Mimesis, Mimikry, Mimese
Tierstudien, Ausgabe 11/2017
Herausgegeben von Jessica Ullrich und Antonia Ulrich
Call for Papers
Die tierliche und die menschliche Geschichte der Mimesis, Mimikry und Mimese sind in vielfältiger Weise miteinander verwoben. Im Hinblick auf die nachahmende Darstellung der Natur im Bereich der Kunst kann sich Mimesis zum Beispiel auf die – naturalistische oder nicht-naturalistische – Repräsentation von Tieren in verschiedenen Medien und Gattungen, auf unterschiedlichen sinnlichen Kanälen sowie auf intelligiblen, materiellen, motivischen, stilistischen, metaphorischen, rhetorischen, performativen, theatralischen oder partizipativen Ebenen beziehen.
Tierliches Verhalten gilt dabei in einem Strang der Mimesisforschung als Vorbild oder biogenetischer Ursprung menschlicher Kulturproduktion. Beispiele dafür sind seit der Antike Gesang oder Nestbau von Vögeln als Vorbild für die Musik bzw. für die Architektur oder Spinnennetze für die Webkunst. Eine andere Forschungstradition grenzt eine spezifisch menschliche, kulturelle Mimesis klar ab von einer der Zoologie zugeordneten tierlichen, natürlichen Mimikry oder Mimese, welche mittels Tarnung Schutz- bzw. Verteidigungszwecken dienen und daher funktional im evolutionsgeschichtlichen Zusammenhang sind.
Diese beiden entgegengesetzten Zuschreibungen durchziehen auch die spezifisch menschliche Geschichte der Mimesis, da eine Hauptkonfliktlinie innerhalb der Mimesisdiskussion das Gewicht des Eigenanteils des Nachahmenden bezogen auf das Nachgeahmte ist: Ein geringer Eigenanteil ist assoziiert mit automatischer, instinktiver, bewusstloser Imitation, die an tierliche Mimikry oder Mimese gekoppelt ist, während ein großer Eigenanteil Bewusstsein, Kontrolle und kreative Freiheitsspielräume beim Nachahmen voraussetzt und eher Menschen zugesprochen wird. Anders gesagt: Die Nähe oder Distanz zum bzw. vom Nachgeahmten entscheidet über die Bewertung einer mimetischen Praxis. Am einen Ende des Spektrums ist die Adaption dem Adaptierten maximal ähnlich, heteronom und abhängig von der Vorlage. Am anderen Ende des Spektrums löst sich die Nachahmung eigenständig und autonom von ihr und berührt sie nur noch in wenigen Punkten. Dabei kann diejenige Nachahmung, die in Analogie zur Natur tätig ist, Ausdruck größter Freiheit sein. Gegenwärtig versucht die synthetische Biologie, Leben mimetisch zu erschaffen und zu verändern.
In dem Heft möchten wir erörtern, wie Tiere in das Feld, das durch die Begriffe Mimesis, Mimikry und Mimese markiert wird, eingeschrieben sind: Unter welchen epistemologischen und rhetorischen Bedingungen gibt es einen sprachlichen Zugang zur tierlichen Mimesis? Welche Protagonist_innen der Debatte, etwa Demokrit, Platon, Aristoteles, Benjamin, Auerbach, Adorno, Girard, Irigaray, Derrida, Lacoue-Labarthe, Taussig oder Bhabha ahmen wen nach? Ahmen Tiere Menschen nach oder umgekehrt (z.B. in der Bionik)? Gibt es hier kontinuierliche wechselseitige Beeinflussungen? Wie wird in der Ethologie über Differenzen verschiedener Tierarten an unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten in Bezug auf Mimesis gesprochen? Gibt es hier Werthierarchien? Wie beeinflussen technologische Veränderungen, etwa hinsichtlich künstlicher Intelligenz, die Debatte?
Wir suchen nach Beiträgen aus dem geistes- und kulturwissenschaftlichen Bereich, vor allem nach kritischen Analysen von Philosophie, Literatur, Kunst, Film, Theater und Musik. Texte zu relevanten Aspekten der Populärkultur oder soziologische, psychologische, neurowissenschaftliche und ethologische Studien, aber auch andere, hier nicht aufgeführte Untersuchungen zum Themenkomplex „Mimesis, Mimikry, Mimese“ sind ebenso willkommen.
Abstracts von höchstens 2.000 Zeichen senden Sie bitte bis zum 1. August 2016 an jessica.ullrichneofelis-verlag.de und antonia.ulrichneofelis-verlag.de. Die fertigen Texte dürfen eine Länge von bis zu 22.000 Zeichen umfassen (inklusive Leerzeichen und Fußnoten) und müssen bis zum 1. November 2016 eingereicht werden. Danach gehen sie zum Peer Review an den wissenschaftlichen Beirat von Tierstudien. Erscheinungsdatum für die angenommenen Texte ist Anfang April 2017.
Quellennachweis:
CFP: Mimesis, Mimikry, Mimese. Tierstudien, Ausgabe 11/2017. In: ArtHist.net, 01.03.2016. Letzter Zugriff 30.06.2025. <https://arthist.net/archive/12334>.