REV 29.09.2015

Alberto Saviello: Imaginationen des Islam

Rezensiert von Nicolai Kölmel, Universität Basel
Redaktion: Livia Cárdenas
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In den vergangenen Jahren hat sich die historische und kunsthistorische Forschung vermehrt mit dem Blick europäischer Länder auf andere Kulturräume und Religionen auseinandergesetzt. Wie wurden Kulturen, Religionen, Bild- und Vorstellungswelten, die sich von der eigenen unterschieden, wahrgenommen? Wie wurden diese Unterschiede bewertet, wie wurde versucht, diese zu verstehen und welche Bilder wurden gefunden, um Differenzen und Gemeinsamkeiten auszudrücken? Nicht zuletzt steht dabei immer die Frage im Raum, was diese Bilder über die Gesellschaften, die sie hervorbrachten, aussagen.

In seiner 2011 in München angenommenen, und jetzt bei de Gruyter in Berlin erschienen kunsthistorischen Dissertation untersucht Alberto Saviello westeuropäische Bilder des Islam vom späten 15. bis ins 19. Jahrhundert. Beginnend mit dem frühen Buchdruck erstreckt sich der Untersuchungszeitraum über Frühe Neuzeit und Aufklärung bis zu Romantik und Kolonialismus. Die Arbeit umspannt damit mehr als 400 Jahre. Um diese lange Zeitspanne zu bewältigen, fokussiert die Studie in ihrer Materialauswahl auf Darstellungen des Propheten Mohammed, wie sie in gedruckten Koranübersetzungen und Lebensbeschreibungen des Propheten publiziert wurden.

Zwar werden auch die verschiedenen Texte der Koranübersetzungen und Lebenserzählungen ihrem Inhalt und ihren Vorlagen nach diskutiert, doch liegt das Hauptaugenmerk des Autors – wie von einer kunsthistorischen Arbeit zu erwarten – vor allem auf den Bildern. Diese werden in der klar strukturierten Studie im Verhältnis zum Inhalt der Schriften detailliert analysiert und auf ihre Funktionen im Kontext der Bücher hin befragt. Erklärtes Ziel ist es nachzuzeichnen, wie sich mit dem Wandel der Bildauffassungen über die Jahrhunderte hinweg, auch die Darstellungen Mohammeds und die Auffassung des Islam änderten. Mittels der visuellen Repräsentationen des Propheten soll er- und geklärt werden, welche gesellschaftlichen Fragen anhand dieser meist negativ konnotierten Figur jeweils verhandelt wurden und welche Einstellung dem Islam gegenüber sie vermittelten.

Den Bildern Mohammeds in Koranübersetzungen und Propheten-Viten komme – so die Grundhypothese – dabei eine allgemeingültige Aussagekraft über das Islambild der christlich-europäischen Gesellschaft zu. Diese Auswahl des Quellenmaterials wird doppelt begründet: einmal mit dem exemplarischen Charakter, den der islamische Prophet in der westlichen Sicht des Islams besessen habe, und zum anderen mit der Wirkmächtigkeit der besprochenen Texte und Bilder. Da im europäischen Islambild Mohammed über Jahrhunderte hinweg als Personifikation des Islam aufgefasst worden sei – so die erste der Auswahl des Quellenmaterials zu Grunde liegende Prämisse – könne die Darstellung des Propheten als paradigmatisch für die europäische Wahrnehmung der Eigen- und Besonderheiten der muslimischen Religion gelten. Daneben hätten – so die zweite Prämisse – Koranübersetzungen und Propheten-Viten das verfügbare Wissen über den Islam in Büchern einem breiten Publikum aufbereitet und langwirksam zur Verfügung gestellt und so das Islambild weit nachhaltiger geprägt, als beispielsweise die kurzlebigeren Flugblätter. Diese optimistische Annahme über die gesamtgesellschaftliche Aussagekraft und Wirkmächtigkeit der Mohammed-Darstellungen ließe sich sicher kontrovers diskutieren.

So wird in der Studie beispielsweise für das 16. Jahrhundert gezeigt, wie im Zuge der Expansion des osmanischen Reiches Mohammed zunehmend in türkischen Gewändern dargestellt und so als Prophet der Türken inszeniert wurde. Die umgekehrte Frage aber – ob Begegnungen und kultureller Austausch mit dem osmanischen Reich und dessen Darstellung nicht auch auf das Islambild durchgeschlagen und dieses auf andere Weise beeinflusst und geformt haben könnte, als dies in den Darstellungen Mohammeds zum Ausdruck kommt – wird nicht gestellt. Dabei wäre eine Gegenüberstellung der eher religionstheoretisch beeinflussten Repräsentationen des islamischen Propheten mit der Wahrnehmung religiöser Praxen, wie sie etwa in den zahlreichen Reiseberichten des 16. Jahrhunderts zum Ausdruck kommt, sicher aufschlussreich gewesen.

Zumindest aber hätte man sich hier eine detailliertere Reflexion über die Quellenauswahl gewünscht, als sie auf den nur knapp dreizehn Seiten der Einleitung erfolgt, die daneben noch die Aufgabe übernimmt, in Thematik und Fragestellung einzuführen und einen kurzen Überblick über die bisherige Forschung zu bieten. Hinter der selbstgestellten Aufgabe, den „spezifischen Beitrag und die Funktion der Bilder in den Diskursen über den Islam“ (14) zu erörtern, bleibt die Arbeit jedenfalls bisweilen zurück.

Die Stärke der Arbeit liegt aber ohnehin weit weniger in methodischen Reflexionen oder in Fragen der Bildrezeption, als vielmehr in einer klar strukturierten, chronologisch geordneten Aufbereitung des Bildmaterials sowie in den scharfsinnigen Bildanalysen, die zudem oft in Fragen der Medienreflexion übergehen oder in kenntnisreichen Analysen des zeitgenössischen Bildverständnisses münden; wie etwa in der pointierten Deutung des Titelblattes von Andrea Arrivabenes 1547 in Venedig verlegtem „L’Alcorano di Macometto“. (65-80)

Inhaltlich gehen die fünf Kapitel des Buches, die sich chronologisch etwa je einem Jahrhundert widmen, auf Vorbilder und Ikonographien der Graphiken ein, untersuchen die Text-Bildbezüge und bemühen sich um eine Einordnung der Bilder in ihre jeweiligen historischen Zusammenhänge. Der rund dreihundert Seiten starke Haupttext wird zudem abgerundet durch einen umfangreichen Katalog der sämtliche Mohammed-Darstellungen aus gedruckten Koranübersetzungen und eine Sammlung der gesichteten Propheten-Biographien umfasst.

Das erste Kapitel stellt Visualisierungen des islamischen Propheten im frühen Buchdruck vor. Überzeugend setzt sich die Arbeit hier mit Darstellungsstrategien Mohammeds auf der Folie älterer Figurentypen auseinander. Anhand des Quellenmaterials wird die Verschiedenartigkeit an Bedeutungen greifbar, mit der die Darstellung Mohammeds im 15. und frühen 16. Jahrhundert verbunden war. Der Autor zeigt dabei auf, dass neben den negativen Auffassungen des islamischen Propheten – wie sie in Darstellungen Mohammeds als Häretiker oder gar Antichrist greifbar sind – durchaus auch ein ambivalentes bis positives Bild Mohammeds existierte, das ihn als Antiheld, Kriegsherr, Richter und Gesetzgeber zeigte.

Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde Mohammed vermehrt in türkischer Kleidung dargestellt. Diese Osmanisierung in Prophetenbildern wird im zweiten Kapitel einerseits vor dem Hintergrund der Expansion des osmanischen Reiches, andererseits vor dem Hintergrund einer sich ändernden Bildauffassung diskutiert. Mit der gestiegenen Bedeutsamkeit visueller Wahrnehmung und Wirklichkeitsaneignung habe – so die Argumentation – auch das Bedürfnis einer lebensechten Darstellung des Propheten zugenommen. Die Aktualität der osmanischen Bedrohung sowie der Rückgriff auf nach realen Vorbildern gefertigte Studien osmanischer Gewänder habe die Glaubwürdigkeit der Mohammed Darstellungen gesteigert. Umgekehrt sei die Figur des Propheten aber auch zur bildlichen Reflexion über die Zuverlässigkeit von Bildern im Allgemeinen eingesetzt worden. Mittels der Darstellung vermeintlicher Wunder aus dem Leben Mohammeds sei dieser nicht nur als Produzent falscher Bilder entlarvt worden, sondern geradezu zum Sinnbild für das trügerische Potential von Bildern avanciert.

Auch das dritte Kapitel, das sich mit der im 17. Jahrhundert neuaufkommenden Darstellung Mohammeds im „Porträt“ auseinandersetzt, geht von einer solch sinnbildlichen oder emblematischen Bildauffassung aus. Mit dem Fokus auf die Physiognomie Mohammeds rückte statt der religionshistorischen und politischen Dimensionen des muslimischen Propheten, dessen individueller Charakter in den Vordergrund. Allerdings sei – so das Hauptargument dieses Kapitels – mit der Thematisierung illusionistischer Bildeffekte im Medium des Porträts auch die Diskrepanz von Schein und Wirklichkeit verhandelt worden. Hinter der oberflächlichen Widergabe von Mohammeds (fiktiven) Gesichtszügen hätten die Porträts den aus Sicht ihrer Zeit betrügerischen Charakter des falschen Propheten zum Ausdruck zu bringen versucht. Ziel sei es gewesen, mit den Mitteln des Porträts hinter Mohammeds einnehmender Fassade das lügnerisch Wesen des Propheten und der mit ihm verbundenen Religion zu zeigen.

Für die Zeit der Aufklärung verzeichnet die Arbeit bezüglich der Darstellung Mohammeds wie auch der textlichen Diskurse eine Trennung zwischen wissenschaftlichen und populären Publikationen. Wie im vierten Kapitel herausgearbeitet wird, verzichteten religionswissenschaftliche Texte ab dem 18. Jahrhundert zunehmend auf figürliche Darstellungen oder griffen zur Illustration auf Vorbilder aus dem muslimischen Kulturraum zurück. In populären Veröffentlichungen dagegen wurde die Figur des Propheten bisweilen fast karikaturhaft überzeichnet. Interessant sind hier die von Alberto Saviello herausgearbeiteten künstlerischen Selbstreferenzialitäten der Prophetenfigur sowie die Parallelen der Bildinszenierungen zu Theaterstücken über Mohammeds Leben und seinen dort betonten Charakterzügen.

Bezeichnend für das 19. Jahrhundert ist die Instrumentalisierung der Figur Mohammeds unter nationalstaatlichen, kolonialen und schließlich ökonomischen Gesichtspunkten. Wie der Autor im fünften Kapitel betont, wurden nun – vielleicht auch anknüpfend an den Typus von Mohammed als Gesetzgeber aus dem 15. Jahrhundert – die Leistungen des Propheten in der politischen Einigung Arabiens unterstrichen. Die Aufwertung Mohammeds zum großen Mann der Menschheitsgeschichte inszenierte den Propheten dabei als politischen Führer und Fortschrittsbringer, als Dichter mit poetischem Genie und als sich ästhetisch artikulierenden Gottessucher.

Zwar mag man den bisweilen zu übergroßen Eindeutigkeiten tendierenden Bildanalysen nicht immer und in jeder Hinsicht folgen, doch mit ihren stets sorgfältigen Bildbeschreibungen, detaillierten Beobachtungen und umfassenden Kontextualisierungen bietet Alberto Saviellos Buch weit mehr als einen bloßen Überblick über die visuellen Repräsentationen Mohammeds während einer Dauer von über 400 Jahren. Vielmehr leistet die Studie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis europäischer Vorstellungen des Islams.

Saviello, Alberto: Imaginationen des Islam. Bildliche Darstellungen des Propheten Mohammed im westeuropäischen Buchdruck bis ins 19. Jahrhundert, De Gruyter 2015
ISBN-13: 978-3-11-031162-4, 416 S., EUR 79,95, Inhaltsverzeichnis

Empfohlene Zitation:
Nicolai Kölmel: [Rezension zu:] Saviello, Alberto: Imaginationen des Islam. Bildliche Darstellungen des Propheten Mohammed im westeuropäischen Buchdruck bis ins 19. Jahrhundert, 2015. In: ArtHist.net, 29.09.2015. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/9588>.

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