CONF 15.10.2024

Kunstgeschichte als Geschenk / Art History as a Gift (Berlin, 7-9 Nov 24)

kunsthochschule weissensee (Aula) Bühringstrasse 20 D-13086 Berlin, 07.–09.11.2024

Joseph Imorde

[English version below]

Eine Tagung des Sonderforschungsbereichs 1472 "Transformationen des Populären" und der kunsthochschule weissensee.
Organisiert von Mirja Beck, Joseph Imorde, Franziska Lampe.
Ort: Aula der kunsthochschule weissensee

In der Novelle "Ein Bild" des Schriftstellers Friedrich Brunhold, die 1863 in der Gartenlaube erscheint, wird einer jungen Frau aus armer Familie zu Weihnachten „ein prächtiges Murillo-Album“ auf den Gabentisch gelegt. In dem Geschenk eines Verehrers wird man ein Produkt des Photographischen Kunst- und Verlags-Instituts Gustav Schauer vermuten dürfen. Die Firma gab zu der Zeit einen „Kunsthistorischen Cyclus“ heraus, deren Alben zu „Rafael, Murillo, da Vinci und Correggio“ schon 1860 im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel als weihnachtliche „Fest-Geschenke“ angepriesen wurden.

Am 24. Dezember 1897 überrascht der Kunsthistoriker Ernst Steinmann den Ersten Sekretar des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Eugen Petersen, mit einer Fotografie Domenico Andersons. Abgebildet ist der Moses Michelangelos. Die Ehefrau, Ina Petersen, erhält eine große Aufnahme von Raffaels Parnass. Die Reproduktionen sind mit einigem Bedacht gewählt und zuerst einmal auf die vermeintlichen Vorlieben der Adressat:innen ausgerichtet, doch lässt sich der Moses auch auf das sehr intime Verhältnis beziehen, das Steinmann in jenen Jahren mit Eugen Petersen zu unterhalten versucht.

In seinem 2006 erschienenen autobiografischen Text "Beim Häuten der Zwiebel" schildert Günter Grass zu Beginn seine kindliche Leidenschaft für kunsthistorische Zigaretten-Sammelbilder. Sie gaben noch vor dem Zweiten Weltkrieg die Meisterwerke der europäischen Malerei in farbigen Reproduktionen wieder, anhand denen Grass lernte, „die Namen der Künstler Giorgione, Mantegna, Botticelli, Ghirlandaio und Caravaggio falsch auszusprechen“. Die Alben, in denen die Bilder einzukleben waren, kamen vom Zigaretten-Bilderdienst Hamburg-Bahrenfeld und waren, so vermutet Grass, „Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke“.

Die geplante Tagung möchte anhand aussagekräftiger Fallbeispiele Praktiken einer bisher kaum beachteten Form populärer Kunstvermittlung untersuchen. Es wird dabei von der These ausgegangen, dass kunsthistorische Inhalte um und nach 1900 erst durch die technischen Entwicklungen der Reproduktions- und Druckindustrie zum Gegenstand einer sich schnell etablierenden Geschenkkultur breiter Schichten werden können. Das bezieht sich auf Reproduktionen aller Art, etwa solche, die in Einzelbildern, in Galerie- und Mappenwerken angeboten, aber auch auf solche, die in stark bebilderten Monographien, Einführungs- oder Überblickswerken vermarktet werden. Von besonderem Interesse sind die Werbestrategien der einschlägigen Verlagsanstalten (Bruckmann, Seemann, etc.), aber auch die Zusammenhänge, mit denen versucht wird, die Popularisierung und Proliferation von Bildern für die Vielen zu begründen und gegen Kritik in Schutz zu nehmen (unmittelbare Anschauung, Einfühlung, Kunstgenuss, etc.).

Hinter den offenkundigen Bildungsidealen wirken allerdings auch handfeste kommerzielle Interessen der verschiedenen Akteure, Interessen sowohl der Verlagsanstalten wie auch der Museen selbst. In den vielen Angebotsformaten heutiger Museums-Shops spiegelt sich eben auch die Aufwertung des Massenprodukts Reproduktion gegenüber dem originalen Kunstwerk. Die Praxis, kunsthistorische Inhalte zu verschenken, scheint dabei besonders durch gesellschaftliche Dynamiken bestimmt zu sein. Diese wären nicht nur in jedem einzelnen Fall zu analysieren, sondern sollen auf der Tagung auch auf ihre kulturellen, sozialen, geschlechts­spezifischen, ökonomischen und politischen Dimensionen hin befragt werden und das aus möglichst interdisziplinärer Perspektive.

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In the short story "Ein Bild" by the writer Friedrich Brunhold, which appeared in the magazine Gartenlaube in 1863, a young woman from a poor family is given “a magnificent Murillo album” for Christmas. The gift from an admirer is thought to be a product of the Photographisches Kunst- und Verlags-Institut Gustav Schauer. At the time, the company was publishing an “Kunsthistorischer Cyclus”, whose albums on “Rafael, Murillo, da Vinci and Correggio” were advertised as “Christmas gifts” in the Börsenblatt für den deutschen Buchhandel as early as 1860.

On December 24, 1897, the art historian Ernst Steinmann surprised the First Secretary of the German Archaeological Institute in Rome, Eugen Petersen, with a photograph by Domenico Anderson. The picture shows Michelangelo’s Moses. His wife, Ina Petersen, receives a large photograph of Raphael’s Parnassus. The reproductions are chosen with care and are initially geared towards the supposed preferences of the addressees, but the Moses can also be related to the very intimate relationship that Steinmann tried to maintain with Eugen Petersen in those years.

In his autobiographical text "Beim Häuten der Zwiebel", published in 2006, Günter Grass begins by describing his childhood passion for art-historical collectible pictures from cigarette packets. Even before the Second World War, they reproduced the masterpieces of European painting in color, from which Grass “learned to mispronounce the names of the artists Giorgione, Mantegna, Botticelli, Ghirlandaio, and Caravaggio”. The albums in which the pictures were to be glued came from the Hamburg-Bahrenfeld cigarette picture service and were, Grass assumes, “Christmas or birthday presents”.

Through significant case studies, the planned conference wants to examine practices of a form of popular art communication that has received little attention to date. It is based on the assumption that art historical content around and after 1900 could only become the object of a rapidly establishing gift culture among broad sections of the population thanks to the technical developments of the reproduction and printing industry. This refers to reproductions of all kinds, such as those offered in individual pictures, in gallery and portfolio works, but also to those marketed in heavily illustrated introductory or overview art historical works. Of particular interest are the marketing strategies of the relevant publishing houses (Bruckmann, Seemann, etc.), but also the contexts in which attempts are made to justify the popularization and proliferation of images for the many and to defend them against criticism (direct contemplation, empathy, enjoyment of art, etc.).

Behind the obvious educational values, however, there are the strong commercial interests of the various protagonists, whether publishing houses or the museums themselves. The many products offered in today’s museum stores also reflect the revaluation of the reproduction as mass product in relation to the original work of art. Yet the practice of giving away art historical content seems to be determined by social dynamics, as indicated in the examples mentioned above. These should not only be analyzed in each individual case but should also be questioned with regard to their cultural, social, genderspecific, economic and political dimensions.

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Programm / Program

November 7, 2024

16:00
Mirja Beck, Joseph Imorde, Franziska Lampe
Begrüßung / Welcome

16:15
Hana Buddeus (Prag)
A Beautiful, Exquisite Gift: Calendars by DP (1931–1944)

17:00
Anja Grebe (Krems)
Kunstgeschichte zum Abreißen – Bildkalender und Geschenkkulturen zwischen Bildungskanon, Ökonomie und Ideologisierun

17:45
Pause / Break

18.00
Henry Kaap (München)
(Un)Populäre Geschenke

November 8, 2024

10:00
Franziska Lampe (München)
Reproduktionen mit Anlass. Meisterwerke als Geschenk zu religiösen Festtagen

10:45
Baiba Vanaga (Riga)
Contribution of Wilhelm Neumann, Director of the Riga City Art Museum, to the Offer of Art Reproductions at the Early 20th Century

11:30
Pause / Break

12:00
Nupur Doshi (Mumbai)
Bound in Empire: Art History as Cultural Currency in Colonial India

12:45
Pause / Break

14:00
Leah Waleschkowski / Gizem Nur Gürbüz (Köln)
Postkarten als Geschenk? Das Kölner Postkartenarchiv als Geschenk und Kritik für die Kunstgeschichte

15:00
Pause / Break

15:30
Mirja Beck (Frankfurt)
Vielen Dank für die Blumen! Reproduktionen nach Blumenstillleben als Geschenke

16:15
Matthias Krüger (München)
Der Malkasten als Geschenk

November 9, 2024

10:00
Sebastian Fitzner (Dresden)
"Soeben erschienen!" – Kunstbücher als Gelegenheitsgeschenke zwischen Jahrhundertwende und Moderne

10:45
Joseph Imorde (Berlin)
Kunsthistorische Geschenkkultur im späten 19. Jahrhundert: Kunsthistorische Prachtbände

11:30
Diskussion / Discussion

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Kontakt / Contact:
Joseph Imorde
weissensee kunsthochschule berlin
bühringstrasse 20
D-13086 Berlin
imordekh-berlin.de

Eine Anmeldung ist nicht notwendig / A registration is not necessary.

Quellennachweis:
CONF: Kunstgeschichte als Geschenk / Art History as a Gift (Berlin, 7-9 Nov 24). In: ArtHist.net, 15.10.2024. Letzter Zugriff 21.11.2024. <https://arthist.net/archive/42938>.

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