Arena, Agens, Projektionsraum. Die Künste in Zeiten politischer Zäsuren und gesellschaftlicher Transformation. 22. Tagung des Arbeitskreises deutscher und polnischer KunsthistorikerInnen und DenkmalpflegerInnen.
Humboldt-Universität zu Berlin und Technische Universität Berlin.
Tagungsbericht im Auftrag der Veranstalter
Der Arbeitskreis deutscher und polnischer KunsthistorikerInnen und DenkmalpflegerInnen erörtert seit über zwanzig Jahren in seinen Jahrestagungen Fragen der polnischen und deutschen sowie vor allem der gemeinsamen Kunst- und Architekturgeschichte. Die Rahmenthemen reichen von der Erschließung wenig bearbeiteter Felder des Faches bis hin zur Reflexion grundlegender konzeptueller und methodischer Probleme. Beide Perspektiven führte die jüngste Tagung des Arbeitskreises zusammen, zu der vom 24. bis zum 27. September 2014 der Lehrstuhl für die Kunstgeschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin (Katja Bernhardt und Michaela Marek) und die Juniorprofessur für die Kunstgeschichte Ostmitteleuropas an der Technischen Universität Berlin (Aleksandra Lipińska) eingeladen hatten.
Passend zum 25. Jubiläum des Mauerfalls widmete sich die Tagung dem für beide Länder in besonderem Maße belangvollen Thema der Künste in Zeiten politischer Zäsuren und beschleunigter gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Bereits mit dem Titel „Arena, Agens, Projektionsraum“ war das Programm umrissen, den Fokus auf die Verflechtungen gesellschaftlicher und kultureller Dynamiken zu richten, in denen Kunst entsteht, sowie auf die Räume, in denen sie sich manifestiert und aus denen heraus sich ihre (politische) Wirkung entfaltet.
Eingelöst wurde dies durch Vorträge, die Architektur und Stadttopographie, Wohnen, Volkskunst, Dokumentarfotografie oder Ausstellungen und das Schreiben über Kunst thematisierten. Um eine breitere Vergleichsperspektive zu ermöglichen, haben die Veranstalterinnen, wie Michaela Marek in ihrem einleitenden Problemaufriss erläuterte, gezielt Beiträge berücksichtigt, die über die deutsch-polnische Arena hinauswiesen. Somit wurde das Augenmerk auch auf Böhmen und Bulgarien gerichtet. Die konzeptionelle Entscheidung gegen eine zeitliche Eingrenzung der Referatsthemen sollte einen diachronen Vergleich ermöglichen, um nach Strukturen zu fragen, die visuelle Kultur in gesellschaftlichen Transformationsprozessen charakterisieren. Zeitlich konzentrierte sich die Mehrheit der Beiträge gleichwohl auf das 19. und 20. Jahrhundert.
Einen Ausblick über diesen zeitlichen Fokus hinaus bot der Beitrag von Ilka Waßewitz, die sich mit den Folgen der Schlacht am Weißen Berg (1620) für die Baupolitik des böhmischen Adels befasste. Der Sieg des Kaiserhauses über den protestantischen Adel markiert in der tschechischen Geschichte eine Zäsur, da er eine grundlegende Umgestaltung der Hocharistokratie nach sich zog. Deren Angehörige bedienten sich nicht zuletzt künstlerischer Mittel, um ihren – oftmals neu erworbenen – Status zu bekräftigen. Waßewitz zeigte im Vergleich der Bautätigkeit der Familien Waldstein, Lobkowitz und Eggenberg, dass ein Residenz(aus)bau die Statuserhebung zwingend zu begleiten hatte und dass sich die Bauherren distinkter Legitimationsstrategien bedienten, zu denen das sichtbare Einbeziehen von Vorgängerbauten ebenso gehörte wie gezielte bauliche Referenzen (bspw. an das Schloss Richelieu oder den Escorial).
Auch Rafał Makała thematisierte architektonische Manifestationen grundlegender Änderungen von Herrschaftsverhältnissen und richtete dabei den Blick auf Stettin/Szczecin. Nachdem die pommersche Hauptstadt 1720 aus schwedischer unter preußische Herrschaft gelangt war, habe der schwarze preußische Adler die pommersche „Greifen-Population“ im Stadtbild fast „ausgerottet“. Nach 1945 sei die polnische Denkmalpflege bestrebt gewesen, das gesamte städtische Bauerbe – einschließlich des preußischen - zu bewahren, und habe sich hierzu der historischen Umdeutung bedient. So sei behauptet worden, dass der 1732 in Betrieb genommene Adlerbrunnen am Roßmarkt aus Anlass eines Besuchs des polnischen Königs Stanisław Leszczyński errichtet worden sei. Der vormals schwarze Adler auf dem Monument wurde weiß gestrichen und habe damit seine preußisch-herrschaftliche zu einer polnisch-nationalen Identität gewechselt. Das nach 1989 große Interesse an der deutschen Vergangenheit Stettins habe zu einer Rückkehr der preußischen Heraldik im Stadtbild geführt. Der Brunnen indes wurde „entfärbt“, was die Semantik des „Platzes des weißen Adlers“ ad absurdum geführt habe. Am vergleichbaren Beispiel des Hohen Tors/Brama Wyżynna (16. Jh.) in Danzig/Gdańsk konnte Jacek Friedrich die These erhärten, dass zentrale Denkmäler auch unter wechselnden politischen Umständen als Beleg für Historizität bewahrt, dabei allerdings umgedeutet und zur Vermittlung der jeweils aktuellen Geschichtsbilder eingesetzt wurden.
Noch ein weiterer Beitrag befasste sich mit einer städtischen Arena, wählte methodisch jedoch den Zugang einer gewissermaßen dichten Beschreibung für einen diachronen Vergleich. Katja Bernhardt näherte sich den – physischen wie imaginierten – Raumbezügen des Berliner Alexanderplatzes, indem sie die Situation der Gegenwart mit jener vom Ende der 1960er Jahre konfrontierte, als der Platz im Zusammenhang mit dem Umbau Ostberlins zur Hauptstadt der DDR neu gestaltet wurde. Während in der DDR mit dem Alexanderplatz ein offenes, gleichzeitig aber ideologisch gerichtetes Raumsystem geschaffen worden sei, zielten die seit Ende der 1990er Jahre durchgeführten Umgestaltungen auf eine klare Einfassung des Platzes und auf eine Entideologisierung der Gestaltungselemente aus der DDR-Zeit.
Drei Beiträge befassten sich mit der Definition bzw. Neudefinition eines nationalen polnischen Kulturerbes. Stephan Muthesius vollzog nach, wie seit dem mittleren 19. Jahrhundert Krakauer Kunsthistoriker um Marian Sokołowski die Architektur und Kunst in den polnischen Ländern als nationales Kulturerbe beschrieben und symbolisch aufgewertet haben. Ewa Manikowska betrachtete Fotokampagnen zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Durch das fotografische Erfassen von Monumenten, Artefakten, Menschen, Trachten und Landschaften in den deutschen, russischen und österreichischen Teilungsgebieten sei erstmals die Vorstellung von einem polnischen kulturellen Territorium entworfen worden (national visual mapping), mit dem Ziel Argumente für die Wiederherstellung eines autonomen polnischen Staates zu liefern. Ewa Gładkowska analysierte, wie nach 1945 die Volkskunst des Ermlandes und Masurens als das einzige mit der neuen staatlichen Zugehörigkeit der Region und auch mit den Anforderungen des Marxismus-Leninismus kompatible Element des ostpreußischen Kulturerbes für die Legitimierung der neuen politischen Machtverhältnisse instrumentalisiert wurde.
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Tradition und Modernität stand im Mittelpunkt von drei Vorträgen. Lidia Głuchowska befasste sich mit Nationalisierung der polnischen Kunst am Beispiel des polnischen Expressionismus. Nach der Zäsur des Ersten Weltkrieges hätten sich die avantgardistischen Gruppierungen Polens, wie Bunt (Revolte) in Posen/Poznań und Jung Jiddisch in Łódź, mit ihrem Selbstverständnis als moderne Künstler im Spannungsfeld zwischen Patriotismus und Internationalität wiedergefunden. Vorwürfe gegen diese „deutsch-jüdisch-kosmopolitischen Bewegungen“ seien aus national-katholischen Kreisen gekommen, die eine Polonisierung des Expressionismus vorangetrieben hätten.
Hanna Grzeszczuk-Brendel problematisierte das vermeintliche Gegensatzpaar „modern“ und „sozialistisch realistisch“ anhand zweier Bauten, die im Jahr 1955 zur Nutzung freigegeben wurden: des „modernen“ Posener Rundbaus Okrąglak und des Warschauer Kulturpalasts. Neben der Bedeutungselastizität der Begriffe, die zeitgenössisch und retrospektiv analog, aber auch ganz unterschiedlich konnotiert worden seien (fortschrittlich/ konservativ), machte das Beispiel deutlich, dass in den 1950er Jahren verschiedene architektonische Stilrichtungen nebeneinander existierten.
Die These eines Antimodernismus als Strategie des Privaten vertrat Piotr Korduba in seiner Untersuchung des Wohnens im Polen der 1960er Jahre. Anhand einer Analyse von illustrierten Artikeln zu privaten Wohnräumen der Intelligenz aus der Lifestyle-Zeitschrift „Ty & Ja“ (Du und ich) und von Interviews mit Zeitzeugen konstatierte Korduba, dass diese soziale Gruppe einen Stil bevorzugte, bei dem selbst im Plattenbau antike Möbel mit Neuem kombiniert wurden. Korduba deutete diesen Einrichtungstrend als Strategie der Abgrenzung gegenüber der Standardisierung des Wohnens im neuen System.
Ein eigenes Panel widmete sich Ausstellungsprojekten und Erinnerungs- bzw. Identitätspolitiken in der Zwischenkriegszeit. Szymon Kubiak befasste sich mit der Erinnerung an die Opfer des Ersten Weltkriegs im Stadtmuseum des „avantgardefeindlichen“ Stettin. Hierfür engagierte sich Museumsdirektor Walter Riezler, der privat gestiftete Mittel für die Ausschmückung des zentralen Kuppelsaals mit moderner Kunst nutzte. Ein Fresko sollte an die Opfer des Krieges erinnern. Probefresken von Karl Hofer und Otto Hettner sowie ein Kruzifix von Ludwig Gies stießen jedoch beim städtischen Publikum auf Ablehnung und wurden im NS beseitigt. Der konservative Mehrheitsgeschmack spiegelte sich auch in der offiziellen Kulturdiplomatie beider Länder, wie die Beiträge Christian Saehrendts und Irena Kossowskas zeigten. Beide Vorträge setzten sich mit Ausstellungen deutscher Kunst in Polen und polnischer Kunst in Deutschland zwischen 1929 und 1939 auseinander. Trotz des belasteten Verhältnisses zwischen der Weimarer Republik und Polen eröffnete 1929 eine große Ausstellung deutscher Kunst in Warschau, bei der auf gemäßigte Positionen gesetzt und der Expressionismus außen vor gelassen wurde. Die Ausstellung fand in der polnischen Öffentlichkeit starke Beachtung und ließ bis 1939 weitere wechselseitige Ausstellungen folgen. Saehrendt spekulierte über die Beweggründe der gegenseitigen Kulturdiplomatie trotz deutscher Kriegsplanung nach 1933, dass neben der Möglichkeit eines Täuschungsmanövers, das von den wahren Absichten ablenken sollte, die antisowjetische Einstellung beider Regierungen den öffentlichkeitswirksamen Austausch befördert haben mag. Für diese Interpretation sprach auch die Feststellung Kossowskas, die sich mit der Rezeption der Ausstellung in der polnischen Presse auseinandersetzte: Die klassizisierenden Arbeiten von Georg Kolbe oder Richard Scheibe seien überwiegend als Gegenentwurf zur künstlerischen Praxis in der UdSSR gewertet und – zumindest vom bürgerlichen Lager – auch gewürdigt worden.
Katarzyna Murawska-Muthesius befasste sich mit der in der Zeit des Kalten Krieges staatlich geförderten Karikatur. Als wichtiges Propagandainstrument erfreute sich die Karikatur einer größeren Freiheit des künstlerischen Ausdrucks als andere visuelle Medien. Dadurch hätten hinter der vordergründigen Herabwürdigung des „kapitalistischen“ Anderen (other) durchaus mehrdeutige Bildaussagen stehen können. Dieses Phänomen sei als intellektuelle Strategie im Sinne Czesław Miłoszs zu werten, die auf ein bildliches Zwischen-den-Zeilen-Lesen abhob. Heike Fabritius stellte Jindřich Chalupeckýs Ausstellungsprojekt „Někde něco“ (Irgendwo irgendetwas) von 1969 in der Prager Galerie des Künstlerverbands als einen von der Kunst eröffneten kollektiven Handlungsraum vor, der als geeignetes Mittel zu einem neuen Selbstentwurf angesichts der gescheiterten gesellschaftlichen Initiativen der 1960er Jahre zu werten sei und Parallelen zu Künstlerinitiativen in Polen und Ungarn erkennen lasse.
Mit dem Beitrag Daniela Dechevas und dem Abendvortrag Piotr Piotrowskis, der in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum und dem Collegium Hungaricum stattfand, wurde schließlich die aktuelle Rolle von Kunst und auch Kunstkritikern als Agens bzw. Agenten einer gesellschaftlichen Transformation in den Blick genommen. Decheva reflektierte künstlerische Protestaktionen, die 2013 unter dem spielerischen Motto „#ДАНСwithme“ (das Akronym verweist auf die staatliche Agentur für nationale Sicherheit) monatelang die Demonstrationen gegen die bulgarische Regierung begleitet hatten, in Bezug auf die Rolle einer weitgehend unbewältigten sozialistischen Vergangenheit. Besonders deutlich wurde die Aktualisierung der jüngeren Geschichte an Aktionen am Denkmal der sowjetischen Armee im Zentrum Sofias. Dessen Figuren wurden von unbekannten Aktivisten immer wieder neu eingefärbt. So wurden die sowjetischen Bronzesoldaten etwa aus Anlass des 45. Jahrestags des Einmarschs der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei pink gestrichen und mit der tschechischen Aufschrift „Bulgarien entschuldigt sich“ versehen. Die Chuzpe der Aktionen und ihr demokratisches Engagement gaben einen lebhaften Eindruck von dem seit einigen Jahren verstärkt artikulierten Bedürfnis nach einer positiven Identifizierung, die aus der akademischen Passivität hinaus zu führen und Handlungsspielräume zu eröffnen vermag. Piotr Piotrowski hatte eben dies am Abend zuvor als „affirmative critique“ bezeichnet. Seine provokative Kernfrage lautete, welche Art kritischer Analyse wir (KunsthistorikerInnen und Intellektuelle generell) angesichts der postkolonialen, posttotalitären und postdemokratischen Prozesse seit 1989 leisten können, um die Idee Europas (neu) zu entdecken und zu verteidigen (!). Zur Beantwortung dieser Frage schlug Piotrowski angelehnt an die Philosophin Rosi Braidotti die Methode einer „affirmativen Kritik“ vor, die über den Impetus der aufklärenden Untersuchung hinaus auch eine ethische Haltung sowie die aktive Teilnahme an gesellschaftlichem Wandel sucht.
Das traditionsreiche Treffen erwies sich als offene Plattform, die sich nicht auf Spezialwissen voraussetzende Detailfragen etablierter (Reibungs-)Themen konzentrierte, sondern aus der Tiefe der versammelten Expertise schöpfte, um überraschend aktuelle Belange der Forschung kontrovers und lebendig zu diskutieren. Mit den vielfältigen Einzelstudien hat die Tagung das Potential der Fragestellung aufgezeigt. Der vielversprechende Ansatz eines diachronen Vergleichs ließ aufschlussreiche Perspektiven für eine weiterführende Erforschung aufscheinen. Während Initiativen „von oben“, seitens der politischen Akteure, zur nachträglichen Legitimation politischer Eingriffe, Übergriffe und Ordnungsmaßnahmen recht klar analoge Muster erkennen lassen, bedürfen die Aktivitäten von KünstlerInnen und, mehr noch, solche von Seiten eines Kunst konsumierenden, sie deutenden oder auch ignorierenden Publikums größerer Aufmerksamkeit. Erst aus diesem Blickwinkel dürfte erkennbar werden, unter welchen Bedingungen überhaupt von Kunst als Agens, Arena oder Projektionsraum politischer und gesellschaftlicher Transformationsprozesse die Rede sein kann, das heißt in welchen Verhältnissen beide „Felder“ (Pierre Bourdieu) – Kunst und Politik –, zumindest im modernen Mitteleuropa, zueinander zu denken sind.
Empfohlene Zitation:
Eva Pluhařová-Grigienė: [Tagungsbericht zu:] Arena, Agens, Projektionsraum (Berlin, 24.–27.09.2014). In: ArtHist.net, 25.02.2015. Letzter Zugriff 26.12.2024. <https://arthist.net/reviews/9567>.
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