REV-EX 15.03.2003

Richelieu (1585-1642) – Kunst, Macht und Politik

Wallraf-Richartz-Museum – Fondation Corboud, Köln, 01.02.–21.04.2003

Rezensiert von Georg Machauer

Er zählt zu den prägenden Gestalten der europäischen Geschichte, die ihrem Zeitalter ihren Stempel aufdrückten, und schuf nach Einschätzung der Historiker die Grundlagen des modernen französischen Staates, doch erst ein „Unterhaltungsroman“, Alexandre Dumas´ Die drei Musketiere, und in der Folge dessen ungezählte Verfilmungen verhalfen ihm zu einer späten, anhaltenden Popularität: die Rede ist von Armand-Jean Du Plessis, besser bekannt als „Kardinal Richelieu“ (1585-1642). Allein sein Name flößt Ehrfurcht ein, und das Bild des skrupellosen, intriganten, machtbesessenen Politikers, das sich in unseren Köpfen festgesetzt hat, verstellt den Blick auf weniger bekannte Facetten seiner Person und seiner Staatstätigkeit. Eine im Wallraf-Richartz-Museum in Köln stattfindende Ausstellung unter dem leider etwas faden Titel „Richelieu – Kunst, Macht und Politik“ unternimmt es zu zeigen, daß der Erste Minister Ludwigs XIII. von Frankreich auch enorme Anstrengungen unternommen hat, um sein Land zur führenden Kulturnation zu machen, und er sich in gezielter und umfassender Weise gerade auch der bildenden Künste bediente, um seine politischen Ziele, die Stärkung der Monarchie und die Vormachtstellung Frankreichs in Europa, zu erreichen. Mit dieser massgeblich vom Montreal Museum of Fine Arts konzipierten Schau, deren einzige europäische Station Köln ist, wird erstmals in Deutschland das Verhältnis zwischen Politik und Kunst in einer Epoche der französischen Geschichte beleuchtet, die zumeist vom Grand siècle des Sonnenkönigs überstrahlt wird, aber in vielerlei Hinsicht die Fundamente für die glänzende Entfaltung der französischen Kunst unter Ludwig XIV. gelegt hat. Richelieu in Montreal? Von der zufälligen Koinzidenz abgesehen, daß die frankokanadische Metropole im Todesjahr des Kardinals (1642) gegründet wurde – Richelieu hat sich in seiner Eigenschaft als „Marineminister“ nachdrücklich für die Besiedlung der französischen Kolonien in Nordamerika und für eine Belebung des Überseehandels eingesetzt -, geht die Idee zu der Ausstellung auf das persönliche Interesse von Hilliard T.Goldfarb, dem Stellv. Chefkurator des Montreal Museum of Fine Arts, zurück, der die Mitarbeit namhafter Fachleute aus Kanada, Frankreich und England gewinnen konnte. Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum, das in der Vergangenheit bereits mit thematisch orientierten, dem allgemeinen Trend zu künstlermonographischen Übersichten entgegenlaufenden Ausstellungen unter der Ägide von Ekkehard Mai hervorgetreten ist [1], schloß sich diesem Projekt an – wenngleich bedauerlicherweise nicht alle im Katalog aufgeführten Exponate nach Köln übernommen worden sind - und steuerte auch zwei Katalogessays bei. Bereits 1985, zum 400. Geburtstag Kardinal Richelieus, veranstaltete die Pariser Sorbonne, zu deren maßgeblichen Förderern und Mentoren der promovierte Theologe gehörte, eine Richelieu et le monde de l´esprit betitelte Ausstellung, die bei vergleichbarer Intention allen Facetten des kultur- und kunstpolitisches Wirkens des Herzogs erschöpfend Rechnung trug, ihren Gegenstand jedoch noch nicht unter einer zugespitzten Fragestellung untersuchte. [2]

Das als Signet der Ausstellung gewählte und auf Plakat und Katalogcover begegnende Tripelporträt Philippe de Champaignes, das – wie eine Notiz auf der Rückseite des Rahmens angibt – eigentlich als Vorlage für eine dreidimensionale Skulptur fungierte, könnte nicht treffender die „Vielgesichtigkeit“ und Unergründlichkeit der „Sphinx in roter Robe“, als die der bedeutende französische Historiker Jules Michelet im 19. Jh. den Kardinal und Ersten Minister apostrophiert hat, illustrieren. In der Tat vereinigte Armand-Jean Du Plessis in sich Rollen, Ämter, Überzeugungen, ja selbst politische Ziele, die uns heute als widersprüchlich und unvereinbar erscheinen: aus einer hochverschuldeten Familie des niederen Adels stammend, strebte er eine geistliche Karriere an, studierte an der Sorbonne Theologie und erhielt bereits mit 22 Jahren in Rom die Bischofsweihe. Maria dei Medici, Witwe Heinrichs IV. und nach dessen Ermordung 1610 für den noch unmündigen Thronfolger Regentin Frankreichs, wurde auf seine Talente aufmerksam und nahm ihn in ihre Dienste. Von brennendem Ehrgeiz beseelt, seinem König zu dienen und Frankreich nach den blutigen Religionskriegen des 16. Jhs., die das Land und den Adel gespalten und geschwächt hatten, zu neuer Größe emporzuführen, stieg er 1624 zum Ersten Minister Ludwigs XIII. auf, bewährte sich als Militärstratege, der höchstselbst Belagerungen leitete, auf dem Schlachtfeld (Eroberung der letzten Hugenotten-Hochburg La Rochelle 1627/28) – man denkt an den kriegerischen Papst Julius II. – und übte nach 1630/31 de facto eine auf seine Person zugeschnittene, von seinen „Geschöpfen“ unterstützte, beinahe unumschränkte Regierungsgewalt aus. Gleichzeitig betätigte er sich als Verfasser theologischer Traktate und verhalf als unerbittlicher Verfechter der Gegenreformation den durch das Tridentinische Konzil angestoßenen innerkirchlichen Reformen zur Durchsetzung. Außenpolitisch verschaffte er mit diplomatischen und militärischen Mitteln Frankreich europäische Geltung, innenpolitisch schuf er einen straff organisierten, zentralistischen Staat mit dem König an der Spitze.

Daß im Wettstreit der rivalisierenden Staaten, Fürstenhöfe und Hauptstädte (Rom, Madrid, Wien, London) im Europa des Dreißigjährigen Krieges der künstlerischen Selbstdarstellung und dem Mäzenatentum eine unverzichtbare, ja mitentscheidende Rolle zukam, daß bildkünstlerische Medien zur Disziplinierung und ideologischen Ausrichtung des einheimischen Adels und zur Propagierung gegenreformatorischer Anliegen eingesetzt werden konnten, begriff der nüchtern und pragmatisch denkende, mit einem wachen Realitätssinn ausgestattete Kirchen- und Staatsmann Richelieu sehr rasch. Dementsprechend reflektiert die Kölner Ausstellung – zugespitzt formuliert – weniger das (affektiv gefärbte) Verhältnis des Kardinals zur Kunst als vielmehr den Gebrauch, den er von Kunstwerken macht, und untersucht, „warum diese Werke in Auftrag gegeben, wie sie rezipiert worden waren und ob gewisse Zusammenhänge zwischen Ikonographie und Stil bestanden“.[3] Zwar erachtete Richelieu, der alles der Staaträson unterordnete, in seinem Politischen Testament die Kunst nicht einmal der Erwähnung für würdig, zwar sieht man in ihm nicht den passionierten Kunstliebhaber, spricht ihm eine wirkliche Kunstkennerschaft, wie sie sein Nachfolger Mazarin aufwies, ab – dennoch wachte er sorgfältig über die Ausführung der von ihm in Auftrag gegebenen Bauten, Gemälde, etc. und nahm selbst auf kleinste Details Einfluß, was im übrigen aber auch für sämtliche Bereiche seiner Staatsführung und seines Privatlebens gilt und daher seinem rigiden Charakter entsprochen zu haben scheint. Ob er jedoch wirklich einen persönlichen Kunstgeschmack im Sinne einer bewußten Stilpräferenz besessen hat oder ob seine augenscheinliche Bevorzugung einer klassisch-strengen, kühlen Stilhaltung à la Poussin nicht vielmehr im Kontext der zeitgenössischen klassizistischen Strömung der französischen Kunst zu sehen ist, bleibt fraglich. Erst recht dürfte es schwerfallen, ihm bzw. seinem ihn künstlerisch beratenden Umfeld den kalkulierten Einsatz eines Erhabenheit und Würde vermittelnden künstlerischen Stils nachzuweisen, wie es beispielsweise für den ersten römischen Kaiser Augustus angenommen werden kann.[4] Ungeklärt bleibt des weiteren auch die spannende Frage, ob Richelieu, dem insbesondere die Literatur und das Theater am Herzen lagen, der seinem Willen zur Förderung und Anhebung der französischen Sprache durch die Gründung der Académie française (1635) sichtbaren Ausdruck verlieh [5], der dem Medium des Wortes zur Verbreitung von Informationen durch die Schaffung eines offiziellen Publikationsorgans (1631), der Gazette de France, sowie die Einrichtung einer königlichen Druckerei (1639), der Imprimerie royale, hohes Gewicht beimaß, den literarischen oder den visuellen Künsten, dem Wort oder dem Bild die Priorität zuerkannte. Daß Kunstwerke in den Dienst der persönlichen wie staatlichen Selbstinszenierung, der kulturellen und politischen Identitätsstiftung, der Propaganda gestellt werden, ist weder überraschend noch auf das absolutistische Zeitalter eingegrenzt. Neu an Richelieus Vorgehen ist allenfalls die Systematik, mit der er die Kunst seinen Intentionen dienstbar macht, ihr ihren Platz in seiner Vision des Staatsgebäudes zuweist, sie staatlicher Kontrolle zu unterwerfen sucht. Auch wenn eines seiner wichtigsten Projekte, die Gründung der Académie royale de Peinture et de Sculpture, erst 1648, sechs Jahre nach seinem Tod realisiert werden konnte, so gingen doch von ihm die Impulse aus, durch eine Reglementierung und Rationalisierung der Kunst bzw. ihrer Lehrbarkeit an den entsprechenden Institutionen ihr Niveau auf breiter Basis anzuheben: der Gedanke der Akademie in ihrer französischen Ausprägung, wie er jahrhundertelang die Vorstellung von einer professionellen Künstlerausbildung bestimmen sollte, nimmt bei einem „Kunstasketen“ ihren Ausgang, der jeder Form von Zügellosigkeit auf kulturellem und künstlerischem Gebiet mißtraute.[6] Bei Richelieu, der gewiß nicht ohne Vorbilder [7] oder Vorläufer im eigenen Land eine der ersten Propagandamaschinerien der Neuzeit schuf, kann man eigentlich erst mit Fug und Recht von einer Kunst- und Kulturpolitik sprechen, die unter seinem Sohn und Nachfolger Ludwig XIV. systematisch ausgebaut und meisterhaft weiterentwickelt wurde.

Die Ausstellung im Untergeschoß des Wallraf-Richartz-Museums fächert in sechs Abteilungen die unterschiedlichen Wirkungskreise des Kardinals, das historische Umfeld, die Lebensumstände des einfachen, vom Dreißigjährigen Krieg heimgesuchten Volkes, die Stadtentwicklung von Paris sowie das Nachleben seiner zum Mythos verklärten Gestalt im 19. und beginnenden 20.Jh. auf, wobei die Aufspaltung in staatliche, kirchliche, intellektuelle und mäzenatische Sphäre zwar aus ausstellungsdidaktischen Gründen sinnvoll ist, aber den in der Person des Kardinal-Ministers verkörperten untrennbaren Lebenszusammenhang zerreißt, der sich immer als ein zugleich im Namen der Kirche und des Staates, im Namen Gottes wie seines Königs Handelnder verstand. Quer zu diesen Hauptabteilungen liegen Subthemen, Teilaspekte verborgen, wie z.B. „Richelieu und Poussin“ oder „Richelieu und Philippe de Champaigne“, die zu entdecken und denen nachzugehen sich ebenfalls lohnen würde.

„Frankreichs Ruhm und Größe“, wie die erste Abteilung überschrieben ist, zu mehren und zu verherrlichen, stand im Zentrum aller künstlerischen Unternehmungen des Ersten Ministers und Dieners Ludwigs XIII. Daß Richelieu innerhalb dieses Rahmens eine eigene glänzende Selbstdarstellung seiner Person und seiner Familie betrieb, bedeutet keinen Widerspruch – die Staatsräson erforderte es regelrecht, selbst „Staat zu machen“. In diesem Sinne konnte auch das Wappen des Kardinals im Giebeldreieck seines Schlosses Richelieu (bei Chinon im Poitou) selbstbewußt prangen, solange es nur auf den König, verkörpert in seiner Marmorstatü in der zentralen Nische der Fassade, bezogen und ausgerichtet blieb. Paradigmatisch brachte die heute zerstörte berühmte Galerie des hommes illustres im Stadtpalast Richelieus, dem Palais Cardinal (heute Palais Royal), das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Königsschloß, dem Louvre, lag, seine Auffassung von der monarchischen Staatsordnung zum Ausdruck und führte die seiner Meinung nach vortrefflichsten Männer Frankreichs (und einer Frau, nämlich Jeanne d’Arc), angefangen von Abt Suger von St. Denis im 12. Jh. bis hin zu ihm selbst, in Ganzfigurenporträts vor Augen, die sich vor allem durch militärische Tapferkeit, Loyalität gegenüber Frankreich und Königstreue ausgezeichnet hatten und darin dem zeitgenössischen Schwertadel als leuchtende Vorbilder den Weg weisen sollten. Von dem einstmals 25 Porträts umfassenden Zyklus, ausgeführt von Philippe de Champaigne und Simon Vouet, haben nur ganze sieben die Zeiten überdauert, von denen fünf mitsamt der erhaltenen, z.T. erst kürzlich entdeckten, narrativen Begleittäfelchen von Justus van Egmont in Köln gezeigt werden können. Von dem bedeutendsten königlichen Kunstunternehmen der Regierungszeit Ludwigs XIII., der Ausstattung der über 400 m langen Grande Galerie des Louvre, für die eigens Nicolas Poussin aus Rom an die Seine geholt wurde, zeugen heute nur noch Bruchstücke – Vorzeichnungen, Skizzen des sich nur widerwillig der undankbaren, ihm nicht angemessenen Aufgabe fügenden Künstlers sowie Reflexe in dokumentierenden Nachstichen. Dieses kaum über die Anfänge hinausgekommene, letztlich gescheiterte Projekt gewinnt als Dokument des Mißverständnisses zwischen Poussin und Richelieu, der fehlenden Sensibilität des letzteren das Interesse des Kunsthistorikers. Der zweite Ausstellungssaal versammelt unter dem Programm „Für die Ehre Gottes“ großformatige Gemälde religiösen Inhaltes, die von Richelieu, François de Sublet de Noyers, seinem „Kunstministers“, und anderen für Kirchen bzw. Stadtpaläste in Auftrag gegeben wurden. Daneben begegnet der Ausstellungsbesucher Richelieu als Stifter der Kirche der Sorbonne, die – nach dem Vorbild der Peterskirche in Rom – von der ersten monumentalen, steinernen Kuppel in Paris gekrönt wird. Ausgaben seiner theologischen Schriften, von bedeutenden Künstlern mit Frontispizen versehen und in der königlichen Druckerei verlegt, weisen ihn als geistlichen Lehrer und Seelenhirten aus, der die ins Wanken gekommene Katholizität über seine organisatorischen Maßnahmen hinaus in den Herzen der Gläubigen zu verankern trachtet. Teil 3, „Richelieu und die Welt des Geistes“, eine Anspielung auf die Pariser Ausstellung von 1985, widmet sich seiner Patronage für Literatur und Theater. Eine ganze Serie qualitätvoller Kupferstiche, die als Titelblätter dem Kardinal gewidmete Dissertationen schmückten, gibt Gelegenheit, den beginnenden Personenkult um den für alle Segnungen des Glücks verantwortlich gemachten Minister zu studieren: unverkennbar sticht das markante, schon formelhaft reduzierte Konterfei Richelieus heraus, allegorisch überhöht, in schier unerschöpflichem Erfindungsreichtum werden die Erfolge seines segensreichen Regiments ausgebreitet. In diesen Huldigungsblättern drückt sich eine uns heute befremdende Devotion und Unterwürfigkeit aus, die dem Kardinal-Herzog eine nahezu königsgleiche Stellung zuspricht.

„Eminenz und Unternehmer: Richelieus Mäzenatentum“ ist leicht irreführend der folgende, vierte Themenkomplex der Ausstellung überschrieben, der gleichsam ihr Herzstück bildet, nicht nur, weil hier die Glanzstücke des Rundgangs präsentiert werden, sondern weil der Kardinal als Auftraggeber in eigener Sache auftritt und anhand seiner Schlösser und Paläste bzw. deren Ausstattung einen unmittelbareren Einblick in seine künstlerischen Vorstellungen und Bestrebungen gewährt. Seine wichtigsten Bauprojekte und Besitzungen, die Schlösser und Gärten in Rueil und Richelieu – letzteres begleitet von einer Idealstadt, die ebenso den Namen des Kardinals trug - , das Palais Cardinal in Paris, werden zwar durch – weitgehend unkommentiert dargebotene - Stiche und Zeichnungen vergegenwärtigt, finden aber nicht die Aufmerksamkeit, die der Architektur, da sie im Gegensatz zu den nur einem ausgewählten Kreis zugänglichen Gemälden und Kunstsammlungen eine erheblich größere Außenwirkung entfaltet, eigentlich zustünde. Der architekturhistorisch Interessierte sucht vergeblich nach einer architekturikonologischen Analyse oder typologischen Einordnung der Bauten und Gartenanlagen und muß sich an den Katalog halten, um sich zu unterrichten.[8] Eine von Bernini 1640/41 in Rom gefertigte Marmorbüste Richelieus verdeutlicht exemplarisch, welches enorme Prestige mit dem Besitz von Meisterwerken der größten lebenden Künstler verbunden war und mit welcher Bewußtheit und Berechnung Kunstwerke als subtile Mittel der Diplomatie eingesetzt wurden. Besonders der päpstliche Hof mit seinen Kardinalnepoten, in dessen Umkreis sich eine hochentwickelte, verfeinerte Kunstkennerschaft herausgebildet hatte, verstand es, dieses Instrument virtuos und voller Raffinesse zu handhaben: auf künstlerischem Gebiet eine Großmacht, aber politisch und militärisch in Europa von geringem Gewicht, blieb Rom nichts anderes übrig, als mit seinen künstlerischen Pfunden zu wuchern und aus seiner großen Vergangenheit politisches Kapital zu schlagen. Einen Einblick in die Gedankenwelt des gelehrten Zirkels um Kardinal Francesco Barberini und seines Sekretärs Cassiano dal Pozzo gibt das beim jungen Poussin bestellte Gemälde Die Zerstörung des Tempels von Jerusalem: in der Gestalt des römischen Feldherrn und späteren Kaisers Titus [9], der – allerdings vergeblich – der Zerstörung und Plünderung des jüdischen Tempels Einhalt zu gebieten sucht, läßt Barberini seine Vermittlungsbemühungen zwischen den katholischen Mächten Frankreich und Spanien von Poussin auf die Leinwand bannen. Gestalten sich jedoch die Anspielungen zwischen dem historischen Ereignis und der zeitgenössischen Situation schon beim Auftraggeber als ziemlich verschlüsselt, läßt sich die von Hilliard T. Goldfarb vorgeschlagene, auf Richelieu übertragene Lesart, dem das Gemälde 1634 als diplomatisches Geschenk übergeben wurde, nur schwer nachvollziehen, zumal es ja ursprünglich gar nicht für diesen geschaffen worden war. Der Erste Minister zeigte sich von Poussins Kunst so beeindruckt, daß er in den folgenden Jahren weitere Gemälde bei ihm in Auftrag gab. So vervollständigten drei mythologische Tafeln von der Hand des Frankorömers, ein Triumph des Bacchus, des Pan und des Silen, das mit überaus exquisiten Bildern bestückte Kabinett des Königs im Schloß Richelieu, in dem sich als ranghöchstem Raum des Ausstattungsprogrammes gleichsam das Mäzenatentum und Kunstinteresse des Ministers verdichtete [10] und die glorifizierende Selbstdarstellung des Königreiches unter der Regentschaft Ludwigs XIII. und Kardinal Richelieus ihrem Höhepunkt zustrebte. Auch wenn Richelieu offenbar kein ausgeprägtes connaisseurhaftes Kunstverständnis besaß, scheint er dennoch zumindest in architekturtheoretischen Fragen bewandert gewesen zu sein. Darauf deutet ein Schriftstück hin, das Hilliard T. Goldfarb lediglich als Beleg für das persönliches Engagement des Kardinal-Ministers bei der Ausführung seiner Bauten wie auch für einen individuellen Geschmack deutet.[11] Die Anweisung des in Rede stehenden Vertrages, die eine Verzierung des Wachsaals im Palais Cardinal mit dorischen Architekturelementen festlegt, entspricht jedoch einfach den in Architekturtraktaten niedergelegten Regeln zum korrekten Gebrauch der antiken Säulenordnungen.[12] Daß die Ausstellung die anderen Bereiche von Richelieus Sammelleidenschaft, kunsthandwerkliche Preziosen, Silberarbeiten, Schalen und Gläser aus geschliffenem Bergkristall etc. mit Schweigen übergeht, erscheint noch zu verschmerzen; unverzeihlich und unerklärlich dagegen ist das vollständige Fehlen von antiken Objekten seiner Sammlung. Und zwar nicht allein, weil sie als integrale Bestandteile seiner Sammlungspräsentationen auch inhaltliche Ergänzungen darstellten und Antiken zum unverzichtbaren Grundbestand einer hochkarätigen Sammlung gehörten. Schwerwiegend ist dieses Manko vor allem auch deshalb, weil die antike Kunst gerade auch in Frankreich als unumstößliches Ideal, das er zu erstreben, bestenfalls sogar zu übertrumpfen galt, angesehen wurde, als richtungsweisender Maßstab, mit dem sich die barocken Künstler kontrovers und schöpferisch auseinanderzusetzen hatten. Das Bronzerelief der sogenannten Borghesischen Opferbringer, das sein antikes Vorbild durch eine noch größere Anmut und Vollkommenheit zu übertreffen sucht, führt hinein in die Querelle des Anciens et des Modernes, die in den nationalistisch gefärbten Kunstdebatten des 17. Jhs. in Frankreich eine herausragende Rolle spielen sollte. Doch mangels antiker Originale lassen sich weitere Vergleiche leider nicht anstellen.

Die nächste Abteilung, „Alltagsleben“, fällt etwas aus dem Konzept der Ausstellung heraus und steht relativ unverbunden neben den mäzenatisch bestimmten Kunstwerken. Daß sogenannte Genre-Bilder nicht einfach einen ungefilterten, unverstellten Blick auf die Wirklichkeit wiedergeben, sondern ebenso bestimmten Aussage- und Darstellungsabsichten entspringen, sollte der Betrachter bedenken, der aus ihnen die vermeintliche „Realität“ der unteren Schichten herauslesen möchte. Den „Mythos Richelieu“ setzt die abschließende Abteilung in Szene: mal amüsant, mal heroisch, mal staatsmännisch gestaltet sich das Bild, das sich spätere Zeiten von dem berühmten Kardinal gemacht haben. Der Rundgang setzt sich in der Eingangshalle des Museums fort, in der zum Ausklang (bzw. Auftakt) Richelieus Erfolgsstory in Alexandre Dumas´ Roman Les Trois Mousquetaires weitergeschrieben wird und Filmplakate seine zahlreichen Wiederauferstehungen dokumentieren, die er bis in unsere Tage als Leinwandheld erlebt.

Abgesehen von den erwähnten Schwächen und Auslassungen ist es der Ausstellung – nicht zuletzt auch anhand von hochrangigen, in Deutschland selten zu sehenden Exponaten – gelungen, das vielfältige Wirken des Kardinal-Ministers auf kunst- und kulturpolitischem Gebiet aus seinen politischen Zielsetzungen und staatskirchlichen Visionen heraus zu interpretieren und in den übergreifenden Rahmen seines von der Staatsräson diktierten Handelns einzufügen. Wie sehr Richelieus Zeitalter dabei dem nachfolgenden, in dessen Schatten Künstler wie Vouet, de Champaigne, Lemercier, Callot, de La Tour immer gestanden haben, vorgearbeitet und gerade auch in geistiger Hinsicht die Blüte der französischen Kunst unter Ludwig XIV. erst ermöglicht hat, hätten die Ausstellungsmacher durch die Weiterführung einiger Entwicklungslinien in die zweite Jahrhunderthälfte hinein hervorheben können.

Der sehr empfehlenswerte, durchweg mit prächtigen Farbabbildungen aller Exponate ausgestattete Ausstellungskatalog kostet an der Museumskasse 34.- Euro. Abgerundet wird die Ausstellung durch eine kleine, aber prominent besetzte Vortragsreihe, eine Romanlesung, ein Konzert sowie eine Filmvorführung.

Anmerkungen:

[1] Zuletzt im Jahr 2000 „Faszination Venus – Bilder einer Göttin“, 2002 „Wettstreit der Künste“.

[2] Ausstellungskatalog Richelieu et le monde de l´esprit, Paris Sorbonne 1985.

[3] Katalog der Ausstellung, XVI.

[4] Paul Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, München 3. Auflage 1997.

[5] Daneben plante er bereits auch die Einrichtung einer Akademie für die bildenden Künste, die jedoch zu seinen Lebzeiten nicht mehr verwirklicht werden konnte.

[6] Katalog, 44.

[7] 1627 hatte Urban VIII. im Zuge der Gegenreformation bereits die Propaganda Fide ins Leben gerufen.

[8] Das im Katalog abgebildete, instruktive, dreidimensionale Modell von Schloß Richelieu befindet sich leider nicht unter den Exponaten.

[9] Titus galt schon seinen Zeitgenossen als milder und vorbildhafter Kaiser, vgl. die Biographie von Sueton.

[10] Marchese Pompeo Frangipani erwähnt in einem Brief vom 19. Mai 1636 an Richelieu die Fertigstellung von zwei Gemälden mit Bacchanten, die Poussin „Ihren Wünschen und Absichten entsprechend“ gemalt hatte.

[11] Katalog, 5 und Kat.Nr.121, S.184ff.

[12] Erik Forssman, Dorisch, Ionisch, Korinthisch. Studien über den Gebrauch der Säulenordnungen in der Architektur des 16.-18. Jhs., Stockholm 1961, Reprint Braunschweig/Wiesbaden 1984, 50ff, bes. 53 mit Zitaten aus französischen Architekturtraktaten.

Goldfarb, Hilliard Todd; Goldfarb, Hilliard Todd; Fumaroli, Marc; Fumaroli, Marc (Hrsg.): Richelieu (1585 - 1642). Kunst, Macht und Politik, Ghent [u.a.]: Snoeck 2002
ISBN-10: 90-5349-409-X, XVII, 420 S

Empfohlene Zitation:
Georg Machauer: [Rezension zu:] Richelieu (1585-1642) – Kunst, Macht und Politik (Wallraf-Richartz-Museum – Fondation Corboud, Köln, 01.02.–21.04.2003). In: ArtHist.net, 15.03.2003. Letzter Zugriff 17.04.2024. <https://arthist.net/reviews/499>.

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