CFP 23.09.2025

Reine Formsache (Halle/Leipzig, 29-30 Jan 26)

Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle / GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Leipzig, 29.–30.01.2026
Eingabeschluss : 26.10.2025

Amelie Ochs, Universität Bremen

Reine Formsache? Zum Verhältnis von Form und Ideologie vor und nach 1933.

Workshop an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und im GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Leipzig
Konzeption und Organisation: Christina Brinkmann (Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle) und Amelie Ochs (Universität Bremen) in Kooperation mit dem GRASSI Museum für Angewandte Kunst

Es wäre so einfach: Design und Kunsthandwerk aus der NS-Zeit wären das genuin „Andere“, in den Formen viel gröber, rustikaler, ja sogar brauner als alles, was vorher und nachher kam. „Blut und Boden“ würden uns die Objekte noch heute entgegenschreien. Doch so ist es nicht. Auch wenn das (Kunst-)Handwerk im Nationalsozialismus eine diskursive Aufwertung erfuhr, bedeutete dies nicht das Ende industrieller Formgestaltung – im Gegenteil. Seit mehreren Jahrzehnten machen Forscher:innen klar: Design und Kunsthandwerk der NS-Zeit stehen nicht in einer klaren Opposition zur Gestaltung der 1920er Jahre, sondern in einem engen Zusammenhang mit gestalterischen, ideologischen, institutionellen und personellen Kontinuitäten. Kunsthandwerk und Design der NS-Zeit werfen daher wie kaum andere Objekte Fragen nach dem Verhältnis von Form und Ideologie auf. Denn es gilt zu untersuchen, welche Funktionen die Gegenstände in einer verbrecherischen, antisemitischen und rassistischen Gesellschaft erfüllten – und mit welchen Bedeutungen sie aufgeladen wurden.

Gestaltungen und Formbegriffe sind aber keineswegs nur nach 1933 und vor 1945 ideologisch aufgeladen. Zum Beispiel rangen Akteure rund um den Deutschen Werkbund seit dessen Gründung 1907 um „ewige“ oder „gute Form“, konstatierten eine „überkommene Formensprache“ und suchten Wege, diese zu überwinden zugunsten einer deutschen Nationalkultur und wirtschaftlichen Erfolgs. Gerade nach dem Ersten Weltkrieg waren diese Setzungen erneut umkämpft. Forderungen nach einem einheitlichen, zeitgemäßen Stil standen wieder im Raum.

Die zeitgenössische Einbettung des Objekts in den Diskurs verschwindet vermeintlich durch ihre materielle Überlieferung, ob in den musealen Sammlungen oder im Wohnzimmerschrank. Dort steht ja nur die Suppenschüssel in der Vitrine oder auf dem Regalbrett. Um zu verstehen, welche Rolle Form für Ideologie und Ideologie für die Form spielte, braucht es eine Auseinandersetzung mit den Texten, Bildern und Räumen, die die Produktion und Verbreitung der Objekte hervorbrachte und begleitete. Sie ermöglicht eine kritische Analyse des Verhältnisses von Form und Ideologie.

Ideologie selbst zielt auf die Bestimmung dessen, was „Form“, was „Objekt“ und „Subjekt“ ist, wie es sich zueinander verhält oder verhalten soll und ist damit Weltanschauung. Sie ist unserem Verständnis nach der Praxis (auch des Entwerfens, Produzierens, Vermarktens etc. von Design- und kunsthandwerklichen Objekten) nicht vorgelagert, sondern Bestandteil derselben. Beide – Praxis und Ideologie – bedingen und beeinflussen sich wechselseitig. Formen sollten und sollen gesellschaftliche und politische Konstellationen ermöglichen und symbolisieren, sie entstehen in einem spezifischen wirtschaftlichen Rahmen, der von Ideologie durchzogen ist. Ideologie schreibt dem Objekt und seiner Form Funktionen zu, wie die, den Menschen mit seiner Umwelt zu versöhnen.

Der Historiker Paul Betts hat für die Funktion von Gebrauchsgegenständen im Nationalsozialismus die prägnante Formel der „Wiederverzauberung der Ware“, als einer vermeintlichen Überwindung der Phänomene der industriellen Massenfertigung, geprägt. Seine Untersuchung knüpft nicht zuletzt an die Feststellung Walter Benjamins an, nach der die Ästhetisierung der Politik zentrales Merkmal des Faschismus sei, Ästhetik die Bindung des faschistischen Subjekts an den Staat herstelle. Im Anschluss auch an Kritische Theorien wie die Benjamins und aus marxistischer Perspektive war die ideologisch-ästhetische Durchdringung des Alltags im Nationalsozialismus in den 1960er und 1970er Jahren Thema von Analysen Anson Rabinbachs, Chup Friemerts und Peter Reichels. Dabei spielte die NS-Organisation Amt „Schönheit der Arbeit“ in der Deutschen Arbeitsfront eine wichtige Rolle. Das Ende des Kalten Krieges markiert eine weitere Verdichtung der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Moderne und Nationalsozialismus. In den 1990er Jahren und frühen 2000ern erschienen Texte, die sich (ideologischen) Kontinuitäten im Design von Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus widmeten (u.a. Paul Betts und Xenia Riemann). Aufbauend auf solche Ansätze hat in den letzten Jahren – trotz oder wegen des Bauhaus-Jubiläums 2019 – vor allem die kritische Auseinandersetzung mit dem Mythos Bauhaus Fragen zu Kontinuitäten moderner Gestaltung im Nationalsozialismus aufgeworfen (etwa im Kontext der Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“, Klassik Stiftung Weimar, 2024). Dabei rückten vor allem die Akteur:innen in den Fokus. Daran anschließend ließe sich danach fragen, wie weder strukturell-soziologische noch formal-ästhetische Fragestellungen isoliert zu betrachten sind, sondern vielmehr im Zusammenhang diskutiert werden können.

Zum Workshop
Der Workshop zielt auf einen Austausch zu Dis-/Kontinuitäten in Kunsthandwerk- und Designdiskursen vor und nach 1933. Anhand von ausgewählten Primär- und Sekundärtexten soll das Verhältnis von Form und Ideologie erneut befragt und diskutiert werden. Neben historischen Quellen wie Zeitschriftenartikel, Korrespondenzen und Konzeptpapiere für Ausstellungsvorhaben der 1910er bis 1940er Jahre sind theoretische Bestimmungen, wissenschaftliche Kontextualisierungen und Essays auch aus der Zeit nach 1945 von Interesse, die sich mit Form- und Gestaltungsfragen auseinandersetzen. Wie wurden mehr oder weniger klare ideologische Setzungen vorgenommen? Wie schrieben sich Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus, Reinheits- und Einheitsvorstellungen in Formdiskurse ein? Inwiefern wurden Kunsthandwerk und Kunstgewerbe politisch motiviert voneinander abgegrenzt? Wie wurden Design und Politik miteinander verknotet? Inwiefern wurde Design eine erzieherische Funktion zugesprochen?

Zur Diskussion können unter anderem folgende Zusammenhänge stehen:
- Begriffsgeschichten mit ihren -definitionen und -verschiebungen (z.B. Form, Stil, Geschmack, Qualität, Kunstgewerbe, Kunsthandwerk, Handwerk, Gestaltung, Arbeit)
- Kontinuitäten und Verschiebungen im Designdiskurs vor und während des NS
- Verhältnisse von theoretischem Diskurs und gestalterischer Praxis
- Zeitschriftendebatten und Medien der Auseinandersetzung
- Multi- und Intermedialität von Design: Design-Bilder, Text-Bild-Verhältnisse, Ausstellungen, Schaufenster, Messen, etc.
- Textformen und ihre Spezifik (z.B. Feuilleton, Gesetzestext, Zeitschriftenartikel, Katalogtexte, Briefe, Redemanuskripte, behördliche Korrespondenzen)
- Institutionsgeschichte(n)
- Kunsthistoriografie zu Form und Ideologie im NS
- Rezeption der Texte und politische Konsequenzen (Kulturpolitik, Personalentscheidungen, gestalterische Vorgaben)

In Vorbereitung des Workshops sind die von den Beitragenden vorgeschlagenen Texte, die in einem Reader zusammengetragen werden, zu lesen. Der erste Tag des Workshops mit Impulsvorträgen und Lektürediskussionen findet an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle statt. Aufbauend auf die Erkenntnisse des ersten Tages, stellt sich am zweiten Tag des Workshops die Frage, welche Rolle die Beziehungen von Form und Ideologie in Sammlungen und Ausstellungen zu Kunsthandwerk und Design spielen oder spielen sollten. Er findet im GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig statt. Hier sind sowohl eine Führung durch die Ausstellung „Formen der Anpassung. Kunsthandwerk und Design im Nationalsozialismus“ (Laufzeit: 27.11.2025–12.04.2026) als auch Impulsvorträge zu Institutionsgeschichte(n), Sammlungs- und Ausstellungspraxen und Vermittlungsformate vorgesehen. Am Nachmittag beschließt eine Podiumsdiskussion zur kritischen Annäherung im Ausstellungskontext das Programm.

Wir bitten um Einreichung eines Abstracts (Deutsch oder Englisch, max. 300 Wörter), nebst einer Kurzbiografie, bis zum 26. Oktober 2025 an christina-brinkmannburg-halle.de und amelie.ochsuni-bremen.de.
Für den ersten Workshoptag suchen wir Lektürevorschläge, die im Rahmen des Workshops in knappen Impulsvorträgen eingeführt und anschließend diskutiert werden. Aus dem Abstract sollten daher nicht nur die These(n) des Impulsvortrags hervorgehen, sondern auch die thematischen Schwerpunkte des Textes sowie Angaben zur Textform, zum Publikationskontext, zum/zur Verfasser:in, zur Adressierung, zu Distribution und Zirkulation des Texte oder zu seiner Rezeption. Für den zweiten Workshoptag suchen wir Beiträge, die sich, gerne anhand von Beispielen, aus einer praktischen Perspektive dem Sammeln, Ausstellen und Vermitteln von Objekten widmen und dabei Fragen zum Verhältnis von Form und Ideologie aufgreifen.

Quellennachweis:
CFP: Reine Formsache (Halle/Leipzig, 29-30 Jan 26). In: ArtHist.net, 23.09.2025. Letzter Zugriff 24.09.2025. <https://arthist.net/archive/50691>.

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