Es sind mittlerweile zehn Jahre vergangen, seit die beiden Kunsthistoriker Jeffrey H. Hamburger und Robert Suckale zusammen mit dem Historiker Jan Gerchow und mit dem Kuratorenteam Carola Jäggi, Lothar Altringer, Susan Marti und Hedwig Röckelein die beachtliche Ausstellung „Krone und Schleier – Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern“ in zwei Städten Deutschlands zeigten. Die Schau und das zugehörige Kolloquium führte vor Augen, auf welch vielfältige Weise sich die – vornehmlich deutsch- und englischsprachige – Kunstgeschichte dem Themenkreis widmete.
Mittlerweile ist es um Nonnen, Klöster und ihre Erforschung in Deutschland wieder etwas ruhiger geworden – dies ganz im Gegensatz zur Iberischen Halbinsel, wo „die Nonnen zur Zeit geradezu in Mode sind“, wie in der Einleitung zum monografisch angelegten „Anuario de Estudios Medievales“ versichert wird. In der Tat sind zahlreiche Gemeinschaften bzw. Klöster kaum erforscht, das Gebiet erfreut sich seit einigen Jahren aber zunehmender Popularität. Beispielsweise widmet sich das interdisziplinäre Projekt Claustra unter der Leitung von Prof. Dr. Blanca Garí von Universität Barcelona unter der Beteiligung internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Erforschung des weiblichen Klosterlebens.[1] Garí oblag auch die redaktionelle Betreuung des Bandes. Dem Ansatz ihres Projektes ist auch das Anuario de Estudios Medievales (AEM) verpflichtet, dessen Titel „Espacios de espiritualidad femenina en la Europa medieval. Una mirada interdisciplinar“ lautet. Die Beiträge fokussieren geografisch auf verschiedene, eher peripher gelegene Klöster, Gemeinschaften und Personen in Nord- und Südwesteuropa.
Der Band hat zum Ziel, die Forschungsrichtungen diverser Disziplinen und ihre Methoden aufzuzeigen, insbesondere jene aus Spanien. Gegliedert sind die Beiträge unter vier große Kapitel: „Paisajes“, („Landschaften“), „Redes“ („Netzwerke“); „Prácticas“ („Praktiken“) und „Textos“ („Texte“), wobei die ausführliche Einleitung in den Band die Einordnung erklärt. Zu Beginn wird die bereits erwähnte Plattform Claustra präsentiert.[2] Sie ist im Zusammenhang mit der sukzessiven Erforschung des weiblichen monastischen Lebens in Katalonien erarbeitet worden und beinhaltet unter anderem einen online konsultierbaren Atlas, auf dem nach Orden getrennt, räumlich und zeitlich abrufbar die diversen Klöster in den Gebieten der Krone Aragóns, Kastiliens und Portugals sowie des aragonesisch beherrschten Süditalien aufzeigt werden. Damit wird ein systematisch aufgebauter Zugang zur Entwicklung sowie Vernetzung der einzelnen Orden geboten.
Tracy Collins erläutert in ihrem Beitrag über das Kloster St Mary’s Timolin in Kildare (Irland) inwiefern trotz schlechter Quellenlage (von der Siedlung selbst ist lediglich ein Grabstein überliefert) durch archäologische Untersuchungen Erkenntnisse gewonnen werden können, um auf diese Weise eine Art Landkarte der weiblichen Klöster Irlands zu erhalten. Sie verweist ebenso darauf, dass nicht nur Ausgrabungen des Klosters selbst aussagekräftig sind, sondern Erkenntnisse, die über den dokumentierten Grundbesitz („estates“) gewonnen werden können. Zudem können auch Ortsnamen Anhaltspunkte für die frühere Bestimmung einer Gegend sein. Sie zeigt mit ihrer Fallstudie auf, mit welchen wissenschaftlichen „Werkzeugen“ ein präziseres Bild in noch weitgehend unerforscht gebliebenen monastischen Landschaften gezeichnet werden kann.
Sabrina Corbellini nimmt, bezogen auf die Tertiarinnen der Diözese Utrecht, zwei Textsorten in den Blick: Einerseits analysiert sie die Statuten, andererseits das Traktat „Informieringheboek“ sowie den Sermonzyklus „Jhesus Collacien“ und kann zeigen, dass die Tertiarinnen darin aufgefordert werden, die Erfahrung der Abgeschiedenheit gleichsam zu verinnerlichen, in dem sie sich in eine Art spirituelle Klausur begeben. So gesehen, konnte jeder Ort im Kloster zu einem individuellen Ort dieser Erfahrung werden.
Im Fokus des Beitrags von Anna Castellano-Tresserra stehen Inventare des Klosters Santa Maria de Pedralbes in Barcelona, die im Todesjahr der Gründerin Elisenda von Montcada sowie der Äbtissin Francesca Saportella (1364) erstellt wurden. Ihre Relektüre zusammen mit weiteren Quellen legt nahe, dass Pedralbes einerseits eng mit dem ersten Kloster der Klarissen in Barcelona, Sant' Antoni, verknüpft ist, sich aber auch in einen größeren Kontext, zusammen mit den ungefähr zeitgleichen Gründungen von Königin Sancha von Neapel und Cousine von Jaume II., sowie Isabel von Portugal, dessen Schwester, situiert. Dies zeigt, dass die Vernetzungen der Klöster auf mehreren Ebenen zu suchen sind. Dementsprechend ist nicht bloß Elisenda als prägende Persönlichkeit zu sehen, sondern zahlreiche weitere adlige Frauen, allen voran Francesca Saportella, die durch Stiftungen und Schenkungen an der Konfiguration des Klosters mitbeteiligt waren.
Ein noch weitgehend unerforschtes Kloster ist Santa Clara von Teruel, eines von fünf in Aragón befindlichen königlichen Gründungen, dessen Archive während des Spanischen Bürgerkriegs vollständig zerstört wurden. Sebastian Roebert rekonstruiert dessen Gründungsgeschichte anhand von Quellen aus diversen Archiven unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Gründerfigur, Leonor von Sizilien (1349-1375). Roebert kann aufzeigen, dass zwar sämtliche Privilegien des Klosters von Pedro IV. ausgestellt wurden, Leonor aber entscheidende Stiftungen tätigte und personelle Entscheidungen traf – beispielsweise durch direkte Vermittlung bei der Kurie. Diese Einflussnahme Leonors führte zu weiteren Privilegien für die Turolenser Niederlassung. Bemüht um die Memoria ihrer Dynastie, nahm sie auch Einfluss auf die Gestaltung des religiösen Lebens innerhalb des Klosters. Damit reiht sich ein in die "Tradition" von Herrscherinnen, die Niederlassungen der Klarissen begründeten und förderten.
Salopp gesagt, entstanden auch aus illegitimen Verbindungen Klöster. Wie Maria del Mar Graña Cid anhand dreier Beispiele aus dem 13. und 14. Jahrhundert zeigt, hatten die Könige Alfonso X. und Pedro I. mit ihren Mätressen bzw. mit den aus diesen Verbindungen hervorgehenden Töchtern Niederlassungen in Kastilien gegründet – wobei sie annimmt, dass die Initiative auch hier zu einem Großteil von den Frauen ausgegangen ist. Zum einen geschah dies als eine Art Buße für die Sünde der illegitim eingegangenen Verbindung (bezüglich Mayor Guillen für Santa María de San Miguel de Monte bzw. auch im Fall der María de Padilla für Santa Clara de Astudillo). Zum anderen sollten auf diese Weise uneheliche Nachkommen legitimiert werden (Infantinnen Beatriz und Isabel für Santa María de Tordesillas). Auch auf diese Weise zustande gekommene Gründungen erfüllten einen klaren Zweck: Sie stärkten den Zusammenhalt der Dynastie, weil es auch hier die Verwandtschaft derselben war, die Stiftungen tätigte und/oder als Äbtissinnen die Geschicke der Klöster weiter bestimmten.
Anna Rapetti untersucht inwiefern im Venedig des 9. bis 13. Jahrhunderts die Profilierung der Aristokratie am Verhältnis ihrer Exponenten zum Benediktinerinnenkloster San Zaccaria und weiterer Häuser abzuleiten ist. Dabei wird deutlich, dass innerhalb der venezianischen Gesellschaft zahlreiche Familien gezielt ihre Mitglieder in Klöstern unterbrachten, um ihre Position zu festigen und an Einfluss zu gewinnen. Auch mit den politischen und institutionellen Erneuerungen verlor die Aristokratie ihr Interesse an der Besetzung, beispielsweise administrativer Positionen innerhalb der Frauenklöster nicht – was als Indikator für deren nach wie vor einflussreiche Position innerhalb der venezianischen Gesellschaft gesehen werden muss.
Carola Jäggi widmet sich der Frage, welchen Zweck Bildwerke in Frauenkonventen erfüllten. Dazu nahm sie überlieferte Schwesternbücher in den Blick. Ihre Analyse legt nahe, dass bei individuellen Gebetsübungen der Nonnen vornehmlich Bilder der Jungfrau Maria oder des Kruzifix eine Rolle spielten.
Ebenfalls um Devotionsübungen geht es bei Núria Jornet Benito. Sie präsentiert verschiedene Dokumenttypen aus den Inventaren der Sakristei des Klosters Sant’ Antoni und Santa Clara in Barcelona. Für die Erforschung diverser Formen der „performance devocional“ wie es beispielsweise Gesten, die Verehrung verschiedener Objekte oder in den Alltag eingebaute Rituale sind, können diese Dokumente von großer Aussagekraft sein und dazu beitragen, ein vollständigeres Bild vom „Innenleben“ eines Klosters bzw. einer Nonne zu erhalten.
Thematisch etwas allgemeiner äußert sich Eva Schlotheuber zur Frage, wie ausgeprägt die literarischen beziehungsweise allgemeinen intellektuellen Kenntnisse einer Nonne im Mittelalter gewesen sein mögen. Die Autorin führt aus, dass normative Texte, wie die jeweilige Regel, consuetudines oder Statuten nur beschränkt als Indikatoren gelten können, da sie ein zu einseitiges Bild der Bildung innerhalb eines Frauenklosters aufzeigen. Ihre Beispiele aus diversen Orden machen hingegen deutlich, dass mit weiteren Untersuchungen das noch immer vorherrschende Bild von literarisch und intellektuell weitgehend passiven Nonnen revidiert werden muss.
Das Leben der Elionor von Urgell (c. 1380 – 1430) wurde durch politische und militärische Geschehnisse bestimmt. Von ihren Besitztümern enteignet und zur Emigration gezwungen, entschloss sie sich schließlich für ein Leben in Abgeschiedenheit – Teresa Vinyoles Vidal zeichnet ihre Biografie nach und lässt die Persönlichkeit einer „Eremitenprinzessin“ aufscheinen, die nicht in das verbreitete Bild von passiven Frauengestalten des Mittelalters passt.
Patricia Stoop analysiert die Provenienz der Texte und Bücher der Bibliothek des Augustinerinnenklosters Jericho in Brüssel. Sie zeigt, dass sich entsprechende Netzwerke einerseits regional, und darin auch zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften bzw. Orden ausbildeten, wobei persönliche Kontakte diese Verbindungen ermöglichten. Pablo García Acostas dichter Aufsatz beinhaltet die kritische Reevaluation des Textes von Marguerite Porete („Le mirouer les ames“) anhand einer Analyse der Marginalien und deren Tradierung in diversen Manuskripten des 14. bis 16. Jahrhunderts. Es zeigt sich, dass diese „Randnotizen“ zentrale Informationen zu Rezeption und Tradierung des Textes bereithalten.
Angela Muñoz Fernández legt anhand der Analyse marianischer Texte von Juana de La Cruz offen, wie sich diese weibliche Stimme in die Debatte zu Herkunft und Abstammung ("linaje") der Zeit einfügte – und mit ihrer Bezugnahme auf die heilige Anna sowie der Korrelation von Mutter und Sohn eine Differenz schuf zur damals vorherrschenden Einstellung.
Victoria Cirlot handelt von der Vision der Heiligen Stadt, wie sie in zwei Texten der Hildegard von Bingen beschrieben wird, und setzt sie in Bezug zur deren allgemeiner Wahrnehmung, wie sie in der mittelalterlichen Kultur vorherrschte. Am Schluss unternimmt Cirlot den Versuch, diese Bilder auch in einen weiteren zeitgenössischen Zusammenhang zu stellen.
Es ist das Verdienst des Bandes, aktuelle Forschungen zu Frauenklöstern zu versammeln und dabei geografisch wie thematisch die Grenzen sehr weit zu setzen. Die Vielfalt auf allen Ebenen birgt natürlich auch Gefahren, die der Überfrachtung beispielsweise. So hätte man die thematische Ausrichtung des Bandes ruhig stärker fokussieren können. Die meisten Artikel dringen thematisch nicht so weit in Tiefen vor, wo fachspezifisches Vorwissen unabdingbar wäre, obwohl einige Beiträge von beachtenswerter Dichte sind. Vielmehr liefert der Band einen guten thematischen Überblick. Hilfreich sind zudem die Abstracts zu Beginn eines jeden Artikels.
Blanca Garí [coord.]: Espacios de espiritualidad femenina. Una mirada interdisciplinar. Anuario de Estudios Medievales 44, No. 1 (2014), Barcelona: Online-Ressource
ISBN 00665061, Inhaltsverzeichnis
Empfohlene Zitation:
Susanne Martinez Garcia: [Rezension zu:] Blanca Garí [coord.]: Espacios de espiritualidad femenina. Una mirada interdisciplinar. Anuario de Estudios Medievales 44, No. 1 (2014), Barcelona. In: ArtHist.net, 13.04.2015. Letzter Zugriff 27.12.2024. <https://arthist.net/reviews/9238>.
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