CONF 31.05.2007

Sinn und Un-Sinn des Kultbildes (Frankfurt, 22-24 Jun 08)

Rebecca

Sinn und Un-Sinn des Kultbildes
Die Intellektualisierung und die Mystifizierung mittelalterlicher Kunst

Kolloquium, 22. - 24. Juni
Kunstgeschichtliches Institut der Johann Wolfgang Goethe - Universität in
Zusammenarbeit mit dem Liebieghaus Skulpturensammlung

Intellektuelle Bildkonzepte religiöser mittelalterlicher Kunst finden am
häufigsten ihre Erklärung durch die Allegorese der Bibelauslegung. Geradezu
das Gegenbild zu dem gelehrten Programm der Typologie stellt die übliche
Vorstellung vom Kultbild dar. Sie scheint nicht zuletzt eine Sensationslust
am irrationalen, vorästhetischen Bildergebrauch zu befriedigen. Damit ist
jedoch auch ein historisches Konfliktfeld berührt: Es gibt im Mittelalter
Gründe, das Bild zu mystifizieren und es gibt Gründe, es zu
intellektualisieren.

Als Kultbild kann jene Kunst definiert werden, die eine liturgische Funktion
erfüllt. Denn Liturgie heißt in mittelalterlichen Texten cultus. Das aber
ist eine unspezifische Definition. Wenn jedes Bild, das mit der Liturgie
verknüpft ist, Kultbild heißt, dann läßt sich mit einer solchen Definition
kaum ein Konfliktfeld der mittelalterlichen Kunst beschreiben: Eine
typologische Darstellung auf einem liturgischen Gerät kann genauso Kultbild
genannt werden wie ein anthropomorphes Reliquiar, das für anbetungswürdig
gilt. Man kann jedoch das Kultbild auch so definieren, daß Kultbild heißt,
was mit einer kultischen Praxis verbunden ist, welche nicht in dem Rahmen
der normalen liturgischen Repräsentation darstellbar ist. Diese Definition
erlaubt zumindest, eine historische Auseinandersetzung deutlich zu machen.

Gründe der Mystifizierung für die Kunst erwachsen häufig aus Krisen, in
denen andere Mittel der Krisenbewältigung nicht greifen. Das kann an der
byzantinischen Geschichte, etwa bei der Entstehung der Acheiropoieta,
nachvollzogen werden. Die nicht von menschlichen Händen gemachten Bilder
suggerieren eine gesteigerte Gegenwart Christi, die anderen Bildern nicht
gleichermaßen eigen ist. Es entstehen kultische Praktiken, die die
Acheiropoieta besonders auszeichnen. Üblicherweise spricht man hier von
Bilderverehrung. Doch ist dies eine unpräzise Angabe. Denn schon der
griechische Begriff Proskynesis hat ein anderes Assoziationsfeld als der
lateinische Begriff der Adoratio. Bei Lektüre byzantinischer Quellen, etwa
Leontios von Neapolis, erstaunt, wie klein das Spektrum dessen ist, was
Proskynesis ausmacht, so daß man Mühe hat, die Auffassung zu teilen, der
Ikonoklastenstreit sei als Reaktion auf die überhandnehmende Bilderverehrung
entstanden. Aber aus der besonderen Hervorhebung bestimmter Bilder erwuchs
die Angst vor der Gefährdung der Universalität der Liturgie. Man begegnete
dieser Gefahr entweder durch Abwehr oder durch den Versuch der Integration.
Im Westen wird ein anderes Phänomen sichtbar: Der Liber miraculorum des
Bernhard von Angers macht deutlich, daß das Kultbild das Bedürfnis der
Privatandacht befriedigt, das in der kanonisierten Liturgie zurückgedrängt
wird: Laien können ihre Bitten den Heiligenvorbringen, die durch ihr
anthropomorphes Reliquiar repräsentiert werden. Bernhard von Angers geht in
seinem Bericht der Begegnung mit der hl. Fides in Conques von liturgischen
Regelungen aus, die er offenbar aus Nordfrankreich kannte und die ihn
anfänglich zu der Ablehnung der anthropomorphen Reliquiare der Auvergne
führten.

Ein Verständnis des Kultbildes ausschließlich als Objekt paraliturgischer
Verehrung ist aber insofern problematisch, als damit die Integration von
"Kultbildern" in die Liturgie nur unzulänglich bezeichnet werden kann. Was
als Konflikt zwischen Liturgie und Paraliturgie beschrieben worden ist,
verlagert sich vielmehr häufig - wie an vielen Beispielen nachvollziehbar
ist - in die Liturgie selbst. Hier zeichnet sich ein weiterer
Definitionsbedarf ab.

Der Streit um die Bilderverehrung - mit den unterschiedlichen
Assoziationsspektren von Proskynesis und Adoratio - ist ein besonders
beachtetes Feld der Auseinandersetzung um das Bild. Als Gegenkonzepte werden
etwa die Angaben Papst Gregor des Großen angesehen, Bilder zwar als die
Schrift für die illitterati zuzulassen, nicht aber ihre Anbetung. Hier kann
auf zahlreiche weitere Quellen von den "Libri Carolini" bis zur
reformatorischen Bilderkritik verwiesen werden. In diesen
Auseinandersetzungen erscheint die Frage der liturgischen Repräsentanz und
der Devotion als dominant, auch wenn sich die Diskussion wie im
byzantinischen Bilderstreit theologisch verselbständigen konnte.

Die Abwehr der "Bilderverehrung" ist jedoch keineswegs der einzige Grund für
die Intellektualisierung der Kunst. Um Bilder im Kloster gegen die Kritik
Bernhards von Clairvaux zu verteidigen, hat Suger Bilder mit allegorischer
Bedeutung als die Bilder der litterati bezeichnet. Für ihn spielt das
Kultbild keine Rolle; nirgendwo erwähnt er das Bild als vermittelnde Instanz
der Devotion. Die Konsequenz ist in der Kunst der gotischen Kathedrale
faßbar. Hier eröffnet die Typologie, gerade der Mystifizierung der Liturgie
im Kultbild entgegengesetzt, Möglichkeiten einer "rationalen Distanz" zur
Liturgie. Sie erlaubt es, Aussagen zu machen, die durch eine unmittelbare
Repräsentation der Liturgie nicht möglich sind. Das Hiob-Salomo-Portal der
Nordfassade von Chartres, das nur aus typologischen Darstellungen besteht,
hat keine unmittelbar liturgische Funktion.

Das Kolloquium bemüht sich um Präzisierung: Es soll das Spektrum aufgezeigt
werden, das die jeweiligen Gründe für Intellektualisierung oder
Mystifizierung von Kunst verständlich macht. Ziel ist es, zu einer
kritischen Überprüfung der wissenschaftlichen Diskussion des Kultbildes
anzuregen.

PROGRAMM

Freitag, 22. Juni 2007

CAMPUS WESTEND, CASINO RAUM 1.801

14.30 Einführung
Martin Büchsel (Frankfurt)

15.00 Models of Interpretation: Contemplating and Contesting the Cult
Image in Eleventh-Century Byzantium
Charles Barber (Notre Dame)

15.50 Eben doch von Menschenhand gemacht: Zur Medialität der
Vera-Ikon-Bilder
Heike Schlie (Dortmund)

- Pause -

17.10 artificium divinum und cultus imaginum - Dürers Schmerzensmann und
die Geschichte eines Arguments von Johannes Damaszenus
Beate Fricke (Zürich)

18.00 Abt Suger von Saint-Denis: Typologie statt Heiligenbild
Martin Büchsel (Frankfurt)

Samstag, 23. Juni 2007

LIEBIEGHAUS - SKULPTURENSAMMLUNG

10.00 Die Maiestas Domini als Bild der Eucharistie
Tobias Frese (Frankfurt)

10.50 Orte und Wege - Kultische Verehrung früh- und
hochmittelalterlicher Marienbilder
Manuela Beer (Köln)

- Pause -

12.00 Das geträumte Bild. Die Marienstatue in Clermont-Ferrand
Rebecca Müller (Frankfurt)

12.50 Ritual, Reverence, and Art in the Churches of Wearmouth and Jarrow
Celia Chazelle (Princeton)

Abendvortrag

CAMPUS WESTEND, CASINO RAUM 1.801

18.00 Ikonische Repräsentation. Bildlichkeit in mittelalterlichen
Liturgiekommentaren
Thomas Lentes (Münster)

Sonntag, 24. Juni 2007

LIEBIEGHAUS - SKULPTURENSAMMLUNG

10.00 Des images pour définir l'espace du culte à Rome pendant
l'Antiquité tardive et le haut Moyen Age
Anne-Orange Poilpré (Nancy)

10.50 Roma medievale e le icone: una rivalutazione
Serena Romano (Lausanne)

- Pause -

12.00 Un-Sinn des Kultbildes?
Gerhard Wolf (Florenz)

Tagungsorte

Liebieghaus Skulpturensammlung
Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt am Main
Tel. 069 - 6500490
www.liebieghaus.de

Johann Wolfgang Goethe - Universität
Campus Westend, Casino
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main
www.uni-frankfurt.de/ueber/campi/index.html

Informationen

Prof. Dr. Martin Büchsel (buechselkunst.uni-frankfurt.de)
Dr. Rebecca Müller (r.muellerkunst.uni-frankfurt.de)

Kunstgeschichtliches Institut
der J. W. Goethe - Universität
Hausener Weg 120
60489 Frankfurt am Main
Tel. 069 - 79828336
Fax 069 - 798 28428

Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Quellennachweis:
CONF: Sinn und Un-Sinn des Kultbildes (Frankfurt, 22-24 Jun 08). In: ArtHist.net, 31.05.2007. Letzter Zugriff 17.05.2024. <https://arthist.net/archive/29337>.

^