REV-CONF 22.05.2014

Vom Handlungsraum zum Filmbild. Szenographie der Antiken im Film

Humboldt-Universität zu Berlin, SFB 644 "Transformationen der Antike", 13.–15.03.2014

Bericht von Lisa Cronjäger, Berlin
Redaktion: Livia Cárdenas

Im März 2014 lud das Teilprojekt B14 des Sonderforschungsbereichs „Transformationen der Antike“ zu der Tagung „Vom Handlungsraum zum Filmbild. Szenographie der Antiken im Film“ ein. Die vertretene szenographiefokussierte Forschungsmethode betont den künstlerisch konstruierten Filmraum gegenüber der oftmals literaturwissenschaftlich analysierten Filmnarration. Während der Konferenz stand die Frage im Mittelpunkt, wie Vorstellungen von Antike in Historienfilmen konstituiert, tradiert oder aktualisiert werden. Zentrale These des Forschungsprojektes B 14 „Bewegte Räume. Szenographie der Antiken im Film“ ist, dass die szenographische Gestaltung von Antikfilmen, angefangen bei der Wahl des Schauplatzes und geeigneter Requisiten, der architektonischen Gestaltung der Kulissen, bis hin zur Rahmung des Bildausschnittes durch die Kameraführung, eine zentrale Rolle bei der Verbildlichung von Konzepten und Imaginationen der Antike einnimmt.

Neben dem für die Film- und Bildwissenschaften neuen szenographischen Untersuchungsansatz stellt das unspezifische Genre der Antikfilme eine Herausforderung dar. Die Filmformate umfassen sowohl Stummfilmadaptionen der Jahrhundertwende, Spielfilme mit Monumentalfilmcharakter und wissenschaftliche Dokumentationen, als auch Parodien, Miniserien und aktuelle dreidimensionale Blockbuster. Das Antiksujet betrifft die klassisch griechisch-römische Antike, das alte Ägypten und Verfilmungen biblischer Geschichten als sogenannte „Sandalenfilme“. Die Tagung stellte sich der Aufgabe dem Umfang und der Variabilität der Antikfilme gerecht zu werden, und durch die Analyse kunstgeschichtlicher Traditionen sowie der Verarbeitung archäologischen Forschungswissens die differenten Vorstellungen von Antike zu erörtern.

In dem einleitenden Abendvortrag bot Martin M. Winkler (Fairfax) mit zahlreichen Filmausschnitten einen Überblick über prominente Historienfilme und innerfilmische Kontinuitäten in der Visualisierung Roms und der römischen Antike. Seine exemplarische Auswahl wurde zum Referenzpunkt für die folgenden Konferenztage und Diskussionen. Am Beispiel von Leni Riefenstahls filmarchitektonischer Inszenierung von nationalsozialistischen Aufmärschen verdeutlichte Winkler u.a., wie unterschiedlich die Bezugsquellen von Antikfilmen sind.

Karsten Ley und Judith Ley (Aachen) vertraten die These, dass für das Fernsehformat der Serie eine Stadtdarstellung typisch ist, die einen Bezug zum Alltag des Publikums herstellt, insbesondere bezüglich der Wahrnehmung von Großstadt und sozialen Wohnverhältnissen. Anhand der vier Topoi „Forum“, „Subura“, „Arena“ und „Domus“ veranschaulichten sie an der architektonischen Gestaltung, der Kameraführung und der Positionierung der Protagonisten, wie das Privatleben der Einzelfiguren erhöht wird – ganz im Gegenteil zu sich auf Massenszenen konzentrierenden Monumentalfilmen. Beispielsweise sei bei Szenen auf dem Forum offensichtlich, dass oftmals Naheinstellungen gewählt würden, um die zwischenmenschliche Beziehung der Akteure intim darzustellen. Der menschenüberfüllte Charakter des zentralen Marktplatzes von Rom gerate dabei in den Hintergrund. Außerdem sei typisch, dass die für das 21. Jahrhundert charakteristischen Probleme der Großstadt auf die Antikenvorstellung projiziert würden: Zum Beispiel ist Kriminalität den Gassen der Vorstadt zugeordnet, Wohnverhältnisse verweisen in ihren Gegensätzen auf soziale Ungleichheit. Es behauptet sich ein häufiger Blick ins private Schlafzimmer oder auf den familiären Esstisch, der den aus Realityshows gewonnenen Sehgewohnheiten nahekommt.

Annette Dorgerloh (Berlin) widmete sich den seit der Stummfilmzeit vorgenommenen Verfilmungen der alttestamentlichen Geschichte des Exodus und Analogien zur Historienmalerei. Laut Annette Dorgerloh steht nicht zur Diskussion, inwiefern Antikfilme die im 19. Jahrhundert beliebte Historienmalerei ablösten, sondern wie die auf Historiengemälden verbildlichten Antikenvorstellungen in Filmen zitiert werden und somit eine Aktualisierung im jeweiligen Zeitkontext erfahren. Ein typisches Bildmuster ist beispielsweise der sich unrealistischerweise isoliert in der Wüste befindende Pharaonenpalast, durch dessen Tor die Israeliten aus Ägypten ausziehen. Der 1813 wiederentdeckte Tempel in Abu Simbel ist eines der Vorbilder, denn die Ausgrabungsarbeiten in der Wüste erfreuten sich im 19. Jahrhundert großen öffentlichen Interesses und sind auf Gemälden und Illustrationen rezipiert worden. Es schließt sich die Frage an, mit welcher Konsequenz Bezüge zur Historienmalerei hergestellt oder verworfen werden.

Für diese rezeptionstheoretischen Fragestellungen war es sehr bereichernd, dass Kristina Jaspers (Berlin) die Arbeitspraxis und Bedeutung des Set-Designers zum Vortragsthema machte. Storyboards bezeichnete Ridley Scott als „erste Aufnahme des Filmes“ und auch Kristina Jaspers erklärte an verschiedenen Filmbeispielen, dass die Arbeit des Szenenbildners die erste vorläufige Imagination der Raumbeschaffenheit innerhalb des Filmproduktionsprozesses darstellt. Filmtheoretisch grenzt Kristina Jaspers Storyboards von der Chronofotografie und von Screenshots ab. Schließlich ginge es nicht darum, Bewegungsabläufe fotografisch zu zergliedern, sondern auf den Einzelbildern mit übertriebener Deutlichkeit die Handlungsschritte ersichtlich zu machen. Insgesamt wurde die große Bedeutung von Storyboards als verdichtete Raumvorstellungen für film- und bildwissenschaftliche Untersuchungen deutlich.

Christian Schnell (Berlin) erörterte die Wahl von authentisch wirkenden Schauplätzen für Antikfilme. Der von ihm thematisierte Film „Singe den Zorn“ wurde an der Ausgrabungsstätte in Hisarlık (Türkei) gedreht und präsentiert in szenischer Wiedergabe den Text der Ilias in der deutschen Fassung von Johann Heinrich Voss. Antje Borchardt, eine der Filmemacher_innen des 2004 verfilmten Projektes, berichtete aus praktischer Erfahrung, wie und warum Landschaftsräume bei der Visualisierung von Homers Ilias als Filmsetting ausgewählt wurden. Christian Schnell zeigte, dass authentisch wirkende Drehorte den Vorrang vor im Originaltext benannten Schauplätzen haben. Die Lokalisierung von antiken Handlungsräumen in Wüsten- oder Steppenlandschaften sei zum Konsens dafür geworden, was als authentische Antike gilt. Damit, so seine These, erhalten filmisch visualisierte Vorstellungsbilder die Bedeutung von Originalschauplätzen.

Marcus Becker (Berlin) analysierte die Bedeutung von Hermen in Antikfilmen, da diese sich insbesondere in den frühen Turiner Filmproduktionen als am häufigsten genutzte monumentale Ausstattung durchgesetzt haben. Laut Becker fungieren Hermen im Antikfilm als doppeldeutige Zeichen im Sinne Roland Barthes‘, weil sie einerseits eher im Hintergrund erscheinen, andererseits eine essentielle Bedeutung für die Lokalisierung des Filmsettings in der „Antike“ haben. Marcus Becker stellte heraus, dass Hermen um 1900 sowohl in der Gartengestaltung, als auch als archäologisches Beiwerk an Häusern oder öffentlichen Denkmälern vermehrt rezipiert wurden. Auch in der Tradition der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts seien Hermen ein beliebtes Bildmotiv. Zur Befriedigung des Publikumsgeschmacks verzichteten Filme wie Salonmalerei auf die für die antiken Hermen zentralen Geschlechtsteile. Die Rezeption von Hermen in archäologischen Fachpublikationen und der Pornographie legitimierten diese bildungsbürgerliche Assimilierung, indem sie Gegendiskurse darstellen. Schlussfolgernd sind außerfilmische Darstellungstraditionen wesentlich dafür, dass die mit Hermen ausgeschmückte antike Handlung allgemein als glaubwürdig empfunden wird.

Ulf Jensen (Berlin) betonte die Bedeutung der Filmkamera als ein instrumentelles Medium, über das Bildausschnitte gerahmt und Elemente der Antikenimagination angeordnet werden. Carmine Gallones Film „Gli ultimi giorni di Pompei“ (1926) stellte er als Beispiel heraus, da innerhalb des Filmes eine Gegenüberstellung von archäologischem Befund und szenographischer Filminszenierung geleistet wird. Der durch die Kameraeinstellung zwangsläufig kreierte zweidimensionale und zentralperspektivische Bildraum erfordere eine Ordnung und Inszenierung von archäologischem Wissen und gesellschaftlichen Antikenvorstellungen, noch bevor der Film als Ganzes konzipiert werden könne. Folglich beziehe der Antikfilm seine Bezüge nicht nur aus dem künstlerischen Imaginarium der Historienmalerei oder beispielsweise Buchillustrationen, sondern werde zudem durch technische Besonderheiten des Kamerabildes strukturiert. Die Erfassung der Antike mittels der wissenschaftlichen Fotografie in der Archäologie und der eingenommene Kamerablickwinkel auf touristischen Postkarten spielten deshalb eine wesentliche Rolle.

Regina Heilmann (Ludwigshafen) musste ihren Vortrag leider kurzfristig absagen, weshalb der bedeutungsvolle Themenkomplex über Babylon als filmischen Topos auf der Tagung nicht repräsentiert war.

Die Vielzahl an Parodien und pornographischen Filmen, die besonders in den 1960er Jahren teuer inszenierte Monumentalfilme ablösten und karikierten, behandelte Martin Lindner (Göttingen). Da nach 2000 erst langsam wieder die Zahl neu produzierter Monumentalfilme zunimmt, stünden Parodien am Anfang einer neuen Konjunktur, weil diese sich stets auf massenmedial bekannte Filme beziehen müssten. Das prominenteste Beispiel ist Monthy Pythons „Life of Brian“, das beim heutigen Publikum weitaus bekannter ist als viele der parodierten Originalfilme. Die Tradition der ironischen Antikenrezeption schafft demnach laut Lindner einen hohen Wiedererkennungswert, weshalb die Einflussnahme von Parodien auf die filmische Transformation von Antikenvorstellungen nicht vernachlässigt werden sollte. Da szenographische Stilelemente vom Publikum oft nur nebensächlich bemerkt würden, bezweifelte Lindner, ob Filmszenographie in Parodien eine zentrale Rolle einnimmt – eine These, die sich von den anderen Beiträgen abhebt, da insgesamt stets die essentielle Bedeutung von Szenographie für die Filmwirkung betont wurde.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Antikenvorstellungen in Historienfilmen über vielfältige Traditionslinien und Bezugnahmen herstellen. Die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts bildet dabei eine wesentliche Inspirationsquelle gleichwertig mit archäologischen Forschungskenntnissen, die in ihrer gesellschaftlichen Rezeption wiederum in Bilder transformiert werden. Bezüge zu den massenmedialen Sehgewohnheiten des Publikums spielen nicht nur bei der Formatwahl eine Rolle, sondern sind entscheidend dafür, wie Alltagsleben in der Antike imaginiert wird. Auch technische Bedingungen, wie beispielsweise der von der Kamera geschaffene Bildraum oder das Arbeitsinstrument des Storyboards, beeinflussen die Art und Weise, wie Antikenvorstellungen angeordnet und inszeniert werden. Innerfilmische Bezüge können wie beim Beispiel des Landschaftsraumes dazu führen, dass Authentizität vortäuschende Schauplätze im kollektiven Gedächtnis als Originalplätze wahrgenommen werden. Außerdem prägt die massenmediale Wirkung von Parodie oder Pornographie gleichermaßen Vorstellungsmuster wie wissenschaftlich sorgsam überprüfte Dokumentationen.

Innerhalb des Sonderforschungsbereichs „Transformationen der Antike“ wurde für dieses Phänomen der Begriff der „Allelopoiese“ geprägt. Antikenvorstellungen werden in ihrer Rezeption geschaffen, welche sich zwangsläufig auf Referenzbeispiele beziehen muss. Die szenographische Analyse von Historienfilmen kann also für die bildwissenschaftliche Forschung Erkenntnisse darüber liefern, wie sich der Wandel von Antikenvorstellungen vollzieht und schafft ein vielschichtiges Kenntnisbild über die gesellschaftliche Wahrnehmung von Antike, das über die Rekonstruktion des jeweiligen archäologischen Kenntnisstandes hinausgeht.

Empfohlene Zitation:
Lisa Cronjäger: [Tagungsbericht zu:] Vom Handlungsraum zum Filmbild. Szenographie der Antiken im Film (Humboldt-Universität zu Berlin, SFB 644 "Transformationen der Antike", 13.–15.03.2014). In: ArtHist.net, 22.05.2014. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/7795>.

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