REV-CONF 01.02.2018

Re:Trace – Histories of Media Art

Krems, Göttweig und Wien, 23.–25.11.2017

Bericht von Katharina Brandl, Universität Basel
Redaktion: Steffen Haug

Gegenwart und Vergangenheit der Medienkunstforschung

Die Medienkunst-Konferenz "Re:Trace" fand von 23.-25. November in Krems, Göttweig und Wien statt und nahm sich unter dem titelgebenden Motto nichts Geringeres als eine Bestandaufnahme der Medienkunstforschung vor. Das biennale Konferenzformat, das bereits zum 7. Mal stattfand, wurde von der "Society for the Histories of Media Art, Science and Technology" veranstaltet, fand in der Donau-Universität Krems in der diesjährigen Ausgabe seine Gastgeberin und mit Oliver Grau (Donau-Universität Krems) und Inge Hinterwaldner (Humboldt-Universität zu Berlin) seine Co-Chairs. Mit insgesamt 24 Sektionen, mehr als 80 präsentierten Vorträgen, Podiumsdiskussionen und vier Keynote-Lectures (Ryszard Kluszczyński, Wendy Hui Chun, Sarah Kenderdine und Martin Kemp) spannte "Re:Trace" als Großkonferenz einen Bogen zwischen unterschiedlichen Positionen und Methoden in Kunst und Wissenschaft.

Gegenwart und Vergangenheit

Erstaunlich an dem vielfältigen Programm war der Schwerpunkt - wenngleich nicht als solcher expliziert - auf die Verbindung von Medienkunst und Politik, wie durch die thematisch als "Streams" gebündelten Sektionen auffällt. Mehr als ein Viertel aller präsentierten Beiträge war in thematischen "Streams" aufgehoben, die sich der Schnittstelle zwischen Medienkunst und Politik widmeten, wobei sich dieser thematische Schwerpunkt durchaus auch in anders betitelte Sektionen verzweigte. Neben dem gegenwärtigen Interesse an der Trend-Meta-Theorie der Nachkriegsjahre, der Kybernetik, wurden Themen wie die kritische Auseinandersetzung mit der Infrastruktur des Internets, die Reproduktion rassistischer oder misogyner Muster bei lernenden Algorithmen, oder biometrische Gesichtserkennung und ihr künstlerischer Umgang damit diskutiert.

Das ist insofern bemerkenswert, als dass dieser Schwerpunkt im Rahmen eines Konferenzformats getroffen wurde, das sich zum Ziel gesetzt hatte, unterschiedlichste Vektoren des jungen Feldes der Medienkunstforschung historisch nachzuzeichnen - und damit einen historiographischen Schwerpunkt zu setzen. Die enge Verbindung zwischen Medienkunst und Politik der Veranstaltung folgte nun nicht dem landläufigen, letztlich marxistischen Argument, jene Medientechnologien, die unsere Gegenwart bestimmen, als aktuellen Stand der Produktivkräfte zu begreifen und damit ihre künstlerische Rezeption per se als politisch aufzuladen.

Dass diese historiographische Setzung allerdings selbst als politisch verstanden werden muss, zeigt sich insbesondere an der beachtlichen Anzahl der Beiträge, die sich mit Fallstudien außerhalb des kunsthistorischen Kanons des letzten halben Jahrhunderts beschäftigen. Gerade vor dem Hintergrund einer Kunstgeschichte, die in den Nachkriegsjahren stark vom Fokus auf einen Akteur in der bipolaren Weltordnung des Kalten Krieges zehrte, und damit nicht nur die ehemals staatsozialistischen Länder ausklammerte, sondern auch all jene, die damals als "dritte Welt" betitelt wurden, erwiesen sich folgende Beispiele aus den 1970er Jahren besonders fruchtbar: Unter anderem skizzierte Carmen Gil Vrolijk eine Genealogie kolumbianischer Medienkunst ab Mitte der 1970er Jahre, oder José-Carlos Maríategui und Elisa Arca rahmten das Schaffen der peruanischen Künstlerin Teresa Burga als "pioneer multimedia and information artist". Ebenso wurden frühe Arbeiten aus den 1970er Jahren jenseits des "eisernen Vorhangs" präsentiert, namentlich aus den damaligen jugoslawischen Teilrepubliken Kroatien und Serbien (Biljana Leković und Darko Fritz). Neben den Geschichten, die durch eine kritische Kunstgeschichte nach 1989 geschrieben werden und noch zu schreiben sind, wurden auch gegenwärtige Fallstudien aus dem Nahen und Mittleren Osten vorgestellt.

Versus eine lineare Geschichtsschreibung

Der Anspruch, die Spuren der frühen Medienkunst "nachzuzeichnen", zeigte sich nicht nur aus der Perspektive der Unterwanderung oder auch schlichtweg der Erweiterung des hegemonialen Kanons, sondern in den impliziten Fragen, die nicht nur einige Papers der Konferenz auszeichnete, sondern auch in der Debatte um den Begriff der Gegenwartskunst präsent sind: Wie kann man Modellen der linearen Geschichtsschreibung, wie sie schon in Walter Benjamins Thesen "Über den Begriff der Geschichte" kritisiert wurden, abschwören? Wie kann man sinnvoll periodisieren ohne in die Falle des Auffüllens eines linearen, historischen Kontinuums zu tappen? Einige Papers verhandelten dementsprechend Begriffe, deren Vorsilbe "post" auf ebenjene lineare Zeit-Konzeption deuten könnten: von "post-digital", über "Post-Internet Art" zu "postimage". So wurde gleichermaßen die Idee eines technologischen Determinismus abgewiesen (Pau Alsina), wie auch für die grundsätzliche Möglichkeit der Formulierung von Kontinuitäten in der Medienkunst, trotz der Anerkennung von historischer Pluralität, argumentiert (Jacob Wamberg). Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verhandlung von Begriffen selbst ein wichtiges historiographisches Werkzeug ist, wie beispielsweise in Raivo Kelomees' Beitrag zum Verhältnis zwischen "Net Art" und "Post-Internet Art" deutlich wurde.

Auch die Diversität der Arbeitsgebiete der Vortragenden und der präsentierten Modi der Wissensproduktion machten die Inhalte von "Re:Trace" anschlussfähig für unterschiedlichste Debatten: Neben Konferenzbeiträgen von WissenschaftlerInnen, kamen auch KuratorInnen, KünstlerInnen und RestauratorInnen zu Wort. Martín Nadal präsentierte etwa seine mit César Escudero Anadaluz verfolgte künstlerische Forschung zu kritischen Mining-Strategien bei der Krypowährung bitcoin sowie den Blockchain-Technologien insgesamt, Gerald Nestler hingegen seine Arbeit "Aesthetics of Resolution", die sich ebenfalls im Feld des artistic research verorten lässt und unsere Gegenwart des globalen Finanzkapitalismus als "derivate condition", als Wirtschaftsform der Black Box, auffasste. Sarah Kenderdine stellte in ihrer Keynote unterschiedliche installative Projekte vor, die in Kunstinstitutionen weltweit realisiert wurden und unter dem Begriff der "postdigital pasts" die digitale "Erlebbarkeit" kulturellen Erbes fruchtbar machten; Patricia Falçao untersuchte Konservierungs-Strategien von software-basierter Kunst in der Tate Modern, London.

Insgesamt erweist sich der inhaltliche Ansatz der Konferenz, der Geschichtsschreibung im Feld der Medienkunstforschung den Spiegel vorzuhalten, als interessanter Beitrag zur Diskussion rund um die Begrifflichkeit der Gegenwartskunst. Liest man das Programm der Konferenz als ‚wild ride' durch unterschiedlichste Arbeitsgebiete der Medienkunstforschung, - und das ist aufgrund der Diversität des Programms möglich - scheint sich hier das einzulösen, was Juliane Rebentisch für Gegenwartskunst einforderte: dass es sich dabei um jene Kunst handle, die sich kritisch mit ihrer eigenen Gegenwart beschäftigt. Diese Konstatierung brachte Rebentisch den Vorwurf der Exklusivität ein, da ihr Ansatz nur ein spezifisches Segment der Kunstproduktion unserer Gegenwart abdecke. Folgt man dem Angebot, das "Re:Trace" anbietet, ist es gerade die Medienkunst, in der ihr Ansatz eingelöst wird.

Empfohlene Zitation:
Katharina Brandl: [Tagungsbericht zu:] Re:Trace – Histories of Media Art (Krems, Göttweig und Wien, 23.–25.11.2017). In: ArtHist.net, 01.02.2018. Letzter Zugriff 16.04.2024. <https://arthist.net/reviews/17272>.

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