Call for Papers
"Archiv für Mediengeschichte", No. 8
Bauhaus-Universität Weimar / Fakultät Medien
Agenten und Agenturen
Die nächste Ausgabe des Archivs für Mediengeschichte wird sich mit dem
Thema Agenten und Agenturen beschäftigen, das aus der Perspektive des
theoretischen Konzepts der Agency bearbeitet werden soll. Das Konzept
der Agency stammt aus der Actor-Network-Theory (ANT) und geht davon
aus, dass die Urheberschaft an Handlungen, Erkenntnissen und Werken in
Ensembles aus menschlichen Agenten, Apparaturen und Artefakten sowie
immateriellen Faktoren wie Traditionen und Erwartungen entsteht. In
den 90er Jahren entwickelte sich unabhängig von der ANT in den science
studies und in der Anthropologie, namentlich der Kunst-Anthroplogie
von Alfred Gell, ein sehr ähnlicher Ansatz. Mit Agency werden in
beiden Fällen Handlungsfelder heterogener Instanzen beschrieben. Erst
diese "handelnden Felder" bringen Handlungen hervor, zugleich werden
sie dabei ihrerseits produziert und reproduziert. Entsprechendes gilt
für die aggregierten Einzelinstanzen selbst, sie vollziehen als
"Agenten" die Handlungsmacht des Feldes und werden ihrerseits als
"Patienten" von ihr verfertigt. In diesem Sinne sind Agenten zugleich
immer auch Netzwerke und lassen sich als Medien begreifen.
Ein Medium wäre in einer solchen Hinsicht ein Elementarhybrid zwischen
menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren, man könnte auch sagen:
eine "Masche" im actor-network. Das Mediale bezeichnet dabei ein
prozessuales Feld, mit dem die Realität pervasiv durchwirkt ist und
das innerhalb der Realität Orte entstehen lässt, die kognitive,
epistemische oder performative Agency besitzen. In unterschiedlichen
Verwebungen lässt es an einer Stelle etwas Subjekthaftes (eine
Vorstellung, eine Erinnerung), an anderer Stelle etwas Objekthaftes
(ein Vorgestelltes, ein Ding), an einer dritten Stelle eine materiale
Repräsentation (ein Bild), an vierter Stelle etwas
Nichtrepräsentierbares (eine Absenz, ein Trauma) erscheinen. Medien
sind also nicht Mittler zwischen zwei Nichtmedien, sondern das Mediale
ist eine transzendentale Dimension der Wirklichkeit, insofern sie mit
den Maschen des Relationalen durchdrungen ist. Medien sind daher stets
zugleich als Agenten wie als Agenturen lesbar. Aber anders als andere
Agenturen und Agenten besitzen und verfertigen Medien Handlungsmacht
nicht nur, sondern beobachten, repräsentieren und reflektieren sie
auch. Sie sind daher die Instanzen von Operationen der
Selbstthematisierung und Selbstreflexion in Agenturen, also deren
Intelligenz.
Mit dem Thema Agent und Agenturen soll das Archiv für Mediengeschichte
2008 historische wie systematische und theoretische Untersuchungen
präsentieren, für die u. a. folgende Perspektiven vorgeschlagen werden:
1. Die Intelligenz der Agenturen
Nicht erst im Kontext von Weltkriegen, Konflikten zwischen Ost und
West und globalen Bedrohungsszenarien wie internationalem Terrorismus
konstituiert sich eine Praxis des Wissens, das geheim in die
Geheimnisse der Beobachteten eindringt. Dabei handelt es sich um eine
Intelligenz, die immer nur mittels technischer, apparativer, medialer
Dispositive und Agenturen gewonnen werden kann, die nicht nur der
Überwachung dienen, sondern auch selbst Gegenstand der Überwachung
werden (Briefverkehr, Telefongespräche, E-mail-Verkehr). Aus der
Asymmetrie zwischen der imaginierten Machtposition des Beobachters
(panoptischer Blick, Belauschen des Intimsten) einerseits, des Gefühls
der Auslieferung der Beobachteten andererseits, aus dem
wechselseitigen, potentiell paranoiden Verdacht, es gebe zu
beobachtende Geheimnisse und Verschwörungen und man sei überall und
jederzeit den Intelligenz-Agenturen und ihren Überwachungsmechanismen
ausgesetzt, resultiert, dass eben diese nichtmenschlichen Akteure, die
notwendig Bestandteil der Intelligenz-Agenturen wie Gegenstand ihrer
Aktivitäten sind, phantasmatisch mit dem Potential absoluter
Bedrohlichkeit ausgestattet werden. Im Scheitern der Wissensgewinnung
bzw. der Einsicht in die Banalität des generierten Wissens kann diese
Bedrohung in Parodie umschlagen (z.B. die Gadgets des Secret Service).
2. Spedition und Delegation
Das logistische Paradigma der Spedition ist durch eine eigentümliche
Ambivalenz gekennzeichnet: Scheinbar laufen Projekte wie das Internet
der Dinge und die Adressierbarkeit aller (industriell gefertigten)
Gegenstände auf eine Kommunikationsfähigkeit der Objekte hinaus, die
diesen Selbststeuerung zuzuschreiben scheint: In letzter Konsequenz
scheinen die Dinge untereinander oder miteinander zu verkehren, ohne
noch menschlicher Intervention zu bedürfen. Gerade darin zeigt sich
aber andererseits die Verhaftetheit in einem Paradigma störungsfreier
Kommunikation, bei der die Widerständigkeit von Raum und Zeit
scheinbar gegenstandslos wird und bei der jede a-destination
ausgeschlossen ist. Die Vorstellung einer reibungslosen Kommunikation
wird auf die Welt der materiellen Gegenstände ausgeweitet, die nun
gerade keinerlei médiateurs-Status mehr haben, sondern pure
intermédiaires sind. Delegationen und dienstbare Geister treten nicht
erst seit der so genannten Dienstleistungsgesellschaft als Agenten
aller möglichen Dienste auf. An der Seite von Dienern und Bediensteten
standen immer schon Medien, Netzwerke und Artefakte als Handlanger,
die sich jedoch nicht nur als Werkzeuge und Extensionen des Willens
und der Körper begreifen lassen. Das Interesse gilt der irreduziblen
Agentur dieser vermeintlich subalternen Kräfte und Instanzen in
Prozessen der Produktion von Wissen, gesellschaftspolitischen
Konstellationen und kulturellen Praktiken.
3. Die Agentenschaft der Artefakte
Auch wenn vor allem Bilder, in besonderer Weise zur Reflexion über
ihre Agentenschaft einladen, deutet schon Bruno Latours Ausweitung des
Begriffs des Ikonoklasmus an, dass die Abwehrgeste des Fetischismus,
der die Zuschreibung von Handlungsmacht zu den Dingen als magisches
oder (sozial)pathologisches Denken abwertet, prinzipiell für jedes
Artefakt gilt. Artefakte sind aber keine intermédiaires, die lediglich
effizient und spurlos den Weg zwischen Sender und Empfänger, ihren
Intentionen und ihren Zielen, überbrücken oder ein vorgegebenes
Programm lediglich ausführen. Als médiateurs greifen sie ihrerseits in
das Geschehen ein und bestimmen es mit, so dass auch ihnen
Handlungsmacht zukommt - wenigstens im Sinne eines fait-faire oder
make do - also als etwas, das auf menschliche Akteure einwirkt, sie
transformiert oder dazu veranlasst, anders zu handeln, als wenn es
keine nichtmenschlichen Akteure gäbe. Médiateurs geben nicht "treu"
etwas wieder oder weiter, sondern transformieren es in der
Übersetzung. Es entsteht also per se etwas Neues durch ihr Agieren
oder Agieren-lassen, durch ihre Agentur. Die Anerkennung dieser
Prozesse der Agentur zwischen Menschen und Artefakten stellt auch die
traditionelle Grenze zwischen vormodernem oder nichtmodernem
("magischem") und modernem ("rationalem") Handeln in Frage.
Beiträge zu diesen und weiteren Aspekten des Themas Agent und
Agenturen sind höchst willkommen. Die Herausgeber und die Redaktion
bitten zunächst um Textvorschläge, die mit einem Kurztext (1000
Zeichen) bis zum 1. Juni 2008 bei der Redaktion des Archivs für
Mediengeschichte - Moritz Gleich, Fakultät Medien, Bauhaus-Universität
Weimar, moritz.gleichmedien.uni-weimar.de - eintreffen sollen.
Ausgearbeitete Beiträge sollten einen Umfang von 30.000 Zeichen nicht
überschreiten und bis spätestens 31. August 2008 vorliegen.
(http://www.uni-weimar.de/medien/philosophie/publikationen/afmg.htm)
Quellennachweis:
CFP: Archiv für Mediengeschichte, No. 8. In: ArtHist.net, 25.04.2008. Letzter Zugriff 16.06.2025. <https://arthist.net/archive/30285>.