REV-CONF 18.05.2002

Global Players

Leipzig, 26.04.2002

Bericht von Christoph Otterbeck
Angela Weber

Global Players. Kunstgeschichte und die Gegenwartskunst der Welt

In Leipzig fand am 26. April 2002 die Konferenz „Global Players? Kunstgeschichte und die Gegenwartskunst der Welt“ statt. Eingeladen hatte der Arbeitskreis Weltkunst, der als studentische Initiative am Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig besteht. Der Anlass war das verstärkte Interesse des aktuellen Kunstbetriebs an Künstlerinnen und Künstlern, die „qua Herkunft nicht in einer europäischen Kulturtradition zu stehen scheinen“, so die Umschreibung im kommentierten Programm. Die Konferenz hatte drei Teile: 1. eine „wissenschaftshistorische Reflexion“ des Umgangs der Kunstgeschichte mit außereuropäischer Kunst, 2. eine „Bilanzierung gegenwärtiger Ausstellungspraxis von internationaler Gegenwartskunst“ und 3. ein „Dialog mit Disziplinen, die sich ebenfalls mit den Künsten der Welt beschäftigen“. Das im Programm formulierte Ziel der Tagung war es, „fächerübergreifende Perspektiven für einen zukünftigen Umgang mit Weltkunst zu entwickeln, der die Tradierung bestehender Stereotypen wie Hierarchien vermeidet.“

Der erste Teil der Tagung widmete sich der wissenschaftsgeschichtlichen Aufarbeitung des Umgangs der deutschen kunstgeschichtlichen Forschung im 20. Jahrhundert mit außereuropäischer Kunst. Drei Vorträge orientierten sich dabei an den Untersuchungsfeldern „Weltkunstforschung des frühen 20. Jahrhunderts“(Marlite Halbertsma), „Kunstgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland (1949-1990)“ (Barbara Paul) und „Kunstwissenschaft der DDR“ (Katja Nussbaum).

Marlite Halbertsma stellte fest, dass sich akademische Kunstgeschichte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weitestgehend auf die Kunst Europas beschränkt hat, während die Beschäftigung mit außereuropäischer Kunst meist von Seiten der Ethnologie, der Mission, der Museen für außereuropäische Kulturen und der außerakademischen Kunstpublizistik stattfand. Für die Kunstgeschichte machte Karl Woermann einen Anfang, als er im Jahre 1900 seine „Geschichte der Kunst aller Völker und Zeiten“ herausbrachte, die 1924 in zweiter Auflage erschien. Die „Naturvölker“ galten ihm darin im Gegensatz zu den „Kulturvölkern“ als weniger entwickelte Stufe der Menschheit, die Ergebnisse ihrer Gestaltungen kaum als Kunst. Sie würden anonym hervorgebracht und dienten vornehmlich religiösen Zwecken. Solche Vorstellungen waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet, nahezu allgemein und wurden auch innerhalb der Ethnologie vertreten. Der populäre Völkerkundler Leo Frobenius beispielsweise hielt die afrikanische Kultur für die Jugend der Menschheit und verstand ihre Kunst hauptsächlich als etwas Religiöses. Auch die Mehrheit der Autoren des von Curt Glaser 1929 herausgegebenen Bandes „Die Außereuropäische Kunst“ war an Fragen nach einem Ursprung der Kunst und den Ursachen der Stilabfolge mehr interessiert als sich um die zeitgenössische außereuropäische Kunstproduktion zu kümmern.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gab es jedoch einige Autoren, die der außereuropäischen Kunstproduktion einen neuartigen Blick widmeten. Carl Einstein wählte in seinem Buch „Negerplastik“ (1915) für die Beschreibung der afrikanischen Holzschnitzkunst eine ästhetische Perspektive und versuchte zu systematisieren, was die avantgardistischen Künstler in Paris und auch anderswo seit einigen Jahren schätzten: die formalen Qualitäten dieser Kunst, besonders ihre klaren Proportionen. Diese Würdigung des Ästhetischen unter Vernachlässigung der konkreten Kontexte hat Einstein in späteren Texten zu relativieren versucht. Bis heute aber ist die kontextlose Ästhetisierung eine gängige Praxis bei der Präsentation der Kunst geblieben.

Eine Alternative zu der vorherrschenden Auffassung, die Künste außerhalb Europas lediglich als Zeugen der Vergangenheit und nicht als zeitgenössische Möglichkeiten zu verstehen, bietet zum Beispiel das Buch „Primitive Art“ des aus Deutschland stammenden Begründers der nordamerikanischen Ethnologie Franz Boas(1927). Der Autor verabschiedet sich vom Gedanken der Stilabfolge als logische Sequenz und beschrieb drei grundsätzlich mögliche Arten von Kunst, die er „abstrakt“, „darstellend“ und „symbolisch“ nannte. Oskar Nuoffer hat in sein Buch über afrikanische Plastik auch offensichtlich moderne Beispiele einbezogen, etwa eine Darstellung der Madonna. Pater Johannes Emonts beschrieb in seinem Buch „Ins Steppen- und Bergland Innerkameruns“ (1922) die Funktionsweise eines zeitgenössischen künstlerischen Werkstattbetriebs, ohne allerdings die Namen der dort tätigen Künstler zu nennen. Die Indologin Stella Kromrich und der Leipziger Afrikanist Paul Germann dienten schließlich der Referentin als Illustrationen für die Fragestellung, wie sehr sich der Wahrnehmungsapparat bezüglich fremder Kunst wirklich ändert, wenn sich ein/e ForscherIn lebenslang deren Verständnis widmet.

Im Vortrag von Barbara Paul ging es um einige „kunsthistorische Fachvertreter“, die in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit über zeitgenössische außereuropäische Künstler geschrieben haben. Sie widmete sich zunächst den Autoren Werner Haftmann, Eduard Trier und Franz Roh, welche sich nur am Rande mit außereuropäischer Kunst beschäftigt haben. Bei Haftmann stand die zeitgenössische gegenstandslose Malerei im Zentrum des Interesses, eine Erscheinung, die seiner Meinung nach allein von Europa ausgegangen war und als künstlerischer Maßstab dann „um den Erdkreis herum“ Geltung bekommen habe. Ähnlich dachte Eduard Trier über eine „kommende Weltkunst“. Die von ihm erwähnte „interkontinentale Gemeinschaft der Kunst“ entsprach ganz seinen Vorstellungen der westlichen Kunst. Beide nahmen nur einen kleinen Teil der außereuropäischen Kunstproduktion wahr, und zwar den Teil, der sich zur Bestätigung der eigenen Paradigmen nutzen ließ. Franz Roh schrieb die Besprechung einer Ausstellung von Vertretern einer haitianischen Malschule, die von einem holländischen Emigranten gegründet worden war und reflektierte in diesem Zusammenhang über die Möglichkeiten von „Kulturübertragung“ und „Weltkunstsprache“. 1958 veröffentlichte Werner Schmalenbach eine Theorie unter dem Titel „Grundsätzliches zur primitiven Kunst“. Für ihn ist das wesentliche Merkmal dieser Kunst die „kultische Funktion“. Im Gegensatz zur „Darstellung“ der Kunst der Hochkulturen handele es sich bei der primitiven Kunst um eine „Verkörperung von Kräften“. (Dreißig Jahre später nahm er diese Dichotomie teilweise wieder zurück.) Schmalenbach tradierte weitere Stereotypen, die aus der ersten Jahrhunderthälfte bekannt sind: die primitive Kunst sei ursprünglich, elementar und expressiv. Neben diesen Zuschreibungen ist Schmalenbach vor allem als Vertreter der These hervorgetreten, dass ein rein ästhetischer Blick genüge, um diesen Kunstwerken bei der Betrachtung in Europa gerecht zu werden. Auch Schmalenbachs Aufmerksamkeit beschränkt sich dabei auf das vermeintlich Traditionelle. Barbara Paul stellte zusammenfassend fest, dass die genannten Autoren die Ausnahmen in der sonst vorherrschenden Praxis des Unterlassens waren. Insgesamt hätte sich die Kunstgeschichte gegenüber der zeitgenössischen außereuropäischen Kunst „ignorant und ablehnend“ verhalten und die „schöne heile Welt(ordnung)“der frühen Bundesrepublik stabilisiert.

Zum Abschluss des historischen Teils wurde von Katja Nussbaum der Umgang mit außereuropäischer Kunst in der Kunstwissenschaft der DDR thematisiert. Unter dem Titel „'Weltkunst und wir' - eine Frage des Realismus“ analysierte sie die Zusammenhänge zwischen den Prämissen der marxistischen Kunstwissenschaft und der Ausstellungs- und Veröffentlichungspraxis in der DDR zu diesem Thema. Da es aber fast keine Ausstellungen und Veröffentlichungen zu zeitgenössischer außereuropäischer Kunst gegeben habe, konzentrierte sich die Vortragende auf die Auswertung der Zeitschrift „Bildende Kunst“, dem Organ des Berufsverbandes der bildenden Künstler in der DDR. Dort wurden gelegentlich außereuropäische Kunst und Künstlerinnen vorgestellt. Die Aufmerksamkeit der Zeitschrift galt dabei allein der Kunst aus den Ländern sozialistischer Gesellschaftsordnung. Damit zeigte sich die fundamentale Abhängigkeit von politischen und außenpolitischen Rahmenbedingungen. In den Jahre 1972 bis 1976 wurde in der DDR der Höhepunkt der Beachtung außereuropäischer Kunst erreicht, namentlich KünstlerInnen aus China, Korea, der Mongolei und Kuba wurden vorgestellt. Später kamen Chile und Nicaragua hinzu. Das Interesse an Künstlerinnen aus Afrika, Australien und Ozeanien war verschwindend gering. Es erschienen lediglich zwei Artikel über Künstler in Afrika. Insgesamt machte man in der DDR das „eigene, noch durchzusetzende Konzept“ des sozialistischen Realismus zum alleinigen Maßstab der außereuropäischen Kunst.

Als Ergebnis der Vorträge von Paul und Nussbaum kann zusammenfassend gelten, dass bei aller Verschiedenheit in der frühen Bundesrepublik und in der DDR doch etwas sehr ähnliches geschehen ist. Eine strenge Selektion ließ nur einen sehr kleinen Teil der weltweiten Kunstproduktion sichtbar werden. Die Auswahl richtete sich dabei ganz nach den jeweils eigenen Interessen.

Diskutiert wurde zu diesen ersten drei Vorträgen die Frage nach den Ursachen der verschiedenen Phasen von Interesse und Desinteresse an außereuropäischer Kunst im 20.Jahrhunderts, Fragen nach der besonderen Rolle Deutschlands als Land, das seine Kolonien spät bekommen und früh wieder verloren hatte, in seinem Umgang mit Weltkunst sowie die Frage, inwiefern mit Begriffen der DDR-Kunstgeschichte (wie z.B. dem des Nationalstaates als Vorraussetzung für eine sozialistische Kunst) bei der Charakterisierung außereuropäischer Kunst gearbeitet werden konnte. Eine Fragestellung, die bereits hier anklang und die dann im dritten Teil der Veranstaltung wiederkehrte, war die der Zugehörigkeitsbereiche der universitären Fächer in Bezug auf außereuropäische Kunst: Warum hatte sich nicht bereits in den 20er Jahren ein Fach „Weltkunst“ als Universitätsfach durchgesetzt? Oder warum finden bestimmte Medien außereuropäischer Künste (die in unterschiedlichen Fachdisziplinen rezipiert werden) zu bestimmten Zeiten mehr Interesse als andere? Eine wichtige Beobachtung der Japanologin Annette Schad-Seifert war hierzu die These, dass KuratorInnen und Künstlerinnen in der Beschäftigung mit anderen Kulturen bevorzugt das im Blick haben, was in der eigenen Kultur ausgegrenzt wird, im Falle der westlichen Kulturen z.B. Sexualität, Gewalt, Religiosität, etc.

Im zweiten Teil der Konferenz ging es um die zeitgenössische Ausstellungspraxis von internationaler Gegenwartskunst. Es sprachen Michael Thoss vom Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin und Iris Lenz, die die Ausstellungen in den Galerien des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) verantwortet. Sie stellten jeweils Konzept und Arbeit ihrer Institutionen vor. Im HKW liegt der Schwerpunkt bei der genreübergreifenden Kunstpräsentation. Zusammen mit Ausstellungen gibt es Musik-, Theater-, und Tanzaufführungen, Lesungen und Theoriedebatten. Die Galerien des ifa in Stuttgart, Bonn und Berlin bieten sozusagen als komplementäres Gegenstück zur eigentlichen Aufgabe des IFA, der Vermittlung deutscher Kultur im Ausland, seit den 1970er Jahren Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst aus sogenannten „Entwicklungs- und Transformationsländern“ in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Für die Programme beider Häuser ist Aktualität das zentrale Kriterium. Die Folklorisierung der anderen Kulturen soll vermieden werden. Die Künstler werden nicht als Repräsentanten ihrer Herkunftsländer verstanden. Beide Institutionen lehnen es heute ab, außereuropäischen Staaten die Möglichkeit der Selbstrepräsentation zu überlassen. Während man sich in Berlin um unabhängige GastkuratorInnen bemüht, die vielfach selbst Künstlerinnen, aber auch z.B. SoziologInnen sind, erarbeitet man in Stuttgart Programm und Inhalte, wenn auch in Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern, selbst. Im Haus der Kulturen der Welt wird sehr viel mit regionalen, oft länderübergreifenden Schwerpunkten gearbeitet, das Institut für Auslandbeziehungen will die eigene Arbeit in der Zukunft stärker auf einzelne kultur- und gesellschaftspolitisch aktuelle Themen ausrichten. Iris Lenz nannte als Anspruch der eigenen Arbeit, Stereotypen durchbrechen zu wollen. Michael Thoss illustrierte mit zwei Videobeispielen das Interesse des Hauses der Kulturen der Welt am Veränderungspotential traditioneller künstlerischer Sprachen, auf formaler und inhaltlicher Ebene. Man wolle mit dem HKW ein Experimentierfeld bereitstellen, auf dem es zu mannigfaltigen kulturellen Übersetzungen kommen kann.

Freilich handelte es sich bei beiden Vorträgen um eine Darlegung der Programmatik, und der Versuch einer unabhängigen Analyse der „Ausstellungspolitik“ der beiden Häuser unterblieb. Einige ihrer Probleme nannten die Referenten selbst. Iris Lenz war sich bewusst, dass die letztendliche Entscheidungsgewalt bei ihr selbst lag. Sie wies drauf hin, dass die Galerien des ifa in Deutschland und das HKW speziell für Präsentation der außereuropäischen Kulturen geschaffen worden sind und damit die „Gefahr einer Ghettoisierung“ bestünde. Sie war sich nicht sicher, ob es legitim sei, bei der eigenen Werbung Exotismen zu nutzen (nur ein kleiner Teil derjenigen, der die Plakate sieht, wird die Ausstellungen besuchen). Michael Thoss erwähnte, dass der Vermittlung noch immer deutliche Grenzen gesetzt sind. In der Regel nutzen das Angebot neben den deutschen Besuchern nur diejenigen, deren Kultur gerade thematisiert wird.

Zum Abschluss des zweiten Teils referierte der Wiener Kunsthistoriker und Kritiker Christian Kravagna über die Probleme der Repräsentation außereuropäischer Kunst im westlichen Kontext. Er brachte einen Rückblick auf das Konzept der New Yorker Ausstellung „Primitivism in the Twentieth Century“ (1984), mit der im großen Stil versucht wurde, die modernistische Perspektive zu bestätigen, nach der die innovativen Kunstakteure im 20. Jahrhundert ausschließlich in der westlichen Welt anzutreffen gewesen wären und nur diese es vermocht hätten, sich fruchtbar mit dem anonymen und aus der Vergangenheit stammenden Erbe der Kulturen der Welt auseinanderzusetzen. Erst auf der epochemachenden Ausstellung „Les Magiçiens de la Terre“ in Paris (1989) wären neben fünfzig im westlichen Ausstellungsbetrieb bekannten Künstlerinnen fünfzig ihrer bis dahin in der westlichen Kunstwelt wenig bekannten KollegInnen zu sehen gewesen. Der Anspruch der Ausstellung war es, zeitgenössische Künstlerpersönlichkeiten aus allen Kulturen gleichberechtigt nebeneinander zu präsentieren. Seit dieser von Jean Hubert Martin konzeptionierten Ausstellung hat die Aufmerksamkeit für außereuropäische Gegenwartskunst stetig zugenommen. Das Problem ist nunmehr nicht mehr deren allgemeine Ausgrenzung, sondern die Art und Weise, wie entschieden wird, welche Künstlerinnen zugelassen werden. In diesem Punkt sei die einflussreiche Pariser Ausstellung höchst fragwürdig gewesen. Sie hätte beispielsweise der afrikanischen Kunst die Bereiche der Handwerklichkeit, Materialität, der sozialen und besonders der religiösen Eingebundenheit zugewiesen. Nur diejenigen Künstlerinnen, die diesen Kriterien entsprachen, konnten in den folgenden Jahren Erfolge im westlichen Kunstbetrieb verbuchen. Angeregt durch den nigerianischen Schriftsteller Achebe trug Kravagna Gedanken über die „Ablenkung vom wirklichen Dialog“ vor. Der Dialog würde durch zweierlei verhindert: Erstens durch die Autorität des westlichen Experten für nichtwestliche Fragen. In der Regel beschränkt man sich im Westen darauf, den Monologen dieser Experten zu vertrauen. Die zweite Autorität ist das Phänomen der Erwartung des Authentischen. Es wird nur dem Aufmerksamkeit zuteil, was den Erwartungen entspricht. Die Zurückweisung der Zuschreibungen sei heute das wichtigste Anliegen vieler nichtwestlicher Künstlerinnen und TheoretikerInnen. Während der Diskussion kritisierte Kravagna auch die Tatsache, dass es sich bei der Tagung um eine „rein weiße Diskursveranstaltung“ handelte.

Am Ende der Veranstaltung fand die Podiumsdiskussion „Perspektiven: Wieviele Fächer braucht die Kunst?“ mit VertreterInnen aus Kunst-, Kultur- und Regionalwissenschaften der Universität Leipzig statt. Bald schon stellte sich heraus, dass die geladenen Gäste mit Ausnahme der Kunsthistorikerin sich mit bildender Kunst doch nur recht wenig und mit zeitgenössischer Kunst noch weniger beschäftigt hatten. Es wurde auch klar, dass sich die Arbeit der verschiedenen Fächer am ehesten mit der Kunstgeschichte berührt, wenn diese sich die Erforschung der Kontexte der Kunstwerke zur Aufgabe macht. Die Japanologin Schad-Seifert interessierte sich im Zusammenhang mit Kunst hauptsächlich für die Wirkungsweise symbolischer Ordnungen und distinktiver Praktiken. Sie stellte die Frage nach der Kanonisierung der Kunst und brachte die Fragwürdigkeit der Grenzen zwischen Hoch- und Massenkultur ins Spiel. Der Ethnologe Bernhard Streck verwies auf die Grenzen einer Kontextualisierung fremder Kunstobjekte und konstatierte, dass es für die Ethnologie allenfalls um eine Rekontextualisierung der Objektes gehen könne. Im Gegensatz zu den kleinen, mündlich tradierten Kulturen, dem klassischen Arbeitsfeld der Ethnologie, habe die zeitgenössische Kunst des westlichen Ausstellungsbetrieb in unserer Gesellschaft lediglich einen unverbindlichen Charakter.

Wenn also die Erforschung der zeitgenössischen Kunst aller Teile der Welt tatsächlich von VertreterInnen des Faches Kunstgeschichte geleistet werden soll, und der Erforschung der Kontexte dabei eine Schlüsselstellung zukommt, so muss gefragt werden, ob dazu allein die Kenntnis der künstlerischen Tradition des kleinen Erdteils Europa befähigt, unterstützt durch die eigene Zeitgenossenschaft in der globalisierten Gegenwart bzw. welche zusätzlichen Kompetenzen erworben werden müssen, die neue Arbeit aufzunehmen?

Erstaunlicherweise wurde auf dieser Tagung wenig konkret über das gesprochen, was im Titel der Veranstaltung mit „Gegenwartskunst der Welt“ bezeichnet wurde. Das neue Kind der Kunstgeschichte blieb (bis auf wenige Beispiele in Teil 2)unsichtbar. Dabei wird es im Wesentlichen darauf ankommen, sich sehr viel Zeit zu nehmen für die Betrachtung einzelner Werke und KünstlerInnen. Es gibt eine Reihe von Kontexten, die bei der Kommentierung der Gegenwartskunst der Welt zukünftig einbezogen werden können, biographische, kulturelle, politischen oder diskursive. Darüber hinaus darf ein Kontext auf keinen Fall vergessen werden: der Kontext der Kunstwerke bei ihrer Präsentation im hochdotierten Subsystem Kunstwelt. Welche Interessen stehen hinter den Vorführungen der „Gegenwartskunst der Welt“ im Kunstbetrieb? Woher kommt die Aufmerksamkeit und welche Funktionen haben diese Darbietungen für unsere Gesellschaft? Was sind Bedingungen für den Zugang zu dieser Kunstwelt? Wer wählt aus? Wer kauft, wer verkauft und wer verdient? Wer spricht und wer schreibt?

Im kommentierten Programm der Konferenz wurden die „kulturtheoretischen Vorgaben der postcolonial studies“ als fundamental bezeichnet. Sind diese mittlerweile wirklich so bekannt, dass man sie allgemein voraussetzen darf? Eine Darlegung, auf welche TheoretikerInnen sich die Forschenden bei ihrer Arbeit in Leipzig beziehen und an welche Gedanken die eigene kunsthistorische Arbeit anknüpfen kann, hätte sicher manchmal geholfen, die Diskussion zu schärfen. Auf jeden Fall kommt den Veranstalterinnen der Verdienst zu, diese Diskussion angestoßen und mit einem gut strukturierten Programm auf den Weg geschickt zu haben. Das Thema wird in der nahen Zukunft an Bedeutung sicherlich noch wachsen.

Empfohlene Zitation:
Christoph Otterbeck, Angela Weber: [Tagungsbericht zu:] Global Players (Leipzig, 26.04.2002). In: ArtHist.net, 18.05.2002. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/400>.

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