Wildes Gedenken - Nicht-institutionalisiertes Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus.
Tagung anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung vom NS.
Ein Projekt der Kunstuniversität Linz, Co.Lab Erinnerungsarbeit • ästhetisch-politische Praktiken (Angela Koch, Sabrina Kern, Maria Keplinger, Riva Freiseisen, Thari Jungen), Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim (Florian Schwanninger)Die Tagung beschäftigt sich mit einer Gedenkform, die bislang wenig beachtet und erforscht ist: das Wilde Gedenken. Wildes Gedenken meint als Arbeitshypothese ein Gedenken, das weder eingehegt noch institutionalisiert ist. Vielmehr werden darunter Formen des Gedenkens verstanden, die ganz unterschiedliche Zeichen und Praktiken umfassen. Einerseits handelt es sich um Gedenkzeichen von Zivilgesellschaft und Einzelpersonen, andererseits werden darunter auch Markierungen von Pflanzen gefasst.
Gemeint sind also individuelle Formen des Gedenkens wie das Niederlegen von Blumen, Steinen und Tafeln, mittels derer Orte sichtbar markiert werden. Gleichzeitig werden mit dem Wilden Gedenken aber auch Praktiken des Unsichtbar-Machens thematisiert. Angesprochen werden nicht nur jene Massengräber, die nicht gepflegt werden und verwildern, unter dem Stichwort Wildes Gedenken lassen sich auch jene Gräber fassen, die durch Bauschutt- und Müllablagerungen unkenntlich gemacht oder mit Hecken und Beerensträuchern überpflanzt und damit unzugänglich gemacht werden.
Jenseits der wilden Gedenkorte, die durch Menschen gestaltet werden, lassen sich unter dem Wilden Gedenken auch materielle, chemische und physische Reaktionen oder Veränderungen der Wiesen, Flüsse und Wälder fassen, die aufgrund der Tötungen an spezifischen Orten entstehen. So existieren etwa an Orten der Massentötungen vielfach Umweltmarker. Gemeint sind damit beispielsweise veränderte Wegführungen, die bestimmte Orte umgehen, aber auch ein veränderter Wuchs oder eine Färbung von Pflanzen, die durch die veränderte chemische Zusammensetzung des Bodens entstehen.
Mit der Thematisierung Wilden Gedenkens geht die Möglichkeit einher, auf Personen und Opfergruppen aufmerksam zu machen, die bislang nicht oder kaum in die Erinnerungskultur einbezogen worden sind. Dementsprechend gehen Praktiken Wilden Gedenkens der Gründung von Gedenkstätten vielfach voraus, werden aber auch innerhalb etablierter Gedenkstätten weiterverfolgt. Sind Gedenkstätten erst institutionalisiert, mangelt es aber oft an Raum für diese Ausdrucksweisen. Dass es ein ausgeprägtes Bedürfnis der Besucher*innen gibt, Teil des Gedenkrituals zu sein, zeigt sich daran, dass Blumen, Steine, Gedenktafeln, Fotografien, aber auch Kritzeleien u.ä. gerne hinterlassen werden.
Auf der Tagung werden wir verschiedene Formen und künstlerische Bearbeitungen des Wilden Gedenkens sowie Handlungsspielräume und ihre Grenzen diskutieren. Eine Ausstellung von Studierenden der Kunstuniversität zum Wilden Gedenken begleitet die Tagung.------------------------------------------------------------
Programm:
MITTWOCH, 7.5.2025
14.00-14.30 Uhr
Begrüßung mit Rektorin Brigitte Hütter, Florian Schwanninger, Angela Koch
Angela Koch: Wildes Gedenken als politische Praxis
14.30-15:50 Uhr
Studierendenpanel: Praktiken des Wilden Gedenkens
Julia Brunner: Widerständiges Gedenken – Graffiti als aktive und partizipative Teilhabe am Erinnerungsdiskurs
Riva Freiseisen: „Orte des beständigen Werdens“ – Offenes Gedenken und queeres Gedächtnis
Morna N. Bodner: Queere Erinnerung im öffentlichen Raum in Linz
15.50-16.10 Uhr
– Pause –
16.10-17.50 Uhr
Panel: Gedenken an politischen Widerstand
Brigitte Entner: Wenn Gedenken zu Konflikten führt – Erinnern an den Widerstand und das Leid der Kärntner Sloven·innen (Zoom)
Martina Gugglberger: Gezähmtes Gedenken? Frauen im Widerstand gegen das NS-Regime ein Denkmal setzen
Robert Obermair: Im Schatten der Kriegerdenkmäler? – Salzburgs frühe Erinnerungszeichen an Widerständige und Opfer des Nationalsozialismus an der gesellschaftlichen und politischen Peripherie
Katharina Stengel: Die VVN und die frühen Gedenkorte und -rituale in Deutschland
17.50-18.30 Uhr
Präsentation
Tatiana Lecomte: Die helfende Hand – Exkurs nach St. Johann
18.30 bis 19.00
– Pause –
19.00 Uhr
Ausstellungsrundgang Wildes Gedenken
Ausstellung von Studierenden der Kunstuniversität Linz im splace am Hauptplatz mit einer Performance von Merlin Grossmann und Christoph Meier
DONNERSTAG, 8.5.2025
9.30-11.10 Uhr
Panel: Frühes Wildes Gedenken
Michael John: Traumatisiert. Gedenken und Nicht-Gedenken im Linz der Nachkriegsjahre
Florian Schwanninger: Verschlossene Türen, vergessene Opfer? Die frühe Erinnerungskultur in Schloss Hartheim zwischen Verdrängung und Intervention
Gerald Lamprecht: Das stille Erinnern an die jüdischen Opfer in der Steiermark
Verena Lorber: Franz Jägerstätter: Unmögliches Gedenken und einsame Fürsprache
11.10-11.30 Uhr
– Pause –
11.30-12.50 Uhr
Panel: Vergessene Opfer
Herbert Brettl: Gedenken an die ermordeten Rom·nja und Sinti·zze
Robert Parzer: Nicht vergessen und doch kaum sichtbar: Opfer der „Euthanasie“-Verbrechen im besetzten Polen.
Bruno Schernhammer: “In die Jahrtausende sollen sie hineinragen” Wer hat die Straßen Adolf Hitlers gebaut?
12.50-14.30 Uhr
– Mittagspause –
Panel: Wilde Denkmäler
Sabrina Kern: “Wilde” Denkmäler in Österreich und Deutschland
Leonie Zangerl: Kerzen für Hitler – rechte Spuren und Vereinnahmungen am Obersalzberg
Winfried Garscha: Der Wiener Morzinplatz als Ort „wilder“ Denkmalsetzungen
Sarah Grandke: Prestigeobjekt aller Polen in Oberösterreich? – Der Bau des “polnischen Friedhofsdenkmals” für die Opfer des KZ Ebensee 1945-1946
16.10-16.30 Uhr
– Pause –
16.30-17.50 Uhr
Panel: Material Remains
Zuzanna Dziuban: Human Remains, Necropolitical Agentivity and Material Memory of Political Violence
Yvonne Burger: Gunskirchen, das vergessene Lager?
Martin Hagmayr: Das Ringen um Erinnerung – der Steyrer Friedhof als Ort des nicht-institutionalisierten Gedenkens
17.50-19.00 Uhr
– Abendessen/Pause –
19.00-20.30 Uhr
Künstler·innengespräch
Hasan Ulukisa und Martina Gimplinger über die künstlerische Praxis des Wilden Gedenkens im splace am Hauptplatz Linz
FREITAG, 9.5.2025
9.30-10.50 Uhr
Panel: Wildes Forschen
Maria Keplinger: Spuren des Wilden Gedenkens – aus der Recherche zu Erinnerungszeichen für DERLA Oberösterreich
Nanna Lüth: Die Namen listen, ausstellen, aufrufen … oder nicht? Medien und Formen institutionellen wie selbstbeauftragten Gedenkens
Edith Blaschitz: Citizen Scientists auf Spurensuche nach NS-Lagern und Zwangsarbeit. Differenzierte Modelle der Partizipation
10.50-11.10 Uhr
– Pause –
11.10-11.50 Uhr
Vortrag: Roma Sendyka: Depth of the field. Bystanders’ art, forensic art practice and non-sites of memory
11.50-13.15 Uhr
– Mittagspause –
13.15-14.20 Uhr
Studierendenpanel: Verweigertes Gedenken
Dana Patsch: Einkaufszentrum oder Erinnerungsort? – Aktuelle Debatten zum Ort des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers Hirtenberg in Leobersdorf
Charlie Klee: Stimmen des (Nicht-)Gedenkens an das KZ Hallein
Rosina Marie: (Un-)Gedenken: Die Geschichte der Goldegger Wehrmachtsdeserteure und ein nicht enden wollender Konflikt
14.20-14.50 Uhr
– Pause –
14.50-16.30 Uhr
Panel: More than Human
Thari Jungen: Gärten, Wiesen, Wälder: An die Konzentrationslager Gusen I und II erinnern.
Wiltrud Hackl: Flüsse als Orte der Erinnerung
Waltraud Barton: Der österreichische Wald der Erinnerung in Maly Trostinec
Reference:
CONF: Wildes Gedenken - Nicht-institutionalisiertes Erinnern (Linz, 7-9 May 25). In: ArtHist.net, Apr 15, 2025 (accessed Apr 19, 2025), <https://arthist.net/archive/47262>.