„Das Volk, das fehlt?“
Kunst und die kulturelle Produktion von Gemeinschaft
Die Frage nach der „gesellschaftlichen Relevanz“ von Kunst wird zumeist
defensiv mit dem Hinweis auf ihre „kritische“ Funktion oder ihr
„negatives“ Verhältnis zur bestehenden Ordnung des Sozialen beantwortet.
Ihr faktisches Gemeinschaft stiftendes Potential, die Tatsache, dass sie
in der einen oder anderen Weise stets positiv sozialisierend zu wirken
vermag: die communitas der Kunst also scheint sich heute nicht mehr ohne
weiteres als affirmierbare politische Perspektive ästhetischer Produktion
namhaft machen zu lassen. Dies hat freilich seine guten Gründe. Scheint
doch jene, seit der Romantik virulente poetische Programmatik, die das
Kunstwerk als Identifikation und Zusammenhalt herstellendes Bezugsobjekt
gegen gesellschaftliche Desintegrationsprozesse mobilisieren möchte, nur
einer Zuschaltung der Kunst in die ideologischen Apparate moderner
Staaten zugearbeitet zu haben. Kunst verstrickte sich in die Geschichte
der Macht. Doch Versammlungs- und zugleich Begründungsort einer Totalität
des Gemeinwesens, eines „Volkes“ zu sein, war in der Moderne tatsächlich
eine zumeist bloß herbei gewünschte Funktion künstlerischer Praxis. Das
„Volk“, auf das hin sie sich entwarf, „fehlte“ in der Regel. Dass es
einstweilen noch fehlen müsse, dereinst aber von der Kunst
zusammengerufen werden könne, war eine utopische Denkfigur der
klassischen Avantgarden. Diesen Phantasien steht nicht nur die Faktizität
der kontingenten sozialen Relationen gegenüber, in welche die Herstellung
und Rezeption von Kunst tatsächlich eingebettet war; ihr steht – von den
Bünden der Romantik bis zu den Avantgarde-Gruppen des 20. Jahrhunderts –
auch eine Poetik gegenüber, welche die Stiftung partikulärer und
konkreter Gemeinschaften als Ziel begreift. Die Vortragsreihe möchte die
Gelegenheit geben, nicht nur die Wege und Abwege nachzuzeichnen, welche
die Kunst im unsicheren Terrain zwischen Staatspolitik und einer „Politik
der Freundschaft“ beschritten hat, sondern auch die Situationen zu
beleuchten, in die sie im Feld des Sozialen gestellt war und ist.
ACHTUNG: Der Eröffnungsvortrag findet am Dienstag, alle anderen Vorträge
MONTAG abends statt !
7. November – Susanne Lüdemann (Berlin)
Vom römischen Carneval zur ökonomischen Automate. Repräsentationen des
Volks bei Goethe und E.T.A. Hoffmann
20. November – Claudia Blümle (Basel)
Das Volk als Zeuge. Malerei und Jurisprudenz in der frühen Neuzeit
4. Dezember – Eva Horn (Basel)
Der nackte Leib des Volkes. Politische Aporien in Büchners Danton's Tod
18. Dezember – Oliver Marchart (Luzern) Der David’sche Moment
15. Januar – Juliane Rebentisch (Berlin)
Dekonfigurationen der Gemeinschaft. Mathias Polednas 'Version'
29. Januar – Albrecht Koschorke (Konstanz)
Das Volk als Gerücht. Zu einem unsichtbaren Akteur im barocken Trauerspiel
5. Februar – Ralph Ubl (Karlsruhe)
Die Gemeinschaft der Malerei. Überlegungen zu Eugène Delacroix
Die Vorträge finden um 18.15 Uhr im Erdgeschoss des Kunsthistorischen
Instituts der Uni Zürich, im Raum 8, Rämistr. 73 statt.
Konzept und Organisation: Beate Fricke und Stefan Neuner
Reference:
ANN: "Das Volk, das fehlt?" (Zuerich, Nov06-Feb07). In: ArtHist.net, Oct 18, 2006 (accessed May 13, 2025), <https://arthist.net/archive/28674>.