Symposium
Grundordnungen. Wechselbeziehungen zwischen Geographie, Religion,
Kultur und Gesetz
Abschluss-Symposium des Projekts Topographie pluraler Kulturen
Europas in Rücksicht auf die 'Verschiebung Europas nach Osten'
(Europa-Schwerpunkt des BMBF-Förderprogramms 'Geisteswissenschaften
im gesellschaftlichen Dialog')
Donnerstag, 18.02.2010 bis Samstag, 20.02.2010
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Schützenstr. 18, 10117
Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum 308
Mit der 'Verschiebung Europas nach Osten' scheint die Geographie
in die Politik zurückgekehrt. Nicht nur Konflikte im 'Nahen Osten'
und im 'zentralasiatischen Hochland', sondern auch die
ethnisch-konfessionellen Grenzziehungen und 'ethnischen Säuberungen'
auf dem Balkan verweisen auf eine verstärkte Bezugnahme kultureller
und politischer Ordnungen auf den Raum. Die Konflikte sind
symptomatisch für eine gegenwärtige Krise, in die das viele
Jahrzehnte allein vom Westen her gedachte Projekt einer
transnationalen Integration 'Europas' geraten ist. In dieser
Situation geht es der Tagung darum, nach der Beziehung von Raum und
Ordnung in der europäischen Kulturgeschichte zu fragen. Im Blick
auf die jüngeren politischen Verwerfungen einerseits und angesichts
des 'topographical/spatial turns' in den Humanities sind gerade die
historisch arbeitenden Kulturwissenschaften zu einer kritischen
Analyse geopolitischer Konzepte und Entwicklungen aufgerufen. Im
Zentrum der Tagung steht dabei das Vorhaben, Europa von seinen
vermeintlichen Rändern her neu zu beleuchten und nach den
Wechselbeziehungen zwischen geographischer, religiöser, kultureller
und politischer Ordnung zu fragen. Anders gesagt: Welche anderen
Gründe sind es neben dem Grund - im Sinne von Boden/ Territorium -,
auf/ mit denen eine Grundordnung - im Sinne von
Verfassung - begründet wird? Tatsächlich haben sich kulturelle
und politische Ordnungen stets in Beziehung zu einem 'Territorium'
konstituiert: in Beziehung zum 'eigenen' Boden oder zum 'Mutterland',
zu 'natürlichen Grenzen', zu Räumen, Landschaften und Horizonten.
Selbst noch Begriffe wie Exil oder Diaspora definieren sich über die
Entfernung von einem als originär verstandenen Ort. Territorien und
Orte sind Bezugspunkte und Schauplätze von Gründungserzählungen, mit
denen Gemeinschaften den Ursprung von Zugehörigkeit, Legitimität und
Souveränität erinnern und basale Unterscheidungen treffen, wie jene
zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Freund und Feind. Der Begriff
der 'Grundordnung' soll in seiner Mehrdeutigkeit gerade diese beiden
Bereiche zusammendenken und die Beziehung von Boden und Gründung
befragen.
Im Hinblick auf 'Europa' jedenfalls steht die Frage nach der
politischen Grundordnung oder der Verfassung 'Europas' immer in
Verbindung mit der Frage nach Grenzen - sein es die immer schärfer
gezogenen Außengrenzen, sein es die zahlreichen
Binnendifferenzierungen, die sich zwischen den verschiedenen Zonen
und Regionen Europas abzeichnen - ebenso wie der Frage nach
Transfers und Migrationen, Verbindungen und Verträgen. Dabei sind
weniger solche Fälle interessant, in denen politische und
geographische Einheit in einer Landnahme zusammenfallen, da solche
vermeintlich 'normalen' Nationsbildungen im Horizont von Europas
Rändern eher eine Ausnahme darstellen. Charakteristisch sind hier
vielmehr komplexe Überschreibungen und Überschneidungen von Grenzen,
welche die prämodernen Imperien ebenso prägen wie die
post-nationalen Staaten und Staatenverbände.
Das Forschungsprojekt "Topographie pluraler Kulturen Europas in
Rücksicht auf die 'Verschiebung Europas nach Osten' hat es sich
unter anderem zur Aufgabe gesetzt, Untersuchungsparameter zu
entwickeln, die quer zu den Gegenständen der Einzelwissenschaften
stehen, und diese versuchsweise 'Textordnungen','Bildordnungen',
'Kleiderordnungen', 'Affektordnungen' und 'Grundordnungen'genannt.
In einer Reihe interdisziplinärer Symposien werden unter
Beteiligung von Kunst-, Literatur- und Religionswissenschaftlern
sowie von Arabisten, Judaisten, Slawisten und Turkologen grundlegende
Voraussetzungen für jede kulturwissenschaftliche Forschung
untersucht, die es mit unterschiedlichen Religionen und
Kulturtechniken zu tun hat.
PROGRAMM
Mittwoch, 17. Februar 2010
19.00 Uhr: Eroeffnungsvortrag
Rodolphe Gasché (Buffalo, NY): Beyond the nature/culture divide:
On Europe's non-identical identity
im Anschluss Gespraech mit Karlheinz Barck und Zaal Andronikashvili
(beide ZfL)
Donnerstag, 18. Februar 2010
15.00 - 17.30 Uhr
1. GRUNDORDNUNGEN ZWISCHEN OST UND WEST (I)
Moderation: Sigrid Weigel (ZfL)
Thomas Macho (HU Berlin): Europas Grenzen. Zur imaginären
Topologie eines Kontinents
Angelika Neuwirth (FU Berlin): 'Das Befremdliche verbieten'.
Islamische Gründe gesellschaftlicher Kohärenz
18.00 Uhr
Moderation: Zaal Andronikashvili (ZfL)
Giorgi Maisuradze (ZfL): Pater, Patria, Patriotismus: Zur
Geschichte der Ausbildung des Vaterland-Begriffs
Sigrid Weigel (ZfL): Die Nation, die Bibliothek und das Grab
Freitag, 19. Februar 2010
10.00 - 12.00 Uhr
2. RELIGION, GRÜNDUNG, TOPOS
Moderation: Martin Treml (ZfL)
Giuseppe Veltri (Halle-Wittenberg): Die Stadt, das Ghetto und
der Rabbi: Zur Verräumlichung politischen Wissens im jüdischen
Denken zwischen Renaissance und Aufklärung
Nitzan Lebovic (Sussex/Jerusalem): Constituting Order, Grounding
the End: Why Grundordnung cannot come before the End of Politics
12.30 - 13.30 Uhr
Philipp Theisohn (ETH Zürich): Der diasporische Raum.
Perspektivierungen der Galuth zwischen Assimilation, Zionismus
und ostjüdischer Romantik 1870-1930
15.00 - 16.00 Uhr
Marc Nichanian (Sabanci University, Istanbul): Philological
Mourning. Edward Said and After
16.30 - 18.30 Uhr
3. DIESSEITS UND JENSEITS DES IMPERIUMS
Moderation: Franziska Thun-Hohenstein (ZfL)
Susanne Frank (HU Berlin): Expansive Bewegung und abgrenzende
Festigung: Konkurrierende imperiale Grundordnungen in Russland
Stefan Troebst (Leipzig): "Tidal (Eastern) Europe": die
Pulsierende Staatenlandkarte Ostmitteleuropas (1000-2000)
19.00 Uhr: Abendvortrag
Dan Diner (Leipzig/Jerusalem):
Synchrone Welten.
Raum-Zeitliche Konstellationen Jüdischer Geschichte
Moderation: Sigrid Weigel (ZfL)
Samstag, 20. Februar 2010
4. LAND UND MEER
Moderation: Zaal Andronikashvili (ZfL)
10.00 - 12.00 Uhr
Gerhard Wolf (KHI Florenz): Farbige Meere, pontische Exile und
Amphibische Grundordnungen
Hannah Baader (KHI Florenz): Farbige Meere, thalassische
Architekturen
12.30 - 13.30 Uhr
Michael Kempe (St. Gallen): Am Rande des Rechts. Piraterie und
die maritimen Grenzen Europas in der frühen Neuzeit
15.00 - 17.00 Uhr
5. GRUNDORDNUNGEN ZWISCHEN OST UND WEST (II)
Moderation: Franziska Thun-Hohenstein (ZfL)
Dimitrios Kisoudis (Heidelberg): Westthrakien zwischen Europa und
Asien
Tatjana Petzer (Konstanz/Zürich): Geoma(n)tiker des Balkans
17.30 Uhr
Stephan Braese (Aachen): Joseph Roths Grenze -- in besonderer
Rücksicht auf 'den Osten Europas'
Zaal Andronikashvili (ZfL): Der Kaukasus als Grenzraum. Ein A-Topos
der russischen Literatur
Eventuelle Programmaenderungen entnehmen Sie bitte unserer Website:
http://www.zfl.gwz-berlin.de/veranstaltungen/veranstaltungen//_/356/?cHash=188401e02f
Quellennachweis:
CONF: Grundordnungen (Berlin, 18-20 Feb 10). In: ArtHist.net, 25.01.2010. Letzter Zugriff 19.07.2025. <https://arthist.net/archive/32186>.