CONF 22.05.2008

Abfallmoderne (Graz, 4-5 Jun 08)

Sobieczky

Abfallmoderne
Ein Symposion zu den Schmutzrändern der Kultur

04.06.-05.06.2008
Karl-Franzens-Universität Graz
Hauptgebäude HS 01.15 Universitätsplatz 3/1, 8010 Graz

Institut für Kunstgeschichte der Universität Graz
Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz

Moderne Zivilisationen sind durch ein hohes Maß an Abfallproduktion
gekennzeichnet, sodass man regelrecht von einer "Abfallmoderne" (Manfred
Faßler) sprechen kann. Entsorgung und Wiederverwertung beschäftigen ganze
Industrien und Technologiezweige. Per se existieren Schmutz und Müll aber
gar nicht: Sie existieren, wie die Ethnologin Mary Douglas gezeigt hat,
nur vom Standpunkt des Betrachters aus und sind Resultate von Ordnungs-
und Reinigungsprozessen, welche die Dinge in wertvolle und wertlose, zu
bewahrende und zu vernichtende einteilen. Was für den einen ein zu
entsorgender Abfall ist, kann für jemand anderen ein wertvoller Rohstoff
sein. Im Abfall spiegeln sich daher nicht nur die Alltags- und
Kulturgeschichte einer Zivilisation, die mit seiner Hilfe von Historikern
rekonstruiert wird, sondern generell die Werthaltungen einer Gesellschaft,
ihre ästhetischen, moralischen und weltanschaulichen Prämissen. Deshalb
wird das Modell von Reinigen/Entsorgen oft auch auf andere Lebensbereiche
übertragen: Zeichnete sich z.B. die Moderne in Kunst, Architektur und
Stadtplanung durch ein Höchstmaß an Reinigung (und damit die Gefahr der
Sterilität) aus, so wurden in der Postmoderne viele damals ausgeschiedene
und verworfene Bereiche wieder reintegriert, quasi als "Kompost" (Roger
Fayet) wiederverwertet, wie z.B. historische Ornamente, Stile und
Bildkonzepte. Aber auch während der Moderne selbst beschäftigten sich
auffallend viele Künstler mit den Abfallprodukten der Gesellschaft, um sie
positiv umzuwerten: Picasso, die Dadaisten und Surrealisten arbeiteten mit
weggeworfenen Fundstücken, die Nouveaux Réalistes bauten Skulpturen aus
Müll, Schrott und Essensresten, die Aktionisten und Körperkünstler
ersetzten Farbe durch Körperflüssigkeiten usw. Mittlerweile sind Schmutz
und Gebrauchsspuren geradezu en vogue, haben Eingang in Mode und Design
gefunden und sind Gegenstand einer neuen "Ruinenästhetik" (Monika Wagner)
geworden. Auch der Staat beschreibt sich seit der Neuzeit in Metaphern von
Reinheit und Schmutz: In der Propaganda totalitärer Systeme und
rechtspopulistischer Parteien wird gerne von "Säuberungen" gesprochen,
werden Immigranten und andere Minderheiten als "Abschaum", "Parasiten"
etc. abgestempelt, welche die Reinheit des Staatskörpers gefährden. Solche
Vorstellungen revitalisieren archaische Ängste, die bereits in den Tabus
und religiösen Reinheitsvorschriften traditioneller Gesellschaften
begegnen. Diesem metaphorischen "Abfall" steht eine hoch entwickelte
Technologie gegenüber, die auf den Gebieten von Müllvermeidung,
Mülltrennung und Recycling den täglichen Abfall in den Griff zu bekommen
sucht, während die Öffentlichkeit oft nur durch Skandale um geplante
Mülldeponien oder grenzüberschreitenden Mülltourismus auf die Tatsache
gestoßen wird, dass Abfall mittlerweile längst als eine Ware wie jede
andere auch ge- und behandelt wird. Das interdisziplinäre Symposion soll
der Frage nachgehen, inwieweit das Abfallmodell zur adäquaten Beschreibung
von Phänomenen der Gegenwart dienen kann und welche Querverbindungen damit
zwischen verschiedenen Gebieten des Wissens und der Kultur herzustellen sind.

Programm

Mittwoch, 4. Juni 2008

09.30-09.40 Alfred Gutschelhofer (Rektor der Universität Graz), Hans
Sünkel (Rektor der TU Graz): Begrüßung und Eröffnung
09.40-10.00 Johann Konrad Eberlein (Inst. f. Kunstgeschichte, Universität
Graz): Abschweifungen: Der Mensch, sein Abfall und die Kunst
10.00-10.40 Ullrich Schwarz (Inst. f. Architekturtheorie, Kunst- u.
Kulturwissenschaften, TU Graz): Einzelheiten: Abraum und Abfall der Geschichte
10.40-11.20 Manfred Prisching (Inst. f. Soziologie, Universität Graz):
Trash economy. Abfallmaximierung als Wirtschaftsprinzip
11.20-12.00 Susanne Hauser (Inst. f. Geschichte u. Theorie d. Gestaltung,
Universität der Künste, Berlin): Recycling, ein Transformationsprozess

Mittagspause

14.00-14.40 Christoph Scharff (ARGEV Verpackungsverwertungsges.m.b.H.,
Wien): Abfallwirtschaft in einer arbeitsteiligen Gesellschaft
14.40-15.20 Roland Pomberger (Fa. Saubermacher, Graz): Was hat
Abfallwirtschaft mit der Steinzeit zu tun?

Kaffeepause

15.40-16.20 Elisabeth Vykoukal (Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien): Was
macht unsere Seele mit dem Abfall? Anmerkungen zum Messie-Syndrom
16.20-17.00 Ulrike Bechmann (Inst. f. Religionswissenschaft, Universität
Graz): Die Asche der roten Kuh (Num 19) oder die Entsorgung des Heiligen
17.00-17.40 Eleni Schindler Kaudelka (Archäologischer Park Magdalensberg,
Graz): Deponierung und Recycling in der römischen Stadt auf dem
Magdalensberg in Kärnten

Kaffeepause

18.00 Randperspektiven: Abfall, Kunst und Gesellschaft
Podiumsdiskussion in der Aula, Universitätplatz 3/1.

20.00 Buffet

Donnerstag, 5. Juni 2008

09.00-09.40 Ulrike Gelbmann (Inst. f. Systemwissenschaften, Innovations-
u. Nachhaltigkeitsforschung, Universität Graz): Müll ist Materie am
falschen Ort. Zum Verwertungsparadoxon in der Abfallwirtschaft
09.40-10.20 Friedrich Tietjen (Hochschule für Grafik u. Buchkunst,
Leipzig): Die zweite Chance. Beobachtungen zum Recycling in Deutschland

Kaffeepause

10.40-11.20 Daniel Gethmann (Inst. f. Architekturtheorie, Kunst- u.
Kulturwissenschaften, TU Graz): Abfall der Erkenntnis. Zur
Mediengeschichte der Dinge
11.20-12.00 Klaus Rieser (Inst. f. Amerikanistik, Universität Graz): Sind
Home Movies Trash? Zwei Experimentalfilm-Antworten

Mittagspause

14.00-14.40 Werner Jauk (Inst. f. Musikwissenschaft, Universität Graz):
trash musics: in-dust/e-grains/dig-glitches. Die andere Mediamorphose aus
dem Spiel mit der Durchlässigkeit des "Mülleimers der Geschichte"
14.40-15.20 Gunther Reisinger (Inst. f. Kunstgeschichte, Universität
Graz): Bildabfall. Digitale Quellen zwischen kunstwissenschaftlicher
Methode und Recycling

Kaffeepause

15.40-16.20 Roger Fayet (Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen): Der
Abfall und das Museum
16.20-17.00 Julia Feldtkeller (Freie Restauratorin, Tübingen):
Restaurieren und Saubermachen
17.00-17.40 Anselm Wagner (Inst. f. Architekturtheorie, Kunst- u.
Kulturwissenschaften, TU Graz): "Wir säubern Graz!" Zur politischen
Ikonographie der Gegenwart
17.40-18.00 Schlussdiskussion

Eine Veranstaltung des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Graz
(Leitung: Johann Konrad Eberlein) in Kooperation mit dem Institut für
Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz (Leitung:
Ullrich Schwarz), mit Unterstützung von Walter Somitsch, Technisches Büro
- Ingenieurbüro für Technische Chemie, Umweltbiotechnologie,
F&E-Management, Wien, und Manfred Hall, Wissenstransfer,
Forschungsmanagement und -service, Universität Graz.

Konzept: Anselm Wagner, TU Graz

Kontakt: Eveline Sauseng, Institut für Kunstgeschichte,
Karl-Franzens-Universität Graz, Universitätsplatz 3/2, A-8010 Graz,
eveline.sausenguni-graz.at, Tel. +43 316/380-2395

www.uni-graz.at/khi

Quellennachweis:
CONF: Abfallmoderne (Graz, 4-5 Jun 08). In: ArtHist.net, 22.05.2008. Letzter Zugriff 04.07.2025. <https://arthist.net/archive/30473>.

^