Feuilletons (13.06.-19.06.2007)
Wissenschaftsjahr 2007
"Die Geisteswissenschaften in den deutschsprachigen Feuilletons" ist
eine wöchentliche Presseschau, die der Perlentaucher in Kooperation mit
dem Wissenschaftsjahr 2007 "Die Geisteswissenschaften. ABC der
Menscheit" herausgibt. H-Soz-u-Kult veröffentlicht als Medienpartner der
Initiative eine Auswahl der Beiträge für den Bereich der
Geschichtswissenschaften.
Weitere Perlen aus den Feuilletons finden Sie auf der Website "ABC der
Menscheit" <http://www.abc-der-menschheit.de/>
Im Blickpunkt
Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Historiker Saul Friedländer
Durchweg positiv aufgenommen wurde die Nachricht, dass der Historiker
Saul Friedländer in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen
Buchhandels erhält.
Für den Deutschlandfunk hat sich Michael Köhler mit dem designierten
Preisträger unterhalten. Im Interview erklärt Friedländer zur Motivation
seiner historischen Forschung: "Jeder Historiker, scheint mir, hat einen
objektiven Grund, Historiker zu werden, aber auch und vielleicht am
stärksten einen ganz subjektiven Grund. Und in meinem Fall war es
selbstverständlich der Drang, der innere Drang, die Geschichte meiner
Zeit und meiner Familie, die ja in Auschwitz vernichtet wurde, und die
Geschichte der Juden dieser Zeit, der Hitlerzeit, zu erforschen."
Franziska Augstein ist in der SZ völlig einverstanden mit der Wahl:
"Saul Friedländer wurde im Frühjahr der Preis der Leipziger Buchmesse
verliehen. Der Friedenspreis bedeutet noch mehr: Ein sehr guter Stilist,
ein erstklassiger Historiker, der die deutsche Kultur liebt, obwohl
Deutschland seine Eltern getötet hat, wird jetzt mit einem Preis
ausgezeichnet, dessen Name Programm ist. Dieser Preisträger ehrt das
Land."
In der FR würdigt ihn Harry Nutt: "Anders als sein Kollege und großes
Vorbild Raul Hilberg, dessen jahrzehntelange Archivarbeit von einer
bemerkenswerten hermeneutischen Strenge geprägt ist, verfügt Friedländer
über ein nahezu grenzenloses Vertrauen ins Erzählen. Wissenschaftliche
Distanz und vermeintliche Objektivität waren für ihn jedenfalls nie ein
Ausschlusskriterium für andere Darstellungsweisen."
In der FAZ porträtiert Lorenz Jäger den Preisträger, in der Welt preist
ihn Jacques Schuster: "Friedländer, der Historiker mit den
hellsichtigen, spottlustigen Augen, will den Toten ein Recht
verschaffen, als das wahrgenommen zu werden, was sie waren: Sie sollen
von der Nachwelt verstanden werden, so wie sie sich in der Freiheit und
Not ihrer Gegenwart bewegten."
Deutschlandfunk, 14.6.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/636123/
SZ, 15.6.
FR, 15.6.
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1154875
FAZ, 15.6.
Welt, 16.6.
http://www.welt.de/kultur/article947552/Mit_Wissenschaft_fuer_die_Wuerde_kaempfen.html
Schwerpunkt zu Fünfziger Jahren
Die NZZ hat in ihrer Wochenendbeilage "Literatur und Kunst" einen
Schwerpunkt zu den fünfziger Jahren. Darin schreibt unter anderen die
Romanistin Barbara Vinken über die Frauenmode der Zeit: "Das Signum der
fünfziger Jahre ist die Sanduhrfigur mit Wespentaille und üppigen,
jedenfalls 'weiblich gerundeten' Busen und Hüften. Diese Figur wird
durch das Schnüren der Taille erreicht, wodurch Hüften und Busen
herausmodelliert werden, perfektioniert durch Push-ups. Mit dem New Look
kam das weiblichste aller Kleidungsstücke zurück, das die Mode der
zwanziger und dreißiger Jahre endgültig überwunden geglaubt hatte: das
Korsett, verkürzt auf die guêpière."
Der Historiker Jörg Fisch betrachtet die fünfziger Jahre aus politischer
Perspektive: "Die fünfziger Jahre überließen den Heroismus gerne dem
vorangegangenen Jahrzehnt, in dem die Welt in den größten und
opferreichsten Krieg ihrer Geschichte verwickelt gewesen war. Als
Leitmotiv bietet sich Konrad Adenauers Slogan für die westdeutschen
Bundestagswahlen von 1957 an: 'Keine Experimente!' Die Parole brachte
ihren Erfindern den größten Wahlsieg in der Geschichte der deutschen
Demokratie."
NZZ, 16.6.
http://www.nzz.ch/2007/06/16/li/articleEX0UQ.html (Vinken)
http://www.nzz.ch/2007/06/16/li/articleF8CTA.html (Fisch)
Themen der Woche
Geschichte des Lesesaals
Der Philosophieprofessor Ulrich Johannes Schneider, Direktor der
Leipziger Universitätsbibliothek, hat auf der Berliner Tagung zu
"Museum, Bibliothek, Stadtraum" einen Vortrag über die Geschichte des
Lesesaals gehalten, den die SZ gekürzt abdruckt. Schneider schließt mit
einem Ausblick auf die Zukunft - und da ist ihm offenkundig nicht bange:
"Seine elektronische Entgrenzung übersteht der Lesesaal allerdings ganz
offensichtlich gut, er behauptet sich gegenwärtig als Raumkonzept ohne
Misere. Denn weltweit gibt es einen Ansturm auf Lesesäle, dessen Gründe
man gewiss genauer analysieren muss - aber vermuten lässt sich doch,
dass die Existenz des Lesesaals bis heute auch darin begründet ist, dass
niemand die Einsamkeit des Lernens und des Forschens beruhigter und
hoffnungsvoller aushalten kann als in Räumen, die auch andere zu eben
diesem Zwecke aufsuchen."
SZ, 16.6.
Bücher und Rezensionen
Als heikel, mutig und auch noch gelungen preist der in Tübingen lehrende
Neuzeithistoriker Caspar Hirschi die Dissertation von Jaana Eichhorn, in
der sich die Historikerin mit der Nachkriegsgeschichte der
Frühneuzeitforschung auseinandersetzt: "Am aufschlussreichsten dürfte
Jaana Eichhorns Komplementäranalyse der Hexen- und Reichsforschung sein,
die exemplarisch aufzeigt, unter welchen Bedingungen sich ein populäres,
im Ruch der Unseriosität stehendes Thema zum angesehenen
Forschungsgegenstand mausern und ein längst in den historischen
Sondermüll gekippter Stoff rezykliert und aktualisiert werden kann."
FAZ, 18.6.
Konferenzen und Tagungen
Die Macht der Sprache
Für die Welt berichtet Alexander Cammann von einem überdimensionierten
Festival inklusive Fachtagung zum Thema "Die Macht der Sprache", das in
der Berliner Akademie der Künste stattfand. Viele Fragen wurden
angerissen, aber nicht alle wurden beantwortet: "Wer hat die Macht - die
Bilder oder die Sprache? Gerne hätte man sich auf diesem Festival eine
philosophische Grundsatzdiskussion über den Wandel der menschlichen
Kommunikation gewünscht... Gegen die Bilderdominanz unserer Moderne rief
das Festival glücklicherweise die Schönheit und Notwendigkeit des Wortes
in Erinnerung. Also der Sprache die Macht, ob in Politik oder
Liebesdingen. Denn die Sprache bleibt die unerschöpfliche Wunderkammer
unserer Fantasie: Am Anfang war das Wort."
Welt, 18.6.
http://www.welt.de/welt_print/article954073/Am_Anfang_war_das_Wort.html
Reference:
WWW: Geisteswissenschaften in den deutschen Feuilletons (13-19.6.2007). In: ArtHist.net, Jun 20, 2007 (accessed Apr 25, 2025), <https://arthist.net/archive/29363>.