REV 25.01.2005

Govan/Bell/Smith (Hgg.): Dan Flavin

Rezensiert von Tobias Vogt
Redaktion: Rainer Donandt

Die Leuchtstoffröhren, die von 1938 an die Welt der Innen- uns Außenräume erobert haben, sind im Verschwinden begriffen. Halogene heißen die Leuchtstoffe der Stunde. Sie haben eine höhere Lichtausbeute, flackern nicht in langen Glaszylindern, sondern passen in kompakte Glühbirnen. Für die Werke von Dan Flavin verheißt dieser technische Fortschritt nichts Gutes: Es wird auf kurz oder lang keinen Nachschub für seine Leuchtstofflampen-Objekte mehr geben. 2100 Stunden, das hat der Künstler selbst überschlagen, sei die durchschnittliche Lebensdauer des elektrischen Systems einer Leuchtstofflampe. Mehr Licht gibt es nicht, so Flavins Vermutung.

Ausgerechnet mit dem Ableben der Lampen erscheint nun Flavins Werkverzeichnis, und die Historisierung der sogenannten Minimal Art nimmt mit den ersten Catalogue raisonné eines ihrer Vertreter eine weitere Stufe. Das Werkverzeichnis erscheint in doppelter Hinsicht: Allein schon der Schuber des imposanten Bandes leuchtet einem geradezu entgegen. Die zahlreichen Farbabbildungen im Innern vermitteln einen Eindruck von der Wirkung des Lichts, das den Betrachterkörper im Angesicht der Installationen unumschränkt betrifft. Das klare Layout ist angelehnt an die gradlinige Gestaltung, die Flavin (1933-1996) zu Lebzeiten für seine eigenen Kataloge bestimmte.

Michael Govan und Tiffany Bell haben den Catalogue raisonné herausgegeben. Govan ist Präsident und Direktor der Dia Art Foundation, die Zeit ihres Bestehens Flavins Kunst förderte und ausstellte, und Bell ist Projektleiterin zur Erstellung eben des Werkverzeichnisses. Zu den Essays der beiden gesellen sich eine Beitrag von Brydon E. Smith, 1969 als Direktor der National Gallery of Canada in Ottawa für Flavins erste Retrospektive verantwortlich, ein Text von Flavin selbst und zwei Interviews mit dem Künstler. Diese erste Hälfte des Buches ist zugleich auch der Ausstellungskatalog der jüngsten Flavin-Retrospektive, die von Washington nach Fort Worth und Chicago wandern wird. Die zweite Hälfte füllt der Catalogue raisonné, den Bell mit der Hilfe von David Gray erarbeitet hat.

Govans Essay „Irony and Light“ ist in drei Teile gegliedert, die das Werk chronologisch behandeln, allerdings thematisch unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Zunächst vollzieht Govan den Übergang von Flavins kalligraphischen Zeichnungen und Assemblagen nach 1960 zu den „icons“, zumeist auf quadratischen Bildträgern befestigte Glühlampen, Lichterketten oder Leuchtstofflampen nach. Sie führen direkt zu „the diagonal of May 26th, 1963 (to Constantin Brancusi)“, einer acht Fuß langen, gelben Leuchtstofflampe, die Flavin ohne Zusatz diagonal an die Wand seines Ateliers in Brooklyn montierte. Mit dieser Initialzündung reduzierte er sein Material auf ein Minimum und arbeitete seither ausschließlich mit standardisierten Leuchtstofflampen in handelsüblichen Formen und Farben. Ein besonderes Gewicht legt Govan auf die Erläuterung von Flavins „'monuments' for V. Tatlin“ aus dem Jahr 1964, die in der Washingtoner Präsentation zahlreich vertreten sind.

Ist der ersten Teil des Essays entlang der Kommentare strukturiert, die Flavin in den sechziger Jahren veröffentlichte, kommen im zweiten Teil die Kritiker zu Wort. Hier öffnet der Autor das Werk gegenüber dem Kontext, maßgeblich gegenüber der Minimal Art. Er hält sich an Texte von Donald Judd, Mel Bochner oder Jack Burnham. Der Letztere ging auf Distanz zu Flavin, ohne dessen Werk jedoch zu disqualifizieren. In seiner Besprechung der Retrospektive in Ottawa analysiert Burnham die aggressiven Abgrenzungsversuche von Flavin gegen jedwede Kontextualisierung, auch gegenüber der Minimal Art. Hier bleibt zu beobachten: So elegant wie Flavin die tödlichen 220 Volt in seinen Röhreninstallationen verkleidet, so elegant sind seine Verunglimpfungen von Kritikern und anderen Künstlern, die er in gewähltem Englisch vorträgt.

Govans Text, der im dritten Teil maßgeblich die ortsspezifischen Installationen des Spätwerks nennt, ist als Einführung in Flavins Werk ausreichend. Er leidet aber unter seiner Doppelfunktion, zugleich einen Ausstellungskatalog und ein Werkverzeichnis bedienen zu müssen. Vielleicht ist es dem dadurch notwendigen Kompromiß geschuldet, daß Govan einige Aspekte außer Acht läßt: Zum Beispiel findet sich in Flavins Katalog von 1969, der Govan als Einstieg in seinen Essay dient, ein Foto der Ausstellung „constructions and watercolors“, die 1961 in der Judson Gallery stattfand. Hier sind Flavins frühe Assemblagen und Aquarelle zu sehen, beleuchtet von einem Paar Leuchtstofflampen. Doch dienen diese hier noch der Galeriebeleuchtung. Der Einfluß der Inneneinrichtung von Ausstellungsräumen auf die Kunst wird gleichwohl ersichtlich. Flavin selbst hat darauf hingewiesen, daß ihm als Wärter des Museums of Natural History die zündende Idee zu einer Kunst mit Leuchtstofflampen kam. Dabei ist weniger Flavins Berufstätigkeit von Belang, als ein Blick ins Museum selbst. Es war bekannt für seine Dioramen und wurde Anfang der sechziger Jahre neuartig und aufwendig beleuchtet. Govan versäumt hier die Gelegenheit, zu diskutieren, inwiefern von der Ausstellungsbeleuchtung der Funke zu Flavins Lichtkunst übersprang. Die Architektur, auf die zunehmend das Spätwerk Bezug nimmt, und die Kunst beeinflußten sich nämlich wechselseitig.

Ebenso schade ist, daß der Text allzu knapp auf die auffällige Widmungsrhetorik in Flavins Werktiteln eingeht. Auch hier hätte Govan das zeitgenössische Umfeld berücksichtigen können. Sowohl bei den Sprachspielen in dem Schriften der Minimalisten als auch bei Barnett Newman, der über das Widmungsverfahren mit Flavin wetteiferte, wäre er fündig geworden. Mit Newman verbindet Flavin noch mehr: In beider Werk findet die ästhetische Kategorie des Erhabenen ihr Fortleben - bei Flavin allerdings ironisch gebrochen. Immerhin las auch er Robert Rosenblums Aufsatz „The Abstract Sublime“. Es mag der Konjunkturflaute des Begriffs geschuldet sein, daß der Essay von Govan und im übrigen der gesamte Band ihn aussparen. Vielleicht stand auch zu befürchten, daß Flavin damit in eine historische Kontinuität eingebettet würde und nicht mehr der Künstler ohne Einflüsse wäre, als den er sich zeitlebens inszenierte. Doch verwehrt Govan dadurch entscheidende Einsichten in ein Werk, das gerade durch die ambivalente Anbindung an Traditionen bedeutungsvoll und im besten Sinne Avantgarde ist.

Tiffany Bells Essay „Flourescent Light as Art“ ist hingegen eine wichtige Ergänzung zur mittlerweile umfangreichen Flavin-Literatur [1]. Sie macht auf das womöglich entscheidende Merkmal seiner Kunst aufmerksam: Flavins Werke, die ab 1963 ausnahmslos aus dem Markenzeichen Leuchtstofflampe bestehen, sind eben nicht mit Judds Objekten, Robert Morris' Werken oder Barnett Newmans Gemälden zu verwechseln, sondern mit Nicht-Kunst, mit alltäglicher Beleuchtung, mit „a neutral pleasure of seeing known to everyone“[2], so Flavin. Stellte sich in der klassischen Moderne angesichts eines abstrakten Bildes noch die Frage, wer das Werk geschaffen habe, lautet sie seit den sechziger Jahren angesichts eines minimalistischen Objektes, ob es sich um Kunst oder um einen Gebrauchsgegenstand, bzw. Dekoration handele. Das verdeutlicht Bell.

Diese Veränderung, die mit der Spezialisierung auf jeweils bestimmte Materialen in der Minimal Art einhergeht, ist paradigmatisch für die Kunstgeschichte der sechzigen Jahre. Seine Spezialisierung auf Leuchtstofflampen ließ Flavin letztlich auch immer plausibilisieren, daß seine Arbeiten nichts mit denjenigen von Judd, Morris, Sol LeWitt oder Carl Andre gemein hätten. Mit Flavins Leuchtstofflampen ist kaum mehr zwischen Kunst und „außerkünstlerischer Wirklichkeit“ (Max Imdahl übernahm diese Wendung von Arnold Gehlen) zu trennen. Duchamps Ready-mades näherten sich zwar der Aufhebung dieser Trennung, vollzogen sie allerdings nicht, weil sie entfunktionalisiert und zum Teil signiert waren. Flavins Leuchtstofflampen hingegen leuchten. Und - das ist die wohl stärkste Ironie des Werks, wie Barbara Reise bemerkt hat - sie leuchten „w i r k l i c h künstlich, manchmal bis hin zu elektrischem 'Tageslicht'“[3].

Daneben macht Bell einige Angaben, die für ein Werkverzeichnis nützlich sind: Der Leser erfährt, daß die Normen für Leuchtstofflampen in Europa und Nordamerika unterschiedlich und deshalb die ortsgebundenen Installationen jeweils mit unterschiedlichem Rohmaterial bestückt sind. Er erfährt überdies, wie Flavin die Einrichtung seiner Installationen überwachte und welche Techniker die Lampen montierten. Bell klärt vor allem über die Editionsmethode für nicht-ortsgebundene Werke auf und darüber, daß Flavin mit den entsprechenden Zertifikaten den Käufer nicht autorisierte, kaputte Röhren selbst auszuwechseln. Die Lebensdauer seiner Kunst, das war Flavins Hoheitsgebot, sollte endlich sein. Auch dies war eine ambivalente Anbindung an die Tradition: Flavin gab den Schaffensprozeß, entgegen neuen Tendenzen in den sechziger Jahren, nicht ganz aus der Hand.

Im Anschluß erinnert sich Brydon E. Smith in seinen „Recollections and Thoughts about Dan Flavin“ an das Zustandekommen von Flavins erster Retrospektive 1969 in Ottawa. Er beschreibt die ausgeführten Installationen, die viele Farbabbildungen dokumentieren, liefert Hintergrundinformationen und Anekdoten. Die erste Hälfte des Bandes, der mit dem Washingtoner Ausstellungskatalog identisch ist, beschließen die üblichen Angaben: ausgewählte Ausstellungen, eine ausführliche Bibliographie und eine bebilderte Künstlervita. Im Appendix stehen Flavins berühmtester Artikel „'... in daylight or cool white.' an autobiographical scetch“ und zwei Interviews mit dem Künstler. Sowohl Phyllis Tuchman als auch Tiffany Bell erhielten auf ihre Fragen zum Teil nur indirekte Antworten. Hier wird die rhetorische Begabung des Künstlers ablesbar. Aber selbst Flavins Ausflüchte, das erkannte schon Jack Burnham, sind durchaus bedeutsam.

Tiffany Bell weist in ihrem Essay darauf hin, mit welcher Genauigkeit Flavin als Sammler amerikanischer Gläser, japanischer Drucke oder Zeichnungen der Hudson River School seinen Besitz katalogisierte. Das scheint sie ermutigt zu haben, auf dieselbe Weise mit seinem Werkverzeichnis zu verfahren. In den 697 Einträgen folgt auf den Titel das Jahr, das Material und die Maße. Bei den nicht-ortsgebundenen Leuchtstofflampen-Objekte sind zudem die Anzahl der Editionen und die existierenden Ausführungen angegeben. Die weiteren Einträge lauten „Inscriptions“, „Notes“, „Solo Exhibitions“ und„Publications“. Daß die Provenienzen und der Verbleib der Werke nicht verzeichnet sind, entschuldigt Bell einleitend mit der Menge an Recherchearbeit. Es ist in der Tat sehr schwierig, den zumeist in einer Auflage von drei oder fünf produzierten Exemplaren nachzuspüren. Doch gehen dem Catalogue raisonné so auch wichtige, für manchen Kurator oder Galeristen sogar entscheidende Informationen über den momentanen Aufenthaltsort der Arbeiten verloren.

Da kaum ein Foto das abstrahlende Licht der Werke authentisch einfängt, kommen Diagramme den Farbabbildungen im Werkverzeichnis zu Hilfe. Sie basieren auf Flavins Inventar und komplettieren den Großteil der Einträge, indem sie die wesentlichen Informationen über Art und Plazierung der Lampen sowie Richtung des Lichts angeben. Mithilfe dieser einfachen Lösung erhält der Leser - oder besser: Betrachter - beim Durchblättern einen Eindruck von der Entwicklung des ‘uvres. Seit „the diagonal of May 26th, 1963 (to Constantin Brancusi)“ besteht es zwar ausschließlich aus Leuchtstofflampen, aber es besetzt verstärkt zunächst den Innen- und später auch den Außenraum.

Flavins Kunst hatte ihre Höhepunkte fraglos in den sechziger Jahren. Die Entscheidung, eine einfache Leuchtstofflampe in seinem Atelier diagonal zu montieren, war in ihrer Radikalität kaum abschätzbar. Sie beinhaltete eine Fülle von Implikationen und Deutungsangeboten, die weitreichend genug waren, ein ganzes Künstlerleben zu füllen. Flavin war klug genug, dies zu erkennen.

Anmerkungen:

[1] Gesammelte Aufsätze zu Flavin wurden jüngst ediert: Paula Feldman und Karsten Schubert (Hrsg.): It Is What It Is. Writings on Dan Flavin. Thames and Hudson 2004.

[2] Dan Flavin: some remarks... excerpts from a spleenish journal. In: Artforum, Vol. V, No. 4, Dec. 1966, S. 27-29, hier S. 27.

[3] Barbara Reise: „Untitled 1969“: a footnote on art and minimal-stylehood. In: Studio International, Vol. 177, No. 910, Apr. 1969, S. 166-172. Dt. in: Gregor Stemmrich: Minimal Art. Eine kritische Retrospektive. Dresden und Basel 1995. S. 375-401, hier S. 387.

Govan, Michael; Bell, Tiffany; Flavin, Dan; Smith, Brydon E. (Hrsg.): Dan Flavin. the complete lights 1961 - 1996 ; [on the occasion of the Exhibition "Dan Flavin: A Retrospective" ; exhibition itinerary: National Gallery of Art, Washington October 3, 2004 - January 9, 2005, Modern Art Museum of Forth Worth February 25 - June 5, 2005,, New York, NY [u.a.]: Dia Art Foundation 2004
ISBN-10: 0-944521-51-7, 431 S.

Empfohlene Zitation:
Tobias Vogt: [Rezension zu:] Govan, Michael; Bell, Tiffany; Flavin, Dan; Smith, Brydon E. (Hrsg.): Dan Flavin. the complete lights 1961 - 1996 ; [on the occasion of the Exhibition "Dan Flavin: A Retrospective" ; exhibition itinerary: National Gallery of Art, Washington October 3, 2004 - January 9, 2005, Modern Art Museum of Forth Worth February 25 - June 5, 2005,, New York, NY [u.a.] 2004. In: ArtHist.net, 25.01.2005. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/73>.

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