ANN Oct 9, 2007

Malerei & Affekt, Kuenstlergespraeche (Wien Oct 07 - Jan 08)

Zach, Michaela

Malerei und Affekt

Künstlergespräche Oktober 2007 - Januar 2008, 19.00 Uhr

Eintritt frei

MUMOK
Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
Museumplatz 1
1070 Wien

In jüngster Zeit haben sich Theoretiker aus unterschiedlichen Bereichen dem
Studium von Affekten und ihren Auswirkungen auf unser Verhalten gewidmet.
Affekte haben ihren Ursprung in den physiologischen Zuständen, die wir als
Kleinkinder erfahren. Sie sind die 'primitiven Emotionen', die von der
Sprache eingefangen und als Gefühle kodifiziert werden. Die grundlegenden
Zustände verschwinden im Zuge dieses Prozesses nicht einfach, sondern sie
bilden weiterhin das unbewusste Fundament unseres emotionalen Lebens.
Insofern führt das Studium von Affekten zu der Frage, wie Emotionen
kollektiv produziert und wie sie in der Kunst verkörpert werden.

Die aktuelle Auseinandersetzung mit Affekten fällt mit einem revitalisierten
Interesse am Medium Malerei zusammen. Bekannte, aber ungelöste
Streitfragen - wie können Emotionen künstlerisch artikuliert werden? -
tauchen heute mit neuer Dringlichkeit auf. Keine der existierenden Theorien
vermag dabei die Spezifik und Intensität zu erklären, mit der Malerei
emotionale Erfahrungen vermittelt. Eine populäre Deutung geht davon aus,
dass die jeweiligen Affekte des/der Malers/in sich in dynamisch gesetzten
Pinselstrichen verdichtet. Die so gespeicherten Energien werden
gewissermaßen durch das Medium selbst zum/zur Betrachter/in weitergeleitet.
Diese Deutung wurde zumeist als mystifizierend, magisch, ja alchemistisch
kritisiert. Die Kritiker argumentieren, dass ein Gefühlsausdruck nicht ohne
eine Vermittlungsinstanz zwischen Sender und Empfänger auskommt. Zahlreiche
Faktoren spielen eine Rolle in der Rezeption von Malerei, der Markt ebenso
wie Ideologie. Unsere emotionalen Reaktionen beim Betrachten von Bildern
sind demnach lediglich strukturelle Effekte des uns umgebenden
Ausstellungs-Apparates.

Malerei und Affekt versucht in einer Serie von KünstlerInnengesprächen,
diese beiden entgegen gesetzten Sichtweisen aufeinander zu beziehen.
Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass wir etwas Wesentliches
verlieren, wenn wir die Spannung und Erregtheit, die sich zwischen Maler/in
und Betrachter/in einstellt, als einen bloßen Markteffekt verbuchen.
Inwiefern können Bilder dagegen Vehikel für emotionale Intensitäten sowohl
auf der Produktions- wie auf der Rezeptionsseite sein? Und wie kann die
Praxis von Malerei etwas zur sozialen Produktion von Emotionen beitragen?

Termine:

Gregg Bordowitz, 16.10., 19.00 Uhr
Malerei, Glaube und Moral
Einführungsvortrag

"Besitz ein Gemälde einen eigenen Willen? Diese Frage scheint absurd, und
doch zeigt sie eine Wahrheit auf. Jedes Kunstwerk übt einen Willen aus, es
verführt, es enthält sich, es belohnt und es bestraft. Wie ist das möglich?
Um diese Fragen zu beantworten, wenden wir uns der Malerei zu, um
unterschiedliche Darstellungen dahingehend zu erörtern, wie sich Gemälde auf
den Betrachter auswirken.
Ferner werden wir uns mit der Betrachtung von Gemälden unter der Verwendung
von digitalen Technologien auseinandersetzen: Gemälde werden digital
archiviert und sind im Internet verfügbar. Gehen wir durch Galerien
verwenden wir i-pods, um uns mit eigenen Soundtracks auszustatten. In Museen
machen wir mit unseren Handys Schnappschüsse von Gemälden und senden sie an
unsere Freunde. Was teilen wir hier mit unseren Freunden? Was ergänzen wir
mit unserer eigenen Musik?"

Al Leslie, 23.10., 19:00 Uhr
Moderation: Achim Hochdörfer

Affekt und Malerei setzt mit dem 1927 geborenen Alfred Leslie ein, der sich
in den frühen 50er Jahren im Zentrum der New Yorker Kunstszene um Jackson
Pollock und Willem de Kooning aufhält und maßgeblich an den Diskussionen
über Action Painting beteiligt ist. Seine enge Freundschaft mit den Beat
Poeten, allen voran zu Allen Ginsburg und Jack Kerouac, findet seine
deutlichste Resonanz in dem 1959 gedrehten Film Pull my Daisy, der heute als
Kultfilm der Beat Generation gilt. In Reaktion auf die Veränderungen der
Kunst im Zuge der Pop Art wendet sich Leslie Mitte der 60er Jahre einem
kruden Realismus zu, der auf verstörende Weise zugleich verklärend und
hoffnungslos diesseitig, existentialistisch und sozialkritisch ist.

Maria Lassnig, 30.10., 19:00 Uhr
Moderation: Wolfgang Drechsler

Auch nach mehr als sechs Jahrzehnten Malerei vermag Maria Lassnig noch immer
zu überraschen. Die aktuellen Arbeiten erlauben eine neue Sicht des
Gesamtwerks, das vorwiegend dem Selbstporträt gewidmet ist. Das bedeutet für
die Künstlerin nicht die Selbstabbildung, sondern eine kontinuierliche Suche
nach der inneren Körperempfindung, der "Body-awareness", wie sie es genannt
hat, und damit auch nach den Spannungen und heftigen Gefühlen, die von ihrer
Vision der Welt und der Malerei Zeugnis ablegen. Die Hartnäckigkeit ihrer
Recherchen über die Frage des Körpers und der Bestätigung ihrer weiblichen
Identität, findet heute augenscheinlich ein Echo im Schaffen vieler
Künstlerinnen und Künstler der jüngeren Generation und verleiht ihrem
einzigartigen Werk eine erstaunlich aktuelle Dimension.

Jack Whitten, 6.11., 19:00 Uhr
Moderation: Gregg Bordowitz

In der Malerei des in New York und Griechenland lebenden Jack Whitten (geb.
1939) werden Ideen als Fakten des malerischen Prozesses selbst "verkörpert".
Bereits in den frühen 70er Jahren experimentierte er mit unterschiedlichen
technischen Hilfsmitteln. So schabte er mit einer großen Holzleiste die auf
die horizontal liegende Leinwand getropfte Farbe über die Leinwand - lange
bevor Gerhard Richter und andere Künstler sich solcher Methoden bedienten.
In seinem jüngsten, großformatigen Bild 9.11.01 bezieht sich Whitten auf die
Terroranschläge in New York vor sieben Jahren. Geometrische Formen und
Künstlerinnen Anklänge an Landschaftsdarstellungen werden in einer Art
Mosaik zusammengeführt. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Teilen bewegt
sich zwischen Vereinheitlichung und Desintegration, Wiederherstellung und
erneuter Auflösung.

Amy Sillman,
Josh Smith, 13.11., 19:00 Uhr
Moderation: Gregg Bordowitz

Amy Sillman (geb. 1917) beschäftigt sich in ihren Bildern mit dem
altehrwürdigen Streit zwischen Realismus und Abstraktion. Ihre Kompositionen
wirken zuweilen unverbunden, unschlüssig, drohen auseinanderzufallen und
rufen den Eindruck ungelöster, konfliktträchtiger Emotionen hervor. Die
Kontraste und feine Nuancen der Textur scheinen taktile Empfindungen
auszusenden. Die Oberflächen der Bilder zu sehen heißt, sie zu berühren.
Zentrale Mythen der modernen Malerei werden in Josh Smiths (geb. 1976)
Bildern und Installationen verarbeitet. Klischees wie die expressive
Vitalität gestischer Malerei verbindet Smith mit einer Kritik der eigenen
Sprachmittel, die Exzentrik und Selbstmythologisierung des "Bad Painting"
mit dem Wissen um Appropriation Art und Institutionskritik, die unbedarfte
Lust an Spontaneität mit einer maschinellen Serialität der künstlerischen
Produktion.

Jutta Koether
Sadie Benning, 20.11., 19:00 Uhr
Moderation: Gregg Bordowitz

Die 1958 in Köln geborene und seit den frühen 90er Jahren in New York
lebende Jutta Koether ist Performancekünstlerin, Musikerin,
Schriftstellerin, Kritikerin, Theoretikern und arbeitet oft in
Gemeinschaftsprojekten mit anderen KünstlerInnen, verknüpft jedoch all diese
Aktivitäten mit einem erweiterten Diskurs über Malerei: "Malerei auf einen
'Grund' durchspielen und so mögliche Verbindungen der Malerei zum Anderen
sichtbar zu machen und unmögliche zu eröffnen...so wurde Malerei ein Flyer,
theatralische Requisite, Stätte theoretischen Schutts, Musik/malerische
Partituren, eine Tür, ein Gefühlsverstärker, Ort eines Wortspiels...oder
einfach nur ein Träger für Gedanken und Gefühle und Körpermasse..." (Jutta
Koether)
Die 1973 geborene Sadie Benning ist vor allem mit ihren Videoarbeiten
international bekannt. In den letzten Jahren hat sie jedoch darüber hinaus
ganz erstaunliche Bilder und Zeichnungen produziert. Dabei setzt Benning
Linie und Farbe gezielt ein, um die Grenzen zwischen den Menschen zu
dokumentieren, zu untersuchen, aber auch zu verwischen und neu zu entwerfen.
Sie spielt mit Chiffren des Emotionalen, wie sie sich in Körperhaltungen und
Posen der dargestellten Figuren zeigen, die in ihr alltägliches Umfeld
eingepasst sind.

Rafal Bujnowski, 27.11., 19:00 Uhr
Moderator: Rainer Fuchs

Der in Wadowice (Polen) lebende, 1974 geborene Rafal Bujnowski vertritt in
seinen Malereien und Videoarbeiten einen konzeptuellen, medienreflexiven
Ansatz. Er thematisiert die Techniken der Malerei und verwischt gezielt die
Grenzen zwischen der Realität des Bildes und dessen Funktion als
Trägermedium realistischer Repräsentation. So werden die Kontexte und
Bedingungen des Bildes und der Malerei - nicht ohne Humor - immer auch zum
Gegenstand der Darstellung. Bujnowski ist Mitbegründer und bis 2001 Mitglied
der Künstlergruppe "Ladnie" (dt.: hübsch), zu der u.a. auch Marcin
Maciejowski und Wilhelm Sasnal gehörten.

David Reed
Heimo Zobernig, 4.12., 19:00 Uhr
Moderation: Martin Prinzhorn

David Reeds (geb. 1945) großformatige Kompositionen flüssiger Farbgesten
und -spritzer wirken auf den ersten Blick wie fotografische Vergrößerungen
von Pinselstrichen. Bei näherer Betrachtung jedoch zeigt sich, dass alle
Markierungen präzise mit der Hand ausgearbeitet wurden. Dabei nehmen Reeds
Sprachmittel auf reproduzierbare Bildtechnologien Bezug: Überblendungen,
abrupte Schnitte, illusionistische räumliche Effekte, Breitformate,
gestische Pinselstriche, die sich wie ein Filmstreifen über die Fläche
schlängeln. "Ich wollte zeitgenössische Emotionen, und diese Emotionen sind
mit Bewegung verknüpft, mit einer Bewegung, wie sie im Film und Video zum
Ausdruck kommt." (David Reed)
Neben der Präzision bei der Analyse des Kontextsystems Kunst finden sich
auch Momente bewusst zugelassener Spontaneität im Werk von Heimo Zobernig.
Die Untersuchung des Signalcharakters geometrischer Zeichen, sowie von
Raster- und Farbsystemen führte ihn unter anderem zur Entwicklung einer
eigenen Farbenlehre. Sind seine Bühnen- und Displaykonstruktionen durch
formale und ästhetische Reduktion, unprätentiöse Ökonomie und funktionale
Benutzbarkeit gekennzeichnet, so setzt sich Zobernig gerade in den letzten
Jahren verstärkt der emotionalen und körperlichen Selbstbefragung aus.

Glenn Ligon
Elke Krystufek, 11.12., 19:00 Uhr
Moderation: Gregg Bordowitz

Glenn Ligon (geb. 1968) beschäftigt sich in unterschiedlichen Medien mit
Fragen der Rasse, Sexualität, Identität, Repräsentation und Sprache. In
vielen seiner Gemälde und Zeichnungen verwendet er Textfragmente aus
Literatur und Pop-Kultur. Dabei untersucht er das Verhältnis zwischen ihrer
Bedeutung und den davon ausgehenden Empfindungen, indem er die Größe,
Dichte, Profilierung und Farbe der Schrifttypen variiert. Die Wörter werden
"verstärkt" und dadurch in ihrer Klarheit und Signifikanz deformiert,
verdreht, entstellt. Bedeutung selbst wird gewissermaßen als eine materielle
Substanz behandelt.
In ihren Performances, Videos, Fotografien, Installationen und Gemälden ist
für Elke Krystufek der eigene Körper Material und Inhalt. Seit den 90er
Jahren provoziert sie durch das Öffentlichmachen und die Inszenierung
privater Intimität. Die unzähligen Versionen ihrer nackten Selbstportraits,
oft mit schriftlichen Aussagen kombiniert, reflektieren Selbst- und
Fremdbild, Exhibitionismus und Voyeurismus, Sexualität und Gewalt, Alltag
und Popkultur, sowie die gesellschaftlichen Normen und Rollenerwartungen,
welchen sie als Künstlerin im männlich dominierten Kunstbetrieb ausgesetzt
ist.

Reference:
ANN: Malerei & Affekt, Kuenstlergespraeche (Wien Oct 07 - Jan 08). In: ArtHist.net, Oct 9, 2007 (accessed May 19, 2024), <https://arthist.net/archive/29712>.

^