Tagung "Praktiken der Hervorbringung von Behinderung in Kunst und Literatur".
Organisation:
Dr. Nina Eckhoff-Heindl (Universität zu Köln, Institut für Medienkultur und Theater)
Dr. Daniela Kuschel (Universität Mannheim, Romanistische Literatur- und Medienwissenschaft)
Darstellungen von Menschen mit Behinderung in Kunst und Literatur sind bereits auf vielfältige Weise im Feld der Cultural Disability Studies erforscht worden. Aufbauend auf diesen genre- und gattungsübergreifenden Erschließungen fragt die Tagung nach den Praktiken, die Behinderung in medialen Artefakten zur Erscheinung bringen. Damit liegt der Fokus etwa auf dem kontextabhängigen Verarbeiten, Vergleichen, Konstruieren sowie Dekonstruieren spezifischer Repräsentationen von Behinderung sowie auf dem Verhältnis von Norm und Abweichung und dessen Festschreibung in verschiedenen historischen und gesellschaftlichen Diskursen. Im Zuge dieser Schwerpunktsetzung sind besonders Praktiken der Hierarchisierung, Differenzierung und Symbolisierung im Umfeld von Kunst und Literatur zentral.
Innerhalb der Disability Studies haben die Praktik des Starrens (Garland-Thomson: "Staring. How we look", 2009) und diejenige des Metaphorisierens, also des bildlich-visuellen Sprachgebrauchs, bereits eine grundlegende Auseinandersetzung erhalten (Mitchell/Snyder: "Narrative Prosthesis", 2000; Hall: "Literature and Disability", 2016). Mit der Tagung soll das Feld der Praktiken, die Behinderung in Kunst und Literatur hervorbringen, weiter aufgefächert und für eine systematische Erschließung geöffnet werden. In epochenübergreifender Perspektive wird danach gefragt, in welche Handlungen der Produktion, Distribution und Rezeption Darstellungen von Behinderung eingebettet sind. Dabei sollen drei umfassende Bereiche erschlossen werden: ästhetisch-mediale, institutionelle und forschungsbezogene Praktiken.
Folgende Fragen und Aspekte sind mit diesen Bereichen verbunden, stellen aber keine abschließende Aufzählung dar:
1. Ästhetisch-mediale Praktiken, zu denen auch das Starren und das Metaphorisieren gehören, umfassen sowohl Vorgänge der Produktion als auch der Rezeption, unterschiedliche künstlerische Techniken, Materialitäten sowie Kompositions- und Rahmungsprinzipien. In ihnen können sich Hierarchien und Differenzlogiken, aber auch widerständige Handlungen ausdrücken. Dies betrifft auch Gattungs- und Genrepraktiken, in deren ästhetischen Regeln sich vorherrschende kulturelle und soziale Ordnungsmuster widerspiegeln. Werden wiederum Praktiken in den Repräsentationen selbst thematisiert (zum Beispiel Heilungsverfahren, Care-Tätigkeiten), kann dies Aufschluss über kulturelle Lokalisierungen von Behinderung geben und implizite Verbindungen zwischen verschiedenen kulturellen und sozialen Diskursen aufdecken. In der Darstellung von Heilungsverfahren kann sich etwa der gesellschaftliche Wert medizinischer Interventionen und Rehabilitationsmaßnahmen manifestieren oder ein Narrativ abzeichnen, das auf Überwindungstopoi ausgelegt ist.
2. Unter institutionellen Praktiken sollen Praktiken im Kulturbetrieb verstanden werden, die Aktivitäten, Verfahren und Verhaltensweisen beschreiben, mit denen Kulturproduktion, -distribution und -rezeption gesteuert wird. Dies beinhaltet Praktiken des Veröffentlichens und Zugänglichmachens wie Editions- und Publikationsstrategien, Ausstellungen oder Vorführungspraktiken in (teil-)öffentlichen Bereichen. Ebenso zentral sind Moderations- und Kurationspraktiken, über die in (wissenschaftlichen) Buchreihen, Ausstellungskonzeptionen oder Katalogen Kontexte generiert werden, in die die kulturellen Artefakte eingebettet sind. Hierin sind auch die Zielgruppenspezifika und Strategien der Ansprache verortet, ebenso wie die Nutzung digitaler (Vertriebs-)Plattformen.
3. Im Bereich der forschungsbezogenen Praktiken werden jene Handlungen beleuchtet, die im Zusammenhang mit Bedingungen, Methoden und Zielen der Erkenntnisproduktion in wissenschaftlichen Disziplinen stehen. Darunter fallen Praktiken der kritischen Analyse, Rezension und Interpretation sowie der Theoriebildung. Hier lassen sich Praktiken der Abgrenzung, Affirmation und Selbstvergewisserung der Disziplinen voneinander unterscheiden. Besonders der Körper wird in der Beschäftigung mit der Repräsentation von Behinderung zur Demarkationslinie unterschiedlicher disziplinärer Logiken. Während in interventionsbezogenen Fachgebieten (wie der Medizin oder den Rehabilitationswissenschaften) der Körper als materielles Objekt die Sicht auf Behinderung prägt, denken reflexionsbezogene Fachgebiete (wie die Soziologie oder die Kulturwissenschaften) Behinderung ausgehend vom Körper als kulturelles und sozial geformtes Konstrukt. Darüber hinaus zeugt der Sprachgebrauch, den die unterschiedlichen Disziplinen zur Beschreibung ihrer Gegenstände, Methoden und Erkenntnisinteressen nutzen, häufig von able-istischen Vorannahmen (zum Beispiel okularzentristische Ausdrücke im Zusammenhang mit Wissenserwerb). Im Zusammenhang mit theoretischen Zugriffen ist zudem aufschlussreich, welche Rolle einerseits geisteswissenschaftliche Theorien und Methoden bei der Untersuchung von Behinderungsnarrativen und -darstellungen haben und wie andererseits Repräsentationen von Behinderung Eingang in theoretische Konzepte finden. So nutzt etwa Maurice Merleau-Ponty in seiner "Phénoménologie de la perception" (1945) kontinuierlich Beispiele der Wahrnehmung von Personen mit Behinderung bzw. normabweichender Körperlichkeit, um seine Argumente zu untermauern.
Durch die Fokussierung auf diese Praktiken sollen neue Erkenntnisse über die Konstruktion und Bewertung von Behinderung in (historischen) Gesellschaften gewonnen und die Wechselwirkungen zwischen Repräsentationen, Handlungen und sozialen Normvorstellungen erkundet werden. Ausgehend vom Themenfeld der Cultural Disability Studies werden auf der Tagung die hier skizzierten Praktiken der Hervorbringung von Behinderung anhand ausgewählter Beispiele der bildenden Kunst, Literatur und weiterer medialer Repräsentationsformen diskutiert. Der Call for Papers richtet sich an Wissenschaftler*innen jeder Qualifikationsstufe – insbesondere auch der frühen Phase –, die zu diesen Aspekten forschen.
Wir bemühen uns darum, die Tagung so barrierefrei und zugänglich wie möglich zu gestalten. Bitte teilen Sie uns Ihre Zugangsbedarfe (access needs) mit, damit wir sie in unseren Planungen berücksichtigen können. Kosten für Anreise und Übernachtung werden übernommen. Die Veranstaltungssprache ist Deutsch.
Bitte senden Sie Ihr Abstract (150–300 Wörter) für einen 20-minütigen Vortrag zusammen mit einer kurzen bio-bibliografischen Notiz zu Ihrer Person (maximal 150 Wörter) bis zum 14.03.2025 an nina.eckhoff-heindluni-koeln.de und daniela.kuscheluni-mannheim.de. Die Auswahl wird bis Ende März 2025 getroffen.
Quellennachweis:
CFP: Praktiken der Hervorbringung von Behinderung (Cologne, 4-6 Jun 25). In: ArtHist.net, 21.02.2025. Letzter Zugriff 02.04.2025. <https://arthist.net/archive/44014>.