CFP Oct 31, 2003

Bilder der Medizin (Stuttgart, May 04)

Philipp Osten

Bilder der Medizin

23. Stuttgarter Fortbildungsseminar am Institut für Geschichte der Medizin
der Robert Bosch Stiftung

Vom 6. bis 8. Mai 2004 findet am Institut für Geschichte der Medizin der
Robert Bosch Stiftung das 23. Stuttgarter Fortbildungsseminar statt. Das
Thema "Bilder der Medizin" wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern
des vorangegangenen Seminars gewählt. Die Gestaltung des Programms und die
Diskussionsleitung werden von Janina Kehr (Berlin), Mirjam Triendl
(München), Heiner Fangerau (Düsseldorf), Andreas Schwab (Bern) und Philipp
Osten (Stuttgart) übernommen.

Diese Vorbereitungsgruppe wählt in einem anonymisierten Verfahren aus den
eingegangenen Anmeldungen 15 Teilnehmer/innen aus, die mit einem
viertelstündigen Vortrag oder mit der Vorbereitung und Leitung einer
Arbeitsgruppe (in diesem Fall vorzugsweise zu zweit) an dem Seminar
teilnehmen.

Anmeldeformulare mit einem Exposé von max. 15 bis 20 Zeilen, aus dem die
Fragestellung und methodische Herangehensweise hervorgehen, schicken Sie
bitte bis zum 15. Januar 2004 an:
Philipp Osten
Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung
Straußweg 17
D 70184 Stuttgart
philipp.ostenigm-bosch.de

Die Teilnahme an dem Fortbildungsseminar wird vom Stuttgarter Institut
finanziert, das schließt Übernachtungen, gemeinsame Mahlzeiten und
Reisekosten einer Bahnfahrt 2. Klasse (alternativ eines Flugs mit
Frühbucherrabatt oder die Fahrt im eigenen PKW) ein.

Vorbemerkung

Das Stuttgarter Fortbildungsseminar ist weder der Form noch dem Ziel nach
eine klassische Fachtagung. Im Vordergrund steht die kommunikative
Auseinandersetzung mit einem gemeinsamen Thema. Daher sind dort weniger
perfekt ausgearbeitete Präsentationen von Forschungsergebnissen gefragt,
als vielmehr neue methodische Herangehensweisen, Fragestellungen und
anspruchsvolle Thesen. Jedem Beitrag soll genügend Zeit zu einer
produktiven Diskussion gegeben werden, dabei wird die Möglichkeit
bestehen, sich auf Vorangegangenes zu beziehen und inhaltlich aufeinander
aufzubauen. Es ist daher erforderlich daß alle Teilnehmerinnen und
Teilnehmer während der gesamten Dauer des Seminars anwesend sind
(Anreisetag ist bereits der 5. Mai 2004). Vier Wochen vor der Tagung
müssen die Referent/innen ein Thesenpapier für einen Reader einreichen,
der an alle Teilnehmer/innen zur Vorbereitung versandt wird.

Zum Thema

"Bilder der Medizin" finden sich in Lehrbüchern und Illustrierten, in
Gemäldegalerien ebenso wie auf Festplatten der Forschungsrechner, und sie
finden sich in den Köpfen von Ärztinnen, Patienten und Historikerinnen.
Der mehrdeutige Titel eröffnet die Möglichkeit, "Bilder" sowohl als
Modelle und Vorstellungen, wie als Zeugnisse und Quellen "der Medizin" zu
betrachten.

Kaum eine Gruppe von Quellen hat in den vergangenen zehn Jahren eine solch
steigende Beachtung erfahren wie Bilder. Innerhalb kürzester Zeit wurden
aus illustrativen Beigaben historischer Publikationen Gegenstände
zahlreicher Forschungsprojekte und nicht selten erregter Debatten. Anders
als der in den 1980er Jahren vollzogene linguistic turn beschreibt der
iconic turn nicht allein eine methodische Wende. Er gilt vielmehr als
zwangsläufige Reaktion auf die zunehmende Verdrängung des Wortes durch das
Bild. Faszination und Befremden sind oft die ersten Reaktionen auf die
Durchsicht großer Bildkonvolute, insbesondere wenn es sich dabei um
Fotografien medizinischen Inhalts handelt. Als Entdämonisierungsprozeß
beschrieb es der Kunstwissenschaftler Aby Warburg, Bilder und Motive
seines Archivs zu Gruppen zusammenzufassen und systematisch zu ordnen.
Heute bildet das Sammeln, Erfassen und Sortieren mit Hilfe von Datendanken
häufig den Anfang der historischen Aufarbeitung eines Bildbestandes. Doch
selbst im Zeitalter elektronischer Bildarchive muß das einzelne Bild als
eigenständige Quelle interpretiert werden. Auch für die Medizingeschichte
erschließen sich Bilder nicht, wenn sie als reine Illustrationen
schriftlicher Texte aufgefaßt werden. Eine an sozialhistorischen,
ökonomischen und politischen Hintergründen orientierte Ikonographie kann
sich vielfältiger Bezugspunkte bedienen, die von Hagiographie und
Numismatik bis hin zu Medienanalysen reichen. Das Fortbildungsseminar
"Bilder der Medizin" bietet die Gelegenheit, sich epochen-übergreifend mit
unterschiedlichen Ansätzen auseinanderzusetzen.

Eine ähnliche Konjunktur, wie sie Bildern als sozialhistorischen Quellen
zukam, erfuhr in der Wissenschaftsgeschichte die Bewertung von
Modellvorstellungen für die Entwicklung neuer Theorien. Auch diese
"abstrakten" Bilder stehen in einem historischen Kontext, der sie wiederum
selbst zu Metaphern großer Entdeckungen oder hartnäckiger
Fehlentwicklungen werden läßt. Das Modell von dem genetischen Code als
einem dechiffrierbaren Computerprogramm führte auf teuere aber
vergleichsweise harmlose Irrwege. Erbbiologische Schautafeln und
Stammbäume dagegen bereiteten den ideologischen Hintergrund für Selektion
und Mord.

Die Popularisierung von medizinischen Inhalten durch Bilder und deren
Rezeption sind Gegenstand einer dritten Gruppe von Vortragsthemen, die
unter dem Titel "Bilder der Medizin" zu fassen sind. Ausstellungen und
Filme lassen Bilder von Krankheiten und Kranken zu einem Teil medialer
Kultur werden. Doch bleibt die Autorisierung dieser Darstellungen nicht
allein der naturwissenschaftlichen Medizin überlassen. Vielmehr ist die
Medizin selbst Gegenstand öffentlicher Debatten und privater
Vorstellungen. Ausstellungskataloge oder Berichte zu Kunstfehlerskandalen,
private Briefe oder statistische Zahlenreihen, Arztfilme oder
dokumentarische Patientenfotografien, Werbebotschaften oder Karikaturen,
in all diesen Bereichen bieten "Bilder der Medizin" Zeugnisse der Sozial-
und Kulturgeschichte.

Anregungen

Die folgende Übersicht stellt beispielhaft Inhalte vor, zu denen Vorträge
für das Fortbildungsseminar angeboten werden könnten. Dies soll keine
Einschränkung auf die genannten Bereiche sein, sondern Anregungen bieten.

- Bildliche Repräsentationen von medizinischen Berufen und Handlungsweisen
- Bedeutung von Bildern für die Verbreitung medizinischer Theorien
- Darstellungen von Krankheiten und Kranken und ihre Wirkung auf Kranke
und Gesellschaft
- Bildarchive in der Medizin: Kunstkammern, Private Sammlungen,
Krankenhausarchive, Datenbanken
- Bildgebende Diagnostik: Befunddokumentationen, Röntgenbilder,
Computertomogramme und Magnetresonanzen
- Präsentation von Medizin durch Interessenverbände und gesellschaftliche
Gruppen
- Künstlerische Auseinandersetzungen mit Krankheit und Medizin
- Schematische Visualisierung naturwissenschaftlicher Zusammenhänge in
Fachliteratur und populären Medien
- Medizin in laufenden Bildern: Arztfilme, Krankenhausserien,
Aufklärungsfilme und medizinische Propaganda
- Mediale Repräsentation von humanitären Einsätzen in Kolonien oder
"Krisenregionen"
- Ausstellungen, Museen und Kabinette mit Objekten und Darstellungen aus
der Medizin
- Medizin in der Werbung

Literatur:

Diese Liste zeigt einen kleinen Ausschnitt der Forschungsliteratur zum
Thema. Auch sie ist als Anregung zu verstehen.

Baier, Wolfgang: Quellendarstellungen zur Geschichte der Fotografie.
München 1977.
Belting, Hans: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter
der Kunst. München 1990.
Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft.
München 2001
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit. Frankfurt 1963.
Boehm, Wolfgang (Hrsg.): Was ist ein Bild? München 1994.
Braun, Christina von: Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild,
Geschlecht. Zürich 2001.
Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte
der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte. Berlin 1993.
Bronfen, Elisabeth: Das verknotete Subjekt. Hysterie in der Moderne.
Berlin 1998.
Didi-Huberman, Georges: Die Erfindung der Hysterie. München 1997.
Cartwright, Lisa: Screening the Body. Tracing Medicine's Visual Culture.
Minneapolis 1995.
Dinges, Martin; Schlich, Thomas (Hrsg.): Neue Wege in der
Seuchengeschichte. Stuttgart 1995.
Fleck, Ludwik: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen
Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv.
Frankfurt 1980.
Fox Keller, Evelyn: Das Leben neu Denken. Metaphern der Biologie im 20.
Jahrhundert. München 1998.
Gilman, Sander L.: Disease and Representation. Images of Illness from
Madness to Aids. Ithaca 1988.
Gilman, Sander L.; Schmölders, Claudia (Hrsg.): Gesichter der Weimarer
Republik. Eine physiognomische Kulturgeschichte. Köln 2000.
Ginzburg, Carlo: Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich
selbst. Berlin 2002.
Gugerli, David: Soziotechnische Evidenzen. Der «pictorial turn» als Chance
für die Geschichtswissenschaft, in: Traverse 3, 1999, S. 131-159.
Hagner, Michael; Rheinberger, Hans-Jörg; Wahrig-Schmidt, Bettina (Hrsg.):
Objekte, Differenzen und Konjunkturen. Experimentalsysteme im historischen
Kontext. Berlin 1994.
Haraway, Donna: Modest Witness@ Second Millennium. Femaleman Meets
Oncomouse. Feminism and Technoscience. New York 1997.
Haskell, Francis: Die Geschichte und ihre Bilder. Die Kunst und die
Deutung der
Vergangenheit. München 1995.
Pickering, Andrew (Hrsg.): Science as Practice and Culture. London 1992.
Rheinberger, Hans-Jörg; Hagner, Michael; Wahrig-Schmidt, Bettina (Hrsg.):
Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Berlin 1997.
Sontag, Susan: Über Fotografie. Frankfurt 2003.
Stafford, Barbara Maria: Body Criticism. Imaging the Unseen in Enlightment
Art and Medicine. Cambridge/MA 1992.
Wolf, Herta (Hrsg.): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des
fotografischen Zeitalters. Frankfurt 2002.

Reference:
CFP: Bilder der Medizin (Stuttgart, May 04). In: ArtHist.net, Oct 31, 2003 (accessed Feb 5, 2025), <https://arthist.net/archive/25933>.

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