"Herrschaft der Frauen – Herrschaft der Männer. Fürstabteien als weltliche Residenzen." Tagung des Rudolstädter Arbeitskreises zur Residenzkultur in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Fulda.
Dass beim Empfang einer Tagungsgruppe durch das Stadtoberhaupt des Veranstaltungsortes freundliche Worte fallen, ist nicht ungewöhnlich. Es kommt aber nicht so oft vor, dass sich der Gastgeber, hier Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld, bei den Initiatoren für einen Satz aus dem Flyer bedankt, weil dieser seine eigene Erfahrung exakt wiedergebe: „Es erscheint schwierig, die weltliche Herrschaft geistlicher Würdenträger heute zu vermitteln.“ Selten dürften Ort und Gegenstand so gut zusammengepasst haben wie bei dieser Konferenz im Stadtschloss der ehemaligen Fürstäbte von Fulda.
Die diesjährige Tagung des Rudolstädter Arbeitskreises zur Residenzkultur widmete sich genau diesem Thema: Wie ist jener Aspekt der Selbstdarstellung geistlicher Fürstentümer des Alten Reiches, der vor allem auf das Fürstliche und nicht spezifisch Geistliche abzielte, zu verstehen und wie ist er Menschen des 21. Jahrhunderts mit stets diverserem Hintergrund und sich wandelnden Interessen museal verständlich zu machen?[1]
Die geistlichen Staaten des Alten Reiches waren im Rückspiegel vor allem des 19 Jahrhunderts einem doppelten Vorwurf ausgesetzt: Gemessen am Leitbild expansiver moderner Staatlichkeit galten sie als „mindermächtig, zurückgeblieben, ineffizient“ und daher defizitär, mit Blick auf die monastischen Grundlagen ihrer Existenz dagegen als verweltlicht und verweichlicht. Der in einem Schloss residierende Reichsabt, unter Kanonendonner sechsspännig vorfahrend, galt lange Zeit als Exponent einer dem Untergang geweihten dysfunktionalen Regierungsform.
Die Tagung zeichnete ein völlig anderes Bild, indem sie den demonstrativ weltlichen Aspekt der hybriden Herrschaftsform als politisch ebenso opportune wie epochentypische soziale Konstruktion diskuitierte. Im Titel der Veranstaltung und Zentrum des ersten Tages stand dabei die bemerkenswerte Tatsache, dass in 16 reichsunmittelbaren Damenstiften weibliche Machtausübung nicht als Sonder-, sondern als institutionell verbürgter, legitimer Regelfall des Gemeinwesens festgeschrieben war. Heiko Laß (München) erläuterte in seinem einführenden Referat zu den „Souveränen Landes-Frauen“, dass die später so oft kritisierte Prachtentfaltung nach 1648 die zwingende Konsequenz der neuerworbenen, in Europa einmaligen politischen Selbständigkeit geistlicher Staaten war, um durch repräsentative „Zeigehandlungen“ ihren Status zu konstituieren und zu stabilisieren. Spätestens nach der Normierung des zwischenstaatlichen Zeremoniells um 1700 war das Bereithalten eines regelgerechten Paradeappartements für Staatsempfänge ein Muss, „um nicht vertragsbrüchig zu werden.“ Im Vortrag von Wolfgang Wüst (Erlangen) wurde herausgestellt, dass die Anerkennung der Souveränität geistlicher Staaten den Besitz aller damit verbundenen Rechte und Pflichten, also z.B. auch der Blutgerichtsbarkeit voraussetzte, die den Vogtherren oft teuer abgekauft werden musste – das Geschlecht der Souveräne spielte für deren Rangordnung auf dem Reichstag (anders als die Ordenszugehörigkeit oder die Geburtsherkunft der Amtsinhaber:innen) dagegen keine Rolle.
Der Abendvortrag von Katrin Keller (Wien) exemplifizierte die Frage weiblicher Machtoptionen in der Vormoderne an der Rolle der Kaiserin, welche durch die Heirat einen Rang erwarb, der ihr legitime reichspolitische Einflussnahme ermöglichte. Kaiserin Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg, dritte Gemahlin Leopolds I., versuchte z.B. 1698 eine mittellose pfälzische Verwandte als Koadjutorin, also Nachfolgerin der Fürstäbtissin von Herford gegen den Widerstand des Schutzvogts, des Kurfürsten von Brandenburg zu installieren. Welche eminente Bedeutung die an sich nicht rechtskonstituierende Krönung einer Kaiserin für den Fürstabt von Fulda hatte, zeigt sich beim Blick auf einen von 1612–1742 ausgetragenen Rechtsstreit, ob, wie oft und wann der Prälat während der Zeremonie die Krone berühren dürfe, um den faktisch inhaltsleeren Titel eines „Erzkanzlers der Kaiserin“ (und dadurch seit 1356 den ersten Rang aller Reichsäbte) performativ zu bestätigen.
Am zweiten Tag beleuchtete Christian Peter (Frankfurt am Main) die von beständiger Säkularisationsangst geprägte exponierte Lage Fuldas zwischen protestantischen Nachbarn wie Kassel und Weimar, welche zu demonstrativer Betonung der Eigenstaatlichkeit veranlasste: Z.B. durch aufwendige Bauten in grenznahen Regionen oder die Inszenierung feiner Rangunterschiede beim traditionellen „Handgelöbnis“ der Lehenserneuerung mit eben diesen konkurrierenden Fürsten.
Jasmin Kruse (Marburg) eröffnete mit ihrem Beitrag eine interessante Diskussion, welche auch die am Nachmittag anschließenden Führungen durch Schloss (Gregor Stasch) und Stadt (Thomas Heiler, beide Fulda) prägte: Was ist ein „Kaisersaal“ und wo befindet er sich? Der oft anzutreffende, aber nicht zeitgenössisch definierte Raumtypus mit den Bildnissen der (mehrheitlich habsburgischen) Kaiser in Residenzen und Klöstern des Reiches war kein zwingend vorgeschriebener Baustein der offiziellen Paradeappartements. Er lag oft zentral im Piano nobile und diente daher auch als Multifunktionsraum: Festsaal, Verteiler oder zusätzliches Vorzimmer. In Fulda wurde dagegen eine schon 1706–1714 errichtete Sala terrena, im Seitenflügel zum Garten orientiert, erst 1726–1730 entsprechend ausgestattet. Es spricht vieles dafür, dass sie mit der gleichzeitig freskierten, gegenüberliegenden Orangerie als Einheit gelesen werden sollte. Dieses Beispiel bestätigt wie viele andere hier thematisierte die Vermutung, dass die scheinbar normativen Regeln barocken Schlossbaus keineswegs so verpflichtend waren, wie es die Forschung oft unterstellt: Relevant war allein die Bereithaltung bestimmter funktionaler Raumgegebenheiten für das zwischenstaatliche Zeremoniell, selbst wenn diese niemals, z.B. für Kaiserbesuche, offiziell genutzt wurden.
Es folgten zwei Referate, welche brandaktuelle Konzepte zur musealen Vermittlung der komplexen Doppelexistenz von Reichsabteien in der frühen Neuzeit thematisierten. Das evangelische Damenstift Quedlinburg und die katholische Benediktinerabtei St. Gallen sind vor allem als Zeugen ihrer mittelalterlichen Glanzzeiten in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen worden; ihre spätere Rolle als „barocke“ Hofhaltungen ist dagegen deutlich weniger bekannt. Wie Clemens Bley (Quedlinburg) erläuterte, wird diese Geschichte ab 2025 auf dem von Heinrich I. 936 begründeten Burgberg vor allem aus der Sicht der hochadeligen Stiftsdamen erzählt, wobei in jedem Raum des ehemaligen Zeremonialappartements ein spezifischer Aspekt wie z.B. die Reformation des Konvents, die Ausübung des Jagdrechts oder die oft kontroversen Wahlen der Äbtissinnen im Mittelpunkt steht. St. Gallen möchte, wie Anina Steinmann erläuterte, im selben Jahr die Nebenresidenz des ab 1468 ausgebauten sog. Hofes zu Wil als „Museum der Hofwelten“ neu eröffnen. In zehn Räumen soll ein umfangreiches Programm nicht nur das „Leben unter dem Krummstab“, sondern auch die Baugeschichte, die wirtschaftlichen und politischen Grundlagen, die regionale Ökologie und den Klimawandel thematisieren
Zum Abschluss des Tages befragten Gerhard Immler (Kempten/München) und Michael Nadig (St. Gallen) einschlägige Quellenkonvolute ihrer Fürstabteien. Am Beispiel der Kemptner Erbhuldigung von Abt Anselm Reichlin (1732) wurde deutlich, wie stark hierbei anlassbezogen „weltliche“ Formen der Herrschaft (z.B. das Verleihen des Richtschwertes unter freiem Himmel) das Zeremoniell prägten. Hierzu zählt auch die ungewöhnlich hohe Bedeutung des Militärischen: Obwohl die geistlichen Fürsten meist nicht zu den sog. „armierten“ Reichsständen (mit ständigem Heer) zählten, war doch der zeremonielle Durchzug der kleinen fürstäbtlichen Landesmiliz „mit fliegenden Fahnen und gezücktem Säbel“ durch die benachbarte evangelische Reichsstadt eine wichtige ritualisierte Machtdemonstration. Der Hofstaat von St. Gallen umfasste 1654 bis zu 90 Personen. Mit 1000 Soldaten war die Armee der Fürstabtei die viertstärkste der Eidgenossenschaft und stellte sogar Truppen für Frankreich oder Spanien.
Am Sonntag bot Marina Beck (Erlangen) einen vergleichenden Überblick zu Lage und Raumfolge der Herrschaftsappartements in den nach 1648 meist neu erbauten Reichsabteien, die stets außerhalb der Klausur, aber räumlich mit ihr verbunden waren. Als Besonderheit erwies sich der oft zu findende Raumtypus einer Tafelstube getrennt vom Zeremonialappartement, die Herrschenden ohne Familie vermutlich eine nicht so stark regulierte Kommunikation mit Gästen und Untertanen ermöglichte.
Ulrike Seeger (Stuttgart) präsentierte einen Blick auf die Bau- und Ausstattungstätigkeit des vielbepfründeten Bruders der Kaiserin, Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1664–1732), in seiner Funktion als Fürstpropst von Ellwangen, welche erst 26 Jahre nach seiner Wahl begann. Statt eines „Kaisersaals“ wurde hier eine Art geistlicher Ahnensaaal mit den Porträts von Amtsvorgängern beauftragt.
Heiko Laß erläuterte in einem zweiten Beitrag, dass der scheinbar „überflüssige Luxus“ von Sommerschlössern, Gärten, Jagdrechten, ja selbst Gefängnisbauten bei geistlichen Herrschaften vor allem der quasi-objektivierenden Sichtbarmachung vollständiger Staatlichkeit im Reichsgefüge und damit der Behauptung von Augenhöhe dienten.
Am Schluss stand, fast wie ein zweiter Festvortrag, eine weitausgreifende Darlegung der symbolischen Bedeutung von Orangerien für die Reichsfürsten. Helmut-Eberhard Paulus (Würzburg) stellte einen Zusammenhang zwischen den aufwendig gezüchteten und gepflegten Pomeranzen und dem Reichsapfel des Kaisers her, die beide allegorisch das Heilsversprechen eines wiederkehrenden goldenen Zeitalters symbolisierten. Genau deshalb seien viele dieser Anlagen bei der Säkularisation mit zielgerichteter Entschlossenheit beseitigt worden.
Als Fazit der gelungenen Tagung kann man ziehen, dass die hier praktizierte einseitige Fokussierung des fürstlichen Charakters geistlicher Staaten natürlich selbst nur einen Teilaspekt dieser komplexen Gebilde beleuchtet. Sie hilft aber, die oft verzerrende retrospektive Sicht auf scheinbar „Nebensächliches“ durch die vor allem auf ständisch-zeremonielle Zeichensysteme gerichtete Perspektive der Zeitgenossen als „zwingend Notwendiges“ neu lesbar zu machen.
[1] Tagungsprogramm: https://arthist.net/archive/42138
Recommended Citation:
Meinrad von Engelberg: [Conference Report of:] Fürstabteien als weltliche Residenzen (Fulda, Sep 27–29, 2024). In: ArtHist.net, Oct 7, 2024 (accessed Nov 21, 2024), <https://arthist.net/reviews/42856>.
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