauen in der italienischen Kunstwelt 1400–1800, hg. v. Dagmar Korbacher, Berlin 2023.

Miarelli Mariani, Ilaria; Morselli, Raffaella; Arcangeli, Ilaria (Hrsg.): Roma pittrice. Artiste al lavoro tra XVI e XIX secolo : Roma, Museo di Roma - Palazzo Braschi, 25 ottobre 2024 - 23 marzo 2025, Roma: Officina Libraria 2024
ISBN-13: 978-88-336-7282-3, 319 S., 35.50 EUR, [bvbr.bib-bvb.de:8991/exlibris/aleph/a24_1/apache_media/UKCI4MBPSXE9IM48ERUVR8P5KXXH5R.pdf Inhaltsverzeichnis]

Empfohlene Zitation:
Brigitte Sölch: [Rezension zu:] Roma Pittrice. Artiste al lavoro tra XVI e XIX secolo (Museo di Roma, Palazzo Braschi, 25.10.2024–23.03.2025). In: ArtHist.net, 23.04.2025. Letzter Zugriff 24.04.2025. <https://arthist.net/reviews/47313>.

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