REV 08.11.2011

Friedrich B. Polleroß: Die Kunst der Diplomatie

Rezensiert von Markus Völkel, Universität Rostock
Redaktion: Philipp Zitzlsperger
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Dieses Werk könnte von einem Kunsthistoriker, einem Archivar, aber auch von einem Historiker rezensiert werden. In diesem Fall ist der Rezensent Historiker, was die Perspektive entscheidend einengt, dann aber auch, gerade im Schlussteil dieser Besprechung, auch weit zu öffnen vermag. „Die Kunst der Diplomatie“ ist kein im strengen Sinn diplomatiegeschichtliches Werk, sondern beschäftigt sich vorwiegend mit der Kunst und Kunstgegenständen, die ein Diplomat in der Spätphase Kaiser Leopolds I. während seiner Tätigkeit erwerben konnte. „Auf den Spuren des kaiserlichen Botschafters … Lamberg“ wandelt der Autor, weil bei diesem niederösterreichischen Adeligen die Quellenlage mit Inventaren, Diarien und Korrespondenz (stets ergänzt um Parallelüberlieferungen) besonders gut ausfällt. Die Studie ist keine, obwohl der erste Anschein dies suggerieren könnte, Geschichtserzählung im üblichen Sinn, sondern der Versuch, eine Genealogie für ein Bündel von in Inventaren und Sammlungen sichtbaren ‚Sachen‘ zu entwerfen und diese wiederum mit einer Chronologie zu versehen, die so aussieht wie eine Biographie, aber keine ist. Im Zentrum der Aufmerksamkeit von Friedrich Polleroß stehen mit größter Konsequenz die ‚Sachen‘, d.h., sie stellen den Plot, sind die Agenten und stehen für ‚Agency‘.

Die „Einleitung“ umreißt den Rahmen, in dem ein barocker Diplomat zu seinen Kompetenzen im Umgang mit der Kunst gelangt, welche, abgesehen von der Musik, sich stets dinglich darbietet. Hier ist denn auch mit Gründlichkeit der gesamte Apparat der Politik als Kultur, Kunst und Sammeln als adelige soziale Praxis auf der Grundlage der symbolischen Kommunikation versammelt. Der Autor kennt sich hier vollendet aus, deshalb ist es ihm um so mehr anzurechnen, dass er dieses geistige Millimeterpapier im Fortschreiten seines Themas sofort beiseiteschiebt, um die Quellen ‚sprechen zu lassen‘. Sechs Szenen von sehr unterschiedlicher Länge folgen dann aufeinander. Zunächst wird die Kavaliersreise Lambergs nachvollzogen, die er mit seinem Bruder Karl Adam machte, und die bei Kosten von etwa 18.000 Gulden gut drei Jahre (1674-1677) dauerte. Bereits hier wird deutlich, dass Polleroß seine Aufgabe vor allem als Synchronisation versteht, nämlich den Text mit – oft sehr langen – Quellenzitaten zu durchsetzen und sie gemeinsam mit den von ihnen aufgerufenen Sachwelten bildlich zu parallelisieren. 516 Abbildungen sprechen für sich: Was gezeigt werden kann, wird auch gezeigt, gleich, ob man es kennt oder nicht.

Von dieser Reise kommt Lamberg nicht nur mit den klassenüblichen Erfahrungen und Netzwerken zurück, sondern bereits mit einer ersten kleinen Kunstsammlung, die er sofort – im nächsten Kapitel – in den Ausbau und die Ausschmückung seiner Schlösser und Grundherrschaften investiert. Dieser Abschnitt ist eine Art bebilderte Tour durch Niederösterreich und das Waldviertel, die jeden Eingriff in einen gediegenen historischen Kontext stellt – besonders stark ausgeprägt bei den Wiener Stadtpalästen, denen ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Es folgen im vierten Abschnitt die Jahre als österreichischer Direktoralgesandter am Reichstag in Regensburg (1690-1699). Lamberg ‚erkaufte‘ sich diese Position durch ein Darlehen an den Kaiser in Höhe von 100.000 Gulden. Von nun an wandelte er auf dem Wege der unaufhaltsamen Verschuldung, denn bei einem durchschnittlichen Aufwand von 70.000 Gulden pro Jahr erstattete ihm die Hofkammer in der Regel nur 6000 Gulden (215). Dies ist schon ein sehr umfangreiches Kapitel, das sich nicht nur mit den Zeitungsabonnements des Gesandten, der Pflege der „pietas austriaca“ in Regensburg, Badekuren in Böhmen, Familienfesten in Passau, Reisen ins Reich und dem unaufhörlichen Erwerb von Kunst und Hausrat beschäftigt, sondern vor allem lustvoll die Tücken des Reichstagszeremonielles illustriert und somit ganz nebenbei viele Einsichten in kniffelige Fragen der Reichspolitik erzielt. Deshalb sei diese Szene vor allem den Reichshistorikern empfohlen.

Noch größere Dimensionen erlangt dann der nur halb so ausgedehnte Aufenthalt Lambergs als kaiserlicher Botschafter in Rom (1700-1705). Mit gut 200 Seiten und 996 Anmerkungen hat das Kapitel epische Längen. Es wird gezeigt, wie Lamberg unablässig an allen Fronten kämpft: im Zeremoniell, im Konklave Papst Clemens‘ XI., um den öffentliche Raum mit Kutschern und Karossen, Festdekorationen und -messen, Kaiserporträts und musikalischen Assembleen, und wie er nebenher noch Zeit findet, mehrfach in Rom umzuziehen und zehntausende Gulden für Bilder, Antiquitäten und Reliquien auszugeben. Als der Wiener Hof ihn nach dem Tode Leopolds I. aus Rom abzog, da verließ er die Stadt als Geschlagener, konnte sich aber über die diplomatische Niederlage mit dem erfolgreichen Transfer seines gesamten römischen Hausstandes nach Österreich trösten. Kaum angekommen und fähig, seine enormen Schulden zu überblicken, da starb Lamberg auch schon, weshalb sich die letzte Szene ganz nüchtern seinem Nachlass und dessen Auflösung in der Form knapper Provenienzforschung für heutige Sammlungen widmet.

Dieser skizzenhafte Überblick zeigt bereits, welche imponierende Bühne Polleroß bespielt. Dabei geht es ihm, wie eingangs erwähnt, vor allem um Sachen, und weil ‚Agency‘ nicht direkt an Sachen haften kann, um deren Genealogie. Hier geht er nun völlig antiillusionär vor: Lamberg und seine erbländischen Standesgenossen sind bei Polleroß ‚Automaten‘ in einem doppelten Sinn: sozial-familiär wie zeremoniell. Ihnen fehlt jegliche individuelle Motivation wie auch übergreifende politische Kausalität. Es geht also, darauf sollte der Leser gefasst sein, um Sachen, nicht um Menschen! Diese völlige Sachlichkeit erweist sich auch am Stil des Buches, der trocken ausfällt und sich zwischen Johann Christian Lünigs „Theatrum Ceremoniale“ und einem Hofstaatskalender bewegt. Diese chronologischen Automaten organisieren im Buch de facto ihren heutigen Nachlass selbst! Gerade dieser Umstand erlaubt es nun, die vom Verfasser kunstvoll verschwiegene, an anderer Stelle von ihm aber überaus kompetent reflektierte Frage nach dem ‚Barock‘ doch noch aufzuwerfen [1]. Wenn es nicht um das „Bauen alla Romana“, nicht um das österreichische Staatswesen als Barockkunst, nicht um den „Reichsstil“, nicht um den „deutschen Barock“, nicht um „landfremde Machtkunst“ und den „österreichischen Übernationalismus“ geht, worum geht es dann?

Es geht, weil alles sich um ‚Sachen‘ dreht, um einen ‚phänomenologischen Barock‘, d.h. um einen Zugriff auf gänzlich zurückgelassene Dinge, um Residuen von systemischen (kulturalistischen) Prozessen. So entsteht dann auch eine ganz unerwartete neue Sichtbarkeit des Barockmenschen, der in seinen ‚Sachen‘, also in den großen wie kleinen Apparaten, restlos aufgehen darf. Dass dies keine überzogene Meinung des Rezensenten ist, mag ein resümierendes Zitat beweisen: “Dieses Testament bestätigt mit seiner Nichterwähnung von Architektur und Malerei, dass der kaiserliche Botschafter kein Kunstliebhaber im eigentliche Sinne war. Aber es beweist ebenso, dass Graf Leopld Joseph von Lamberg den materiellen ebenso wie den repräsentativen Wert zumindest von ‚angewandter Kunst‘, d.h. Luxuskarossen, Silberwaren und Reliquienbehältern, sehr wohl kannte und auch in Zukunft von seinen Erben als Ausdruck der Gloria des Hauses Lamberg erhalten wissen wollte.“ (526) Damit ergibt sich eine verblüffende Schlussspointe: Dieses opulente Buch signalisiert die Wiederkehr des reinen Antiquarismus auf der Basis der neuesten Kulturhistorie und ihrer Theorien, denn angesichts des Dilemmas zwischen ‚Augenlust‘ und ‚Theoriequal‘ begnügt sich Polleroß damit, die theoretischen ‚Folterwerkzeuge‘ nur kurz vorzuzeigen, um sich dann gänzlich ungehemmt den Phänomenen hinzugeben. Deutet dieses ausschweifende Werk somit auf einen nochmals erneuerten ‚Neobarock‘ hin? Wenn dies zutrifft, dann hat die Rolle der illusionistischen Kulisse freilich die Theorie übernommen. Diese überraschende Volte mag man freilich einer Theorie gönnen, der der Weg ‚zurück zu den Sachen‘ in den letzten Jahren nur noch selten gelungen ist. Auf der anderen Seite haben diese Wiederkehr des 17. Jahrhunderts ins 21. und der siegreiche Wetteifer des Michael Imhof Verlags mit der barocken Magnifizenz auch ihren optischen Reiz, insofern sie die Reihe der wissenschaftsinternen Illusionsarchitekturen um eine weitere, und zwar höchst ansehnliche, bereichern.

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Anmerkungen:

[1] Vgl., Polleroß, Friedrich, Barock ist die Art, wie der Österreicher lebt, oder: Barocke Architektur als Bollwerk und Brücke, in: Brix, Emil476, Bruckmüller, Ernst u. Stekl, Hannes (Hg.), Memoria Austriae I. Menschen, Mythen, Zeiten, Wien 2004, S. 446-472.

Polleroß, Friedrich B.: Die Kunst der Diplomatie. Auf den Spuren des kaiserlichen Botschafters Leopold Joseph Graf von Lamberg (1653 - 1706), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2010
ISBN-13: 978-3-86568-562-9, 608 S, ca. EUR 69.00

Empfohlene Zitation:
Markus Völkel: [Rezension zu:] Polleroß, Friedrich B.: Die Kunst der Diplomatie. Auf den Spuren des kaiserlichen Botschafters Leopold Joseph Graf von Lamberg (1653 - 1706), Petersberg 2010. In: ArtHist.net, 08.11.2011. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/775>.

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