CFP 14.09.2025

VIII. Forum Kunst des Mittelalters: Arbeit (Bochum/Dortmund, 23-26 Sep 26)

Ruhr-Universität Bochum und Technische Universität Dortmund, 23.–26.09.2026
Eingabeschluss : 15.10.2025
www.dvfk-berlin.de/call

Deutscher Verein für Kunstwissenschaft e.V., Deutscher Verein für Kunstwissenschaft e.V.

VIII. Forum Kunst des Mittelalters
Work | Arbeit
Spuren, Konstellationen, Wertungen
Traces, Constellations, Valuations
23.-26. September 2026

Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft lädt zum achten Mal herzlich zu einem Forum Kunst des Mittelalters ein, das 2026 in Kooperation mit Prof. Dr. Ulrich Rehm (Ruhr-Universität Bochum)
und Prof. Dr. Kirsten Lee Bierbaum (Technische Universität Dortmund) ausgetragen wird. Zu insgesamt 22 Sektionen werden nun Papers erbeten im Umfang von 300 Wörtern, die den jeweils vorgeschlagenen Themenansatz diskutieren. Vorträge dauern maximal 20 Minuten.
Wir bitten um Verständnis, dass pro Vortrag nur eine Referentin / ein Referent vorgesehen ist und dass nur eine Einsendung pro Person akzeptiert werden kann. Konferenzsprachen sind vorrangig
Deutsch und Englisch. Nach der Zusendung werden die Beiträge von Beirat und Sektionsleitungen geprüft; Sie erhalten Ende des Jahres Nachricht über die Auswahl. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Webseite https://www.dvfk-berlin.de/call/.
Einsendungen erfolgen bitte ausschließlich über die Webseite https://www.dvfk-berlin.de/forum/ – per Mail zugesendete Einreichungen können nicht berücksichtigt werden.

SEKTIONEN:
(Sektion 9-19-22 werden nur auf Englisch ausgeschrieben.)

(1) Das „künstlerische Moment“ in Rechnungen, Verträgen, Werkbeschreibungen und (Selbst)darstellungen im Hochmittelalter

Jens Rüffer

Mittelalterliche Werkprozesse sind zwar arbeitsteilig organisiert, doch lag die Verantwortung – nicht zwingend die Ausführung – beim Werkmeister. Die Anfänge künstlerischer Selbstwahrnehmung beginnen dort, wo in der Vergütung eine Gratifikation deutlich wird, die über den Zeit- oder Werklohn hinausgeht, sei es durch Bonuszahlungen, inschriftliche Repräsentation des Werkmeisters oder andere Statussymbole. Diese materielle Vergütung oder immaterielle Anerkennung honoriert das, was man retrospektiv als künstlerischen Mehrwert bezeichnen kann. In Norditalien setzte sich diese Art der Gratifikation früher durch als nördlich der Alpen. Es stellt sich generell die Frage, ab wann dieses Phänomen aufzutreten beginnt, in welchen geographischen Regionen es zu beobachten ist und in welchem sozialen Gefüge (Kloster, Stadt, Hof) es auftritt. Des Weiteren ist nach jenen Personen und Personenkreisen zu fragen, die darüber befunden haben, ob und wie hoch diese „Sondervergütung“ ausfiel.
Es ist eine Vielzahl von Rechnungen bzw. Verträgen überliefert, in denen sich derartige Hinweise auffinden lassen (Bauhandwerker, Goldschmiede, Tischler, Glasmaler etc.). Zuweilen geben diese Dokumente auch über den Werkprozess selbst Auskunft, über Arbeitsteilung, Eigen- oder Fremdleistung, Hierarchien innerhalb der Werkstatt, die Gründung einer temporären objektbezogenen Arbeitsgemeinschaft oder die Fertigung nach eigenem oder fremdem Entwurf. Diese „Realien“ können mit Beschreibungen von Objekten kontrastiert werden, die primär nicht der rhetorischen Strategie der Ekphrasis folgen, sondern näher das beschreiben, was in der Betrachtung erlebt wird. Diesbezüglich sind alle Beschreibungen interessant, auch wenn sie nichts über jenes Moment zum Ausdruck bringen, dass aus heutiger Sicht als das „künstlerische“ gilt. Denn dies ist auch eine Aussage über die Wahrnehmung dieser Art von Arbeit. Schließlich gibt es verschiedene mittelalterliche Visualisierungen, die Werkmeister oder Werkprozesse abbilden, Inschriften, die Werk und/oder Meister loben, die ebenfalls quellenkritisch auf ihren Aussagewert zu prüfen sind. Hier hat die ältere Forschung viel hineininterpretiert.
Gesucht werden Beiträge, die die oben genannten Quellengattungen exemplarisch auf das „künstlerische“ Moment kritisch hinterfragen. Da Norditalien hier eine Vorreiterrolle spielt, sollten trans- und cisalpine Quellen nicht ohne Grund vermengt werden. Sie können jedoch sozialhistorisch miteinander verglichen werden.

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(2) Arte-factum. Theoriebildung durch Arbeitspraxis in den Künsten des Mittelalters

Heike Schlie

In der Sektion soll diskutiert werden, inwieweit die Bildung einer Kunsttheorie im Mittelalter in den unterschiedlichen Gattungen durch die Arbeitspraxis selbst und ihre materiellen und technologischen Bedingungen generiert wird. Trotz weitreichender Forschungen zur Werkrezeption und zum mittelalterlichen Künstlerselbstverständnis hält sich immer noch eine Vorstellung, im Mittelalter habe es ‚Handwerk‘, in der frühen Neuzeit unter neuen Bedingungen ‚Kunst‘ gegeben. Es wird in der Regel übersehen, dass es überhaupt erst das christliche Mittelalter war, das eine Neubewertung der artes mechanicae ermöglichte: Ihre Arbeit und ihre Produkte galten als nichts Geringeres als eine partielle Restitution des Paradieses unter irdischen Bedingungen, folglich die Schöpfung der artes mechanicae als Nachfolge der Schöpfungsmacht Gottes. Doch nicht nur die Schöpfungsexpertise des artifex, auch die materiellen Bedingungen der Artefaktherstellung waren in das Konzept eingebunden. Material, Materialwirkungen, Werkzeuge und Techniken sind in diesem System nicht irdisch-kontingent, sondern in Schöpfung und Heilsplan dazu vorgesehen, der Verherrlichung Gottes zu dienen und jede Art von Wissen zu generieren. Dies hat sowohl Konsequenzen für den Status des artifex als auch für die Produkte der artes. Gleichzeitig arbeiten die Künstler mit verschiedenen Strategien, ihre Werke in eine Verbindung zu den artes liberales zu bringen (z.B. Geometrie: Architekturzeichnung, Optik: Ölmalerei, Arithmetik: Bronzeguss). In theologischen Schriften werden sowohl die artes als auch Materialien und Techniken theoretisiert und allegorisiert, wodurch sich eine Verdichtung des Diskurses ergibt, der sich ebenfalls in der Eigenargumentation der Werke zu ihrer Arbeitspraxis niederschlägt. Schließlich gehören diese Allegorisierungen zu den Theoremen der Theologie, die gleichsam im Handwerk generiert werden.
Mögliche Themenfelder und Leitfragen:
• Sichtbarmachen, Bedeutung und Theoretisierung von Material- und Technikprozessen im gemachten Werk
• Künstlerisches Praxiswissen als Beitrag zur Theoriebildung
• Symbiosen statt Dualismen von Form und Materie, Theorie und Praxis: Betrachtungen von Quellentexten (z.B. Kunsttheoretische Traktate, Rezeptbücher, theologische Schriften) sowie konkreten Bildwerken
• Bild- und kunsttheoretische Begriffe, Konzepte (z.B. Mimesis, Perspektive), Metaphern (z.B. Fenster, Spiegel, Schleier), Grundkategorien (z.B. Transparenz/Opazität): Inwiefern lassen sich diese stärker vom Material her und aus der künstlerischen Praxis heraus (über-)denken?
• Künstlerische Selbstreflexivität zwischen Theorie und Praxis (z.B. in Künstlerselbstdarstellungen, Lukasbildern, Signaturen, etc.)

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(3) Künstler bei der (kommunalen) Arbeit: Bildgestaltung und Stadtverwaltung

Masha Goldin

Welche Berührungspunkte gab es zwischen künstlerischer Arbeit und städtischer Verwaltung im Spätmittelalter? Diese Sektion greift diese Frage auf, indem sie Fallstudien untersucht, in denen künstlerische Praxis und kommunale Herrschaft miteinander verknüpft wurden. Solche Verbindungen zeigen sich besonders deutlich in den Oeuvres von Künstlern, die neben ihrer Werkstattarbeit auch als städtische Beamte tätig waren. Beispiele hierfür sind Tilman Riemenschneider, der zwischen 1520 und 1525 als Bürgermeister von Würzburg amtierte, sowie der produktive Illuminator Diebold Schilling, der zwischen 1481 und 1515 als Gerichtschreiber von Bern diente. Wie beeinflussten sich diese beiden Rollen gegenseitig? Viele andere Künstler übernahmen offizielle Funktionen in Stadträten, häufig als Folge ihrer Mitgliedschaft in Zünften. Gleichzeitig wurden Bildhauer, Maler, Goldschmiede und andere, in verschiedenen Medien tätige Kunsthandwerker ohne offizielle Titel von Städten beauftragt, künstlerische Projekte für kommunale Zwecke umzusetzen. Wie wirkte sich die kommunale Förderung auf die Produkte künstlerischer Arbeit aus? Welche Artefakte wurden in der bürokratischen Arbeit der Stadträte verwendet oder produziert?
Die Sektion möchte die Diskussion erweitern und lädt Beiträge ein, die sich mit protokuratorischen und stadtplanerischen Praktiken beschäftigen, wie sie oft von städtischen Autoritäten ausgeübt wurden, z. B. bei der Inszenierung von Objekten wie städtischen Insignien oder Beute oder bei der Konzeption visueller Programme für öffentliche Räume. Welche Überlegungen leiteten Stadtverwaltungen, wenn sie Aufträge für Infrastrukturen wie Stadtmauern, Handelsanlagen oder Gefängnisse vergaben? Und wie wirkten sich künstlerische Techniken, Probleme und Diskurse auf die städtische Regierung aus? Beiträge, die sich mit diesen oder verwandten Fragen in Bezug auf verschiedene spätmittelalterliche Kulturen und städtische Zentren befassen, sind willkommen.

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(4) Stein verbindet – Bauhüttennetzwerke vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert

Katja Schröck

Die mittelalterlichen Großbaustellen der Kirchenbauten waren nicht nur Orte der künstlerisch-handwerklichen Produktion, sondern auch Knotenpunkte komplexer personeller und materieller Netzwerke. Die überregional vernetzten Bauhütten ermöglichten den Transfer von Wissen, Entwurfsmodellen und technischen Lösungen ebenso wie die Mobilität von Werkmeistern, Steinmetzen und Bildhauern. Die Baustellen des Ulmer und des Berner Münsters stehen exemplarisch für eine künstlerisch-handwerkliche Praxis, die weit über den jeweiligen Standort hinaus vernetzt war. Bereits im Mittelalter lassen sich enge fachliche Kontakte zwischen den Bauhütten nachweisen – diese Achse ließ man im 19. Jahrhundert wieder aufleben.
Die Kontinuität der Bauhütten wurde jedoch vielfach aus unterschiedlichen Gründen im ausgehenden Spätmittelalter aufgegeben. Im langen 19. Jahrhundert besann man sich im Zuge diverser Vollendungsbestrebungen wieder auf die Tradition der Bauhütten.
Diese Sektion nimmt unter anderem die personellen, materiellen und ideellen Verbindungen zwischen Bauplätzen zum Vorbild, um die Dynamiken mittelalterlicher Kunstproduktion im Sinne von „Arbeit“ und den fortgesetzten oder wieder aufgenommenen Strukturen neu zu befragen: als kooperative Praxis, als sozial eingebetteter Prozess und als Gegenstand gesellschaftlicher Bewertung. Ziel wird dabei sein, wie sich Arbeitsprozesse, Akteurskonstellationen und Netzwerke im mittelalterlichen Bauwesen rekonstruieren lassen – und wie diese im 19. Jahrhundert (re)konstruiert, erinnert und produktiv gemacht wurden.

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(5) Ora et labora? Im Mittelalter über künstlerische Arbeit reden und schreiben

Bruno Klein

Der Wert körperlicher Arbeit wurde in der langen Epoche des Mittelalters ambivalent betrachtet: Laut Max Weber entwickelten sich aus einer eher negativen, auf die Antike zurückgehenden Einschätzung solcher Arbeit erst im Spätmittelalter Vorläufer jener „Protestantischen Ethik“, die Arbeit als wesentlichen Inhalt eines erfüllten Lebens sieht.
Das Verb „laborare“ (lat.: plagen, mühen) kommt in mittelalterlichen Künstlerinschriften jedenfalls kaum vor, und selbst im frühneuzeitlichen Paragone wurde noch ganz in der genannten Tradition der geistigen Arbeit der Vorrang vor der körperlichen eingeräumt.
Wie aber wurde über künstlerische – von körperlicher bis zu konzeptueller –Tätigkeit im Mittelalter geredet und geschrieben? Denn sie war ja Realität und verlangte bzw. absorbierte beispielsweise beim Bau der großen Kathedralen oder Stadtkirchen samt ihrer Ausstattung eine Menge der zur Verfügung stehenden Arbeitsleistung. Spiegelt sich das in Schriften eventuell nicht in adäquatem Maße, weil die Produzenten von Texten nicht zur Gruppe der körperlich arbeitenden Personen gehörten oder gehören wollten?
Wie und (ab) wann wurde solche Arbeit in Traktaten, Lehrbüchern, Werkverträgen oder ständischen Ordnungen erwähnt und benannt, direkt oder indirekt, z.B. bei der Festlegung einer maximalen Arbeitszeit? Oder auch in narrativen Quellen wie denjenigen zum sogenannten Karrenkult, d.h. dem kollektiven körperlichen, zugleich auch gottesdienstähnlichen Einsatz für den Bau von Kirchen?
In der Sektion sind Beiträge erwünscht, die sich anhand von einzelnen oder mehreren Quellen speziell oder auch systematisch mit dieser Frage auseinandersetzen. Beispielsweise dadurch, dass konkrete bauarchäologische oder Rechnungsbüchern zu entnehmende Befunde zum Arbeitsaufwand zu deren weiterer schriftlicher Erwähnung und Wertschätzung in Beziehung gesetzt werden.
Besonderes Interesse besteht daran zu erfahren, ob und (ab) wann es eine spezielle Bewertung künstlerischer Arbeit gegeben hat und wie diese definiert wurde. Seitenblicke auf bildliche Darstellungen, deren Analyse zu Klärung dieser Fragen beitragen können, sind durchaus erwünscht.

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(6) Arbeitsweisendes Ornament

Irina Dudar

Ornamente entstehen durch meist geordnete und strukturierte Wiederholung von Einheiten. Um diese zu produzieren, sind per Definition repetitive Arbeitsabläufe erforderlich. Sie verlangen deshalb auch nach bestimmtem Werkzeug, das wiederholbare Formen oder Motive – und dies meist in effizienter Weise – erzeugen kann: Stempel, Schablonen, Punzen, Druckstöcke usw. Aber auch die in bestimmten Abständen mehr oder weniger exakten Wiederholungen einfacher Gesten können Ornamente schaffen; ein Vorgang, der oft durch die Eigenschaften des menschlichen Körpers bestimmt wird.
Während Ornamente in der mediävistischen Kunstgeschichte vielmehr als Endergebnisse von kreativen Schöpfungsprozessen gesehen wurden, wurde mit der Arbeit am Ornament als repetitivem Prozess selbst weniger geforscht. Ersteres diente positivistischen Zwecken wie der Händescheidung und Attribution, in den letzten Jahren vermehrt der Erarbeitung von know how, Materialbeschaffung und dessen Einsatz. Gleichzeitig wurde die kognitive und affektive Wirkung des Ornaments stets von der Rezipient:innenseite beleuchtet.
Diese Sektion möchte vielmehr die kognitive Dimension von Ornamenten und ihrer Wiederholbarkeit von der Seite der Arbeitenden denken, die an der Schnittstelle zwischen Idee und materieller Umsetzung, Konzeption und Arbeitsvorgängen stehen. Repetitive Gesten, konzeptuelle Repetitionen, aber auch materielle, sich wiederholende Prozesse könnten dahingehend befragt werden, sowie die sich wiederholenden Arbeitsformen, die die Ornamente hervorbringen. Von Interesse können auch verkörperte Kenntnisse über Materialien, Werkzeuge und den Körper selbst sein, wie diese verkörperten Kenntnisse wiederum in die kognitive Arbeit der Planung des Ornaments für bestimmte materielle Gegebenheiten einfließen. Beitragende werden eingeladen, über folgende Fragen nachzudenken:
• was passiert an der Schnittstelle zwischen Planung und Improvisation im Schaffen ornamentaler Gestaltungen von Flächen?
• wie werden ornamentale Improvisationen eingeübt?
• wie beeinflussen verkörpertes Wissen und Technik die Planungsprozesse des Ornaments?
• wie wird wiederum das Wissen durch repetitive Arbeitsformen, inklusive iterative Planung ähnlicher Aufgaben, erzeugt?
• wann und wie werden die im ornamentalen Schaffen erlernten Techniken in figurale Formen umgesetzt?

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(7) Technische Reproduzierbarkeit und ästhetische Norm – Aspekte von Serienproduktion im Mittelalter

Juliane von Fircks

Standardisierte Arbeitsvorgänge, die unter Verwendung identischer Materialien, Techniken und Formen im Endresultat zu einander ähnlichen Artefakten führten, gab es in zahlreichen mittelalterlichen Künstlerwerkstätten. Ein typisches Beispiel hierfür sind die Ateliers von Limoges, die seit dem 12. Jahrhundert auf hochentwickelter technologischer Basis eine ganze Bandbreite von materiell und ästhetisch hochwertigen Objekten herstellten, die für unterschiedliche Funktionen im Zusammenhang des christlichen Kults und der höfischen Kultur bestimmt waren. Die aus den Limousiner Werkstätten hervorgegangenen Vortragekreuze, Reliquienkästchen, Buchdeckel, Bischofskrümmen und Schmuckplaketten reproduzieren gestalterische Normen, wie sie sich für die jeweiligen Objekttypen bereits über einen längeren Zeitraum hinweg etabliert hatten. Die an die Emailtechnik gebundenen, sich wiederholenden Charakteristika wie Farbgebung, Figurenbildung und Ornamente sicherten den Artefakten einen hohen Wiedererkennungswert.
Zusammen mit dem auf Kostbarkeit abgestellten Erscheinungsbild dürfte dies für den breiten Absatz der Objekte in ganz Europa verantwortlich gewesen sein. Ähnliche Phänomene lassen sich auch in Bezug auf die Werkstätten der Elfenbeinschnitzer, Seidensticker, Goldschmiede oder Siegelschneider aufzeigen.
Nur auf den ersten Blick ganz anders erscheinen die Aspekte seriellen Produzierens in den Werkstätten des 14. und 15. Jahrhunderts. Gerade in jener Zeit als die Namen einzelner Künstler einen hohen Bekanntheitsgrad erreichten, zeigten sich Maler und Bildhauer nördlich und südlich der Alpen besonders offen für die Ökonomisierung ihrer Arbeit. Experimentiert wurde mit der Vervielfältigung von Köpfen, Figuren, Kompositionen sowie bestimmter Details aus Kleidung und Rüstung. Dabei kamen Kartons und Schablonen zum Einsatz, darunter mechanische Stoffimitationen wie der Pressbrokat. Die Bildhauer griffen zu Materialien wie Kunststein und Ton, die es ihnen erlaubten, Figuren und Kompositionen identisch zu wiederholen. In zeitlicher Parallele dazu wurde der Druck von Mustern und Bildern auf Stoff und Papier erfunden, der die mediale Landschaft Europas tiefgreifend verändern sollte.
Die Sektion nimmt künstlerische Gattungen und Techniken aus dem Hoch- und dem Spätmittelalter entlang folgender Fragen in den Blick: In welchem Verhältnis standen die ökonomisierten Arbeitsabläufe und das Erscheinungsbild des fertigen Werks? Wurden standardisierte Verfahren einschließlich des mechanischen Reproduzierens in erster Linie genutzt, um effektiver und mehr herstellen zu können oder ging es auch um die Sicherung einmal gefundener ästhetischen Standards oder die Reproduktion bestimmter „Urbilder“? In welchem Verhältnis standen effektive Formwiederholung und Stil? Wie verliefen die arbeitsteiligen Vorgänge im Einzelnen, wer lieferte die Entwürfe und welche Art von Qualitätskontrollen gab es? Wer zeichnete als Autor/als Autorin? Für welche Abnehmerkreise waren die Werke bestimmt und wie war der Absatz organisiert? Wurden die betreffenden Kunstwerke und Artefakte auch in der Rezeption als seriell erzeugt wahrgenommen? Unter welchen Bedingungen konnten seriell bzw. mit standardisierten Arbeitsverfahren erzeugte Objekte, Bilder, Skulpturen in Kult und sozialer Praxis auratische Wirkung und jenen Status unverwechselbarer Einzigartigkeit erlangen, den Walter Benjamin als Essenz des Kunstwerks im vorindustriellen Zeitalter bezeichnet hat?

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(8) Zwischen Werk, Wissenschaft und Wunder: Automaten und die (Un-)Sichtbarkeit von Arbeit

Joanna Olchawa

Automaten zählen zu den bemerkenswertesten Objekten mittelalterlicher Kunst-, Wissenschafts- und Technikgeschichte. Ob in Gestalt von Uhren, Brunnen, Orgeln, Dampfapparaten oder figürlichen Ensembles scheinen diese Werke sich von allein zu bewegen, Klänge herzustellen oder komplexe Abläufe zu vollziehen. Angetrieben durch Pneumatik, Hydraulik oder fein abgestimmte Mechanik erzeugen sie die Illusion der ‚Arbeit ohne Arbeiter‘ und irritieren damit basale Vorstellungen von Arbeit oder (transzendenter) Schaffenskraft. Auch wenn die zugrundeliegenden Funktionsweisen des Öfteren verborgen bleiben, muss dennoch Arbeit verrichtet werden, um sie überhaupt zum ‚Laufen‘ zu bringen und zu halten. Dies wiederum erforderte teilweise hochspezialisierte Werkstätten. So kreieren Automaten ein recht ambivalentes Bild von Arbeit und verwischen die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk bzw. Werk, Wissenschaft und Wunder.
Die Sektion widmet sich der bislang wenig untersuchten Verbindung von Automaten (aus dem lateinischen Westen, Byzanz sowie Gebieten unter islamischer Herrschaft) und Arbeit zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung. Sie interessiert sich insbesondere – wenn auch nicht ausschließlich – für: 1) die ‚arbeitenden‘ Mechanismen wie Zahnräder, Gewichte, Seilzüge und andere technische Komponenten; 2) die gesellschaftliche Verortung der an der Herstellung Beteiligen und dementsprechend die Frage, wer diese Objekte entworfen, gebaut und gewartet hat; 3) die Bedeutungsaufladung von Arbeit, die durch Automaten sichtbar bzw. verborgen wird und die zeitgenössischen Vorstellungen von menschlicher, maschineller und ‚göttlicher‘ Wirksamkeit sowie 4) Epochenzuschreibungen, zumal Automaten häufig mit der Frühen Neuzeit oder der Moderne assoziiert werden, auch wenn sie im Mittelalter bekannt, bewundert und in vielfältige visuelle wie auch materielle Kontexte und Diskurse eingebunden waren.
Durch die Verknüpfung von technikgeschichtlichen, sozialhistorischen und bildtheoretischen Ansätzen möchte die Sektion dazu beitragen, das Phänomen des Automaten als Brennpunkt mittelalterlicher Arbeitskonzepte zu erschließen und zugleich die kunsthistorischen Debatten um das Verhältnis von Kunst und Technik, Natur und Kultur, Handwerk und Imagination, Spiel und Ernst neu zu perspektivieren.

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(9) Working with Fire: Collaborative Art(Work) across Pyrotechnologies

Hallie G. Meredith

Fire, long regarded as one of the fundamental natural forces and elements, is universallyaccepted as vital to human life. Mediated by human action, the controlled application of fireunderpins a vast array of historic technologies, from clay crafts (baked bricks, clay pipes, pottery)to metal production (copper alloy, gold, silver) and silica-based arts (faience, glass, porcelain). Acrucial aspect of craftwork involving fire is the transformation produced. Transformative craftschange raw materials through pyrotechnology or chemical processes to create a new material.The fundamental question that underpins this proposed session concerns the interactivitybetween craftworkers and the elements - not only fire but also air, water, and nature writ large -during the dynamic late Antique/early Medieval era (c. 4th-6th centuries CE) and throughout theMedieval period.The focus of this session will be the art(work) that embodies and communicates suchinteractivity. Pyrotechnic industries, for example, relied on tools, such as braziers, furnaces andkilns (often made of earth), that served to some extent as a means of containing, gradating, andmanipulating fire, which cannot happen without air. These industries included the production ofceramics, encaustic, glass, lime, metal, and even the heating of baths, among others. Scholarsstill commonly approach pyrotechnologies as isolated and independent, but many of these werelikely interconnected activities, with overlap in terms of labour, skill sets, tools, locations, as wellas marketing and trade. The possibility of such networks is relevant to the burgeoning study ofinter-industry relations or cross-craft.The constellations of collaborative making may include the relations between craftworkers, theimagined exchange between a human labourer and a divine creator, or the interaction between ahuman worker and one or more non-human, engineered materials. Inter-industry relations andhow they may have impacted the division of labour and the notion of a specialist are alsopotentially fruitful areas of enquiry. The overall goal of this session is to highlight the place ofthe materials themselves in shaping the realities of craftwork - and craft society - in earlyMedieval history, bringing to light transformations both within and beyond.

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(10) Arbeiten am Objekt. Wieder- und Weiterverwendung als kunsthistorischer Ansatz

Carolin Gluchowski

Wann ist die Arbeit an einem Objekt abgeschlossen? Wann gilt ein Kunstwerk als vollendet – mit dem letzten Pinselstrich? Mit dem Begleichen der Rechnung? Mit der Übergabe an die Auftraggeber:in? Oder beginnt nach dem Abschluss der Arbeit am Objekt eine neue Phase: die Arbeit mit dem Objekt, sobald es in Gebrauch genommen wird?
Die Wieder- und Weiterverwendung von Kunstwerken ist keine Erscheinung der Moderne, sondern eine anthropologische Konstante, die sich epochen- und kulturübergreifend beobachten lässt. Auch im Mittelalter war das Umarbeiten, Überarbeiten, Anpassen, Transformieren, Integrieren, Erweitern und Beschneiden von Objekten gängige Praxis – aus pragmatischen, ästhetischen, religiösen oder symbolischen Gründen. Die kunsthistorische Forschung hat diesem Phänomen in den letzten Jahren zunehmende Aufmerksamkeit gewidmet und es mit Begriffen wie Reuse, Reframing, Deframing, Recycling, Appropriation oder Umsemantisierung theoretisch gefasst.
Die vorgeschlagene Sektion möchte den Blick auf den Prozess des kontinuierlichen Arbeitens am Objekt richten und damit den terminologischen und theoretischen Diskurs durch anschauliche Fallbeispiele erweitern. Eingeladen sind Beiträge, die vom Objekt aus denken und konkrete Praktiken der Umarbeitung in den Fokus stellen:
Welche materiellen Veränderungen lassen sich am Objekt nachzeichnen? Was bleibt erhalten, was wird ersetzt oder neu hinzugefügt? Welche intermaterialen Bezüge werden gelöst, umgeleitet oder geschaffen? Und mit welchen methodischen Instrumenten können Kunsthistoriker:innen diese Arbeitsspuren erkennen, rekonstruieren und interpretieren?
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach den Kontexten der Umarbeitung: In welchen historischen, religiösen, sozialen oder ökonomischen Situationen wurde die Arbeit am Objekt aufgenommen oder fortgesetzt? Was veranlasste Akteur:innen der Vormoderne zur Veränderung eines Objekts? Wer führte diese Arbeit aus – und wie wurden diese Personen wahrgenommen: als Künstler:innen, Handwerker:innen, Kreateur:innen oder Restaurator:innen?
Ziel der Sektion ist es, das Motto des Forums – Arbeit – wörtlich zu nehmen: als sichtbare, rekonstruierbare und kontextualisierbare Tätigkeit an mittelalterlichen Objekten. So soll ein Beitrag zur Diskussion über Werkprozesse, Objektbiografien, Autorschaft, (Inter)Materialität und die soziale Einbindung künstlerischer Produktion geleistet werden.

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(11) Arbeit mit Elfenbein – Material, Handwerk, Handel

Svea Janzen

Fragen nach der Arbeit – nach Produzenten, handwerklichen Abläufen und materialspezifischen Fertigungsmöglichkeiten – nehmen eine zentrale Stellung in der Erforschung mittelalterlicher Elfenbeinschnitzerei ein. Im 20. Jahrhundert ermöglichte die Stilkritik die geografische und zeitliche Einordnung vieler Werkgruppen sowie die Rekonstruktion individueller Künstler- oder Werkstatt-Oeuvres. Darauf aufbauend und beflügelt durch das wachsende Interesse an den Artefakten der materiellen Kultur eines ‚globalen Mittelalters‘ hat die Elfenbeinforschung jüngst eine neue Dynamik entfaltet, in deren Zuge Fragestellungen und Methoden erweitert und differenziert wurden. Das Thema der Arbeit mit dem kostbaren Rohstoff und seinen günstigeren Alternativen prägt dabei nach wie vor zentrale Inhalte:
Forschungen zu Bezugsquellen und dem Handel mit Werkstoffen wie Elefantenstoßzahn und Walrosszahn haben zu einem besseren Verständnis der großen Entwicklungen in der Elfenbeinkunst beigetragen, während durch Quellenstudien und die Auswertung archäologischer Fundzusammenhänge das Bild der beinverarbeitenden Gewerbe und der Käuferschaft verfeinert wurde; Objektuntersuchungen zur Materialbearbeitung haben Kenntnisse zu Herstellungsprozessen zwischen individueller Auftragsarbeit und serieller Produktion generiert; und schließlich birgt die Einbindung bislang wenig beachteter Gebrauchsgegenstände (Spiegel, Kämme, etc.) sowie von Artefakten geringeren Wertes und aus kostengünstigeren Surrogaten (Knöpfe, Würfel etc.) das Potenzial, mittelalterliche Alltagskultur und Handwerksorganisation neu zu beleuchten. Nicht nur bieten solche Ansätze Raum für weitere Forschung, unausgeschöpft blieb in der in „Romanik“ und „Gotik“ gegliederten Forschungslandschaft bislang auch die Möglichkeit, Fragestellungen in vergleichender Bezugnahme über das ganze Mittelalter hinweg in den Blick zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund ruft die vorgeschlagene Sektion auf zu Beiträgen, die sich mit allen Aspekten der Arbeit mit Elfenbein und seinen verwandten organischen Materialien (Walross- und Narwalzahn, Knochen, Geweih, Horn) im Mittelalter befassen. Potenzielle Themen für Beiträge sind: Rohstoffhandel und -verfügbarkeit; Herstellungstechniken und Bearbeitungsspuren; Bearbeitungsschritte zwischen Orten und Gewerken; die Produktion einzelner Werkstätten; Arbeitsorganisation und Zusammenarbeit mit anderen Gewerken; Ressourcennutzung und Umgang mit dem kostbaren Rohmaterial; Elfenbeinschnitzer zwischen Stadt, Hof und kirchlichen Institutionen; der Markt für Elfenbein-Artefakte (Auftraggeber, Käufer, Zwischenhändler etc.); u.v.m. Willkommen sind Beiträge von Kunsthistoriker/-innen ebenso wie von Restaurator/-innen, Historiker/-innen und Archäolog/-innen.

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(12) Coworking Spaces – Gemeinsames Arbeiten im Mittelalter

Julia von Ditfurth

In modernen Coworking Spaces kommen Menschen aus unterschiedlichen Berufsfeldern zusammen, um in einer inspirierenden Arbeitsatmosphäre produktiv zu arbeiten und vom gegenseitigen Austausch zu profitieren. Schon in den Bauhütten der gotischen Kathedralen stand den verschiedenen Gewerken eine Plattform zur Verfügung, die den medienübergreifenden Austausch beförderte und damit die Voraussetzungen für künstlerische Innovationen schuf. Die Romantik hat zwar die Bedeutung dieser Zusammenarbeit begriffen, doch trieb die Akademisierung unseres Fachs einen Keil zwischen die sogenannten „schönen“ und „angewandten“ Künsten und vernachlässigte den Blick auf das komplexe Zusammenspiel der einzelnen Bildmedien zugunsten isolierter gattungs- oder medienspezifischer Betrachtungsweisen.
In dieser Sektion soll der Fokus auf die unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit von Glasmalern mit anderen Bildkünsten gelegt, die kommunikativen Abstimmungsprozesse untersucht und die Chancen sowie Grenzen kooperativer Tätigkeit ausgelotet werden.
Erwünscht sind Beiträge, die das Verhältnis von Glasmalerei und Architektur in den Blick nehmen: Als baugebundenes Medium bedurfte die Glasmalerei der engen Abstimmung mit den Architekten und Steinmetzen. Dabei wirft die Nähe der auf Glas gemalten architektonischen Rahmenformen zur gebauten Architektur die Frage des Vorlagenaustauschs auf. Welche Rolle kam den Glasmalern bei der Mitentwicklung neuer Schmuckformen zu und welche Folgen ergaben sich daraus für die Arbeitsweise der Glasmaler?

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(13) Die Arbeit der Goldschmiede

Rebecca Müller

Die Voraussetzungen für ein Verständnis der "Arbeit der Goldschmiede" erscheinen auf den ersten Blick sehr gut: Die Objekte werden zunehmend im Sinne einer interdisziplinären ‚Technical Art History‘ untersucht, und wir verfügen mit Texten wie der Schedula diversarum artium über Quellen mit u.a. praktischen und künstlersoziologischen Dimensionen. Zumal für die Zeit vor 1300 lassen sich jedoch, jenseits der wenigen häufig herangezogenen Quellen und Objekte, überraschende Desiderate zu den konkreten Kontexten und Bedingungen der Produktion von Goldschmiedearbeiten benennen: Desiderate zu Ausbildung, Grad der Spezialisierung, geographischem Radius, Material- und Werkzeugbeschaffung und zu der Arbeitsorganisation von Goldschmieden – zumal angesichts des oft kompositen Charakters von Goldschmiedearbeiten, die eine Vielzahl von Techniken und Materialien verbinden können. Die Sektion lädt zu Fallstudien und übergreifenden Überlegungen zu diesen Themen ein, auch aus dem Bereich der Islamischen und der Byzantinischen Kunstgeschichte.
Mögliche Fragestellungen sind dabei, der übergreifenden Idee zu diesem Forum folgend: Welche Schlüsse lassen sich aus den Objekten selbst für den Arbeitsprozess ziehen, aus Material, Technik, Werkzeugspuren, Überarbeitungen, Veränderungen etc., aber auch aus Bildern und Inschriften? Inwieweit kann ein serielles, arbeitsteiliges Arbeiten festgestellt werden? Wie gaben Goldschmiede selbst Anweisungen (z.B. Versatzmarken), und für wen sollten sie verständlich sein: für die Montage oder für den Gebrauch? Warum blieb etwas unvollendet, wurde neu verwendet oder verworfen? Wie wurden Arbeitsspuren in der Objekt- und in der Forschungsgeschichte rezipiert, wie ging man mit ihnen um, und als was wurden sie gelesen? Auch nach den Materialien und Medien ist zu fragen, die in die oft komplexen Entstehungsprozesse involviert waren, aber vom Objekt getrennt oder "unsichtbar" blieben (z.B. Zeichnungen, Wachsmodelle, Füllungen von Treibarbeiten, Holzkerne).
Inwieweit geben uns daneben Schriftquellen Auskunft über die Produktion von Goldschmiedekunst und ihre sozialen Kontexte, und welche Aussagen lassen sich aus ihnen zu Werkstattorganisation, Arbeitsteilung, technischen Prozessen, dem Gelingen, aber auch Misslingen von Aufträgen erschließen? Auch für diesen Bereich ist die Frage nach benennbaren Veränderungen und nach Zuschreibungen von Epochendifferenzen zwischen "Mittelalter" und "Früher Neuzeit" besonders relevant, wie ohnehin mit Blick auf die Bewertung der Goldschmiedekunst.
Vorschläge aus allen mit Goldschmiedekunst befassten Feldern und Einrichtungen sind willkommen, zumal auch aus Museen und den Restaurierungswissenschaften.

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(14) Textile Arbeit im Mittelalter: Produktionsprozesse zwischen scientiae mechanicae und artes liberales

Corinne Mühlemann

Textile Arbeit gehörte im Mittelalter zu den komplexesten und wirtschaftlich bedeutendsten Produktionsbereichen. Zwischen handwerklicher Spezialisierung, künstlerischer Raffinesse, wirtschaftlicher Relevanz und sozialer Zuschreibung eröffnet sie ein weites Feld für die kunsthistorische Analyse textiler Artefakte. Diese Sektion widmet sich der Textilproduktion aus zwei miteinander verbundenen Perspektiven: Einerseits im Kontext historischer Wissensordnungen wie den scientiae mechanicae, andererseits anhand materieller Spuren, die Hinweise auf Fertigungsprozesse geben.
Das Wissen um die Rohstoffe, ihre Verarbeitung und Veredelung durch Färben und weitere Techniken reicht bis in die Antike zurück und findet sich in Schriften wie der „Naturalis historia“ von Plinius d. Ä. oder den „Etymologien“ von Isidor von Sevilla. Hugo von St. Viktor definierte im 12. Jahrhundert in seinem „Didascalicon“ als erste der sieben scientiae mechanicae – in Parallelität zu den sieben artes liberales – das lanificium, die Wissenschaft der Textilproduktion. Detaillierte Einblicke in Produktionsprozesse von Textilien bieten zudem schriftliche Quellen aus dem Mittelmeerraum, darunter Dokumente der Kairoer Genizah, ḥisba-Traktate oder der „Trattato dell’Arte della Seta“.
Diese Quellen informieren umfassend über die komplexen Abläufe, angefangen von der Rohstoffgewinnung und Verarbeitung zu Fasermaterial, über die Herstellung und Veredelung von Garnen bis hin zu textilen Flächen, gewebten und gewirkten. Diese Flächengebilde können bereits ein Endprodukt darstellen oder werden mit zunehmendem Aufwand, wie beispielsweise Malerei/Druck, Stickerei und/oder Schneiderei, zu Ausstattungselementen, Gewändern – liturgischen oder zeremoniellen – oder körperbetonter Kleidung weiterverarbeitet.
Für jeden dieser Arbeitsschritte ist die Praxis des Zählens und Messens essenziell: Während Zählen beim Webprozess (etwa beim Einrichten der Webstühle) unverzichtbar war, wurden exakte Masse erst im Handel und bei der Verarbeitung zu Kleidung relevant. Die Vielfalt mittelalterlicher metrologischer Standards sowie beeindruckende Weblängen weisen auf spezialisiertes ingenieurtechnisches Wissen und eine genaue Arbeitsteilung, die gerade bei künstlerisch hochstehenden Produkten in gestalterisch (scheinbar) beschränkten Techniken wie dem Weben augenfällig ist, hin. Der künstlerische Anspruch kann in diesem Kontext auch als Koketterie mit den artes liberales angesehen werden, z.B. bei freien Techniken wie dem Sticken durch eine gezählte, fadengebundene Ausführung. Dies kann durchaus als differenziertes Selbstbild der Schaffer:innen verstanden werden.
Die von Caroline Vogt und Corinne Mühlemann gemeinsam erarbeitete Sektion lädt zu Beiträgen über materielle Zeugnisse und schriftliche Quellen ein, welche die Produktionsabläufe, Arbeitsteilung und die Sichtbarkeit beteiligter Handwerker:innen und Künstler:innen und deren gesellschaftlichen Anspruch im mittelalterlichen Europa sowie der islamischen Welt beleuchten. Ebenfalls erwünscht sind Beiträge zur Forschungsgeschichte, insbesondere zur Wahrnehmung und Wertschätzung von Textilien und ihrer Produzent:innen im kunsthistorischen Diskurs.

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(15) Temposensorial Settings – Zeit und Sinnlichkeit im Kontext mittelalterlichen Arbeitens

Hanna Christine Jacobs

Vor dem Hintergrund des eng getakteten, beschleunigten Arbeitens in gegenwärtigen Zeiten der Rationalisierung, Digitalisierung und KI, bei dem einerseits Routinearbeiten in großer Flüchtigkeit erledigt und andererseits flow-Erlebnisse der arbeitsversunkenen Zeitvergessenheit gefeiert werden, fragen wir in dieser Sektion nach dem bewussten Erleben von Zeit und Sinnlichkeit im Kontext des mittelalterlichen Arbeitens bzw. arbeitsfreier „Festzeit“ und deren Niederschlag in Kunstwerken dieser Epoche.
Dabei sollen erstens Fragen der Zeitwahrnehmung adressiert werden: Wie lässt sich vor dem Hintergrund der engen Verbindung zwischen Arbeit und Tagesstruktur das bewusste Erfahren von Zeit beschreiben? Äußert sich in der Gestaltung der Artefakte etwas darüber, welchen Wert die Kategorie Zeit innerhalb ihrer Produktion, Funktion oder Rezeption besitzt? Wo, wie und wann wird in den Kunstwerken auf die Erfahrung von Zeit hingewiesen bzw. diese vermittelt? Inwiefern bergen sehr aufwendige Objekte (etwa Hartsteinschliffe, Goldschmiedearbeiten) den enormen Zeitaufwand, den ihre Produktion gekostet hat und beeinflusst das ihre Rezeption? Und beeinflusst die zeitliche Begrenztheit, mit der Objekte im Kontext ritualisierter Handlungen genutzt werden, deren Form? Lässt sich der traditionelle Medienbegriff der Kunstgeschichte um temporale, fluide, situative und prozessuale Aspekte erweitern?
Zweitens legen wir den Fokus auf den Aspekt der Sinnlichkeit im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess selbst und im Kontext von Ritualen, die als Gegensatz zu alltäglichen Arbeiten verstanden werden können: Wie wird das sinnliche Erleben in konkreten Nutzungssituationen bei der Herstellung mitgedacht, wie bestimmt sie die materielle Erarbeitung von Objekten? Wie leiten multisensorische materielle Affordanzen die Arbeit an den Werken? Und wie und wodurch werden die Objekte zum Bestandteil von Ritualen, die als innehaltende Pausen von wiederkehrenden Arbeiten inszeniert sind? Wie haben auch jene Menschen, die die liturgischen oder zeremoniellen Handlungen selbst nicht ausführen dürfen, über die produktive Arbeit an den darin verwendeten Objekten und ihrer festlichen Aktivierung Anteil?
Die Sektion möchte drittens auch danach fragen, welche Erkenntnischancen die praktische, sinnlich erfahrbare Arbeit mit 3D-Drucken, Virtual Reality und anderen digitalen Medien für die kunsthistorische Forschung bietet. Unter diesen und weiteren Aspekten „Temposensorialer Settings“ können in der Sektion die „Arbeits“-Schritte sowohl der Produktion, Nutzung als auch der Rezeption mittelalterlicher Kunstwerke untersucht werden.

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(16) Das Objekt im Fokus – zum Beitrag der Objekt-Autopsie für die kunstwissenschaftliche Forschung am Beispiel der Goldschmiedekunst

Stephan Patscher

Zu den erhaltenen Kunstwerken aus dem Mittelalter zählen auch Werke der Goldschmiedekunst. Sie zeichnen sich oftmals nicht nur durch die Verwendung hochwertiger Materialien, sondern auch eine hohe handwerkliche Qualität aus. Aufgrund der relativen Beständigkeit von Edelmetallen und vieler Dekormaterialien gegen Abbau- und Korrosionsprozesse sind sie vergleichsweise gut erhalten. Das gilt auch für Werkzeug- und andere Spuren, die auf die Herstellung weisen. Ähnlich verhält es sich bei Abnutzungserscheinungen durch den Gebrauch des jeweiligen Objektes. Entsprechend gut lassen sich diese Objekte der mittelalterlichen Schatzkunst einer Autopsie unterziehen, um die Materialien naturwissenschaftlich zu bestimmen, die Konstruktion zu ermitteln und Herstellungs- und Gebrauchsspuren zu erkennen und zu analysieren.
Doch in welcher Art und Weise kann eine derartige interdisziplinäre Autopsie dazu beitragen, den kunstwissenschaftlichen Kenntnisstand zu einem Objekt oder einer Objekt-Gruppe tatsächlich zu erweitern? Inwieweit gestattet sie etwa Rückschlüsse auf den Herstellungsprozess und damit auf das technologische und handwerkliche Wissen und Können zur Entstehungszeit? In welchem Maß eignet sie sich, um kunstwissenschaftliche Streitfragen lösen zu helfen, zum Beispiel hinsichtlich der Integrität eines Objektes, seiner Nutzung oder eben seines Entstehungsortes?
Erbeten werden Beiträge, in denen beispielhaft gezeigt werden kann, wie durch die breit angelegte Autopsie eines Einzelobjektes oder von Objektgruppen Fragestellungen aus der Kunstwissenschaft wie die oben genannten beantwortet werden konnten.

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(17) Arbeit am Original, Arbeit mit Publikum: Mittelalterliche Handwerkstradition im Museum der Gegenwart

Katja Triebe

Bildende Künstler:innen im Mittelalter hatten komplexe theologische Inhalte in eine adäquate Form zu bringen, durch ihrer Hände Arbeit also Kern und Facetten eines Themas buchstäblich Gestalt zu verleihen. Heute stellt die Präsentation und Vermittlung dieser Kunstwerke die Museumsarbeit vor altbekannte wie neue Herausforderungen. Meist handelt es sich um konservatorisch hochsensible, oftmals fragmentarisch überlieferte Objekte, die außerhalb ihres ursprünglichen Kontexts in kunsthistorischen Ordnungssystemen aufbereitet und inszeniert werden. Gleichzeitig wächst der ökonomische Druck auf Museen, ihre Arbeit zu legitimieren – gegenüber Geldgebern, Trägern und einem heterogenen Publikum, dessen Erwartungen es zu berücksichtigen gilt. Dabei zeigt sich, dass viele Besucher:innen über wenig spezifisches Vorwissen zur mittelalterlichen Kunst verfügen. Religiöse Bildwelten, liturgische Funktionen und theologische Inhalte sind vielfach nicht mehr selbstverständlich. Zugleich erfährt das Mittelalter in populärkulturellen Medien eine markante Konjunktur: Videospiele, Filme, Serien und Romane greifen mittelalterliche Stoffe auf – zunehmend auf historisch ambitionierte Weise. Diese Medien beeinflussen auch die Wahrnehmung des Mittelalters im Museum und kommen dort bereits gezielt zum Einsatz, um niedrigschwellige, aber inhaltlich anschlussfähige Zugänge zur Mittelalterkunst zu eröffnen. Dabei rücken oft die Werkstoffe, Arbeitsprozesse und -instrumente in den Vordergrund der Objektvermittlung. Ist es also die künstlerische Handarbeit, die uns durch die Jahrhunderte mit der Sakralkunst verbindet?
Die aktuelle Ausstellungspraxis mittelalterlicher Kunst ist formal und thematisch vielfältig. Sammlungspräsentationen, Schaudepots, Sonder- und Kabinettausstellungen werden zunehmend mit immersiven Formaten wie Rauminstallationen oder Virtual Reality kombiniert. Hinzu kommen Konfrontationen mit Objekten anderer Kulturen, zeitgenössischer Kunst und globalen Diskursen. Auch die museale Arbeit selbst rückt in den Fokus, etwa durch Einblicke in Provenienzforschung oder konservatorische Verfahren. Neue Strategien integrieren partizipative, inklusive und interdisziplinäre Formate, ergänzt durch Nachwuchsprojekte und institutionenübergreifende Kooperationen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Aspekte mittelalterlicher Kunst vermittelt werden (sollen)? Ist diese Vielfalt ein Gewinn oder eine Überforderung – und für wen?
Diese Sektion möchte die museale Arbeit reflektieren, um Antworten zu finden: Wie kann gelungene Vermittlungsarbeit mittelalterlicher Kunst heute aussehen? Im Zentrum stehen Fragen nach adäquaten Präsentationsformen im Spannungsfeld zwischen konservatorischen Anforderungen, religiöser Sensibilität, digitaler Transformation und wissenschaftlicher Verantwortung. Für wen und wie wollen und sollen die Museen arbeiten?
Erfahrungsberichte aus der Praxis, Konzepte, Analysen und Visionen sind herzlich willkommen!

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(18) Byzanz neu interpretiert: Spuren der Arbeit und Handwerkskunst in der Populärkultur

Antje Bosselmann-Ruickbie

Diese Sektion widmet sich der Frage, wie byzantinische Arbeit und handwerkliches Können in der globalen Populärkultur in vielfältigen visuellen und literarischen Medien – wie Film, Graphic Novels, Comics, Videospielen, Musikalben, Bühnenbildern und Kostümen – neu inszeniert werden und zur Herausbildung zeitgenössischer Vorstellungen von Byzanz beitragen. Diese Medien stellen für die breite Öffentlichkeit häufig den primären Zugang zu historischen Epochen dar.
Im Mittelpunkt steht die Frage der Bewertung: Werden diese Spuren der Arbeit mit historischer Genauigkeit und kontextuellen Nuancen dargestellt oder werden sie frei interpretiert? Zeugen die populären Darstellungen von einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit byzantinischen Vorbildern oder werden orientalistische Stereotype, ästhetischer Eklektizismus und romantisierte Vorstellungen von einem „verlorenen“ Reich unkritisch perpetuiert?
Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Netflix-Serie Vikings: Valhalla (2022–24), die den Wikinger Harald Hardrada im 11. Jahrhundert nach Konstantinopel begleitet. Während bestimmte architektonische und topografische Elemente auf die Verwendung zugänglicher wissenschaftlicher Rekonstruktionen hindeuten, ist die Darstellung der materiellen Kultur und der entsprechenden Arbeitsspuren – von Kostümen und militärischer Ausrüstung bis hin zu Innenarchitektur und Möbeln – weitgehend eine hybride Collage aus byzantinischen, westlichen, islamischen, osmanischen und modernen Designtraditionen, gespickt mit Klischees orientalischer Dekadenz und Erotik. Die Serie oszilliert demnach zwischen der Darstellung des Byzantinischen Reiches als historische Realität und mittelalterlicher Fantasy-Projektion.
Das Beispiel verdeutlicht den großen Spielraum künstlerischer Freiheit in der Populärkultur als autonome Kunstform und wirft kritische Fragen zur Dichotomie von historischer Genauigkeit und Authentizität auf. Wie prägen die byzantinische Kunst und Handwerkskunst das kulturelle Gedächtnis, wie zirkuliert und verändert sich Wissen über materielle Kultur, und wie erlangt es über den akademischen Rahmen hinaus Bedeutung? Wodurch wird die ästhetische Wahrnehmung und die memetische Übertragung beeinflusst?
Die zunehmende Verwendung von Byzanz als Referenzmodell spiegelt das wachsende Interesse wider, das jedoch mit begrenztem öffentlichem Wissen kontrastiert und viel Raum für phantastische, politisierte oder ideologisch aufgeladene Projektionen lässt – oft unter Vernachlässigung der materiellen Kultur. Durch die Einbeziehung sowohl visueller als auch literarischer Medien wollen wir dieses bisher wenig erforschte, aber jüngst zunehmend relevante Feld fördern.
Vorschläge von fortgeschrittenen Studierenden und Wissenschaftler:innen aller Karrierestufen sind willkommen.

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(19) Images that Operate: Representing Medical Knowledge & Labor in Medieval Scientific Manuscripts

Reed O’Mara

In medical texts like Roger of Salerno’s (c. 1080–1119) Surgery or John of Arderne’s (1307–1392) Fistula in ano, images of doctors and their patients—or simply parts of their bodies—visualize ailments and procedures in vivid detail. The roles such images as well as accompanying diagrams play in medieval scientific, especially medical, manuscripts from the later Middle Ages have yet to be fully analyzed. Their contextualization within the increasing professionalization of surgeons and other medical practitioners in the Middle Ages also remains to be seen. How these images and diagrams “work” in relation to and beyond the texts they accompany, and what they meant for the standardization of medical knowledge, including the development of its verbal and visual terminology, has only recently come under art historical investigation. The relationship between word, image, and the actual labor of medical practitioners and surgeons requires further study. Therefore, this session welcomes papers analyzing the creation, use, and reception of illustrated scientific works like, but not limited to, Fistula in ano, Galenic surgical treatises, and Robert of Salerno’s Surgery. Papers that investigate the shared medical traditions of Latin and Hebrew medical manuscripts are especially encouraged.
Guiding questions for papers include the following: how do the labors of the author, scribe, artist, and physician-reader in illustrated medical manuscripts all intersect? What are the limitations of using the term “illustrated” to describe such volumes? What is the necessity or value of having such robust and frequently repetitive image programs? What is the divide between the diagrammatic and the imagistic? What is the significance and purpose of diagrams within such volumes? What role does gender play in medical representation? How do the images and diagrams themselves perform and operate? How are patients and doctors alike figured and conceptualized within these image cycles and what is the cultural backdrop of these representations?

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(20) Monatsarbeiten – Monatsbilder

Gia Toussaint

Arbeit war in der weitgehend ruralen Gesellschaft der Vormoderne größtenteils an den Jahreslauf mit seinen Jahreszeiten und den ihnen eigenen klimatischen Bedingungen und Herausforderungen geknüpft. Ein festgefügtes Tätigkeitssystem strukturierte das gesamte Jahr von Januar bis Dezember und machte Arbeit zu einer zyklisch wiederkehrenden Tätigkeit. Von diesen Tätigkeiten zeugen die sog. Monatsarbeiten, die in einem bestimmten Monat zu erledigen waren, wie z.B. Weinlese im September.
Seit karolingischer Zeit sind Monatsbildzyklen in Handschriften erhalten. Ihre Integration in liturgische und paraliturgische Handschriften deutet auf den Stellenwert des von christlichen Festen und Heiligentagen strukturierten Kalenders mit daran geknüpfter spezifischer Arbeit. Während an hohen christlichen Festen die Arbeit weitgehend ruhte, waren Heiligentage punktuelle Merktage (z.B. „St. Martin bringt das Vieh in den Stall“, am 11. November). Auf diese Weise war die grobe monatliche Einteilung bis in die kleinere Einheit von (Heiligen)tagen durchorganisiert und zusätzlich an den günstigen Einfluss bestimmter Heiliger gebunden, deren Segen für die zu verrichtende Arbeit erfleht wurde. Darüber hinaus wurde Arbeit an kosmologische Einflüsse gekoppelt, herrschten doch in jedem Monat ein bestimmtes Tierkreiszeichen sowie eine individuelle Stellung von Mond und Sonne, deren spezifische Kräfte auf Natur und Mensch wirkten. Arbeit, Jahreszeit, Gestirne und Heiligengedenktage bilden eine festgefügte Einheit, die im Jahreslauf immer wieder neu erkannt und umgesetzt werden musste. Alle Arten von Arbeit, seien sie land-, jagd-, forst- und hauswirtschaftlich, unterlagen diesen Einflüssen und wurden nach ihnen ausgerichtet.
Mit Monatsarbeiten illustrierte Kalendarien waren probate didaktische Hilfsmittel und boten praktische sowie religiöse Orientierung. Sie stellten den arbeitenden Menschen in eine gottgewollte Ordnung, in der jede Arbeit ihren Platz hatte. Aber nicht nur Kalendarien in Handschriften sollen in dieser Sektion diskutiert werden, sondern ebenso die Frage nach der Funktion von Monatsarbeiten an Kirchenportalen und -ausstattung (z.B. Chartres) gestellt werden. Wie wird Arbeit in den Bildquellen thematisiert, als Plackerei, Sinnstiftung oder gar als Vergnügen? War die dargestellte Arbeit an spezifische Rezipientengruppen angepasst? Waren nur ‚gottgefällige‘ Tätigkeiten bildwürdig oder wurden auch Gewerbe an den Rändern der damaligen Gesellschaft dargestellt? Wie prägend sind die begleitenden Texte, um die Darstellungen laboral einzuordnen, oder können die Bilder auch ohne sie bestehen?

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(21) Tricks of the Trade: Die visuellen und materiellen Dimensionen der mittelalterlichen Sexarbeit

Rowanne Dean

(Sponsored Session ICMA)

In seiner Vita der „geretteten Prostituierten“ (die sich in eine „Crossdressing“-Asketin verwandelt hat), der heiligen Pelagia, beschreibt Jacobus Diaconus, wie Nonnus, ein Bischof von Antiochia, seinen männlichen Ordenskollegen vorwirft, ihre Augen von der Schönheit und dem Körperschmuck der Kurtisane abzuwenden. Er bittet sie, sie stattdessen als beispielhafte Lektion zu begreifen: So wie Pelagia Zeit und Aufmerksamkeit darauf verwendet, ihren Körper für ihre Liebhaber zu schmücken, so sollten auch die Bischöfe ihre Seelen auf ihren ewigen Bräutigam vorbereiten. In der Legenda Aurea heißt es ebenfalls, Pelagia habe sich „so sorgfältig geschminkt“, dass sie am Tag des Jüngsten Gerichts gegen diejenigen vorgeführt werden soll, die sich wenig Mühe geben, ihrem himmlischen Bräutigam zu gefallen.
Obwohl hier die kosmetische Arbeit einer Kurtisane positiv bewertet wird, wurde die Arbeit, die mit der Bereitstellung kommerzieller sexueller Befriedigung verbunden war, im mittelalterlichen theologischen, literarischen und rechtlichen Diskurs abwechselnd lediglich toleriert und aktiv verunglimpft. Aufbauend auf den klassischen Studien von u. a. Ruth Karras, Leah Lydia Otis und Jacques Rossiaud hat die jüngere Forschung die visuellen Dimensionen der mittelalterlichen Sexarbeit auf verschiedene Weise untersucht. Judith M. Bennet und Shannon McSheffrey haben das weibliche „Crossdressing“ im spätmittelalterlichen London erörtert, das mit Sexarbeit in Verbindung gebracht wurde; Jess Bailey hat Darstellungen von behinderten Prostituierten in den Zeichnungen von Urs Graf analysiert, und Jelle Haemers hat die materielle Kultur der Prostitution in den spätmittelalterlichen südlichen Niederlanden untersucht. In dieser Sektion soll der Frage nachgegangen werden, wie die Sexarbeit in der materiellen und visuellen Kultur des Mittelalters thematisiert wurde. Wie wurden Prostituierte dargestellt? Wie stellten sie sich selbst dar? Und wie wurden die Betrachter in ihre visuelle Wahrnehmung einbezogen? Die Beiträge könnten sich mit folgenden Themen befassen: die visuelle Markierung des Körpers der Prostituierten durch Kleidungsvorschriften; die Frage der Sexarbeit als Handwerk oder Gewerbe; Darstellungen von Bordellen; Vorstellungen von Illusion und Täuschung in der Diskussion über Sexarbeiterinnen; Beziehungen zwischen Sexarbeit und (sichtbarer) Geschlechtsinkonformität; die Idealisierung und/oder Verunglimpfung der (feminisierten) Schönheit von Sexarbeiterinnen; Sexarbeit und Kosmetik oder Körperschmuck; ikonographische Traditionen wie der verlorene Sohn mit Prostituierten oder die Hure von Babylon.

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(22) “By the sweat of your brow you will eat” and create(?): Ritual and creative implications of medieval representations of the labours

Vladimir Ivanovici

Over the twelfth century, labours associated with each month of the year began to be depicted in prominent locations of Christian buildings and on key liturgical furnishings, namely cathedral portals and windows, baptismal fonts, and church pavements and columns. Replacing or accompanying depictions of the zodiac constellations – for which Christians had continued to use the polytheistic imagery inherited from the Romans – the new images of the labours signalled a changed perspective on work, as various types of physical work were presented as joyful activities. Past research focused on the iconographic formulas and explored their socio-political implications, as instruments meant to appease social unrest and confirm the status quo of medieval communities. This session invites papers that explore instead the ritual and creative dimensions of the images. Considering their locations and the rituals performed there, papers should inquire how the representations were integrated into or contributed to the experience, whether strictly religious (i.e., baptism) or the varied, civic and religious celebrations performed in front of cathedral portals decorated with images of the works. In addition, we invite contributions that investigate how the new outlook on work that the images promote might have influenced the creative efforts that characterise this period. In particular, we are interested to see how the transformation of the symbol par excellence of humanity’s fall – i.e., the physical labour required of Adam (Gen. 3.19) – into a testimony of one’s contribution to the cosmic order established by God inspired the creative efforts of this period. Ultimately, this session invites us to ponder whether the development and dissemination of the Gothic style would have been possible without a changed perspective on work, given that Suger’s St. Denis already contained the representation of the monthly labours

Quellennachweis:
CFP: VIII. Forum Kunst des Mittelalters: Arbeit (Bochum/Dortmund, 23-26 Sep 26). In: ArtHist.net, 14.09.2025. Letzter Zugriff 14.09.2025. <https://arthist.net/archive/50586>.

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