INTERDISZIPLINÄRER WORKSHOP.
MEER – WÜSTE – GEBIRGE. NATUREXTREME ALS ERFAHRUNGS- UND REFLEXIONSRÄUME DER VORMODERNE.
In der Vormoderne bildeten Meer, Wüste und Gebirge elementare Heterotopien, die gerade aufgrund der ihnen inhärenten (Lebens-)Gefahren zu topischen Sehnsuchtsorten einer die Transzendenz- und Selbsterfahrung stimulierenden Weltflucht avancierten. Die extremen Naturräume erschwerten nicht nur Versuche einer territorialen Inbesitznahme, empirischen Vermessung und zeitlichen Verortung, sondern bedingten vielfach drastische Wahrnehmungstäuschungen und verweigerten sich so einer sinnlich verlässlichen Erfassung. Auf dieser prinzipiellen Unzugänglichkeit und Unbegreifbarkeit gründet das epistemische Potenzial jener Gegenräume, denen zugleich stets positive Eigenschaften im Sinn ernährender Ressourcen, schützender Rückzugsgebiete und kunstreflexiver Sphären der Inspiration zukamen. Mithilfe kreativer Strategien der Evidenzerzeugung wurde in Kunst und Literatur die urgewaltige Eigenwilligkeit jener Orte des Numinosen kontinuierlich thematisiert, beschworen und bewältigt. Dadurch entstanden kultivierte Räume des Extremen, in denen die wesensgemäße Widerständigkeit von Meer, Wüste und Gebirge gegenüber menschlichen Erkenntnis- und Imaginationsprozessen in einer sinnstiftenden Ästhetik der Alterität transformiert erscheint. Der interdisziplinäre Workshop widmet sich diesen soziokulturellen Funktionen von Meer, Wüste und Gebirge als gerade aufgrund ihrer ökologischen Extremität wirkmächtigen Erfahrungs- und Reflexionsräumen vormodernen Denkens wie Handelns.
Die Veranstaltung wird von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert.
PROGRAMM
DONNERSTAG, 4. DEZEMBER 2025
15.30 | Ankunft und Registrierung
16.00 | Sophie Rüth (Berlin) & Mirjam Wulff (Rostock)
Begrüßung und Einführung
PREKÄRE EPISTEME. NATUREXTREME ALS REFLEXIONSRÄUME DES KOSMOS
16.15 | Ulrike Gehring (Trier)
Visuelle Epistemologien: Das Meer als unbekannter Raum um 1600
17.00 | Mirjam Wulff (Rostock)
Die Jenseitsreise als Entdeckungsreise. Naturextreme als theologische Erkundungen
17.45 | Kaffeepause
18.15 | Hiram Kümper (Mannheim)
Widerständige Welt: Meer, Wüste und Gebirge als Gegen- und Erkenntnisräume bei Athanasius Kircher
FREITAG, 5. DEZEMBER 2025
EXISTENZIELLE RÜCKZUGSORTE. PRAKTIKEN DER WELTFLUCHT UND GOTTESSUCHE
9.00 | Isabella Augart (Göttingen)
In die Wüste gehen. Zur Naturästhetik des 'desertum' in Giovanni di Paolos Johannes-Tafeln
9.45 | Mette Birkedal Bruun (Kopenhagen)
Contemplating the Desert: Early Modern Devotional Withdrawal
10.30 | Kaffeepause
11.00 | Isabell A. Meske (Hannover)
Secundum naturam vivere!? Das Gebirge als literarisch-theologischer Reflexionsraum von Horaz bis Dante
11.45 | Mittagspause
VERTRAUTE ALTERITÄTEN. AKTUALISIERTE ARCHETOPOI DES NUMINOSEN
13.30 | Jonas Hermann (Freiburg i.B.)
Wald, Wüste und Verwüstung im ›Heliand‹ und in der ›altsächsischen Genesis‹
14.15 | Christian Vincent Strunk (Münster)
In den Meeren der Sünde: Hamartiologie, Inkommensurabilität und Metapher
15.00 | Kaffeepause
EXTREME ÄSTHETIKEN. EXPERIMENTIERFELDER KÜNSTLERISCHER PRAXIS
15.30 | Anna Pawlak (Zürich)
Bilderfluten. Kreative Katastrophen in der Kunst des 16. Jahrhunderts
16.15 | Julian Frederik Fischer (Bochum)
Strategien poetischer Vergegenwärtigung von Extrem-Orten zum Zweck der Naturandacht in Barthold Heinrich Brockes’ ›Irdischem Vergnügen in Gott‹
17.00 | Pause
KÜNSTLERISCHER IMPULS
18.00 | Emilia Tikka (Basel)
Präsentation des künstlerischen Forschungsprojekts "Johtingeaidnu – The Path Within" und Gespräch mit der Künstlerin
SAMSTAG, 6. DEZEMBER 2025
PRODUKTIVE GEFAHRENZONEN. STRATEGIEN DER SELBST- UND NATURBEHERRSCHUNG
9.00 | Søren Frank Jensen (Kopenhagen/Hamburg)
Maritime Hazard and Religious Response in Early Modern Northern Europe
9.45 | Benedikt Brunner (München)
„Darumb foerchten wir uns nicht wann sich gleich die Erde von ihrer stett bewegte“. (Ps 46,3). Bergstürze im Kontext frühneuzeitlicher Transzendenzerfahrungen
10.30 | Kaffeepause
11.00 | Hauke Kuhlmann (Bremen)
Kontingenz, Zufall, Macht der Sprache: Das Meer als Raum der Gefahr in Prosatexten des 16. Jahrhunderts
11.45 | Anatol Heller (Zürich)
„Ja, ja, ich sink! itzt bin ich da.“ Meeres-‚Betrachtung‘ bei Boyle, Fabricius und Brockes
12.30 | Mittagspause
(UN)KULTIVIERTE RESERVOIRS. DYNAMIKEN VON WELTNEUGIER UND ÖKONOMISIERUNG
13.15 | Sophie Rüth (Berlin)
Exklusive Abundanz. Imaginationen des submarinen Mikrokosmos in der frühneuzeitlichen Objektkunst
14.00 | Henrike Haug (Köln)
Ausbeute und Bodenschatz. Überlegungen zum Verhältnis von Kunst, Natur und Metall in Bergbauregionen der Frühen Neuzeit
14.45 | Abschlussdiskussion
ORT
Freie Universität Berlin, Seminarzentrum, Raum L 116
Otto-von Simson-Str. 26, 14195 Berlin
KONZEPTION & ORGANISATION
Sophie Rüth, Freie Universität Berlin
Mirjam Wulff, Universität Rostock
KONTAKT & ANMELDUNG
sophie.ruethfu-berlin.de / mirjam.wulffuni-rostock.de
WEBSITE
https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/khi/institut/aktuelles/workshop_rueth.html
Quellennachweis:
CONF: Meer – Wüste – Gebirge (Berlin, 4-6 Dec 25). In: ArtHist.net, 22.11.2025. Letzter Zugriff 27.11.2025. <https://arthist.net/archive/51196>.