REV-CONF 25.10.2011

Global Art

Salzburg, 29.–30.07.2011

Bericht von Sarah Maupeu, a.r.t.e.s.-Forschungsschule, Universität zu Köln
Redaktion: Rainer Donandt

"Global Art"
Ein Symposium der AICA (Association Internationale des Critiques d’Art, Sektionen

Vom 29. bis 30. Juli 2011 fand im Rahmen der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg ein Symposium statt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, den Begriff der „Global Art“ kritisch zu diskutieren und auf seine Wirksamkeit zu befragen. Eingeladen waren Kunsthistoriker/innen, Kurator/innen und Künstler/innen, ihre spezifischen Perspektiven auf die zeitgenössische Kunstproduktion im Kontext einer global vernetzten Welt vorzustellen. Aus den vielfältigen Beiträgen ergab sich ein differenziertes Bild von einem Begriff, der die Heterogenität des aktuellen Kunstgeschehens nur schwerlich zu fassen vermag.

Das Symposium war in drei Sektionen unterteilt, die jeweils mit einer Podiumsdiskussion abgeschlossen wurden. In der ersten Sektion „What is global art history“ wurde die kunsthistorische Perspektive diskutiert. Der Kunsthistoriker Hans Belting (Karlsruhe) führte in die Geschichte des Begriffs „Weltkunst“ ein: Um 1900 im deutschsprachigen Raum eingeführt, handelte es sich zunächst um einen kolonialen Begriff, der sich ausschließlich auf die Kunst der „Anderen“, d.h. auf vormoderne außereuropäische Kunst beschränkte. Seit den 1980er Jahren werde der Begriff der „world art“ wieder vermehrt verwendet, die „globale Zeitgenossenschaft“ der Künstler/innen sei heute nun das entscheidende Charakteristikum. Gerade die zeitgenössische Kunst stelle die Kunstgeschichte jedoch vor neue Herausforderungen bzw. führe sogar zum „Ende der Kunstgeschichte“.[1] Beltings Forderung: Es müssten ein völlig neuer Ansatz für die „globale“ zeitgenössische Kunst entwickelt und neue Kunstregionen definiert werden.

Auch die Kunsthistorikerin Monica Juneja (Heidelberg) war der Ansicht, dass sich das kunsthistorische Masternarrativ nicht mehr fortschreiben lasse. Die Pluralität der aktuellen Kunstformen stelle die „alte“ Kunstgeschichte und ihren universalisierenden Ansatz in Frage. Eine „neue“, transkulturelle Kunstgeschichte berücksichtige dagegen stärker die „agencies“ und breche mit gängigen kunsthistorischen Taxonomien. Der Fokus liege nun auf dem Spezifischen, Besonderen, Lokalen, Regionalen und auf den vielfältigen Beziehungsebenen dazwischen. Die Notwendigkeit, spezifische Standpunkte zu entwickeln, gelte jedoch nicht nur für die zeitgenössische „globale“ Kunst. Vielmehr müsse auch die bestehende Kunstgeschichtsschreibung unter neuen Gesichtspunkten überprüft und revidiert werden.

Von der kuratorischen Sichtweise war die zweite Sektion mit dem Titel „What is global art?“ geprägt. Nancy Adajania (Bombay) sprach sich in ihrer Tätigkeit als Kulturtheoretikerin, Kritikerin und Kuratorin dafür aus, eine „globale Tradition des Südens“ zu begründen. Ausgehend von einer vergleichbaren historischen Zwangslage der Regionen sei es wichtig, die Affinitäten zwischen Asien, Afrika, Lateinamerika etc. zu betonen, um das westliche Monopol zu brechen und mittels eines politisch-sozialen „Gegenmodells der Solidarität“ die Welt neu zu ordnen. Mit ihrem Ansatz der „critical transregionality“ will Adajania eine transformative Ästhetik schaffen und die „agency“ der Künstler/innen stärken. Die Geographie werde für Kulturschaffende zu einer Nebensächlichkeit, im Vordergrund stehe die Verbindung von Transnationalität und regionalen Problemen, sowie der Austausch zwischen Individuen und nicht zwischen Kulturen.

Gerardo Mosquera (Havanna, Panama) beschrieb ausgehend von seinen Erfahrungen als Kurator, Kritiker und Kunsthistoriker die Probleme von Kunst und Kultur im Kontext eines globalisierten zeitgenössischen Kunstkreislaufes. Die zeitgenössische Kunst sei einerseits von einem globalisierten Kunstsystem geprägt, andererseits gebe es eine Tendenz zur lokalen Verortung – ohne jedoch die Beteiligung am globalen Diskurs aufzugeben. Trotz der vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten gebe es immer noch starke Asymmetrien: Neben den globalen Zentren existierten weiterhin „zones of silence“, und die Süd-Süd-Beziehungen seien viel zu wenig entwickelt. Auch das „English of Art“, das eine interkontextuelle Kommunikation ermögliche, trage gleichzeitig zur Konsolidierung bestehender Strukturen bei. Mosquera kritisierte ebenfalls das Konzept der „Anthropophagia“,[2] das im frühen 20. Jahrhundert in Lateinamerika für postkoloniale Kunst entwickelt worden war. Die in der Antropophagie-Bewegung postulierte kritische Aneignung und Neuinterpretation westlicher Paradigmen als Akt des Widerstands berge die Gefahr, bestehende hegemoniale Strukturen zu reproduzieren, anstatt sie zu brechen. Mosquera plädierte stattdessen dafür, dass sich Künstler nicht mehr mit der Aneignung der westlich-internationalen Kultur beschäftigen, sondern direkt an der Schaffung einer pluralistischen Meta-Kultur arbeiten.

Die dritte Sektion „What is the relation of global art and regional development?“ schließlich widmete sich der Perspektive der Künstler/innen. Der Künstler Jitish Kallat (Mumbai) fragte zunächst nach der lokalen Verortung von Kunstwerken, ihrem „geo tag“: Welche Rolle spielen die Meta-Daten Zeit und Ort der Herstellung? Benötigen Kunstwerke eine Art „location neutrality“, um nicht vom kulturellen Kontext dominiert zu werden? Zwar könnten die lokalen Spezifika nicht ignoriert werden, in einigen Fällen erhielten Kunstwerke aber eine Art „kompromittierte Mobilität“, d.h. nur durch eine lokal-kulturelle Zuordnung wird der Zugang zum globalen System möglich. Noch bis in die 1990er Jahre waren außereuropäische Künstler/innen vom globalen Kunstgeschehen – mit Großveranstaltungen wie der Documenta in Kassel – ausgeschlossen. Heute dagegen sei es angesagt, außereuropäische Künstler/innen einzuladen. Als ein weiteres Merkmal der Globalisierung nennt Kallat die Entstehung von Künstlerkollektiven seit den 1990er Jahren, die einen „peer-to-peer“-Austausch über regionale Grenzen hinweg beförderten. In seinen Arbeiten rezipiert Kallat sowohl die „lokalen“ Geschichten Indiens wie auch „globale“ Ereignisse, wie etwa 9/11.

Bassam El Baroni (Alexandria), Kurator und Kritiker, beschäftigte sich mit der Frage der Universalität in der zeitgenössischen Kunst. Es gebe bisher zwei Arten des Universalismus: Die „old school european universality“ des westlichen Modernismus und eine seit den 1980er Jahren existierende „paradox universality“, die auf einer multikulturellen Logik beruhe. Die Herausforderung sei nun, eine dritte Universalität anzustreben, die die Partikularismen und Essentialismen der bestehenden Universalitäten durchbreche. Nach El Baroni ist auch der Unterschied zwischen „fine art“ und „contemporary art“ auf die unterschiedlichen Universalitätskonzepte zurückzuführen: „Fine art“ basiere auf der „old school“ Universalitätsvorstellung, deren Kern die Individualität des Künstlers sei, zeitgenössische Kunst dagegen auf einer multikulturalistischen, pluralistischen und damit "paradoxen Universalität". Im Gegensatz zu den fine art-Künstler/innen sähen die zeitgenössischen Künstler/innen keine Notwendigkeit mehr, sich selbst in eine lineare Kunstgeschichte einzuordnen.

Die Künstlerin, Autorin und Aktivistin Senam Okudzeto (Schweiz, Ghana, Großbritannien, USA) berichtete von ihrer Unzufriedenheit mit den bestehenden Kategorisierungen, wie African, Feminist, etc. Zusammen mit dem Wunsch, aktiv zur Gesellschaft beizutragen, führte diese Unzufriedenheit zur Gründung der NGO „Art in Social Structures“ (AISS), die von Künstler/innen unterschiedlicher Nationalitäten geleitet wird und Projekte in Ghana realisiert. Okudzeto bezeichnete sich selbst als globalisierte bzw. transnationale Künstlerin, betonte jedoch, dass sie kein „global artist“ sei. Lokalität spiele bei ihren Werken eine doppelte Rolle: Einerseits arbeite sie selbst mit lokalen Themen, andererseits habe sie bei der Rezeption der Werke auch lokale Sehweisen beobachtet.

Eine Definition des Begriffs „global art“ wurde auch im Verlauf des Symposiums nicht gefunden. Einig waren sich alle Beteiligten, dass globale Kunst weder ein Stil ist, noch mit dem globalisierten, kapitalistischen Kunstsystem identisch ist, das lediglich eine Art Hintergrundfolie darstelle. Auffällig war, dass die Kategorisierung als „global artist" für das Selbstverständnis der vertretenen Künstler/innen wie Kallat oder Okudzeto kaum eine Rolle spielte. Der Künstler Peter Friedl (Berlin) verweigerte sich gar jeglichem Kategorisierungsversuch. Auch aus der Sicht der Kunstkritik biete der Begriff der „global art“ keinen Mehrwert – so die Kritikerin Maria Lind (Stockholm).

Trotz der konstatierten Unzulänglichkeit des Begriffs „global art“ zeigten sich in den Vorträgen und Diskussionen große Übereinstimmungen in den Beobachtungen der Tendenzen der aktuellen Kunstproduktion im globalen Kontext: Entgegen der immer wieder postulierten drohenden Homogenisierung der Welt, lässt sich in der zeitgenössischen Kunst eine Pluralisierung beobachten: Akteure und Orte der Kunstproduktion vervielfältigen sich, und Kunst wird nicht mehr nur in den meist westlichen Zentren, sondern auch dezentral „lokal“ produziert und rezipiert. Einerseits findet also eine Regionalisierung statt, eine Aufwertung des Lokalen, andererseits werden für alle Akteure des Kunstsystems, seien es Künstler/innen, Kurator/innen oder Rezipient/innen, fixierte regionale Verortungen immer bedeutungsloser. Diese Entgrenzung der Kunst lässt bestehende Kategorisierungen der Kunstgeschichte obsolet werden und zwingt die Disziplin, eine Revision ihrer wissenschaftlichen Grundlegungen vorzunehmen. Überzeugend ist deshalb die von allen Teilnehmer/innen formulierte Forderung, dass sich die Kunstgeschichte von alten „master narratives“ lösen muss, um neue, pluralistischere Zugänge zu entwickeln, will sie nicht ihre Legitimität verlieren. Wie diese neue Kunstgeschichte jedoch konkret aussehen könnte, blieb trotz der vielfältigen theoretischen Konzepte offen.

Anmerkungen:
[1] Hans Belting: Das Ende der Kunstgeschichte? München: Deutscher Kunstverlag, 1983.
[2] Der Begriff wurde 1928 von dem brasilianischen Schriftsteller Oswald de Andrade, Begründer des "tropischen Regionalismus“, in seinem "Manifesto Antropófago" geprägt. (In: Jorge Schwartz (Hg.): Vanguardas Latino-Americanas, São Paulo: Editora da Universidade de São Paulo, 1995.)

Empfohlene Zitation:
Sarah Maupeu: [Tagungsbericht zu:] Global Art (Salzburg, 29.–30.07.2011). In: ArtHist.net, 25.10.2011. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/1803>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^