TOC 03.05.2013

Marburger Jahrbuch, Bd. 39, 2012

Alexandra Vinzenz, Kunstgeschichtliches Institut Philipps-Universität Marburg

Das Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 39. Band (2012) ist erschienen

Herausgegeben von Ingo Herklotz und Hubert Locher
Redaktion: Angelika Fricke und Alexandra Vinzenz

Veröffentlichung des Kunstgeschichtlichen Instituts der Philipps-Universität Marburg / Lahn und des Deutschen Dokumentationszentrums für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg
(Gedruckt mit Unterstützung der Wilhelm-Hahn-und-Erben-Stiftung in Bad Homburg)

Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften (Weimar / Kromsdorf), 2012

Inhaltsverzeichnis:

Albert Boesten-Stengel: Verdeckte Linien – Operationen im Blattraum. Genetische Zeichnungskritik am Beispiel der Skizzen Leonardos da Vinci

Genetische Kritik erschließt aus dem Strichbild Abfolgen und Stufen des Zeichenvorgangs.
Roman Jakobson unterschied Sprachstile danach, wie sich jeweils verknüpfte Glieder unter den Aspekten formaler und thematischer Austausch- oder Ergänzbarkeit zueinander verhalten – bis hin zu seiner Definition des poetischen Modus als einer Projektion des Prinzips der Äquivalenz von der Achse der Auswahl auf die Achse der Verknüpfung. Ganz in diesem Sinn manifestieren zeichengenetische Sequenzen zwei elementare Funktionen. Ein Strich verhält sich zum vorhergehenden entweder als Präzisierung und Konkretisierung des zuvor Angedeuteten oder als Alternative an dessen Statt. Bemerkenswert überließ es Leonardo da Vinci in der Wasserfallskizze (Windsor Castle, RL Inv. 12660 v.) der tatsächlichen genetischen Schichtung, für den Zusammenhang von Tiefendynamik und Oberflächenwirkung einzustehen, den sein Kommentar dem Naturphänomen zuschreibt. Er projizierte die Zeichengenese selbst auf die Zeitgestalt, die anschauliche Folgeordnung des hervorgebrachten Bildes.

Anja Grebe: Albrecht Dürers „Kunstbücher“ – Ordnungssysteme frühneuzeitlicher Graphiksammlungen und die Anfänge des Catalogue raisonné

Albrecht Dürer gehört zu den ersten Künstlern, dessen Druckgraphiken systematisch gesammelt wurden. Ausgehend von erhaltenen und in Verzeichnissen überlieferten Graphiksammlungen des 16. bis 18. Jahrhunderts untersucht der Beitrag die Sammlungs- und Ordnungsstrategien frühneuzeitlicher Graphiksammler. Besondere Bedeutung kommt hierbei den Sammel- bzw. Klebebänden zu, als deren frühestes erhaltenes Beispiel das Ambraser „Kunstbuch Albrecht Dürers“ (um 1580?) analysiert wird. Anhand der nur in Verzeichnissen überlieferten, um 1600 entstandenen Nürnberger Sammlungen Ayrer, Behaim und Praun wird eine Rekonstruktion der internen Struktur der einzelnen Konvolute vorgeschlagen. Daran anknüpfend wird die Frage diskutiert, inwieweit die Ordnungssysteme druckgraphischer Dürer-Sammlungen wichtig für die Entwicklung von übergeordneten Klassifizierungsprinzipien waren, wie sie sich in den frühen, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts publizierten Werkverzeichnissen spiegeln.

Boris Röhrl: Die Transformation der mittelalterlichen planimetrischen Proportionsschemata zu den neuzeitlichen empirischen Proportionslehren – Dargestellt am Beispiel der ,Proporcion der Ross‘ (1528) von Sebald Beham

In der Kunstwissenschaft wird angenommen, dass sich der Übergang zwischen den planimetrischen Proportionslehren der Gotik zur Proportionstheorie der Renaissance relativ abrupt vollzog. Im Mittelalter sei eine relativ einfache, naturferne Proportionslehre tradiert worden, während man ab der italienischen Frührenaissance auf antike Quellen zurückgegriffen und diese anhand eigener Messungen modifiziert habe. Anhand der Proportionszeichnungen im ,Bauhüttenbuch‘ von Villard de Honnecourt kann der Nachweis erbracht werden, dass die Proportionsschemata der Gotik bereits eine hochentwickelte Form zeigen, Elemente der Naturbeobachtung beinhalten und das antike Erbe teilweise bewahren. Diese gotischen Proportionschemata werden in frühen gedruckten Büchern zur Kunstdidaktik weiterhin tradiert und vermischen sich mit der neuen italienischen Kunstdidaktik, so in den ,Proporcion der Ross‘. Die ersten gedruckten Lehrbücher zu den Proportionen der deutschen Renaissance zeigen eine hochentwickelte Didaktik, die sich von der standardisierten akademischen Lehre späterer Epochen in wesentlichen Punkten unterscheidet.

Barbara Stoltz: Das Bild-Druckverfahren in der Frühen Neuzeit

Den Blick auf den Gestus des Druckens in der Druckgraphik zu richten, heißt, ein fundamentales Verfahren in der Entstehung des druckgraphischen Bildes zu erörtern, das das Wesen der Druckgraphik bestimmt und ihre ambivalente Position zwischen den vieldiskutierten Parametern Reproduktion, Original, Invention begründet. Das Druckverfahren ist eine Form des Abdrucks, das vor allem die Probleme des ,Nicht von Menschenhand‘ geschaffenen Bildes und der Authentizität des Bildes mit einher bringt. Absicht der vorliegenden Untersuchung ist, dazulegen, inwieweit das Bilddruckverfahren in der Rezeption und im theoretischen Umgang mit der Druckgraphik in der Frühen Neuzeit insgesamt präsent ist, und warum aber in der Kunstliteratur des 16. und des 17. Jahrhunderts eigentlich ausgeblendet wird, während gleichzeitig gerade in dieser Periode verschiedene Druckvorrichtungen von der Druckrolle bis zur Druckpresse entwickelt werden und neue Drucktechniken entstehen, etwa der Farbdruck und der chiaroscuro-Holzschnitt.

Lothar Sickel: Zu den Anfängen Guglielmo della Portas in Rom – Ein unbekanntes Projekt für das Grabmal des Vincenzo degli Ubaldi in der Capella del Crocifisso in Santi Apostoli

Am 18. Juni 1540 erhielt Guglielmo della Porta von der verwitweten Faustina Jancolini den Auftrag zur Errichtung eines Grabmals für deren jung verstorbenen Sohn Vincenzo degli Ubaldi. Das Monument mit der Liegefigur des Verstorbenen ging zwar beim Umbau von Santi Apostoli durch Francesco Fontana zu Beginn des 18. Jahrhunderts verloren. Der bisher unbekannte Vertrag zu dem Projekt gibt indes Anhaltspunkte zu seiner Gestaltung und vermittelt zudem neue Erkenntnisse über Della Portas Tätigkeit zu Beginn seiner römischen Laufbahn. Er bestätigt seine Urheberschaft am Grabmal des Bischofs Magalotti in Santa Cecilia, das dem Ubaldi-Monument als Vorbild dienen sollte. Der Auftrag für Santi Apostoli brachte Della Porta früh in Kontakt mit dem einflussreichen Soprintendenten der päpstlichen Bauunternehmungen Mario Maccarone, einem wichtigen Mittler hinsichtlich seiner weiteren Karriere als Hofbildhauer der Farnese.

Stephanie Hanke: „una selva di colonne“ – San Siro in Genua und die Genese einer ligurischen Sonderform der Säulenbasilika

Zwischen 1585 und 1670 verbreitet sich in Ligurien ein eigenständiger Typus der Säulenbasilika, der sich durch die Verwendung gekuppelter Säulen zwischen Haupt- und Seitenschiffen auszeichnet. Der Aufsatz analysiert die Genese dieser erstmals bei der Theatinerkirche San Siro in Genua entwickelten Bauform, deren Vielzahl von Säulenpaaren als besondere Nobilitierung empfunden wurde. Das Motiv übernahm man aus dem Bereich des Profanbaus, konkret von der Loggia di Banchi zur Abwicklung der Geldwechselgeschäfte der Bankiers. Damit schufen die auf Stifter angewiesenen Theatiner, zu deren Gemeinde einige der finanzkräftigsten städtischen Adelsfamilien gehörten, in San Siro gezielt einen Kirchenraum, der für die Genueser Kaufleute ein hohes Identifikationspotential besessen haben muss.

Stefano Pierguidi: Bellori e i putti nella scultura del Seicento – Bernini, Duquesnoy, Algardi

I putti di Duquesnoy sono stati più volte oggetto degli studi di storia della critica: in alcuni passi delle ,Osservazioni‘ di Boselli e delle ,Vite‘ di Bellori e Passeri quelle creazioni dello scultore di origini fiamminghe vennero discusse a fondo, soprattutto in rapporto ai putti dell’,Offerta a Venere‘ di Tiziano (Prado). Nella scultura del Seicento, infatti, quello dei putti costituiva un vero e proprio genere a sé stante, e proprio per questa ragione esso fu un tema privilegiato nel dibattito della letteratura artistica contemporanea. Il classicista Bellori, pur certamente apprezzando i putti di Duquesnoy, giudicava questi ultimi opere di secondo piano, anche per il loro carattere troppo ,naturale‘; meglio erano senz’altro quelli di Algardi, peggio quelli di Bernini. Quest’ultimo, in merito alla gerarchia di valore dei generi, condivideva le opinioni di Bellori: se nelle biografie che gli dedicarono Baldinucci e il figlio Domenico non sono citati i putti giovanili di Gian Lorenzo è perché lo stesso Bernini non voleva essere ricordato per quelle opere giudicate da lui minori.

Andreas Nierhaus: Architekturzeichnung und Moderne um 1900 – Ästhetische Strukturen und mediale Strategien in den Projekten und Publikationen der Schule Otto Wagners

Am Beispiel der neuen Form der Architekturzeichnung, wie sie um 1900 in der Schule Otto Wagners an der Wiener Akademie der bildenden Künste entwickelt wurde, untersucht der Beitrag die Beziehungen zwischen moderner Architektur und Medien. Wenn in letzter Zeit häufig festgestellt wird, dass in der zunehmend digitalisierten Welt der Gegenwart die Grenzen zwischen Bau und Bild verschwimmen, so lässt sich eine solche „Medialisierung“ von Architektur bereits in der starken Rolle der Zeichnung im modernen Architekturdiskurs am Beginn des 20. Jahrhunderts ausmachen. Die unverwechselbare Ästhetik der Wagner-Schule und ihre starke publizistische Präsenz verdeutlichen, dass die moderne Architektur von Anfang an nicht allein von programmatischen Bauten und Texten, sondern vor allem auch von Bildern bestimmt wurde. Ihr Verhältnis zur gebauten Architektur ist erst in Ansätzen untersucht; eine konsequent auf die vielgestaltige „Medialität“ von Architektur ausgerichtete Analyse würde in weiterer Folge zu einer produktiven Verunsicherung der traditionell unbestrittenen Vorrangstellung gebauter Architektur gegenüber der Wirkmacht der Bilder von Architektur führen.

Bernd Stiegler: Der montierte Mensch

Der Begriff „Montage“ ist mehr als nur schillernd und umfasst ein breites Spektrum von Anwendungen und Bedeutungen. Dabei zeigt sich, dass die vermeintlich unterschiedlichen Bereiche der Technik und der Ästhetik enger miteinander verflochten sind, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Anhand von verschiedenen knappen historisch-theoretischen Skizzen, die von der Frage nach der Psychotechnik über die filmische Montage in der russischen Avantgarde bis hin zu photographischen Lesefibeln und Technikphotographien der 1920er und 1930er Jahre reichen, wird die komplexe epistemische wie ästhetisch-praktische Konstellation der Montage rekonstruiert und ein neues Modell des Montage-Konzepts entworfen.

Elmar Kossel: Die Piazza della Vittoria in Brescia und Bozen – Beispiele für Strategien räumlicher Inbesitznahme und historischer Legitimation während des Faschismus in Italien

Die Okkupation des Stadtraumes während des Faschismus in Italien diente der Manifestation und Demonstration der Macht des Regimes. Diese Maßnahmen gingen oft mit programmatischen Platzneugründungen einher. Der Aufsatz untersucht anhand von zwei Plätzen in Brescia und Bozen zwei sehr unterschiedliche, aber gleichsam wegweisende Strategien der symbolischen Besetzung und Überformung des Stadtraums. Beide Beispiele lassen sich als Prototypen für den Umgang mit Stadt während des Faschismus in Italien betrachten. Sie zeigen klar, wie früh zwei wesentliche Konzepte der faschistischen Architekturpolitik bereits ausgebildet waren: Ein territorial-okkupierendes in Bolzano und ein historisch-legitimierendes in Brescia.

Franziska Koch: Von ,China Avantgade‘ bis ,Living in time‘ – Gruppenausstellungen zeitgenössischer chinesischer Kunst in Deutschland seit 1993

Ausstellungen sind ein zentrales Medium der modernen Kunst. Sie zeigen zeitgenössische künstlerische Entwicklungen nicht nur, sondern formen sie gleichzeitig entscheidend mit. Der Beitrag untersucht am Beispiel der ersten Gruppenausstellungen zeitgenössischer Werke aus der Volksrepublik China in Deutschland, wie dieses Medium die mittlerweile globale diskursive Kategorie „zeitgenössische chinesische Kunst“ konstituieren half. Untersucht werden verschiedene (trans-)kulturelle Übersetzungsstrategien der beteiligten Kuratoren, die ausgehend von der kulturwissenschaftlich argumentierenden Pionierschau ,China Avantgarde‘ (1993) über die eher marktorientierte Malereiausstellung ,China!‘ (1996) und die feministische Replik ,Die Hälfte des Himmels‘ (1998) bis zur ersten offiziell mit der chinesischen Regierung co-organisierten Ausstellung ,Living in time‘ (2001) reichen.

Quellennachweis:
TOC: Marburger Jahrbuch, Bd. 39, 2012. In: ArtHist.net, 03.05.2013. Letzter Zugriff 25.04.2025. <https://arthist.net/archive/5261>.

^