12.12.2005

Re: REV: Sachs-Hombach: Bildwissenschaft

Klaus Sachs-Hombach

[Anm. der Redaktion: Die nachfolgende Replik gilt einer Rezension, die von
zwei ArtHist-Redaktionsmitgliedern verfaßt wurde. Wir haben daher von
jedweder editorischen Einflußnahme auf den Text der Erwiderung abgesehen.
Beachten Sie jedoch bitte, daß wir uns Änderungen und Kürzungen an
Beiträgen dieser Art normalerweise vorbehalten.]

Replik zur Rezension der Publikation: Klaus Sachs-Hombach (Hg.):
Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Suhrkamp Taschenbücher
Wissenschaft Bd. 1751, Frankfurt am Main 2005. Erschienen bei H-ArtHist am
9. Nov. 2005
(http://www.arthist.net/download/book/2005/051109Behrmann-Brevern.pdf)

Replik von Klaus Sachs-Hombach

In ihrer Rezension meines Sammelbandes "Bildwissenschaft" kommen Jan von
Brevern und Carolin Behrmann zu dem Schluss, dass das dort intendierte
Unternehmen zwar zu begrüßen, insgesamt aber doch mit nicht unerheblichen
Mängeln belastet sei. Zunächst ist zu betonen, dass eine solche (in diesem
Fall kunstgeschichtlich orientierte) Auseinandersetzung ohne Einschränkung
positiv zu bewerten ist. Sie trägt, wie ich hoffe, dazu bei, das
Missverständnis zu beseitigen, dass eine Konkurrenz annimmt zwischen
einerseits kunsthistorischen Ansätzen und andererseits dem, was als
allgemeine Bildwissenschaft bezeichnet werden könnte. Da ich die von den
Rezensenten vorgebrachte Kritik in Einzelnen für sachlich nicht begründet
halte, möchte ich die Möglichkeit einer Replik wahrnehmen, die mir die
Redaktion von H-ArtHist freundlicherweise gewährt hat und eine weitere
Klärung zu unternehmen beabsichtigt.

Die Rezensenten werfen dem Sammelband insbesondere die folgenden Mängel
vor: 1) Zum ersten "bewegen sich viele in diesem Band versammelten
Beiträge bildtheoretisch auf einem enttäuschenden Niveau". 2) Zum zweiten
wird bemängelt, "dass viel drüber geredet [wird], wie man Bilder
untersuchen müsste, aber kaum ein Bild betrachtet oder gar analysiert
wird". 3) Drittens sei es weder gelungen, den angekündigten Theorierahmen
zu liefern, noch habe sich "eine Art Gesamtbild eingestellt". 4) Da
dieser Mangel zu "einem nicht geringem Teil auch an der Auswahl der
beteiligten Disziplinen" liege, wird viertens bemängelt, dass "nicht genau
zwischen Fächern unterschieden wird, die Bilder nur benutzen, anderen, die
auch mit Bildern arbeiten, und schließlich jenen, die die Bilder und das
Phänomen der Bilder selbst zum Untersuchungsgegenstand haben". 5)
Schließlich wird fünftens eine tendenziöse Ausrichtung beklagt, die sich im
Sammelband durch zwei "Argumentationslinien" zeige: Die erste zeige sich in
dem Vergleich von Bild und Text (dabei komme "mehr als eine Auswahl ebenso
bekannter wie sich widersprechender Befunde [.] selten heraus"), der eine
"negative Definition des Bildes als Bedrohung" zur Folge habe. Die zweite
Argumentationslinie "lautet schlicht: ,Bilder täuschen'".

Ich möchte im Folgenden auf diese Punkte einzeln eingehen: 1) Da die
Rezensenten ihren ersten Vorwurf, den ich als besonders fragwürdig
empfinde, nur an einem Beispiel (am kommunikationswissenschaftlichen
Beitrag von Thomas Knieper) belegen, kann ich hierzu auch nur für dieses
Beispiel Stellung nehmen. Nachdem die Rezensenten zunächst den Teil des
Beitrags, der sich auf die Täuschungsproblematik bezieht, korrekt
zusammengefasst haben, wenden Sie ein: "Allerdings sind solche Fälschungen,
die nur bei ganz bestimmten Bildmedien erfolgreich sein können, streng von
angeblichen ,manipulativen' Eigenschaften der Bilder selbst zu
unterscheiden." Derjenige, der "auf Letzteren besteht", vertrete "eine
platonisch geprägte, ikonoklastische Bildtheorie", mit der "Bilder als
Bedrohung missverstanden" werden. Davon abgesehen, dass die Rezensenten
hier ein doch allzu simplifizierendes Verständnis der Platonischen
Bildtheorie erkennen lassen, ist mir völlig unklar, wie sie einerseits
diese Differenzierung für unangemessen halten können, da sie ja zu
Missverständnissen führe, andererseits aber sagen: "Wie viele andere
Autoren dieses Sammelbandes verzichtet Knieper allerdings auf solche
Unterscheidungen." Natürlich verzichtet Knieper auf eine solche
Unterscheidung (dass die Rezensenten hier plötzlich zum Plural übergehen,
ist eine ihrer rhetorischen Kniffe, auf die ich noch eingehen werde), da es
manipulative Eigenschaften als solche nicht gibt, sondern Manipulationen
sich aus der jeweiligen Verwendung und primär bezogen auf Produktion und
Distribution ergeben. Das wird im Beitrag von Knieper meines Erachtens auch
deutlich gemacht. Insofern die Kritik an Knieper dann sachlich unbegründet
ist, lässt der erste Vorwurf insgesamt einen angemessenen Beleg vermissen.

2) Nach dem zweiten Vorwurf, der zu den kunsthistorischen Standardvorwürfen
zählt, habe der rezensierte Sammelband Chancen verpasst, weil er keine
Bildanalysen enthält. Selbstverständlich sind konkrete Bildanalysen auch
für das Verständnis theoretischer Probleme sehr hilfreich. Bei einem
Überblick über "Disziplinen, Themen und Methoden" (so der Untertitel des
Sammelbandes) halte ich eine Konzentration auf die theoretischen Probleme
jedoch für vertretbar. Das schient mir auch allgemein anerkannt zu sein.
Hier ein Beispiel: Das 2003 erschienene "Metzler Lexikon der
Kunstwissenschaft" enthält keine Abbildungen. Auch der in diesem Lexikon
von Horst Bredekamp verfasste Artikel "Bildwissenschaft" enthält weder
Abbildungen noch Bildanalysen. Ich halte das, wie gesagt, nicht nur für
akzeptable, sondern meine zudem, dass Überblickswerke dieser Art im
Gegenteil durch Detailanalysen ihre Funktion verfehlen würden. Da die
Rezensenten auch einräumen, dass der rezensierte Band eine Art Handbuch
ist, möchte ich zwei Gegenfragen an die Rezensenten richten: Trifft Ihre
Kritik auch auf den Artikel von Horst Bredekamp zu? Falls nicht: Was ist
der Grund, für die unterschiedlichen Maßstäbe, die hier zur Anwendung
kommen?

3) Die Rezensenten schreiben, dass es mir nicht "um die Gründung einer
neuen Disziplin, sondern um die Bereitstellung eines gemeinsamen
Theorierahmens" gehe. Das ist richtig. Allerdings war dies nicht die
Aufgabe des Sammelbandes. Einen entsprechenden Theorierahmen habe ich an
anderer Stelle (in "Das Bild als kommunikatives Medium") recht ausführlich
entwickelt. Was die Aufgabe des Sammelbandes betrifft, so habe ich zunächst
im Vorwort sehr klar formuliert, um welche disziplinspezifischen Ziele sich
die einzelnen Beiträge bemühen (siehe Seite 9). Sodann habe ich in den
einführenden "Rahmenüberlegungen" eine sehr knappe Skizze meiner
Vorstellungen zu einem Theorierahmen gegeben. Ich habe diese als
"allgemeine Vorüberlegungen" bezeichnet, die die Konzeption des
Sammelbandes motiviert haben. Der Sammelband selber sollte "im Sinne einer
Bestandsaufnahme in prägnanter Form die unterschiedlichen Perspektiven
versammeln, die in einer allgemeinen Bildwissenschaft Berücksichtigung
finden müssten" (S 12). Wenn man einem Buch Ziele unterstellt, das es gar
nicht verfolgen will, dann bereitet der Nachweis, dass diese Ziele nicht
erreicht wurden, natürlich keine große Mühe.

4) Der vierte Punkt betrifft die Auswahl und das Verhältnis der
verschiedenen Disziplinen. Gegen die Einordnung der Mathematik als
Grundlagendisziplin wenden die Rezensenten beispielsweise ein, dass der
Hinweis auf logisches Schließen und mathematische Modelle in der
Bildwissenschaft "als ein etwas unspezifisches Kriterium erscheint". Das
ist ebenfalls richtig. Ich hätte diese Anmerkung besser weglassen sollen.
Bei Zitaten ist es allerdings immer wichtig, auch den Kontext zu
berücksichtigen. In diesem Fall scheint es mir doch sehr tendenziös, wenn
der Folgesatz einfach unterdrückt wird und so der Eindruck entsteht, dass
mit dem Zitat das einzige Kriterium geliefert wäre. Der Folgesatz lautet:
"Darüber hinaus bietet insbesondere die darstellende Geometrie einen
wichtigen Bereich der Bildforschung. Anhand der entsprechenden
diagrammatischen Verfahren zeigt dieser Aspekt zudem die enge Verbindung
von Mathematik und Logik." (S. 15) Warum haben die Rezensenten den
Folgesatz unterdrückt, der die spezifische Information bzw. Begründung
liefert? Muss hier nicht von einer bewusst falschen Darstellung geredet
werden? Bei der Kunstgeschichte scheinen die Rezensenten mit den Status als
Grundlagendisziplin einverstanden zu sein, sie kritisieren diese Einteilung
dennoch als nicht zwingend. Hierzu zitieren sie die entsprechende Passage,
in der ich meine Einteilung begründe, nämlich damit, dass die
Kunstgeschichte nicht auf Geschichte festgelegt sei, sondern durchaus mit
systematischem Anspruch auftrete. Mir scheint dieser Grund triftig, der im
Übrigen die Ansicht namhafter Kunsthistoriker ist. Die Rezensenten geben
keinen Grund an, warum ihnen dies nicht zwingend erscheint. Vielleicht
irritiert sie das in "Kunstgeschichte" enthaltene Wort "Geschichte". Aber
solche Bezeichnungen halte ich wiederum für am aller wenigsten zwingend.
Als das Hauptproblem erachten die Rezensenten bei dem Problem der
Bestimmung der Bilddisziplinen, dass nicht genau zwischen verschiedenen
Fächergruppen unterschieden wird. Hier ist die Passage, in der ich genau
dies mache: Zu den Bildwissenschaften "sollen allerdings diejenigen
Disziplinen nicht gehören, die Bilder nur oder primär als methodische
Werkzeuge einsetzen (etwa, wie die Medizin, zu diagnostischen Zwecken),
denn dann wäre es schwierig, überhaupt eine Wissenschaft auszuschließen.
Als Bildwissenschaften sollen nur diejenigen Disziplinen gelten, die in
irgendeiner Form zum theoretischen Verständnis der Bildthematik beitragen"
(S. 13). Die Rezensenten brechen das Zitat hier ab, zitieren also erneut
nur einen Ausschnitt, der den Eindruck erweckt, dass es sich bei der
Abgrenzung um ein sehr ungefähres Kriterium handelt. Ich möchte daher auch
den Rest des Absatzes zitieren, um dem Leser ein besseres Urteil zu
ermöglichen: " . die also in systematischer Weise Aussagen machen über
unterschiedliche Bildformen, Bildtypen und Bildverwendungen, über die
Verfahren ihrer Herstellung und Bearbeitung, über die Bedingungen ihrer
Rezeption und Distribution oder ganz allgemein über den Begriff des Bildes
und seiner Stellung innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses." Natürlich
sind die Aufgaben der verschiedenen Disziplinen innerhalb einer
interdisziplinären Bildwissenschaft unterschiedlich. Deshalb halte ich es
auch für sinnvoll, von Grundlagendisziplinen zu sprechen. Und warum sollte
eine Disziplin, die in der genannten Weise einen Beitrag zum Verständnis
des Bildphänomens leistet, ausgeschlossen werden? Die Rezensenten geben
keine Begründung. Ist mein Eindruck richtig, dass die Rezensenten meinen,
dass es nicht nur besonders kompetente Disziplinen gibt, wie insbesondere
die Kunstgeschichte (was ich übrigens gar nicht in Frage stelle), sondern
dass der Band auch besser geworden wäre, wenn man all die "unwichtigen"
Disziplinen weggelassen hätte (die sich ohnehin nicht genügend mit der
Kunstgeschichte beschäftigt haben)?

5) Der letzte Punkt betrifft die Unterstellung, dass der Sammelband
einseitig verfahre, indem in den Beiträgen bevorzugt zwei
Argumentationslinien zum Ausdruck kommen. Richtig ist natürlich, dass die
genannten Themen in einigen Beiträgen behandelt werden. Ich würde es auch
als Mangel empfinden, wenn dem nicht so wäre. Dass diese im gesamten Band
dominant sind, kann ich allerdings nicht erkennen. Bei der Lektüre der
Rezension musste ich mich auch mehrmals fragen, worauf die Rezensenten sich
im Einzelnen beziehen. Zum Beispiel wird an keiner Stelle erwähnt, dass der
Band zwei kunstgeschichtliche Beiträge enthält, einmal in theoretischer
Ausrichtung (Bogen), einmal in eher praktischer Ausrichtung (Reichle), auf
die ein solcher Vorwurf ganz sicher nicht zutrifft. Das gilt in ähnlicher
Weise etwa für den prähistorischen Beitrag (Lenssen-Erz) oder für den
ethnologischen Beitrag (Därmann). Selbst der angesprochene
kommunikationswissenschaftliche Beitrag (Knieper) behandelt nahe liegender
Weise auch Text-Bild-Zusammenhänge, bezieht sich explizit aber auf eine
ikonographische und nicht auf eine sprachwissenschaftliche Methodik.
Das Problem, das die Rezensenten mit der Orientierung am Vergleich von Bild
und Text sehen, besteht darin, dass nur bekannte und zudem widersprüchliche
Befunde herauskommen. Der Nachweis hierzu wird auch hier über einige aus
dem Kontext gerissene Zitate geführt, an denen ich nun abschließend noch
einmal die angesprochene rhetorischen Kniffe verdeutlichen möchte, mit
denen die Rezensenten sachlich nicht zutreffende Eindrücke zu erzeugen
versuchen. Ich beschränke mich nun auf das Beispiel für widersprechende
Befunde, für das beispielsweise kurze Passagen aus dem Beitrag von Lesske
und von Schierl zitiert werden. Nach Lesske solle ein Bild "ganzheitlicher
wahrgenommen" und "eher langsam verarbeitet" (S. 245) werden, nach Schierl
ist es dagegen so, dass Bilder "deutlich schneller erfasst werden als
Texte" (S. 313). Schlagen wir nun bei Lesske nach, finden wir folgenden
kompletten Satz: "Ein Bild wird ganzheitlicher wahrgenommen und wegen der
Fülle von Elementen, Bedeutungsebenen und ihren Relationen rational eher
langsam verarbeitet. Die intuitive Auseinandersetzung steht beim Bild im
Vordergrund, eine vernunftgesteuerte Bearbeitung kann erfolgen, ist aber
nicht zwingend erforderlich." Man kann natürlich darüber streiten, ob hier
eine glückliche Formulierung vorliegt, ziemlich klar ist aber doch, dass
sich das "langsam" auf die rationale Verarbeitung bezieht. Das macht der
Folgesatz auch eindeutig. Ein Widerspruch liegt hier also keineswegs vor.
Es handelt sich um vielmehr um ergänzende Aussagen, die sich auf
verschiedene Aspekte beziehen. Warum stellen die Rezensenten diese Sachlage
zumindest überaus missverständlich dar? Das unter Punkt 5 bisher
Gesagte trifft ähnlich auch auf die zweite unterstellte Argumentationslinie
zu, der zufolge im Sammelband Bilder dominant als Täuschungsphänomen
behandelt werden. Es ist mir völlig unklar, wie die Rezensenten bei einer
vollständigen Lektüre des Bandes zu dieser Ansicht gelangen konnten, da nur
wenige Beiträge dieses Thema behandeln. Berechtigter Weise geht es in
kommunikations- und politikwissenschaftlichen Zusammenhängen um Täuschungen
mittels Bildern. Aber selbst hier wird keineswegs die absurde Behauptung
verhandelt, dass die Bilder selbst täuschen. Manipulativ ist, wie gesagt,
natürlich immer nur der spezifische Einsatz von Bildern bzw. die Intention,
die damit verbunden ist. Dass einem solchen medienethischen Thema
angesichts der Bedeutung der Massenmedien in modernen Gesellschaften eine
besondere Bedeutung zukommen sollte, wird, denke ich, auch von kaum
jemandem bestritten werden.

Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass der rezensierte
Sammelband den Versuch unternimmt, einen Überblick der gegenwärtigen (in
den verschiedensten Disziplinen zu beobachtenden) wissenschaftlichen
Beschäftigung mit Bildern zu geben. Er verbindet mit den knappen
Standortbestimmungen die Hoffnung, dass sich der interdisziplinäre
Austausch zwischen den beteiligten Disziplinen verbessern wird. Dazu ist
eine für alle Beteiligten verständliche (und zuweilen auch vereinfachende)
Sprache nötig, die, wie ich meine, nicht leichtfertig auf Grund
disziplinenspezifischer Standards verworfen werden sollte. Das heißt
natürlich nicht, dass solche Standards aufzugeben sind, aber wohl, dass sie
sachlich vorgestellt und diskutiert werden, um in systematischer Weise die
Probleme der interdisziplinären Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen
bestimmen zu können.

Klaus Sachs-Hombach

Quellennachweis:
Re: REV: Sachs-Hombach: Bildwissenschaft. In: ArtHist.net, 12.12.2005. Letzter Zugriff 10.05.2025. <https://arthist.net/archive/27759>.

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