REV-CONF 14.07.2025

Wasser, Boden, Biodiversität

Vortragssaal der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Halle (Saale), 27.05.2025

Bericht von Inna Skliarska, Halle (Saale)
Redaktion: Anke Blümm

Als der Moderator Niklas Ottersbach vom Deutschlandfunk in seiner Einführung zum am 27. Mai 2025 in der Leopoldina stattgefundenen Symposium „Wasser, Boden, Biodiversität“ das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft sowie die aktuelle Ausstellung „Planetarische Bauern“ im Kunstmuseum Moritzburg thematisierte, machte man sich als Kunsthistorikerin zu Gast auf einen wissenschaftlichen Dialog mit dem breit aufgestellten Kunst- und Kulturangebot zum 500. Jahrestag des Deutschen Bauernkriegs im Zeichen der Klima- und Landwirtschaftskrise gefasst. Denn, obgleich der Ankündigung der Tagung nicht explizit entnommen werden konnte, dass die Geisteswissenschaften Teil des Programms sein würden, fordert die in der Moritzburg gezeigte Ausstellung mit ihren Fragestellungen und Diskurslinien ein wissenschaftliches Begleitprogramm dazu geradezu heraus. Dazu sollte es leider nicht kommen.

Während die Werke in den Ausstellungsräumen der Moritzburg-Schau Begriffe wie Polykrise (Edgar Morin) oder Multizid ins Bewusstsein rufen, Kategorien wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit im Zeitalter des Anthropozäns ausloten und – was noch wichtiger ist – den Anspruch erheben, Kunst als Erkenntnismedium in dieser Polykrise zu begreifen, wurde der vom Symposium angestrebte – auch durch die räumliche Nähe zur Ausstellung genährte – Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst nicht eingelöst. Das Thema Klimawandel hat, wie Ottersbach in seinen einleitenden Worten treffend bemerkte, längst seine Nischenexistenz verlassen und steht nun im Zentrum des politischen Diskurses – umso bedauerlicher wirkte die Einseitigkeit des Symposiums, das geisteswissenschaftliche Perspektiven vermissen ließ.

Die Science Wars der letzten Jahrhunderte haben das Zerwürfnis zwischen Erklären und Verstehen verfestigt – heute scheint es sich in Klima- und Technikdebatten zugunsten der erklärenden Naturwissenschaften zu entscheiden. Doch gerade ihr methodischer Ausschluss von Wertfragen macht die geisteswissenschaftlichen Stimmen unverzichtbar. Die Geisteswissenschaften sind nicht nur das Gedächtnis, das Gewissen und die Kritik einer Gesellschaft – sie schaffen Narrative, die welt- bzw. wirklichkeitserzeugend wirken können. [1]
„Die Naturwissenschaft als Wissenschaft vom empirischen Sein, nicht vom Sollen, beurteilt nicht, sondern deckt Kausalzusammenhänge auf. Sie hat mit Moral nichts zu tun; denn aus dem Sein kann ein Sollen nicht bewiesen werden.“ [2] Schon 1959 beklagte C. P. Snow den fehlenden Dialog zwischen den „zwei Kulturen“, wo doch gerade ihre Berührung schöpferische Impulse freisetze, aus denen viele Durchbrüche hervorgegangen seien. [3]

Trotz fruchtbarer Beiträge aus Naturwissenschaft und Landschaftsarchitektur fehlte dem Symposium eine ganzheitliche Herangehensweise. Der Landschaftsarchitekt Hans-Gerd Kleymann zeigte am Beispiel des Halleschen Klimaquartiers Lutherviertel, dass klimagerechtes Wohnen keine schnellen Lösungen erlaubt, sondern kontinuierliches Experimentieren und Lernen erfordert, um nachhaltige Antworten zu finden.

Die unbehandelt gebliebenen Begriffe wie „planetar“ und „planetarisch“ im Laufe des Panels – bei denen man an Martin Heideggers „planetarische Technik“ und die darauf bauende „planetare Epoche“ Edgar Morins [4] denkt (beides keine rein positiv besetzten Begriffe) – stehen symptomatisch für die Problematik des Symposiums. Bruno Latour kritisierte die oberflächliche Globalität des Erdballs als anonymes Objekt im All und plädierte für den Gaia-Begriff (nach Lovelock und Margulis), um die kritische Mitwelt des Menschen neu zu denken. Der „blaue Planet“, so Latour, habe „das Denken nachhaltig vergiftet“. Seit dem Moment, als der Mensch im Raumanzug die Erde verließ, wurde sie unabdingbar zum Planeten – ein Blick, der dem westlich-hegemonialen Epistem entstammt und Teil des Klimaproblems selbst ist.

Das dem Symposiums-Namen zugrundeliegende Konzept der „planetaren Grenzen“ erscheint angesichts ökologischer Krisen als unverzichtbar. Doch es setzt ein Bild der Erde als überlastete menschliche Infrastruktur voraus. Dem entgegnet Latours Gaia-Begriff: keine harmonische „Sympathiegestalt“ [6], sondern Ausdruck einer neuen Sensibilität im Sinne Marcuses – einer „Verschmelzung kognitiver, emotionaler und ästhetischer Kräfte“.[7] Gaias Weisheit liegt in ihrer Unverfügbarkeit – sie ist keine „kontrollierte kybernetische Maschine“, sondern eine autonome, widerspenstige Kraft. [8] Gerade diese geisteswissenschaftliche Perspektive auf die Klimakrise, mit all den Theorien, die dazugehören – wie die neuen Materialismen, neue Humanismen, neue Ontologien, Multispezies-Ethnographie oder die Dezentrierung des Menschen – hat hier gefehlt. [9]

Es sind eindrückliche Zahlen, die Professor für Ökologie Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle und Professor für Moorkunde Gerald Jurasinski von der Universität Greifswald darlegten. 90% der Obst- und Gemüseerträge sind von der Bienenbestäubung abhängig, deren Marktwert 250-600 Mrd. Euro im Jahr beträgt – eine Leistung, die wir kostenlos entgegennehmen. 50 % der Bienenarten in Deutschland stehen auf der Roten Liste. Settele erinnerte daran, dass Bestäuber einst in vielen Religionen zentrale Rollen spielten und in indigenem Wissen bis heute respektvoll behandelt werden. In seiner Forschung arbeitet er an Projekten zur Integration indigener und westlicher Wissenskulturen, die oft auf sinnlich-intuitiven Zugängen beruhen. Auch sprach er kurz über die Schönheitserfahrung in Kulturlandschaften und erwähnte in diesem Zusammenhang den Begriff „Heimatverbundenheit“.

Denkt man bei dem kontroversen Begriff „Heimatverbundenheit“ an die Heimatschutzbewegung der 1930er Jahre, liefert der von Naturphilosoph Glenn Albrecht geprägte und von Latour aufgegriffene Begriff der Solastalgie neue Perspektiven, um „Heimat“ von rechten Vereinnahmungen zu befreien. Latour beschreibt Solastalgie als Heimweh „ohne ausgewandert zu sein“ – ausgelöst durch Klimakrise, Artensterben und Landschaftsverödung. Heimat wird so zum existenziellen Bezugspunkt, der Zugehörigkeit neu definiert – als Reaktion auf eine kollektive Entwurzelung und den Verlust von Grund und Boden.[10]

Auch in Bezug auf die Neuperspektivierung der Kulturlandschaften im Zeichen des ökologischen Gedankens hätten geisteswissenschaftliche Einblicke Abhilfe leisten können, wie beispielsweise Gernot Böhmes Erläuterungen zur emotionalen Kategorie der Landschaft oder der Atmosphäre einer Landschaft in „Für eine ökologische Naturästhetik“. [11] Ein Teil der ökologischen Naturästhetik ist somit eine „leiblich-sinnliche Erfahrung, die ein Mensch macht, der in einem bestimmten Naturstück sich befindet, wohnt, arbeitet, sich bewegt.“ [12] Die Landschaft wird als erfahren „als etwas, das einen anspricht, sei es, dass sie einen ergreift oder in eine bestimmte Stimmung versetzt“ verstanden. [13] Und das tut sie auch auf einer ganz physischen Ebene, oder in Worten von Anna Tsing: „Landschaften sind Ausdruck von mehr-als-menschlichen Dramen und stellen somit ein radikales Instrument zur Relativierung menschlicher Hybris dar.“ [14]

Bienen wie Moore – von Gerald Jurasinski thematisiert – sind mehr als bloße Ökosystemelemente: Sie waren lange Teil unseres kollektiven Imaginären. 92 % der Moore in Deutschland sind trockengelegt, nur 2 % naturnah, 4 % renaturiert. Frühkulturen lebten in enger Koexistenz mit ihnen, so der Moorexperte. Kaum ein anderer Akteur des Erdsystems ruft beim Menschen ein so starkes Gefühl des Unverfügbaren hervor wie das Moor: öde, rau, unheimlich – und zugleich faszinierend. Viele Künstler wurden von diesem Kontrast angezogen. Joseph Beuys’ 1971 durchgeführte Aktion im Moor gilt als Statement seines Ökologiegedankens – eine seiner auratischsten Arbeiten. Doch so sehr sie in Staunen versetzt, so unheimlich wirkt der Mensch, der das bedrohliche, undurchsichtige Moor durchquert – machtlos vor dem sich Verschließenden.

Während Settele betonte, Politik solle Vorschläge statt Vorschriften erhalten, forderte Jurasinski einen Bewusstseinswandel. Doch dafür braucht es neben messbaren Daten gesellschaftliche Entwürfe. Umso dramatischer erscheint die Tendenz – die das hier besprochene Symposium nur als Symptom sichtbar macht –, zu glauben, bei Klimadebatten ohne geisteswissenschaftliche Stimmen auskommen zu können. Denn wie die Politökonomin Maja Göpel in ihrem Interview mit Jörg Thadeusz am 20.11.2020 zur Klimakrise erläuterte, sei es wichtig, „einfach erstmal Naturwissenschaften ernst [zu] nehmen“ – dann aber bitte auch ganz entschlossen die Geisteswissenschaften.

Verweise:
[1] Nelson Goodman. Weisen der Welterzeugung. Berlin 1990. Vgl. zur Tagung selbst https://werkleitz.de/panel-wasser-boden-klima (6.7.2025).
[2] Dieter Stephanitz. Exakte Wissenschaft und Recht. Der Einfluss von Naturwissenschaft und Mathematik auf Rechtsdenken und Rechtswissenschaft in zweieinhalb Jahrtausenden. Ein historischer Grundriss. Berlin 1970, S. 3.
[3] Charles Percy Snow. Zwei Kulturen (engl. Original 1959) in: Helmut Kreuzer (Hg.). Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. C.P. Snows These in der Diskussion, Stuttgart 1987, S. 19-59, hie S. 31.
[4] Edgar Morin. „Die Menschheit kann der Kopilot der Natur werden“. Edgar Morin, im Interview mit Martin Legros, Philosophie Magazin, veröffentlicht am 1 September 2021, https://www.philomag.de/artikel/edgar-morin-die-menschheit-kann-der-kopilot-der-natur-werden (6.7.2025).
[5] Bruno Latour. Kampf um Gaia. 3. Aufl., Berlin 2023, S. 235.
[6] Ebd., S. 244.
[7] Ebd., S. 241.
[8] Ebd., S. 242.
[9] Anna Lowenhaupt Tsing. Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus. Berlin 2015; Dieter Mersch. Humanismen und Antihumanismen. Kritische Studien zur Gegenwartsphilosophie. Zürich 2024; Katharina Hoppe/Thomas Lemke. Neue Materialismen zur Einführung. Hamburg 2021; Donna J. Haraway. Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. Frankfurt/M. 2018; Bruno Latour. Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie. Frankfurt/M. 2001; Ailton Krenak. Life Is Not Useful. Cambridge 2023.
[10] Bruno Latour. Der Planet rebelliert. Der Boden unter unseren Füßen schwindet. Heimat, was bedeutet sie heute? 18. März 2019, DIE ZEIT Nr. 12/2019.
[11] Gernot Böhme. Für eine ökologische Naturästhetik. Frankfurt/M. 1989, S. 11.
[12] Ebd., S. 12.
[13] Ebd., S. 29.
[14] Lowenhaupt Tsing 2015 (wie Anm. 9), S. 205.
[15] Maja Göpel im Gespräch mit Jörg Thadeus, Talk aus Berlin, rbb, 20.11.2020, https://www.youtube.com/watch?v=Te0z2peFErE (6.7.2025).

Empfohlene Zitation:
Inna Skliarska: [Tagungsbericht zu:] Wasser, Boden, Biodiversität (Vortragssaal der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Halle (Saale), 27.05.2025). In: ArtHist.net, 14.07.2025. Letzter Zugriff 14.07.2025. <https://arthist.net/reviews/50359>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^