REV 28.06.2002

Manuel Frey: Macht und Moral des Schenkens

Rezensiert von Andreas Hansert
Redaktion: Rainer Donandt

Mit dem vorliegenden Buch hat der Historiker und Soziologe Manuel Frey einen umfassenden kulturgeschichtlichen Ueberblick ueber langfristige Entwicklungen des buergerlichen Maezenatentums in Deutschland mit vereinzelten Ausblicken vor allem auf die USA vorgelegt. Dabei wird, wie im Titel angekuendigt, vorwiegend das Verhaeltnis der buergerlichen Stiftertaetigkeit zum Staat und seinen Repraesentanten thematisiert und der Frage nachgegangen, inwiefern in den einzelnen Epochen der Geschichte die Aktivitaeten der Koenige, Kaiser, Kanzler, Buergermeister, Buerokraten oder Diktatoren maezenatisches Handeln der Buerger eher beguenstigt und ermuntert oder verhindert und marginalisiert haben. Abgesehen von den grossen Stiftungen des vorreformatorischen Stadtbuergertums (die Frey kurz erwaehnt, ohne aber auf die Wirkung der Reformation als wirksamem Daempfer dieses stifterischen Impulses einzugehen) konstatiert der Autor drei grosse Wellen einschlaegiger Aktivitaet buergerlicher Stifter und Maezene: das ausgehende achtzehnte und fruehe neunzehnte Jahrhundert, die Aera des wilhelminischen Deutschlands und die juengere Vergangenheit und Gegenwart. In der Phase um 1800 hatte das Stiftungswesen seine Basis hauptsaechlich in den zahlreichen Vereinsgruendungen, v. a. den Kunstvereinen, die in der nachnapoleonischen Aera aufkamen. Maezenatentum war hier eher kollektiv verfasst, Maenner wie Staedel oder Lindenau (Wallraf muesste man hinzufuegen) waren Frey zufolge die Ausnahmen. Das exponierte Hervortreten einzelner Personen im Bereich der Kunstfoerderung wurde seinerzeit noch als Pflicht und Vorrecht der Aristokratie angesehen. Ludwig I. von Bayern und Friedrich Wilhelm IV. von Preussen fuehrt Frey als Protagonisten fuerstlichen Maezenatentums an, die allerdings keine Privatmittel fuer ihre Kunstpolitik gaben und sich ueber die Gelder bereits mit den (staendischen) Parlamenten ins Benehmen setzen mussten. Die buergerlichen Aktivitaeten in den Vereinen blieben staatsfern und bildeten eine eigenstaendige soziale Welt neben dem Hof.

Ein wichtiges Merkmal buergerlicher maezenatischer Aktivitaet im fruehen 19. Jahrhundert bleibt in der Arbeit leider unbehandelt: das ist das explizit staendeuebergreifende Ethos, das insbesondere in den 1830er Jahren in buergerlichen Kreisen fuer die Kultur formuliert worden ist und das im Prinzip fundamental fuer die gesamte moderne Kultur geworden ist: dass (Hoch-)Kultur spaetestens seit jener Zeit einen universalistischen Anspruch entfaltet und nicht mehr nur fuer eine bestimmte Gruppe, Stand, Klasse etc. Verbindlichkeit haben soll. Damit hatte das Buergertum die Partikularkulturen verschiedener adeliger Kreise hinter sich gelassen und etwas fundamental Neues auf den Weg gebracht. Die Sphaeren von Genesis und Geltung kuenstlerischer Werke traten noch staerker auseinander als zuvor.

Um 1900 erlebte das Stiftungswesen erneut einen Hoehepunkt. Frey zeichnet von dieser Epoche ein vielstimmiges Bild der buergerlichen Stiftungskultur in Deutschland. Ein wichtiges und neues Strukturmerkmal der Zeit war die ueberproportionale Beteiligung der juedischen Buerger an den Stiftungen. Die Juden, die in ihrer eigenen, frueher gettoisierten Lebenswelt selbst ueber eine lebendige Tradition des Stiftens verfuegten, versuchten durch ihre intensive Beteilung an der freien Foerderung des Gemeinwohls ihre Anerkennung und Integration zu befoerdern. Trotz grosser einschlaegiger Aktivitaet der Maezene in der Provinz (Gruendung der Frankfurter Stiftungsuniversitaet) verlagerte sich der Schwerpunkt der Stiftungslandschaft in dieser Zeit in die Reichshauptstadt. Frey konstatiert, dass das Maezenatentum der Wilhelminischen Zeit im Gegensatz zu frueher staatsnaeher geworden war. Hier kann man von einer signifikanten Transformation der Strukturen maezenatischen Handelns sprechen, denn wie Frey in den vorgehenden Passagen herausgearbeitet hatte: noch in der ersten Haelfte des 19. Jahrhunderts hatten die Maezene und Stifter den Staat eigentlich nicht gebraucht und handelten autonom, wenn nicht gar autark. Jetzt kooperieren sie in grossem Stil mit den staatlichen und kommunalen Behoerden. Dabei blieb die Beziehung durchaus ambivalent. Das Grossbuergertum suchte so einerseits die Naehe zu Kaiser und Hof; und seine Aktivitaeten wurden auch vielfach angeregt, gebuendelt und strukturiert durch Repraesentanten der staatlichen Kulturpolitik, wie Wilhelm Bode, der die Maezene fuer die grossen staatlichen Museen gewann, oder Friedrich Althoff, der sie fuer die wissenschaftlichen Institute (Kaiser Wilhelm-Gesellschaft) verpflichtete. Andererseits war Berlin, als ein wichtiges Zentrum der kulturellen Modernisierung, oft auch nur im Buendnis aufgeschlossener Maezene, Kuenstler, Galeristen, Publizisten und Museumsmaenner gegen den Kaiser mit seiner reaktionaeren Kunstgesinnung und einer obrigkeitsstaatlich verfassten Kulturbuerokratie zur Entfaltung zu bringen. Der Direktor der Nationalgalerie, Hugo v. Tschudi, konnte Manet, Cézanne und andere moderne Kuenstler gegen den Willen des Kaisers nur in sein Haus bringen, indem er sie sich von buergerlichen Maezenen schenken liess und so die buerokratischen Ankaufsprozeduren umging. Aus Wien zitiert Frey einen Fall, bei dem sich allerdings umgekehrte Fronten ergaben: Gustav Klimt wurde dort von der staatlichen Kulturbuerokratie gegen Angriffe der Oeffentlichkeit verteidigt.

Die nachfolgenden Perioden der Weimarer Republik und der NS-Zeit brachten das Maezenatentum zum Erliegen. Der Bruch von 1918/19 sei zwar im Buergertum nicht ganz so dramatisch gewesen wie oft angenommen. Gerade im Kreis um Wilhelm Bode habe es beachtliche Kontinuitaeten buergerlichen Maezenatentums gegeben. Gleichwohl wirkte die allgemeine Unsicherheit doch auch laehmend auf entsprechende Aktivitaeten. Die buergerlichen Eliten, fuer die der Kaiser ein Fokus gewesen war, blieben gegenueber den neuen demokratischen Politikern, die oft einen kleinbuergerlichen Habitus ausstrahlten, distanziert und zogen sich aus dem oeffentlichen Raum in die Privatsammlungen, die Salons oder auch in die individuelle Foerderung von Kuenstlern zurueck. Dabei sei zu beruecksichtigen, dass die neuen kuenstlerischen Entwicklungen der Weimarer Zeit sich zur Statusrepraesentation etwaiger Maezene nicht mehr so gut geeignet haetten wie die Kunst aus frueheren Epochen. In der Weimarer Zeit blieb die Entwicklung des Maezenatentums weitgehend uneinheitlich. In der NS-Zeit gab es von buergerlicher Seite nur noch ein geringfuegiges Engagement. So stiftete die Wirtschaft fuer Hitler das Haus der Deutschen Kunst. Frey befasst sich hier vor allem mit der Kunstsammelleidenschaft von Hitler, Goering und anderen hohen NS- Chargen sowie Hitlers Vorliebe fuer Bayreuth, das er mit privaten Mitteln foerderte. Bei Hitlers Kunstpolitik liesse sich die fuer die Definition von Maezenatentum wichtige Unterscheidung von oeffentlichen und privaten Geldern allerdings oft nicht durchfuehren. Frey bezeichnet Hitler daher als "Pseudomaezen", sofern er als Zerstoerer der modernen Kunst auftrat auch als "Anti-Maezen".

Das nachfolgende Kapitel ist der DDR gewidmet, wo in der fruehen Phase die kulturelle Initiative auf den Staat und die parteinahen Verbaende uebergegangen war (Bitterfelder Weg). In Freys Darstellung ist besonders interessant, wie sich im weiteren Verlauf auch in der DDR trotz aller Schwierigkeiten und mehr im Verborgenen Ansaetze maezenatischer Aktivitaet entfaltet haben. Das Sammeln und Stiften scheint eine der zahlreichen Nischen am Rande der offiziellen Gesellschaft gewesen zu sein. Walter Balzer habe sich als Privatsammler und ehemaliger Museumsdirektor mit seinen Gaben bemueht, dem Dresdener Kupferstichkabinett eine von staatlicher Einflussnahme unabhaengige Ankaufspolitik zu ermoeglichen. Parallel dazu wird die Entwicklung in der Bundesrepublik und hier insbesondere die maezenatischen Aktivitaeten aus Kreisen der Industrie betrachtet. Auch wenn im Wirtschaftsleben die historische Rolle des Privatunternehmers und Grossbuergers zurueckgegangen sei, sei die Kunstfoerderung durch die grossen Kapitalunternehmen nicht nur anonym und geschaeftsstrategisch, sondern immer dem einschlaegigen Willen des Fuehrungspersonals zu verdanken. Auch seitens der Wirtschaft kommt es nur zur Kunstfoerderung, wenn in der Vorstandsetage jemand sitzt, der sich fuer Kunst interessiert. In diesem Zusammenhang haette man die Bedeutung der Privatsammler als Stifter und Anreger fuer Museen, wo in den letzten Jahren der klassische Maezen eine gewisse Renaissance erlebt, etwas staerker wuerdigen koennen. Weit spannt sich der Bogen in Freys Darstellung dann bis zu den aktuellen Diskussionen um die Reform des Stiftungsrechts und der steuerlichen Aspekte des Maezenatentums, wo ganz neue, frueher unbekannte Merkmale im Verhaeltnis von Stifter und Staat zutage treten, oder den Abgrenzungsbemuehungen zwischen Maezenatentum und Sponsoring.

Die Staerke des Buches liegt in seiner enormen Materialfuelle und dem differenzierten Herausarbeiten typischer Merkmale und Strukturtransformationen der einzelnen historischen Entwicklungsschritte. Ein gewisses methodisches Problem besteht darin, dass nicht versucht worden ist, systematisch zu bestimmen, was eigentlich Gegenstand des Maezenatentums ist: Kunst, Kuenstler, Wissenschaft und Kultur. Es handelt sich bei Kunstwerken oder ganzen Museumssammlungen und dem gesamten Kosmos der literarischen und musikalischen Ueberlieferung um autonome geistige Gebilde, um objektivierte Kraftfelder, die an sich die Erkenntnis und die Erfahrung des Menschen erweitern und von denen die von Rilke formulierte Forderung "Du musst Dein Leben aendern" ausgehen kann. Symptomatisch fuer diesen systematischen Mangel ist das Gleichsetzen von Maezenatentum mit dem Stiften fuer soziale Zwecke. Viele der von Frey angefuehrten buergerlichen Philanthropen haben tatsaechlich fuer beide Zwecke, kulturelle und soziale, gestiftet und oft fuer soziale Zwecke mehr als fuer kuenstlerische oder wissenschaftliche. Gleichwohl sollte man zwischen beiden Formen des Stiftens unterscheiden, denn es geht im letzteren Fall nicht um die Foerderung einer Sphaere geistiger oder kuenstlerischer Autonomie, sondern um die Wiederherstellung einer durch Gebrechen, Krankheit, soziale Lage etc. beschaedigten persoenlichen Lebenspraxis. Eines der hervorstechenden Motive buergerlichen Maezenatentums ist, was insbesondere bei Kunstsammlern deutlich wird, die Kennerschaft - wenn man so will: Kennerschaft im vorprofessionellen Raum. Sie orientiert sich an der Sache der Kunst und will sich an ihr weiter entwickeln. Dieses haette als Leitmotiv staerker herausgearbeitet werden muessen, als Frey es tut. In einer Arbeit, die einen Ueberblick ueber die Geschichte des Maezenaten- tums gibt, muss es in dem vielstimmigen Ensemble andersartiger Motive (Maezenatentum als "Herrschaftstechnik", Statusrepraesentation etc.), die ebenfalls fuer Maezenatentum ausschlaggebend sein koennen, doch zu fassen sein. Man kaeme so auch zu differenzierteren Einschaetzungen historisch und moralisch belasteter Personen und Ereignisse. Politische Kompromittierung oder unternehmerische Verstrickung, die namentlich waehrend der NS-Zeit fuer manche fuehrende Persoenlichkeit in Wirtschaft und Gesellschaft gilt, die zugleich als Stifter und Maezen hervorgetreten ist, muss nicht von vornherein ausschliessen, dass die betreffende Person fuer die Foerderung von Kunst und Wissenschaft etwas Konstruktives geleistet hat.

Frey, Manuel: Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin: Fannei & Walz 1999
ISBN-10: 3-934189-24-5, 306 S

Empfohlene Zitation:
Andreas Hansert: [Rezension zu:] Frey, Manuel: Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1999. In: ArtHist.net, 28.06.2002. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/192>.

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