-engilsh version below-
Geschichte(n) in den Künsten nach dem Ende des Kalten Krieges
Grundsätzlich hat Geschichte immer mit Erzählen zu tun. Erzählen kann als Grundprinzip aller historisierenden Wissenschaften betrachtet werden. Die Tagung fragt nach den Bedingungen der Herstellung und Beschaffenheit des Erkenntnisbereiches von Geschichte(n) in den Künsten nach dem Zusammenbruch der Blöcke und ihrer ideologischer Systeme (Ost wie West). In den 1990er Jahren schaffen Künstlerinnen und Künstler historisch-politische Kontexte, indem sie vergangene Perspektiven auf Geschichte einer Revision unterziehen. Sie gehen in Archive, wählen Quellen aus, bringen Objekte zum Vorschein, bespielen sie solange mit unzähligen Referenzen, bis von ihnen eine vibrierende Referentialität ausgeht. Erzählend konstruieren sie ihren Gegenstand: die Geschichte. Welche neuen Erzählmuster lassen sich aus den Arbeiten extrahieren? Mit welchen Strategien erschaffen Künstlerinnen und Künstler aussergewöhnliche zeithistorischer Ereignisse? Ziel der Tagung ist, poetologische Handlungsanweisungen im Umgang mit Geschichte zu diskutieren.
Dieses Anliegen verbindet auf der methodologischen Ebene gegenwärtige mit historischen Ansätzen: In der Analyse und Interpretation älterer Kunst gibt es nämlich zahlreiche Theorien (Max Imdahl, Wolfgang Kemp), die sich mit Bildererzählungen befassen. Sie zeigen, dass diese nicht nur Illustrationen von literarischen, historischen und religiösen Geschichten sind, sondern eigenständige narrative Strukturen entwickeln. Eine solch tiefschürfende Untersuchung muss auch für die neuere Kunst geleistet werden, um die bereits bestehenden Ansätze (Mieke Bal, Peter Weibel) zu erweitern. Dabei geht die Tagung von einem erweiterten Bildbegriff aus und behandelt Formen installativer, skulpturaler, fotografischer und filmischer Beschäftigungen mit Geschichte gleichberechtigt. Das zieht Fragen nach der Rolle medialer Übertragungsprozesse bei der Aufarbeitung und Repräsentation zeithistorischer Ereignisse in den Künsten nach sich. Welchen Mechanismen unterliegen die künstlerischen Befragungen von Geschichte? Welchen Logiken folgen sie, etwa im Aufzeigen oder Verbergen von Quellen, Konsultieren von Archiven oder in der überraschenden Aktualisierung von Thematiken und Motiven? Wie Künstlerinnen und Künstler in andere Disziplinen transgressiv hineingehen und die dort aufgespürten Informationen in den Künsten als hybriden Erzählraum re- organisieren, verbindet sich mit der Frage, welche Rollen und Identitäten sie bei diesem explorativen Verhalten einnehmen. Ein Aspekt über den auch schon Hal Foster geschrieben hat, der in der Tagung aber erweitert werden soll.
Übergeordnet geht es der Tagung um Fragestellungen der Relationalität; darum, die Verbindung des Neuen mit dem Alten offenzulegen und zu fragen: Wie entsteht Neues und Anderes in der Kunst? Im Umkehrschluss kann so die Aktualität vergangener Epochen, Thematiken und Werke sichtbar werden. Wie stark interagiert das jeweils Vorhandene mit dem neu Hinzutretenden? Gefragt wird nach den Denkfiguren der Emergenz, nach Phänomenen des Verbergens und der verdeckten Wirksamkeit in künstlerischen Prozessen. Wie gerät etwas in Vergessenheit, wirkt unterschwellig weiter und nach welchen Mechanismen taucht es wieder auf? Welche Revenants geistern durch Tiefenschicht und Sedimentierung??Verbunden mit diesen Fragestellungen soll auf der Tagung auch über die Instabilität zwischen Faktum und Zusammenhang diskutiert werden. Zusammenhänge entstehen nur dann, wenn Fakten gedeutet werden, umgekehrt werden Fakten als solche erst bestimmbar, wenn die Zusammenhänge erkannt worden sind, und erweisen sich überhaupt erst im Erzählvorgang als solche. Von dieser Instabilität zwischen Faktum und Kontext, sprach auch schon Foucault: Die Geschichtswissenschaft vereinige „zufällige Begegnungen zum Faden einer fragilen und ungewissen Geschichte“– nicht zuletzt, weil sie selbst historisch bedingt ist. Wie zerlegen Künstlerinnen und Künstler die Utopie einer kohärenten Erzählung und zeigen uns deren Ungereimtheiten auf - auch als Kritik an gegenwärtigen Erzählungen - während sie sich selbst narrativer Methoden bedienen?
Aufgerufen zur Bewerbung sind Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern aus allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen sowie Beiträge aus dem Bereich des Artistic Research von Künstlerinnen und Künstlern. Kosten für An- und Abreise werden übernommen. Eine Publikation ausgewählter Beiträge ist geplant.
Termin der Tagung 2./3. November 2017
Ort: European Centre of Art, Design and Media-Based Research an der Hochschule für Gestaltung und Kunst, Basel
Deadline für CFP: 15. August 2017 (abstracts als Text, Bild, Ton max. 1 Seite) bitte direkt an: melanie.frankefhnw.ch
Prof. Dr. Melanie Franke
Kunstgeschichte &Forschung
Hochschule für Gestaltung und Kunst
Freilager-Platz 1
CH-4002 Basel
englische Fassung:
History (s) in the Arts after the End of the Cold War
At root, history is always closely linked to narrative. In fact, you could go as far as to call Narration the basic principle of all historicizing sciences. This conference questions the conditions of the production and nature of the ??knowledges of history(s) in the arts after the collapse of both East and West blocs and their attendant ideological systems. In the 1990s, artists created historical-political contexts through which they revised past perspectives on history. They ventured into archives, selected sources, revealed objects, recorded them with countless references, until their vibrating referentiality emerged. Through narration they construct their object: History. What new narrative patterns can be extracted from such works? Which strategies do artists exploit to conjure up extraordinary historical events? The aim of the conference is to thematize poetological manoeuvres in dealing with history.
At the methodological level, this concern combines current with historical approaches: in the analysis and interpretation of earlier art, there are numerous theories (Max Imdahl, Wolfgang Kemp) that deal with the chronicling force of images. Such approaches demonstrate that images are not merely illustrations of literary, historical and religious stories, but also develop independent narrative structures. Such a profound investigation must also be carried out for more recent art in order to augment contemporary strategies (Mieke Bal, Peter Weibel). Thus, this conference proceeds from a broader pictorial concept and treats forms of installative, sculptural, photographic and cinematic engagements with history equally. Such a stance implies questions about the role of medial transmission in the processing and representation of historical events in the arts. What are the mechanisms for the artistic questioning of history? What type of logics do they follow, for example, in revealing or hiding sources, consulting archives, or in recuperating themes and motifs in surprising manners? How artists enter transgressively into other disciplines and reorganize the information they find there within the arts as a hybrid narrative space is connected with the question of the roles and identities they occupy in this exploratory behaviour. This problematic, already addressed by Hal Foster, will be expanded on in the conference.
Overarchingly, the conference deals with questions of relationality; to lay bare connections between the old and the new, and to ask: how does newness and difference emerge in art? Conversely, this will allow the relevance of past epochs, themes and works to be seen. To what extent does that which pre-exists interact with the newly added? Questions then arise about the ways to think emergence, the phenomena of concealment, and of hidden efficacy in artistic processes. How does something fall into oblivion yet continue to act subliminally, and through which mechanisms does it reappear? Which revenants (spectres) somnambulate through deep strata and sedimentation?
In connection with these questions, the conference also seeks to discuss the instability between fact and context. Contexts arise only when facts are interpreted; facts as such can only be determined once the connections have been recognized, and are only found as such in narrative processes (qua processes). Foucault spoke of this instability between fact and context: historiography unifies "random encounters to the thread of a fragile and uncertain history" – not least because it is itself historically conditioned. How do artists abstract the utopia of a coherent narrative and show us its inconsistencies – not least as a critique of contemporary renderings – while still using narrative methods themselves?
Applications are invited from emerging scholars from all disciplines, as well as contributions from the field of artistic research by artists. Costs of travel will be covered. A publication of selected articles is planned.
Date of the conference: 2nd & 3rd November 2017
Location: European Centre of Art, Design and Media-Based Research at the Academy of Design and Art, HGK Basel
Deadline for CFP: August 15 (abstracts as text, image, sound: maximum 1 side A4) directly to: melanie.frankefhnw.ch
Prof. Dr. Melanie Franke
Kunstgeschichte &Forschung
Hochschule für Gestaltung und Kunst
Freilager-Platz 1
CH-4002 Basel
Reference:
CFP: Geschichte(n) in den Künsten nach dem Ende d. Kalten Krieges (Basel, 2-3 Nov 17). In: ArtHist.net, Jun 4, 2017 (accessed Sep 15, 2025), <https://arthist.net/archive/15715>.