Transformationen – Entgrenzung in den Künsten. Interdisziplinäres Symposium für Nachwuchswissenschaftler der Fächer Kunstgeschichte, Film- Theater-, und Musikwissenschaft, Kunst- und Musikpädagogik
Tagungsbericht der Veranstalter
Künstler überschreiten auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen die Grenzen der eigenen Gattungen, weshalb es Kunstwissenschaftlern zukommt, diesen Transformationen durch interdisziplinäre Grenzgänge ihrerseits Rechnung zu tragen. Dieser Herausforderung begegnete das Symposium Transformationen – Entgrenzung in den Künsten, das vom Promotionsprogramm ProArt der LMU München initiiert und von Doktoranden organisiert wurde, auf vielfältige Weise. Das als Pilotprojekt begriffene Symposium gab Doktoranden und PostDocs zudem die Möglichkeit zum fachübergreifenden Austausch.
Veränderungsprozesse können einerseits als Hybridisierung von Kunstgattungen beobachtet, andererseits aber auch durch das Ausweiten, Überschreiten oder gar Auflösen von Grenzen definiert werden. Diese weit gefasste Thematik sollte den Referenten Raum geben, das eigene (Dissertations-)Thema im Hinblick auf die Tagung auszurichten und so zu einem wertvollen Perspektivenwechsel zu gelangen.
Nach einer Einführung von Christopher Balme beschäftigte sich Sektion 1 unter der Moderation von Hubertus Kohle und Stefanie Diekmann mit der interdisziplinären Entgrenzung in den Künsten. Iris Mickein thematisierte Rainer Maria Rilkes Versuch, sich dem malerischen Werk Paul Cézannes sprachlich zu nähern. Auch Katie Hornstein griff das Überschreiten medialer Grenzen auf und setzte mit ihrem Vortrag über Henri Durand-Brager einen Fokus auf die Chancen, die sich aus dessen Zwitterrolle als Maler, Fotograf und Berichterstatter ergaben. Simone Fohr analysierte den Liederzyklus „Sea Pictures“ von Edgar Elgar als transgressives Phänomen zwischen Lyrik und Musik. Tatiane de Oliveira Elias beschrieb Hélio Oiticicas Performances als Schnittstelle zwischen Kunst, Philosophie und Gesellschaft. Den Status des Kunstobjekts im Werk des Fluxus-Künstlers George Brecht untersuchte Natilee Harren. Uta Daur diskutierte den Einfluss des Melodrams in den Werken Tracey Moffats und Sam Taylor-Woods, wobei sie gekonnt aufzeigte, inwiefern die Verdichtung von Emotionen im melodramatischen Tableau den Betrachter affektiv einbindet. Im Zentrum des Vortrags von Jennifer Bleek standen die Analyse filmischen Lichts und die Neubewertung des Begriffs Rilievo, welcher üblicherweise den mittels Licht und Schatten erzeugten Anschein dreidimensionaler Körperlichkeit bezeichnet. Julia Quandt widmete sich mit ihrer vergleichenden Analyse unterschiedlicher Inszenierungsformen der Malerei im Film wiederum dem intermedialen Potenzial dieses Mediums.
In Sektion 2, moderiert von Ulrich Pfisterer, setzten sich die Referenten mit Transformationen von Erzählstrategien auseinander, wobei ein großer zeitlicher Bogen geschlagen wurde: So beschrieb Isabella Augart das polyfokale Beziehungsgeflecht in altniederländischen Gemälden und zeigte auf, dass die Nutzung des Bildrands als Ort für die typologische Erzählung zu einem Oszillieren zwischen Innen und Außen führt. Dagegen thematisierte Tabea Schindler die Überschreitung der Grenze zwischen Bild- und Realraum anhand der Darstellung von Textilien in der holländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts. In die Gegenwart führte der Beitrag Vanessa Marlogs über Ästhetisierungsstrategien im ethnologischen Dokumentarfilm, in dem die Referentin den Objektivitätsanspruch der Repräsentation von Fremdheit durch die Vermischung von Animation, Fiktion und Dokumentation kritisch hinterfragte. Ruth Reiche analysierte Eija-Liisa Ahtilas Dreikanal-Installation „The House“ (2002). Davon ausgehend, dass Erzählstrategien einer ständigen Transformation unterliegen, demonstrierte sie unter Verwendung des Begriffs Multiperspektivität welche Bedeutung dem Einsatz mehrerer Projektionen zukommt. Den Abschluss dieser Sektion bildete der Vortrag von Lars Robert Krautschick, der Horrorfilme unter intermedialen Gesichtspunkten untersuchte.
Sektion 3 unter der Leitung von Regina Wohlfarth hatte die interdisziplinäre Entgrenzung der Kunstwissenschaften zum Thema: Während Theresa Leonhardt Modelle der Kulturfinanzierung zwischen Kunstanspruch und Ökonomie beschrieb, stellte Johanna Eder Vorteile für Vermittlungsprozesse durch interdisziplinäre Kooperationen heraus. Iris Cseke demonstrierte anhand von Online-Clips als hybrider Form zwischen Kunst und Werbung das Aufweichen von Fachgrenzen. Anastasia Dittmann präsentierte Akademien, fotografische Aktdarstellungen, die als eine besondere Spielart von Tableaux vivants gelten können und durch den Medienwechsel vom realen Modell hin zur Reproduktion nicht eindeutig als Kunstwerk klassifizierbar sind.
Der erste Tag schloss mit einem Gastvortrag von Lydia Haustein (Kunsthochschule Berlin Weißensee, Freie Universität Berlin). Haustein stellte die Entwicklung eines globalen Bildatlasses vor, welcher – nach ikonographischen Motiven geordnet – auch nicht-kanonische Künstler einbezieht. Im Zuge dessen wies sie auf die Probleme einer einseitig westlich orientierten Kunstgeschichtsschreibung hin, wobei sie davor warnte, die verbreitete Vorstellung einer globalen Kunstgeschichte unhinterfragt zu akzeptieren.
Der zweite Tag startete mit Sektion 4 unter der Moderation von Lorenz Welker. Diese Sektion befasste sich mit Transformationen des Gedächtnisses, wobei auch hier intermediale Erscheinungsformen auftraten. In einem Rückgriff auf die Gotik belegte Christian Nille Transformationen kultureller Sinnbezüge. Magdalena Zorn stellte die Werke von Karlheinz Stockhausen in den Kontext von Transkonfessionalität und Universalität. Miriam Schoofs thematisierte die immanente Intermedialität im Werk Hanne Darbovens. Nadine Söll, die anhand der Videoarbeiten Slater Bradleys einen Grenzbereich zwischen Realität und Fiktion auslotete, und Stefanie Loh, welche fotografische Tagebuchstrategien vorstellte, beschäftigten sich intensiv mit der Transponierung von Erinnerungen.
Sektion 5 wurde von Fabienne Liptay moderiert und widmete sich der Entgrenzung von Wahrnehmung in den Künsten. Angesichts von Crossover-Phänomenen wurde nicht nur der Wandel von Begrifflichkeiten, sondern auch die Rolle des Rezipienten thematisiert: Frédéric Döhl verdeutlichte am Beispiel André Previns die Folgen musikalischer Diversifikation. Astrid Hackel erörterte den Einfluss völliger Dunkelheit auf den Zuschauer am Beispiel von Meg Stuarts Tanzperformance „All together now“ (2008). Saskia Jogler zeigte die Funktion von Velázquez’ Hofnarrenporträts als Medium künstlerischer Selbstreflexivität auf, indem sie die Desillusionierung des Betrachters hervorhob. Im Mittelpunkt des Interesses von Corinna Bauer standen die Stadt- und Landschaftsansichten Anonymus Fabriczys, die bisher nur unter rein künstlerischen Aspekten untersucht wurden, doch auch im wissenschaftlichen bzw. geographischen Kontext des 16. Jahrhunderts beleuchtet werden können. Stephanie Sarah Lauke formulierte die These, dass Mitschnitte Videoinstallationen nacherlebbar machen können und funktional als Surrogat an die Stelle der unmittelbaren Kunstrezeption des Originals treten. Alexandra Vinzenz untersuchte die Transformation des Begriffs Gesamtkunstwerk von Richard Wagner bis hin zur Gegenwart.
Sektion 6, in der die Referenten globalen Transformationsprozessen nachgingen, leitete Meike Wagner: Marina Linares beschrieb die Entstehung von Mischgattungen und betonte die Dringlichkeit eines Metadiskurses über die Methodik einzelner Fachdisziplinen. Territorialen Transformationen widmeten sich Claudia Hahn, die verschiedene Stufen des Kulturtransfers zwischen England und Japan im 19. Jahrhundert thematisierte, und Shelley Harten, die das Reflektieren über Grenzziehungen und deren Legitimität in der israelischen Kunst untersuchte.
Das Symposium fand seinen gelungenen Abschluss im Vortrag von Wolfgang Ullrich (Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe), der sich dem Umgang mit Kunst im Web 2.0 widmete. Ausgehend von einem popkulturellen Phänomen erörterte Ullrich die Begriffsgeschichte von Imitatio und Emulatio und stieß so einen Diskurs über die (Neu-)Bewertung von Originalität an.
Die Pluralität der Themen trat hinter den vielen über Sektions-, Epochen- oder Mediengrenzen hinausgehenden Querverbindungen zurück. So erwies sich das Netz um die Referentinnen Daur, Lauke und Reiche sowie Loh, Mickein und Söll, das sich zwischen den Eckpunkten von Erzählen und Erinnern aufspannte, als sehr engmaschig. Daur stand wiederum in einem intensiven Dialog mit Dittmann und Quandt. Hahn und Harten untersuchten politische Grenzen, der Künstler als Grenzgänger wurde von Hornstein und Bauer beleuchtet. Augart und Schindler fokussierten das Überschreiten des Bildraumes, während Döhl und Jogler sich Grenzverschiebungen in der Rezeption widmeten. Transgressive Momente schilderten Fohr, Zorn und Vinzenz.
Nicht nur im Beitrag von Frédéric Döhl von der FU Berlin wurden Schnittstellen zum dort ansässigen Sonderforschungsbereich 626 Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste sichtbar, sondern auch in der ständigen Präsenz intermedialer Tendenzen während des gesamten Symposiums. Allerdings trat das Konzept der ästhetischen Autonomie, das in Berlin seit Beginn der zweiten Förderperiode verstärkt reflektiert wird, in München zugunsten einer Diskussion über interdisziplinäre Herausforderungen, die spezifischen Ausformungen der jeweiligen Veränderungsprozesse sowie deren komparativen Aspekten in den Hintergrund. So entstand ein Gesamtbild, welches Transformationen als Grundprinzip und Katalysator in den Künsten offenlegte.
Informationen und Programm des Symposiums: http://www.proart.marc.uni-muenchen.de/programm/veranstaltungen/r__ckblick/transformationen/info_programm/index.html
Recommended Citation:
Ruth Reiche, Iris Romanos: [Conference Report of:] Transformationen – Entgrenzung in den Künsten (Ludwig-Maximilians-Universität München, Oct 22–23, 2010). In: ArtHist.net, Feb 18, 2011 (accessed Oct 15, 2024), <https://arthist.net/reviews/942>.
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