REV 12.10.2004

Joachim Poeschke: Wandmalerei der Giottozeit in Italien 1280 - 1400

Rezensiert von Sabine Poeschel, Stuttgart
Redaktion: Claudia Sedlarz
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Joachim Poeschke knüpft mit seinem Band zur italienischen Wandmalerei des 13. und 14. Jahrhunderts an die von Steffi Roettgen vorgelegten Bände zur Wandmalerei der Frührenaissance an.[1] Diese Bände mit ganzseitigen Aufnahmen von Antonio Quattrone breiteten erstmals ein breites, wenn auch nicht gesamtheitliches Spektrum der Gattung in opulenter Ausstattung aus. Grundrisse und Schemazeichnungen zur Disposition der Fresken im Raum stellen die Malereien in den architektonischen Zusammenhang, den man bei den meisten Publikationen zur Wandmalerei vermisst. Darüber hinaus orientieren übersichtliche Gesamtaufnahmen der Innenräume den Leser über den Standort der Malereien. Quattrones Photographien werden ergänzt durch Aufnahmen von Ghigo Roli, der sich 1997 vor und während des Erdbebens in Assisi in der Oberkirche von San Francesco befand und dessen Arbeiten Poeschke begeisterten.[2]

In seinem jüngsten Buch kehrt Joachim Poeschke auf das Terrain eines alten Forschungsgebietes zurück, nachdem er sich in den letzten Jahrzehnten der Skulptur Italiens gewidmet hatte. Zuvor, 1985, veröffentlichte Poeschke eine Monographie mit dem Titel „Die Kirche San Francesco in Assisi und ihre Wandmalereien“. Die malerische Ausstattung der Ober- und Unterkirche von San Francesco ist auch Dreh- und Angelpunkt des neuen Buches. Schon im Vorwort stellt der Autor klar, dass die jüngere Diskussion um einen römischen Beitrag zu den Neuerungen in der italienischen Malerei seine Sicht der Entwicklung nicht geändert hat und er, Vasari und anderen Florentiner Kunsthistoriographen folgend, allein Cimabue und Giotto die neuen, in Assisi auftretenden Impulse zuschreibt. Dies ist Poeschkes Standpunkt, den er seit 1985 kämpferisch vertritt. Der Terminus „Giottozeit“ im Titel, mit dem Poeschke an den Titel eines Kolloquiums von 1967 anknüpft, bekundet ein Urteil, das in seinen Büchern zur Skulptur zumindest in den Untertitel gerutscht war, z.B. „Donatello und seine Zeit“. An der herausragenden Bedeutung Giottos für die italienische Malerei um 1300 besteht kein Zweifel, doch gehört die Zuschreibung von Werken an den Florentiner Meister zu den umstrittensten und dornigsten Diskussionen, die kaum weiter führen wie auch im Falle des vorliegenden Buches.

Poeschke beginnt mit einem Einführungskapitel, das die neue Wahrnehmung von „Bildern“ – hier wäre vielleicht der medienspezifische Begriff 'Malerei' vorzuziehen – im Spätmittelalter darlegt und ihren Kunstgehalt betont. Der sprechende Ausdruck der Bilder, bei Dante im Purgatorio als„visibile parlare“ beschrieben (X, 28-105) und auf drei imaginäre Reliefs bezogen, bezeichnet die mimetischen Qualitäten der Darstellungen, die mit Gestik und Mimik nicht Sichtbares auszudrücken vermögen, wie das „Ave“ des Engels Gabriel der Verkündigung. War diese Qualität in der Skulptur eines Nicola Pisano bereits erreicht worden, so wird die neue Lebendigkeit in der Malerei von Filippo Vilani ausdrücklich in der Malerei Giottos erwähnt. Natürlich sind solcheÄußerungen der antiken Topik entlehnt, wesentlich jedoch ist die Erwähnung, dass die Malereien als kunstvoll beschrieben sind und gefallen („artificiosissime“, „non sine delectatione“, S. 12). Solche Bewertungen finden sich zwar schon vor Giotto, werden jedoch nun zum Standard. Die bloße Lust zu Schauen wird durch das Gefallen, die Schönheit der Kunstwerke gesteigert. Dieses Vergnügen verbindet sich mit Erkenntnis, „diletto“ mit „intelletto“. Die Erkenntnis mag das Ziel sakraler Kunst sein, in einem weiten Bereich der profanen Malerei außerhalb von allegorischen politischen Modellen wird der Unterhaltungswert sogar eine vorrangige Rolle gespielt haben.[3]

Im folgenden Abschnitt der Einleitung über Giottos Ruhm mit den üblichen Elogen wäre ein Hinweis auf die Einseitigkeit der toskanischenÜberlieferungen nicht abträglich gewesen, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Poeschke sich an ein breiteres Publikum richtet und nicht an die Spezialisten, die die Hymnen einerseits kennen und zum anderen mit der Parteilichkeit der toskanischen Autoren vertraut sind. Mit Cimabue ist ein toskanischer Maler bei der Ausstattung der Oberkirche von San Francesco nachgewiesen, mit Jacopo Torriti aber auch eine römischen Künstlerpersönlichkeit. Die Gründung von San Francesco als päpstliche Basilika unter Gregor IX. bezieht traditionelle Elemente römischer Großbauten wie das Programmschema für ein Langhaus dieser Dimensionen ein. Bedingt aber durch die einzigartigen Umstände findet sich auch eine deutliche Veränderung, stilistisch wie programmatisch. Der wesentliche Ansatz für einen Neubeginn der Malerei liegt in dem Franziskus-Zyklus, den Poeschke gänzlich für Giotto beansprucht. Die Akzentverschiebung zur Vita des Franziskus, die im Unterschied zu den herkömmlichen Typologien nicht in Registern angeordnet ist, sondern einzeilig als Chronologie, stellt den Beginn der neuzeitlichen Narrative dar. In der Auseinandersetzung über Tradition und Innovation in Rom und Assisi beschreibt Poeschke in gewohnter Souveränität die Mosaiken und Fresken in Rom und Umgebung, um schließlich wieder Assisi zu fokussieren. Die saloppe Wendung, ob die Fresken der Capella Sancta Sanctorum in Rom den Arbeiten Cimabues in der Oberkirche von Assisi zeitlich vorausgingen, sei „letztlich ohne Belang“ lässt aufmerken (S. 27). Wie Poeschke zu Recht betont, sind Cimabues Fresken sorgfältiger und konstruierter, doch der Ansatz zur mimetischen Kunst und damit der neuzeitlichen Malerei ist auch in Rom geleistet worden. Serena Romano legte 1995 überzeugend dar, dass die römische Kunst auf dem Niveau der Sancta Sanctorum eine zweite Wurzel der Trecento-Malerei darstellt, eine Position, die Ingo Herklotz verschärfte, als er betonte, dass die römischen Fresken vor San Francesco die Erneuerung der Malerei in die Wege leiteten.[4] Den großen Namen aus Florenz ist damit eine namenlose Größe aus Rom vorangestellt.

Das Dilemma der Duecento- und frühen Trecentomalerei besteht in den vielfältigen Innovationen in einem Zeitraum, für die kein Name außer Giotto oder „Niemand“ vorliegt.[5] Poeschke wehrt sich gegen die ausweichenden Formulierungen wie „Giotto-Nachfolger“, „school of…“, „cerchia di.“, „aiuto romano di.“, „nicht identifizierbarer Künstler um 1300“, selbst wenn auch er in einigen Fällen nicht umhin kommt, einen „Giotto-Nachfolger“ zu benennen, wie im Fall der Magdalenenkapelle der Unterkirche von Assisi. Mit einer hohen Qualitätsstufe der Bildfindung wie der Ausführung aber drängt sich der Name auf. Von Ghibertis „Commentari“ an ist dieser Name allerdings ein Selbstläufer, der zunächst die toskanische und dann auch die römische Kunsthistoriographie prägt und Giottos Ideenreichtum, Erfindungsgabe und malerisches Ouvre damit zu einem herkulischen Ausmaß anwachsen läßt. Poeschke ist ein engagierter Vertreter der Kennerschaft, gerade wenn es um die Meister geht. Diese Meister sind „Helden“, vor allem der junge Giotto, wie Hans Belting in seiner Rezension vom Poeschkes Assisi-Band von 1985 anmerkte.[6] In dem neuen Buch erscheint Giotto der Schöpfer der Allegorie sowie des Porträts und trug maßgeblich zur Ablösung des Mosaiks durch Wandmalerei bei (S. 22-33).

In monographischen Kapiteln werden anschließend an die eingehende Einleitung 22 Bildzyklen in unterschiedlicher Ausführlichkeit vorgestellt. Auch sie konzentrieren sich vorwiegend auf Ableitungen von z. T. ungesicherten Errungenschaften Giottos, verlorenen Arbeiten, die jedoch die Malerei der nachfolgenden Künstler geprägt haben sollen, so selbst die berühmte Staatsallegorie Ambrogio Lorenzettis in Siena (S. 111f.; S. 291). Als die frühesten Monumentalallegorien seien auch die Fresken im Vierungsgewölbe der Unterkirche von Assisi Giotto zuzuschreiben. Zwar räumt Poeschke ein, dass diese Zuschreibung umstritten ist, plädiert jedoch ohne Argumentation für deren Beibehaltung. Die Allegorien an derart prominenter Position werden für Giotto postuliert, obwohl die Abbildungen eher das Gegenteil beweisen. Friedrich Rintelens Kritik an den Fresken, die er als „unsinnlich“, „ängstlich“ und „freudlos“ bezeichnete und einem „Geist der Mittelmäßigkeit“ zuschrieb, damit unter die Giotto-Apokryphen einreihte, bezeichnete Poeschke schon 1985 als „blind“.[7] Die Fresken der Bardi-Kapelle von S. Croce in Florenz seien ebenfalls „nicht unwidersprochen“ Giotto zugeschrieben, doch wird diese Kritik nicht diskutiert (S. 224). Auch die Identifikation des Isaak-Meisters mit Giotto liege im Vergleich mit dem Johannes des Tafelkreuzes aus S. Maria Novella in Florenz „zwingend nahe“ (S. 62), womit alle Zweifel, ob ein junger Maler zu derart reifen Leistungen fähig ist, vom Tisch gewischt sind.

Nach Bruno Zanardis jüngster Publikation soll Giotto sogar gar keine bedeutende Rolle bei der Ausmalung der Oberkirche gespielt haben.[8] Es ist begreiflich, dass Poeschke eine Gegenposition zu Beltings von den 70er Jahren geprägten Auslegung der Fresken der Oberkirche von Assisi als einem „faszinierenden Kollektiv-Unternehmen“, in dem Giotto weder festzumachen noch hinauszulösen sei, abrücken will und die Freskenzyklen mit Namen hinter einem Doppelpunkt versieht.[9] Das Volumen des Buches mit den faszinierenden Abbildungen lässt jedoch Poeschkes Kunst der Beschreibung wie sein sensibles Kriterium für künstlerische Qualität manchmal vermissen und gewichtige, reich bebilderte Bände sollten nicht eine gewichtige Argumentation ersetzen.

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Anmerkungen:

[1] Steffi Roettgen, Wandmalerei der Frührenaissance in Italien, I: Anfänge und Entfaltung, 1400 - 1470, München 1996; dies. Wandmalerei der Frührenaissance in Italien, II, Die Blütezeit, 1470 - 1510, München 1997.

[2] Joachim Poeschke, Rezension von Giorgio Bonsanti, Assisi. Die Deckenfresken der Oberkirche von San Francesco, München 1997, in: Neue Züricher Zeitung vom 3. 10. 2002.

[3] Andrew Martindale, Painting for pleasure - some lost fiftheeth century secular decorations of Northern Italy, in: The vanishing past. Studies in medieval art, liturgy and matrology presented to Christopher Hohler, Oxford 1981, 109 - 131. Martindale dehnt seine Betrachtung bis ins Hochmittelalter aus.

[4] Serena Romano, Il Sancta Sanctorum, gli affreschi, in: Sancta Sanctorum, Mailand o.J. (1995); Ingo Herklotz, Rez. Sancta Sanctorum, Mailand o. J., in: Kunstchronik 50, 1997, 276-286 und ders. in: Pratum Romanum. Richard Krautheimer zum 100. Geburtstag, Wiesbaden 1997, 149-180.

[5] Vgl. Herwarth Röttgen, Die Inbesitznahme des Lateran durch Bonifaz VIII. Überlegungen zur Wirklichkeit der Benediktionskanzel in Giottos Fresko und zur alten Benediktionskanzel des Lateran, in: Das andere Wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte, Köln, Weimar und Wien 1991, S. 141, Anm. 1: „Unabhängig von der Frage Giotto oder nicht erscheint wenig glaubhaft, daß Bonifaz VIII. diese in jeder Hinsicht anspruchsvolle Werk einem «aiuto» oder «sonst nicht identifizierbaren römischen Künstler» übertragen habe. Schon allein die bedeutende Kompositionsidee spricht gegen einen Niemand.“

[6] Hans Belting, Rezension von Joachim Poeschke, Die Kirche San Francesco in Assisi und ihre Wandmalereien, München 1985, in:
Kunstchronik 39, 1986, S. 420.

[7] Friedrich Rintelen, Giotto und die Giotto-Apokryphen, Basel 2. Aufl. 1923, S. 200, dazu Poeschke, 1985, S. 37.[8] Bruno Zanardi, Giotto e Pietro Cavallini. La questione di Assisi e il cantiere medievale della pittura a fresco, Mailand 2002.

[9] Hans Belting. Die Oberkirche von San Francesco in Assisi. Ihre Dekoration als Aufgabe und die Genese einer neuen Wandmalerei, Berlin 1977, S. 242.

Poeschke, Joachim: Wandmalerei der Giottozeit in Italien 1280 - 1400, München: Hirmer Verlag 2003
ISBN-10: 3-7774-9800-9, 456 S., EUR 132.00, ca. CHF 215.00

Empfohlene Zitation:
Sabine Poeschel: [Rezension zu:] Poeschke, Joachim: Wandmalerei der Giottozeit in Italien 1280 - 1400, München 2003. In: ArtHist.net, 12.10.2004. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/reviews/66>.

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