Nachruf auf Angela Rosenthal
von Viktoria Schmidt-Linsenhoff
Angela Rosenthal gehört der zweiten Generation von Kunsthistorikerinnen
an, die das Problembewußtsein des Fachs mit Fragestellungen der
Genderforschung und des Postkolonialismus erweitert hat und der ersten,
die dies mit jener entspannten Selbstverständlichkeit tut, die erst
Strukturen verändert. Ich habe Angela Rosenthal 1992 an der Universität
Trier kennen gelernt als sie ihre Dissertation über Angelika Kauffmann
schrieb, die von Andreas Haus betreut wurde. In einer Situation, in der
sich andere zur Niederschrift langjähriger Recherchen von der Außenwelt
abschotten, begeisterte sie sich für den Aufbau eines neuen
Schwerpunktes "Interkulturalität und Geschlechterdifferenz" an meinem
Lehrstuhl. Sie engagierte sich in der Organisation der 6.
Kunsthistorikerinnen-Tagung "Ethnozentrismus und Geschlechterdifferenz"
(Trier 1995) und lud die afrobritischen Künstlerinnen Lubaina Himid und
Maud Sulter ein, um den Beitrag der künstlerischen Praxis zur
Theoriebildung deutlich zu machen. Gleichzeitig arbeitete sie mit an der
Konzeption des Projektes "Das Subjekt und die Anderen", dem Einstieg in
ein neues Forschungsfeld, das mit dem interdisziplinären "Centrum für
Postcolonial und Genderforschung" an der Universität Trier
institutionalisiert wurde. Entscheidend für die Produktivität dieser
Jahre waren die Lust an radikalen Theorien, an erbitterten Kontroversen
(unvergeßlich der Streit in überfüllten Räumen um Judith Butlers
Körperkonzept) und ein politischer, alltagsbezogener
Wissenschaftsbegriff. Angela Rosenthal teilte diese Stimmung, die
keineswegs immer lustig war, und verband sie mit zwei Momenten, die für
ihre Arbeit prägend blieben: die Liebe zu den kunstgeschichtlichen
Gegenständen, die sich in einer Akribie äußerte, die dem finstersten
Positivisten zur Ehre gereicht hätte, und die Fähigkeit,
wissenschaftliche Freundschaften produktiv zu machen.
Nach der Promotion und einem kurzen Zwischenspiel an der Stadtgalerie
Saarbrücken beginnt ihre akademische Karriere mit einer Assistenz an
der Northwestern University in Chicago, wo sie Einführungskurse mit
Überblicksdarstellungen von der Höhlenmalerei bis zur Gegenwartskunst
geben muß, die sie zur Verzweiflung treiben und die sie dann doch mit
einem bildwissenschaftlichen Curriculum bewältigt. 1997 wird sie
Assistant und 2003 Associate Professor an dem Dartmouth College/Hanover
(New Hampshire). Das Studium an dem Courtauld Institute und dem
University College in London (1986) hatte sie mit der anglophonen
Kunstgeschichtsschreibung vertraut gemacht und einen persönlichen
Kontakt zu David Bindman ermöglicht, dem sie eng verbunden bleibt. Als
sie in den USA zu lehren begann, war der gendertheoretische Glanz der
women- und minority-studies am verblassen; der politische Impetus von
Frauen und ethnischen Minderheiten an nordamerkanischen Colleges war
längst in eine Phase der wissenschaftlichen Differenzierung und einer
nicht selten abgehobenen Reflexion übergegangen. Die kritische
Auseinandersetzung mit diesen Prozessen und mit der Herausforderung des
Fachs durch cultural und visual studies haben Angela Rosenthals Arbeit
wesentlich geprägt.
In der Dissertation über Angelika Kauffmann wendet sie sich gegen die
Identitätpolitik einer problematischen Frauenkunstgeschichte und
entwickelt statt dessen aus der Künstlerinnen-Forschung neue Ansätze
zur Bildnismalerei, die sie in prägnante Begriffe faßt wie: das Porträt
als Ereignis und Prozeß, Blickwechsel im Atelier, der innere Orient etc.
Ihre Forschungsschwerpunkte bleiben das 18. Jahrhundert und eine
konzeptuelle Gegenwartskunst, mit der sie sich der Zeitgenossenschaft
ihres eigenen Blicks vergewissert. Methodisch geht es ihr um die
inhaltliche Bedeutung von künstlerischen Lösungen und formalästhetischen
Phänomenen in einem kulturgeschichtlichen Kontext. In einer ganzen Reihe
von Aufsätzen zur britischen Malerei des 18. Jahrhunderts (Hogarth,
Reynolds, Gainsborough) gibt sie die nationale Perspektive zu Gunsten
von transnationalen, bzw. transkulturellen Fragestellungen auf:
weibliche Kreativität, Atelier- , Ausstellungs- und Sammelbetrieb,
malerische Semantisierung des Inkarnats, "whiteness", Orientalismus,
visuelle Stereotypenbildung des Rassismus und künstlerische
Gegen-Strategien. Die Wechselbewegung zwischen großräumigen Streifzügen
durch die Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts und einer
kennerschaftlichen Leidenschaft für den Reichtum der Materialien führte
sie zu faszinierenden Themen, wie z.B. "Hair", dessen Brisanz sie mit
einer überaus amüsanten Sektion in Los Angeles auf einer Tagung der
"Internationalen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts"
(2003) unter Beweis stellte. Methodisch ging sie jedoch oft auch den
umgekehrten Weg und fokussierte einzelne Gemälde oder Motive, die eine
neue Sicht auf vermeintlich abgegraste Diskursfelder erlauben - wie z.
B. Elisabeth Vigée-Lebruns Bildnis ihrer Tochter Julie und Bouchers
rätselhafte Kinder-Akademien, die Angela Rosenthal als kunsttheoretische
Reflexion zum Thema Kindheit und Kunst erkannte.
Die Zeitschriften, in denen ihre Aufsätze erscheinen, sind im Rückblick
aufschlußreich für den unterschiedlichen Status der gender-und
postcolonial studies. Während Angela Rosenthal seit 1992 im anglophonen
Raum in etablierten Organen wie "Art History", "18th Century Studies"
und in Handbüchern wie der dreibändigen "The New History of British Art"
publizierte, interessierten sich für ihre Themen im deutschsprachigen
Raum nur Zeitschriftenredaktionen, die, wie die der "Kritischen
Berichte" in den neunziger Jahren noch außerhalb des mainstreams
standen, oder "Frauen Kunst Wissenschaft", deren Mitherausgeberin Angela
Rosenthal von 1994 - 2006 war. Die deutsche Kritik an der schematischen
Begriffstrias "race/class/gender", die in den USA als stumpfsinnige
political correctness praktiziert würde, war ein in den neunziger Jahren
geläufiges Argument von KollegInnen, die kein Interesse an einer
Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse oder postkolonialen
Perspektiven hatten. Sie traf jedoch zugleich eine tatsächlich
bedenkliche Tendenz, alle möglichen Texte und Bilder als Exempel für die
immer gleichen theoretischen Modelle zu verwerten. Angela Rosenthals
bahnbrechende Arbeiten über weibliche Kreativität, "whiteness" und
Repräsentation von Sklaverei in der frühen Neuzeit, Rassismus und Humor,
afrobritische und afroamerikanische Kunst des späten 20. Jahrhunderts
steuern dieser Tendenz mit präzisen Einzelanalysen energisch entgegen.
Angela Rosenthals Arbeit ist geprägt von ihrer Sozialisation zwischen
deutschen, britischen und nordamerikanischen Wissenschaftskulturen,
deren Unterschiede sie immer wieder reflektierte. "Laß uns mal wieder
quatschen" war die Formel, mit der sie lange Telefongespräche über
aktuelle Tendenzen und theoretische Novitäten im Fach ankündigte, die
sich - wie sie wußte - nicht nur aus Texten erschließen, weil es immer
auch um Machtverhältnisse in den Institutionen und die Mentalitäten von
Menschen geht, die Wissenschaft betreiben.
Das Dartmouth College - abgelegen in den Wäldern des upper valley, aber
in der Nähe von Boston und nicht allzu weit von New York - bietet Angela
Rosenthal ein Umfeld, in dem sie ihr soziales Genie und ihre
intellektuellen Interessen bestens entfalten kann. Sie initiiert
zahlreiche internationale und interdisziplinäre Kooperationen, gründet
das "Leslie Center for the Humanities", ist im Beirat der "Eighteenth
Century Studies" und des "Centrums für postcolonial und gender studies"
an der Universität Trier. Das gut ausgestattete und gut gelaunte
Department für Kunstgeschichte ist jedoch zugleich auch ein Ort für
interne Debatten über das disziplinäre Selbstverständnis, die vor allem
in Hinblick auf die Lehre geführt werden. Angela Rosenthal bleibt in
Kontakt mit dem zeitgenössischen Kunstgeschehen und kuratiert immer
wieder Ausstellungen, u.a. an dem Hood Museum. Eine Gastprofessur in
Dartmouth und die Teilnahme an Tagungen, die sie organisierte, gaben mir
Gelegenheit, ihr Talent zur Organisation von wissenschaftlichen und
sozialen Prozessen und ihre Fähigkeit zu bewundern, die richtigen Leute
im richtigen Augenblick zusammen zu bringen. Die Ergebnisse der
denkwürdigen Tagung "Invisible Subjects? Slave Portraiture in the Circum
Atlantic World 1550-1890" wird in einem Band erscheinen, dessen
Herausgabe Angela Rosenthal mit Agnes Lugo-Ortezund noch abschließen
konnte, ebenso wie ihre Publikation des internationalen Workshops mit
GastwissenschaftlerInnen (u.a. Alexandra Karentzos aus Trier) zum Thema
"No Laughing Matter: Visual Humour in Ideas of race, nationality and
Ethnicity". Ob ihr Buch "The White of Enlightenment: Racializing Bodies
in Eighteenth Century British Visual Culture" zur Publikation kommen
wird, ist ungewiß.
Fassungslosigkeit ihrer Kollegen und Kolleginnen angesichts dieses
Verlustes spiegelt die Besonderheit ihrer Person wider. Vielleicht wird
ihr Mann Adrian Randolph, Professor für Kunstgeschichte in Dartmouth das
"Whiteness"-Buch posthum herausgeben. Angela Rosenthal war ihm auf den
nordamerikanischen Kontinent gefolgt und das Paar praktizierte einen
akademischen Lebensstil, der auf seltene Art und Weise den
wissenschaftlichen und politischen Anspruch im Privaten einlöste. Adrian
Randolph hatte wesentlichen Anteil an Angela Rosenthals intellektueller
Biographie und teilte ihr wissenschaftspolitisches Engagement, so daß es
unmöglich ist, ihm an dieser Stelle nicht zu danken. Auf der website von
Dartmouth College sind die bestürzten Äußerungen von Studierenden zu
lesen. Ich möchte eine Bemerkung herausgreifen, die einen wichtigen
Aspekt der Lehre und Forschung von Angela Rosenthal benennt: "sie hat
mich gefordert und das Beste von mir verlangt, ohne mich einzuschüchtern
oder mir Angst zu machen." Wer sie kannte, schwärmt von ihrem Humor,
ihrem Charme und einer umwerfenden, sozialen und intellektuellen
Energie. Ich werde die Großzügigkeit, mit der sie sich verausgabte,
nicht vergessen.
Quellennachweis:
Nachruf auf Angela Rosenthal. In: ArtHist.net, 17.01.2011. Letzter Zugriff 17.11.2024. <https://arthist.net/archive/785>.