TOC 21.04.2005

Marburger Jahrbuch fuer Kunstwissenschaft 31 (2004)

Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 31 (2004)

Dietrich Heißenbüttel
Die Frage des Byzantinischen. Historischer Kontext, Stil und Ikonographie der
apulischen Wandmalerei des hohen Mittelalters am Beispiel der Stadt Matera und
ihres Einzugsgebiets (S. 7-40)

Die Malerei des hohen Mittelalters in den süditalienischen Provinzen von
Apulien bis Sizilien gilt gemeinhin als byzantinisch. Eine getrennte
Untersuchung der historischen Entwicklung sowie von Stil und Ikonographie der
Malerei der Stadt Matera und ihres Umfelds kann zeigen, daß der erste Eindruck
zu falschen Schlüssen verleitet. Geprägt von langobardischen Traditionen und
westkirchlicher Dominanz ist die Malerei des Materaner Gebiets mit dem
griechischen Osten nur durch eine sehr allgemeine, ältere historische
Erfahrung verbunden, deren Spuren sich auch in den Wandbildern auffinden
lassen. Um die Epoche zu kennzeichnen, wäre es besser, nicht von
byzantinischer, sondern von postikonoklastischer Malerei zu sprechen.

Markus Späth
Das 'Regestum' von Sant'Angelo in Formis. Zur Medialität der Bilder in einem
klösterlichen Kopialbuch des 12. Jahrhunderts (S. 41-59)

Am Beispiel des 'Regestum' des süditalienischen Priorats Sant'Angelo in Formis
wird dargelegt, daß es in klösterlichen Kopialbüchern des 12. Jahrhunderts
unterschiedliche Kategorien von Bildlichkeit gab: In dem um 1140/44
entstandenen Codex wurden nicht nur wichtige Urkundenabschriften durch
szenische Federzeichnungen hervorgehoben, die deren historische
Übergabekontexte visualisieren und damit die Kontinuität vor Augen führen, mit
der das Priorat von der jeweils höchsten klerikalen und weltlichen
Schutzinstanz privilegiert wurde; vielmehr wurde auch die Bildlichkeit der
Urkunden ins 'Regestum' übertragen, wo die originalen Siegel durch
Medaillonbildnisse der Stifter ersetzt sind. Durch den Rückgriff auf den
kommunikativen Modus der Vorbilder sicherten die Medaillons die Erinnerung an
die Historizität der Übergabeereignisse und die permanente Präsenz der Stifter.

Susanne H. Kolter
Sintflut und Weltgericht. Beobachtungen zum Fünfzehn-Zeichen-Zyklus im
,Holkham Bible Picture Book' (S. 61-82)

Der Aufsatz setzt sich mit den künstlerischen Eigenheiten der
Fünfzehn-Zeichen-Legende im 'Holkham Bible Picture Book' auseinander. Es
handelt sich hier vermutlich um die erste komplette bildliche Bearbeitung
dieses Themas und zudem um eine Nahtstelle zwischen den Bildmotiven der
Vorzeichenlegende und verschiedenen älteren ikonographischen Traditionen.
Gerade fol. 41r dieser um 1330 entstandenen englischen Bilderbibel zeigt mit
dem 8. und 9. Zeichen (Erdbeben und Erdeinebnung) erstaunliche konzeptuelle
Besonderheiten gegenüber anderen Fünfzehn-Zeichen-Darstellungen. Darüber
hinaus verweist die außergewöhnliche Fassung dieser beiden Zeichen auf eine
komplexe Verbindung zwischen den Themen "Schöpfung", "Sintflut" und
"Weltgericht" innerhalb des 'Holkham Bible Picture Book'.

Stephan Albrecht
Das Grabmal als Politikum. Die mittelalterlichen Herrschergrabmäler in der
Kathedrale von Rouen (S. 83-103)

Der Aufsatz rekonstruiert die ehemals aufwendig gestaltete mittelalterliche
Grablege der normannischen Herzöge in der Kathedrale von Rouen. Im Mittelpunkt
steht eine Analyse der im 13. und 14. Jahrhundert entstandenen Einzeldenkmale
für Heinrich den Jungen (gest. 1183), Richard Löwenherz (gest. 1199), Karl V.
(gest. 1380), Rollo (gest. 927) und Wilhelm Langschwert (gest. 943). Hieran
schließt sich eine Untersuchung des gewachsenen Ensembles an, welche die
Entstehungsbedingungen und Entwicklungsphasen beschreibt und Rouen mit
zeitgenössischen Grablegen vergleicht. Schließlich wird der gewachsene Kontext
als politische Forderung zur Wiedereinführung des 1214 erloschenen Herzogtums
der Normandie interpretiert.

Philine Helas
Die Predigt in der Weltenlandschaft. Zur Agitation von Fra Marco da Montegallo
für den Monte di Pietà in einem Stich von Francesco Rosselli (ca. 1485) (S.
105-144)

Ein Kupferstich, ca. 1485 von Francesco Rosselli geschaffen, setzt die
Predigttätigkeit des Fra Marco da Montegallo (1425-1486) ins Bild. Der
Franziskaner-Observant gehörte zu den Initiatoren der "Monti di Pietà", die
durch zinslose Kleinkredite ärmere Bevölkerungsschichten vor der Verschuldung
bewahren sollten. Daß diese Agitation eine antijüdische Stoßrichtung hatte,
visualisiert der Stich aber ebensowenig wie die Problematik eines christlichen
Geldverleihs überhaupt. Die Repräsentation des 'mons pietatis' wird
überblendet durch die Darstellung des traditionellen Kanons der Werke der
Barmherzigkeit; der "mons" bildet den Mittelpunkt einer idealen christlichen
'communitas' im Namen des eucharistischen Leibes Christi, deren globaler
Anspruch im Ausgreifen in eine Weltenlandschaft deutlich wird. Der Stich
bildete die Vorlage einer reduzierten Holzschnitt-Fassung, die mit einem von
Fra Marco selbst verfaßten Kommentar verbreitet wurde. Der Artikel zeigt
exemplarisch den ingeniösen Umgang der Observantenprediger mit den neuen Bild-
und Reproduktionsmedien in der Propagierung einer städtischen Wirtschafts- und
Sozialethik, deren Exklusionsmechanismen hier verschleiert oder in anderen
Fällen polemisch ausgespielt werden.

Arwed Arnulf
Dürers Buchprojekte von 1511. Andachtsbücher für Humanisten (S. 145-174)

Im Jahr 1511 verlegte Dürer die 'Große Passion' und die 'Kleine Passion', das
'Marienleben' und die erstmals 1498 gedruckte 'Apokalypse' in Buchform.
Passionen und 'Marienleben' wurden mit anspruchsvollen lateinischen Versen
versehen, die Benedictus Chelidonius kompilierte bzw. für diesen Zweck
verfaßte. Es entstand ein neuer Buchtyp, das Andachtsbuch für den humanistisch
orientierten Gelehrten. Betrachtet man die bisher beinahe ausschließlich als
Bildfolgen gewürdigten Zyklen als Bücher, die aus Text und Bild bestehen,
untersucht deren Eigenheiten und setzt sie von früheren illustrierten Büchern
ab, so erweisen sich Dürers Publikationen des Jahres 1511 als aufwendig
vorbereitete und neuartig gestaltete Produkte, die gezielt für ein Publikum
geschaffen wurden, das den humanistischen Bildungs- und Geschmacksidealen
anhing.

Gerald Schröder
Versteinernder Blick und entflammte Begierde. Giambolognas 'Raub der
Sabinerin' im Spannungsfeld poetisch reflektierter Wirkungsästhetik und
narrativer Semantik (S. 175-203)

Giambolognas Statuengruppe von 1583 gilt nicht zuletzt deshalb als ein
Hauptwerk des Manierismus, weil hier die Prädomination virtuoser Form
gegenüber einer narrativen Aussage besonders evident sei. Den zum Gemeinplatz
avancierten Hiatus von Form und Inhalt in Frage stellend, wird die These
entfaltet, daß Giambologna im Wettstreit mit anderen Bildhauern auch auf
bestimmte "concetti" der Kunstbetrachtung reagierte, die vor allem auf den
Mythen von Medusa und Pygmalion basieren. Schließlich erweist sich die
Statuengruppe als Schnittpunkt ästhetischer und politischer Diskurse und
diente gerade damit der öffentlichen Repräsentation des Großherzogs Francesco,
der seine Macht durch eine ästhetisch hochreflektierte Kunst zur Darstellung
gebracht hat.

Esther Meier
Joachim von Sandrarts 'LebensLauf'. Dichtung oder Wahrheit? (S. 205-239)

Mit Sandrarts 'LebensLauf' in der 'Teutschen Academie' von 1675 liegt ein
sorgfältig komponierter Text vor, den der Literat Sigmund von Birken verfaßte.
Die Vita des weitgereisten Malers und Kunsttheoretikers zeichnet vordergründig
dessen wichtigste Lebensstationen nach und stellt sein umfangreiches
künstlerisches Werk vor. Die Biographie will jedoch nicht allein das
erfolgreiche Leben eines angesehenen Malers vor Augen führen, sondern verfolgt
weiterführende Absichten. Die eingeflochtenen Anekdoten, Topoi und Motive -
nicht zuletzt die ausgewählten und sehr bewußt plazierten Ekphrasen - legen
den Schluß nahe, daß der 'LebensLauf' auch als "Empfehlungsschreiben"
fungierte, das Sandrarts Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft
erleichtern sollte.

Christine Rüppell
"Ein Salett von oben bis unten mit Architectur, Figuren und Pferden". Der
Stallsaal von Schloß Weißenstein in Pommersfelden (S. 241-268)

Kurfürst Lothar Franz von Schönborn ließ ab 1718 den Mittelsaal seines
Marstalls in Pommersfelden durch die Künstler Johann Rudolf Bys und Giovanni
Francesco Marchini vollständig mit Fresken ausgestalten. In einer aufwendigen
Quadraturmalerei zeigt das ikonographische Programm u. a. an der Hand
vorgeführte Pferde europäischer und osmanischer Provenienz, umgeben von
prunkvollem Sattel- und Zaumzeug. Putten evozieren ein höfisches Turnier,
während auf dem Deckengemälde Pegasus und Perseus Andromeda befreien. In
seiner Funktionalität ordnet sich der Stallsaal ästhetischen und
repräsentativen Ansprüchen unter. Als reiner "Schauraum" legitimiert er sich
durch seine Verbindung zum Schloßbau, indem er dessen imperiale und
kosmologische Programmatik aufnimmt.

Claudia Hattendorff
Göttliche Weisheit, glückhafter Bruderbund, politische und ideale
Freundschaft. Vivant Denon und die Projekte für ein Denkmal zur Erinnerung an
das Treffen Napoleons mit Zar Alexander in Erfurt im Jahre 1808 (S. 269-287)

Im Jahr 1808 hielt Napoleon I. mit Zar Alexander I. in der französischen
Enklave Erfurt ein mehr als zweiwöchiges Gipfeltreffen ab. Die politischen
Ergebnisse waren bescheiden und wurden der Öffentlichkeit nicht
bekanntgemacht, doch erteilte der französische Kaiser Anfang 1809 den Auftrag
zu einem Denkmal in Erfurt, das an das Gipfeltreffen erinnern sollte. Der
Auftrag erging zuerst an das Dépôt général de la guerre, dann an den Direktor
des Musée Napoléon, Vivant Denon. In der Folge entstanden mindestens vier
Entwürfe. Zwar kam keiner von ihnen zur Ausführung, insbesondere die Entwürfe
Denons interessieren aber aufgrund ihrer ideenreichen, von freimaurerlichem
Gedankengut durchdrungenen Antwort auf widrige politische Umstände. Die
Geschichte und Gestalt dieser Entwürfe, ihre Semantik und ihre Implikationen
für den politischen Bildeinsatz in napoleonischer Zeit werden daher einer
detaillierten Untersuchung unterzogen.

Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft.
Marburg: Verlag des Kunstgeschichtlichen Instituts der Philipps-Universität
Marburg. ISSN 0342-121X

Homepage:
http://www.uni-marburg.de/kunstgeschichte/forschung/Jahrbuch/Jahrbuchallgemein.html

Redaktion Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft
Philipps-Universität Marburg
Kunstgeschichtliches Institut
Biegenstr. 11
35037 Marburg / Lahn
E-Mail: kieferfotomarburg.de

Quellennachweis:
TOC: Marburger Jahrbuch fuer Kunstwissenschaft 31 (2004). In: ArtHist.net, 21.04.2005. Letzter Zugriff 05.07.2025. <https://arthist.net/archive/27149>.

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