26.01.2004

FORUM: Historische Bildforschung (Graf)

Klaus Graf

Der juristische Beitrag folgt eng der herkömmlichen Dogmatik des
Urheberrechts und birgt die Gefahr in sich, dass neuere Entwicklungen, die
eine stärkere Berücksichtigung der Kommunikationsgrundrechte bei der
Auslegung des Urheberrechts fordern, ausgeblendet werden.

In welchem Umfang die herrschende Lehre des Urheberrechts die
wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Bildern behindert, lässt sich
mangels empirischer Studien zum Thema nicht hinreichend abgesichert angeben.
Sicher ist, dass die zunehmende digitale Vermarktung von Bildrechten
gravierende Folgen für die Forschung hat. Siehe dazu jüngst den Artikel von
Rita Gudermann in der ZEIT, online:
http://www.zeit.de/2004/03/Bildrechte-digital

Was dringend erforderlich wäre, wäre ein offener Diskurs darüber, welche
negativen Konsequenzen das traditionelle Urheberrecht für die freie
Auseinandersetzung mit Bildern hat. In einem Skript zum Thema Urheberrecht
liest man etwa:

"Sowohl bei Zitaten in wissenschaftlichen Werken, als auch bei Übernahmen,
die sich auf das Recht zum kleinen Großzitat stützen, kann nicht in
beliebigem Umfang übernommen werden, auch wenn alle zitierten Werke dem
Beleg von Aussagen dienen. So hat das LG München bei einem Beitrag der
Zeitschrift EMMA, der sich mit dem Werk des Fotographen Helmut Newton
auseinandersetzte, den Abdruck von 19 Fotos selbst unter der Annahme, es
handle sich um ein wissenschaftliches Werk und alle Fotos würden zum Beleg
angeführt, nicht mehr als vom Zitatrecht gedeckt angesehen. Die Abwägung
zwischen dem Eigentumsrecht Newtons und dem durch Art. 5 Abs. 1 bzw. Abs. 3
GG geschützten Interesse der EMMA müsse zugunsten von Newton ausfallen, wenn
nennenswerte Teile seines Werkes übernommen werden und die publizistische
Aussage, um die es der EMMA ging, auch mit weniger Belegen möglich gewesen
wäre".

http://www.rrz.uni-hamburg.de/hans-bredow-institut/ws-lehr/lehre/sose1999/jo
urnalistik/re-pr.htm

Bei 19 Fotos liegt für die traditionelle Sicht des Urheberrechts der
Verdacht des Missbrauchs mehr als nahe. Aber: Eine detaillierte
Interpretation von bestimmten (von EMMA seinerzeit als sexistisch
bewerteten) Darstellungsstrategien eines berühmten zeitgenössischen
Fotografen, der noch nicht 70 Jahre tot ist, muss intensiv mit
Bildbeispielen argumentieren dürfen. Wenn nur das abgebildet werden darf,
was auch bezahlbar ist, wird der Raum für die
wissenschaftlich-publizistische Auseinandersetzung mit Bildern zu sehr
eingeengt. Wenn es um 19 längere Zitate aus dem Text eines lebenden Autors
gegangen wäre, wäre die Gerichtsentscheidung wohl anders ausgefallen. Zwar
wurde die BGH-Entscheidung "Geistchristentum" von 1986, die höchst
umfangreiche Zitate aus einem Werk zuliess, von Urheberrechtlern kritisiert,
aber sie zeigte doch im Ergebnis großes Verständnis für das Anliegen der
Wissenschaft, dem Leser durch Zitate eine unmittelbare Kontrolle der
Ausführungen über das fremde Werk zu ermöglichen.

Alle Erörterungen über eine historische Bildwissenschaft stehen unter dem
Vorbehalt, dass es gelingt, mit Bildrechten in angemessener Weise umzugehen.
Hier kann man nur auf einen gesellschaftlichen Prozess hoffen, der
Urheberrecht und die Rechte der Allgemeinheit bzw. der Forschung neu
ausbalanciert.

Dr. Klaus Graf

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Quellennachweis:
FORUM: Historische Bildforschung (Graf). In: ArtHist.net, 26.01.2004. Letzter Zugriff 10.02.2025. <https://arthist.net/archive/26122>.

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