REV 29.10.2015

Charlotte Colding Smith: Images of Islam, 1453-1600

Rezensiert von Nicolai Kölmel, Universität Basel
Redaktion: Livia Cárdenas
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Neben ihrer traditionellen Arbeit mit Texten, haben sich die Geschichtswissenschaften in jüngster Zeit zunehmend auch anderen Quellen zugewandt. Im Zuge einer seit den 1990er Jahren von verschiedener Seite konstatierten Wende der Geistes- Sozial und Kulturwissenschaften zum Sichtbaren, zum Sehen oder zum Bild, lässt sich auch in der historischen Forschung ein wachsendes Interesse an visuellen Artefakten beobachten.[1] Studien und methodologische Überlegungen aus dem Bereich der Kunstgeschichte, der Visual Culture Studies oder – wie es vor allem im deutschen Sprachraum neuerdings heisst – der Visual History haben gezeigt, wie ergiebig eine Auseinandersetzung mit Bildern für das Verständnis historischer Gesellschaftszusammenhänge sein kann. Genau analysiert, erweisen sich Bilder auch für die Geschichtswissenschaft als aufschlussreiche Quellen, die nicht nur die gesellschaftlichen Umstände ihrer Entstehungszeit ausdrücken, sondern auch als historisch wirkmächtige Elemente sozio-kulturelle Infrastrukturen beeinflussten.

Auch die Historikerin Charlotte Colding Smith beschäftigt sich in ihrer 2014 erschienenen Dissertation mit Bildern. Sie untersucht Darstellungen des Türkischen Reiches in Druckgraphiken, welche in den deutschsprachigen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches während des 15. und 16. Jahrhundert zirkulierten. In sechs thematisch ausgerichteten Kapiteln zieht die Autorin Druckgraphiken unterschiedlicher Herkunft und mit verschiedensten Verwendungszwecken heran. Sie untersucht beispielsweise Titelblätter aus Buchpublikationen, Flugblätter oder frühneuzeitliche Kostümbücher. Ziel des Buches ist es, mittels dieser Bilder die vielseitige Wahrnehmung des Osmanischen Reiches innerhalb des deutschen Sprachraums aufzuzeigen und die Veränderungen und Widersprüche in diesen Wahrnehmung begreiflich zu machen.

Anders als der etwas ungünstig gewählte Titel des Buches „Images of Islam“ vermuten lässt steht also nicht die bildliche Darstellung des muslimischen Glaubens im Zentrum. Vielmehr untersucht die Autorin das frühneuzeitliche Bild des Türken, bei dem – wie sie selbst zeigt – die Religion nur einen Aspekt darstellt.

Ausgehend von der Annahme, dass die Verbreitung der Nachricht von der Eroberung Konstantinopels durch Mehmed II. 1453 einen Wendepunkt in der Aufmerksamkeit des Heiligen Römischen Reiches gegenüber dem osmanischen markierte habe, dient das erste Kapitel dazu, die Herausbildung verschiedener Darstellungstypen zu benennen. Ende des 15. und im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts seien – so das Argument der Autorin – bereits zahlreiche später wirksame Motive und Darstellungstypen geprägt worden. Besonders Darstellungsnarrative aus dem Umfeld der Kreuzzüge aber auch humanistische Vorstellungen von der Herkunft der Türken und bildliche Darstellungen aus Italien – besonders aus Venedig – hätten dieses frühe Türkenbild beeinflusst.

Mit der direkten militärischen Auseinandersetzung zwischen Habsburg und dem osmanischen Reich und spätestens 1529 mit der Belagerung Wiens, sei als zweitem Wendepunkt aus einem gefährlichen aber fernen Feind, eine direkte Bedrohung geworden. Zugleich habe – so die These des zweiten Kapitels – der direkte Kontakt aber auch zu einer Zunahme des Bildwissens und einer gesteigerten Nachfrage an bildlichen Darstellungen mit osmanischen Themen geführt. Während das erste Kapitel also die historischen Wurzeln verschiedener Darstellungstypen freizulegen suchte, sind die Bilder in den folgenden Kapiteln für die Zeit nach 1529 thematisch geordnet. Die Darstellung des Türken als militärische Bedrohung macht – gewissermassen als Leitmotiv – den Anfang. Vor allen in Flugblättern und Einblattdrucken mit Darstellung von türkischen Soldaten, Heereszügen, Schlachten und Belagerungen sei – so die Autorin – ein Bild des Türken als grausamer und blutrünstiger Feind entworfen worden, der bisweilen aber auch als ebenbürtiger oder würdiger Gegner gezeigt werden konnte.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Gebrauch türkischer Figuren in Illustrationen biblischer Geschichten und interpretiert sie als Zeichen der sich verändernden Wahrnehmung des (türkischen) Islam im Gelehrtendiskurs. Unter Rückgriff auf humanistische Vorstellungen von der Herkunft der Türken und auf biblische Prophezeiungen, wurden die Osmanen mit den biblischen Feinden Israels Gog und Magog identifiziert und ihr Vordringen so als Zeichen der nahenden Apokalypse gedeutet. Ältere Vorstellungen von Türken als Heiden, Häretiker oder Glaubensfeinde erlaubten es während der Reformation zudem, den jeweiligen konfessionellen Gegner mit den Türken gleichzusetzen und diesen so als Feind des wahren Glaubens zu brandmarken.

Nicht nur durch den militärischen Kontakt im Rahmen der türkischen Feldzüge, sondern auch durch Reisen an den osmanischen Hof von Gesandtschaften und Händlern nahmen das Bildwissen um Kostüme und Gebräuche der Osmanen zu. Im vierten Kapitel untersucht die Autorin Bilder, die im Zusammenhang mit diplomatischen Missionen und anderen Reisen an den osmanischen Hof entstanden. Diese werden als Antwort auf die zunehmende Faszination eines europäischen Publikums an Prunk und Macht und der Andersartigkeit der Osmanen gedeutet und als Ausdruck eines allgemeingesellschaftlichen Strebens nach Wissen und Verständnis des Unbekannten in der Frühneuzeit verstanden.

Ein solches frühneuzeitliches Streben nach Wissen, sieht Colding Smith auch hinter der Darstellung türkischer Figuren in Kostümbüchern, wie sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden und die neben Trachten europäischer Länder auch Kleidung (und oft auch Gebräuche) fremder Länder versammeln. Im fünften Kapitel werden dabei in kurzen Abschnitten unterschiedliche Fragen angerissen. So die nach Gender und sozialer Ordnung (135-142), nach wechselseitigem Einfluss und Austausch von osmanischen Miniaturen und europäischen Drucken (131-133), nach Sammlungspraktiken von Kostümdarstellungen im Topkapı Palast und Heiligen Römischen Reich (133-135) oder nach dem Gebrauch von osmanischen Kostümen in theatralen Inszenierungen (145-147).

Das abschließende sechste Kapitel widmet sich Darstellungen osmanischer Herrschaft und osmanischen Herrschern, wie sie sich in Genealogien, Chroniken und Geschichtswerken des 16. und frühen 17. Jahrhunderts finden. Die Bildfunde der Autorin werden dabei vor allem als ein Zuwachs an Bildwissen gedeutet und im Kontext eines sich weitenden europäischen Horizonts gesehen.

Das beeindruckend umfangreiche Quellenmaterial, das die Autorin für ihre Analyse aus verschiedenen Textgattungen zusammengetragen hat, ist klar nach Kapitelthemen strukturiert. Diese Unterteilung unterstreicht die Grundthese des Buches, dass die Darstellung des osmanischen Reiches auf der Matrix vorbestehender Typen erfolgte, die sich unter verschiedenen Einflüssen und je nach Wahrnehmungsinteresse wandelten. Militärische Bedrohung und Glaubensfragen wirkten auf diese Darstellung ebenso ein wie Gelehrtendiskurse über den Ursprung der Türken oder die frühneuzeitliche curiositas am Fremden, Prunkvollen und Exotischen. Im Großen lässt sich diese These gut nachvollziehen. Im Detail vermisst man allerdings bisweilen die Unterfütterung mancher Behauptung mit Belegen und Beobachtungen. Um nur ein Beispiel zu geben: Wenn die Autorin auf Seite 47 behauptet, dass nach dem Ende der Belagerung Wiens in den Jahren 1532-1540 die Zahl der Flugblätter über türkische Soldaten und militärische Themen merklich zurückgegangen sei, sie aber im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen dem Habsburger Reich und den Osmanen nach 1540 wieder anstieg, würde man diese sehr detaillierten quantifizierenden Aussagen gern belegt wissen, um sie nachvollziehen zu können. Ein Verweis auf einzelne illustrierte Quellentexte kann dies nicht leisten.

Beim Umgang mit den konkreten Bildern zeigt sich bezüglich der Nachvollziehbarkeit eine ähnliche Schwierigkeit. Wie häufig bei geschichtswissenschaftlichem Umgang mit Bildern und Fragen des Visuellen steckt der Methodenteufel im Detail. Werden Bilder in den Dienst einer größeren Geschichte gestellt und liegt das wissenschaftliche Interesse vor allem auf den gesellschaftlichen, ökonomischen oder theologischen Veränderungen hinter den Bildern, so verkommen letztere allzu leicht zur bloßen Illustration der Erzählung. Mögen die Bild-Analysen, die zu dieser Erzählung geführt haben noch so scharfsinnig gewesen sein, in der Darstellung werden sie oft vernachlässigt und der Geschichte und dem Narrativ untergeordnet. Die Bilddeutungen sind dann nicht mehr nachvollziehbar und sie erscheinen als bloße Staffage der Erzählung.

Darüber hinaus werden bildliche Darstellungen – da vermeintlich offensichtlich – unter implizitem Verweis auf die begleitende Abbildung oft lediglich aufgerufen, statt das Gesehene vor dem Hintergrund bildlicher Korrektive, wie Typen- und Stilgeschichte, einer Analyse und Kritik zu unterziehen. Gerade wer sich wie Colding Smith einer „New Iconology“ verpflichtet fühlt, sollte hier besonders gewissenhaft sein. Ein Befragen der Motive vor dem Horizont zeitgenössischer Darstellungstraditionen hätte so vielleicht manch etwas vorschnelle ikonographische Festschreibung vermieden. So wird ein Holzschnitt aus Hartmann Schedels Weltchronik (S.27, Abb.1.7), der drei männliche Figuren vor dem thronenden Mohamed zeigt, von der Autorin beispielsweise als Streitgespräch zwischen einem Juden, einem Christen und einem Araber vor dem islamischen Propheten gedeutet. Allerdings widerspricht die gestische und symbolische Kommunikation innerhalb des Bildes einer solchen Lesart nachdrücklich. Der Supplikations-Gestus des vorgeblichen Vertreter des Christentums und seine demütige Haltung gegenüber Mohammed schließen eine Deutung als disputatio ebenso aus wie das erhobene Schwert der Turban tragenden Figur und der anklagend ausgestreckten Zeigefinger des Mannes an der Seite Mohammeds. Diese Gesten und Symbole lassen im Vergleich zu anderen Darstellungen dieser Zeit hier weit eher eine Gerichtsszene vermuten.[2]

Trotz dieser Anmerkungen zum Umgang mit einzelnen Bildern ist Charlotte Colding Smith insgesamt ein Buch gelungen, das einen materialreichen und guten Überblick über die Wahrnehmung und den Wahrnehmungswandel des Türkenbildes im 15. und 16. Jahrhundert bietet. Die Autorin entwirft ein facettenreiches Bild des Umfelds in dem die Drucke produziert und rezipiert wurden. So leistet sie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis, auf welche Weise die Begegnungen mit dem osmanischen Reich in den deutschsprachigen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches verbreitet wurden und wie die Bilder die Vorstellungen des Türken nachhaltig beeinflussten und prägten.

Anmerkungen
[1] Beispielsweise: Peter Burke, Eyewitnessing. The Uses of Images as Historical Evidence, London; 2001. Gerhard Paul, Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung, in: ders. (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen; 2006. 7-36, bes. 19-21. Martin Lengwiler, Ein Bild sagt mehr… : Visual History und Historische Bildanalyse, in: ders., Praxisbuch Geschichte. Einführung in die historischen Methoden, Zürich; 2012. 130-152.
[2] Alberto Saviello, Imaginationen des Islam. Bildliche Darstellungen des Propheten Mohammed im westeuropäischen Buchdruck bis ins 19. Jahrhundert, Berlin; 2015. 42-43.

Colding Smith, Charlotte: Images of Islam, 1453-1600. Turks in Germany and Central Europe (Religious Cultures in the Early Modern World), Pickering & Chatto Publishers 2014
ISBN-13: 978-1-84893-406-1, 276 p., EUR 84,20

Empfohlene Zitation:
Nicolai Kölmel: [Rezension zu:] Colding Smith, Charlotte: Images of Islam, 1453-1600. Turks in Germany and Central Europe (Religious Cultures in the Early Modern World), 2014. In: ArtHist.net, 29.10.2015. Letzter Zugriff 30.12.2024. <https://arthist.net/reviews/9587>.

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