Die mit 31 Kunstwerken relativ kleine Ausstellung „Giotto e compagni“ im Pariser Louvre verfolgte ein ambitioniertes Ziel: Ein Künstler, um dessen Schaffen, Entwicklung und Einfluss größtenteils auf Grundlage ortsfester Kunstwerke zum Teil heftig diskutiert wird, sollte anhand einer eher geringen Anzahl an transportablen Arbeiten begreifbar gemacht werden. Dominique Thiébaut, Kuratorin der engagierten Dossierausstellung – nach dem Konzept von Michel Laclotte wird bei dieser Art der Präsentation der Fokus auf ein Werk, hier eine Werkgruppe, gerichtet – war sich der Schwierigkeit dieses Vorhabens bewusst und verweist im Einführungstext des Katalogs auf die Fresken in der Franziskuskirche in Assisi, der Scrovegni-Kapelle in Padua und den Kapellen Peruzzi und Bardi in Florenz: Eigentlich stehen gerade jene großflächig angelegten Wandzyklen exemplarisch für die Kunst und Leistung Giottos (13).[1] Grundlage für die erste Ausstellung des Louvre zur Trecento-Malerei bildeten die Werke Giottos und seines Umfelds aus verschiedenen öffentlichen französischen Sammlungen. Diese hat Thiébaut um entsprechende Werke aus nicht-französischen Sammlungen ergänzt und griff hiermit Forschungsansätze der zwei Spezialisten Luciano Bellosi und Miklós Boskovits auf, denen die Ausstellung gewidmet war.
Der Katalog glänzt durch die Beiträge zu den einzelnen Werken, den Einbezug der restauratorischen Ergebnisse zu materialtechnischen und konservatorischen Aspekten und einem Anhang mit Vergleichen der Gravierungen, Punzierungen und Muster sowie den Profilen der Tafelkreuze.
Die erste Sektion der Ausstellung – „Les débuts de l’artiste (1285-1303)“ – beinhaltete den „Hl. Johannes den Täufer“ von Grifo di Tancredi, früher als Meister von San Gaggio bekannt, das Triptychon mit der „Himmelfahrt Marias und acht Szenen ihres Todes“ des Meisters di Cesi und die „Muttergottes von San Giorgio alla Costa“, die Giotto bereits von Ghiberti zugeschrieben worden ist. Der Vergleich dieser Gemälde zeigte gleichermaßen die gemeinsamen Wurzeln – Grifo di Tancredi war, so die These in Paris, Giottos Mitschüler in Cimabues Werkstatt – sowie, in welcher Weise der Künstler bereits in jungen Jahren mit Konventionen brach und wie innovativ seine Malerei war.
Stellvertretend für Giottos Wandmalerei der frühen Zeit stand, vorgerückt in den Raum, die große „Stigmatisations“-Tafel den drei Werken dieser Gruppe gegenüber. Auf die kompositorische Nähe der vier Szenen zu den Fresken in Assisi ist die Forschung bereits mehrfach eingegangen und Donal Cooper folgt in seinem Katalogbeitrag über Giottos Verhältnis zu den Franziskanern Luciano Bellosi darin, in dem Bild den schlagenden Beweis dafür zu sehen, dass Giotto der Maler der Fresken in der Oberkirche zu Assisi war – womit einmal mehr deutlich wird, in welcher Tradition Ausstellung und Katalog stehen. Die freistehende Aufstellung der Pisaner Tafel ermöglichte den Blick auf die Rückseite mit den Originalbalken in X-Form samt den Aufhängern, die im oberen Teil der Konstruktion am Holz befestigt sind. Linda Pisani und Donal Cooper gehen davon aus, dass die „Stigmatisation“ wahrscheinlich auf einem Lettner stand und Teil einer Zusammenstellung mit einem Tafelkreuz und vielleicht auch einer Maestà war – ähnlich wie es aus Szenen der Oberkirche in Assisi bekannt ist. Über die Verknüpfung mit den Fresken in der Franziskuskirche schloss sich der Kreis innerhalb der ersten Sektion: Anlässlich der Florentiner Giotto-Ausstellung im Jahr 2000 hat nämlich bereits Miklós Boskovits auf die typologische Nähe des Gesichtes der „Muttergottes von San Giorgio“ zu jenem der Maria über der Haupttür der Oberkirche hingewiesen (78).[2]
Den „Années de la maturité (1303-1325)“ war die zweite Sektion der Ausstellung gewidmet. Auch hier wurde anhand der Präsentation beweglicher Objekte nicht darauf verzichtet auf Giottos immobile Kunst zu verweisen und damit auf eine der entscheidenden Stationen jener Jahre einzugehen. Der Holzflügel mit dem „thronenden Gottvater“ und die in Paris Giotto zugeschriebene Zeichnung mit den Aposteln bezogen sich auf den Auftrag, der wohl am wenigstens umstritten ist und mehrheitlich in die Jahre zwischen 1303 und 1305 datiert wird: die Fresken für den Bankier Enrico Scrovegni in Padua. Zusammen mit der „Muttergottes von San Giorgio alla Costa“ und der „Stigmatisations“-Tafel ließen sich so die wichtigen Schritte der früheren Entwicklung Giottos begreifen.
Eine Sensation in zweierlei Hinsicht boten die Tafeln Giottos der Jahre 1320 bis 1325 aus Washington („Jungfrau mit Kind“), der königlichen Abtei Chaalis, („Hl. Johannes der Evangelist“ und „Hl. Laurentius“) und aus Florenz („Hl. Stephanus“). Nicht nur, dass die zwei Heiligen aus Frankreich zum ersten Mal neben den beiden anderen Bildern zu sehen waren, es wurde zugleich auch eine Neuzusammensetzung des Polyptychons vorgestellt, das sie ursprünglich gebildet haben dürften. 1930 hatte Roberto Longhi eine Rekonstruktion mit dem Evangelisten und Stephanus zur Rechten Marias sowie zur ihrer Linken einen vermissten Täufer neben Laurentius vorgeschlagen, wohingegen Élisabeth Ravaud Stephanus und Laurentius auf die rechte beziehungsweise linke Seite der Jungfrau setzte und Johannes den Evangelisten rechts neben Stephanus. Die Maße der vier Tafeln sprechen für eine Zusammensetzung und die These von Dillian Gordon aus dem Jahre 1989 wurde in der Pariser Ausstellung als nicht ausschlaggebend für die Frage nach der Zusammengehörigkeit angesehen. Gordons Ergebnissen zufolge haben die zwei Tafeln aus Chaalis und die eine aus Washington einen gewöhnlichen, roten Bolus, während bei der Florentiner Tafel grüner Bolus unter dem Gold festgestellt wurde. Doch der unterschiedliche Erhaltungszustand der Tafeln macht es schwer, die Heiligen zeitlich eindeutig zu bestimmen und in Giottos Oeuvre einzuordnen.
Die exponierte, ebenfalls freistehende Aufstellung von Giottos Tafelkreuz (um 1315) in der Mitte des Raumes ließ verschiedene Verbindungen mit anderen Werken bzw. Werkgruppen innerhalb der Ausstellung zu. Einerseits knüpfte das Kreuz an die Frage der Aufstellung der „Stigmatisations“-Tafel auf dem Lettner der Pisaner Franziskuskirche und damit auch an die frühen Arbeiten wie die „Muttergottes von San Giorgio alla Costa“, an. Andererseits fungierte das Kreuz als Einstieg in die andere Raumhälfte, in der sich die Ausstellung mit den Kreuzigungsbildern Giottos fortsetzte. Die kleinformatigen Tafeln haben zwar verschiedene Maße und zeigen eine unterschiedliche Anzahl an Personen, die der Kreuzigung beiwohnen, doch bleiben sie der giottesken Vorstellung von einer klaren Zwei-Gruppen-Aufteilung zur Rechten und Linken des Kreuzes sowie der am Kreuz flehenden Magdalena treu. Ungefähr 15 Jahre später brechen, soviel sei hier schon vorweggenommen, die neapolitanischen „compagni“ Giottos mit dieser Kreuzigungsikonographie in außergewöhnlicher Weise.
Ein Dokument vom 8. Dezember 1328 ist der erste urkundliche Beleg für Giottos Aufenthalt in Neapel (56).[3] Zwar lässt sich sein Schaffen dort nur mühsam rekonstruieren, doch belegen die schriftlichen Quellen und bildlichen Fragmente, dass er für das neapolitanische Königshaus viele Arbeiten an unterschiedlichen Orten ausgeführt haben muss. Alleine konnte er dies während seines kurzen Aufenthaltes vermutlich kaum bewerkstelligen, was ein Dokument vom 20. Mai 1331, demzufolge Giotto in Neapel eine große Werkstatt unterhielt, bestätigt (237).[4] In der Sektion „Giotto et son atelier à Naples“ beschäftigte sich Thiébaut mit den Werken jener einheimischen und mitgereisten Künstler, die vom Aufenthalt und Wirken des Florentiner Meisters in Neapel geprägt worden sein müssen.
Dabei ist die Frage berechtigt, ob die 1999 vom Louvre erworbene, relativ große „Kreuzigung“ überhaupt als Arbeit der Giotto-Werkstatt angesehen werden kann, vergleicht man die Komposition mit den kleinformatigen Kreuzigungsbildern Giottos – angekauft wurde die erstmals im entsprechenden Kontext präsentierte Tafel nämlich als Arbeit des Meisters des Giovanni Barrile. Die Restaurierung des Bildes hat zu neuen Erkenntnissen bezüglich der Zuschreibung beigetragen und bewiesen, dass der volkreiche Kalvarienberg ursprünglich einen Goldgrund hatte und die hügelige Landschaft erst nach dessen Entfernung hinter die Kreuzigung gemalt wurde.
Dass diese außergewöhnliche Darstellung der Kreuzigungsszene Auswirkungen auf die neapolitanische Kunst gehabt hat, zeigte sich in der Ausstellung durch die Gegenüberstellung mit der „Bible moralisée“ (um 1350) und dem „Römischen Missale“ (1360-65) aus der Werkstatt des Cristoforo Orimina. Es wurde aber auch deutlich, dass der oder die Maler der „Kreuzigung“, obwohl das ungewöhnliche Format der Tafel die Ausführung des Themas in einer Art und Weise erlaubt wie sie eher der Wandmalerei entspricht, der Buchmalerei näher gestanden haben muss als der Kunst eines Meisters des Giovanni Barrile. Dieser gilt als Maler des „Heiligen Ludwig von Toulouse, angebetet von König Robert von Anjou und Königin Sancia“ und kann, so wird bei der Konfrontation mit der Kreuzigungstafel deutlich, nicht der Maler derselbigen gewesen sein. Seine Entwicklung im giottesken Umfeld wurde entlang der Fragmente in Castelnuovo, der „Mensa“ im Konvent von Santa Chiara und schließlich der Fresken in der fälschlicherweise als der Familie Barrile zugeordneten Kapelle in San Lorenzo Maggiore rekonstruiert und Bologna hat ihn als „primo discepolo napoletano di Giotto“ bezeichnet (200).[5] Es hat sich gezeigt, dass die neu erworbene Kreuzigungstafel zumindest kein autographes Werk von einem der in Paris vorgestellten neapolitanischen Malern sein kann. Die Zuschreibung an Giotto und seine Werkstatt erscheint vor dem Hintergrund von Giottos Stellung als Hofmaler der Anjou aber nachvollziehbar. Vielleicht entwarf der Meister Kompositionen, deren Ausführung er aber aufgrund anderer Verpflichtungen von seinen „compagni“ ausführen ließ?
Als großartige Leistung der Ausstellung kann auch die Zusammenführung der beiden Tafeln mit dem „Schmerzensmann“, „Maria und zwei klagenden Engeln“ sowie dem „Heiligen Johannes, der heiligen Maria Magdalena und zwei klagenden Engeln“ angesehen werden. Thiébaut schreibt das Diptychon nicht Roberto d’Oderisio zu und bringt es zu Recht aufgrund der frappierenden Ähnlichkeit der Heiligen mit dem Johannes, den beiden Marien und Maria Magdalena der anderen neapolitanischen „Kreuzigung“ des Louvre in Verbindung.
Die gezeigten Werke boten sich an, den Bogen von Süditalien nach Frankreich zu schlagen, wo offensichtlich bereits früh eine Tradition Giottos Fuß fasste. Möglich war dies durch die Vereinigung dreier zusammengehörender Tafeln, nämlich der „Verkündigung“, der „Geburt“ und „Anbetung der Hirten“ sowie der „Anbetung der Heiligen drei Könige“. Höchstwahrscheinlich haben König Robert und seine Frau Sancia von Mallorca die Bilder dem Klarissenorden in der Provence gestiftet, was die Präsenz der Bilder in Frankreich erklärt und die Überlegungen zum Auftauchen der großen Kreuzigungstafel in Paris anstachelt.
Die Ausstellung hat „Giotto e compagni“ dem Laienpublikum auf verständliche und fundierte Weise erklärt sowie zugleich die brisanten kennerschaftlichen Fragen zum Thema aufgegriffen und Position bezogen. Die Gegenüberstellung von Giottos Werken mit denen der Zeitgenossen, Schüler und Nachfolger erlaubte das Studium der Auswirkungen seiner Innovationen und die Möglichkeit, Giotto von den Anfängen bis zu einer seiner letzten Schaffensperioden, der Zeit in Neapel, auch in neuen Zusammenhängen zu erfassen. Das Fehlen einer expliziten Auseinandersetzung mit dem „compagno“-Begriff sowie Giottos Werkstattsituation wurde durch die überzeugende Hängung ausgewogen, die den Vergleich zwischen dem Meister und seinen „compagni“ auch gattungsübergreifend möglich machte.
[1] Giotto e compagni. Hrsg. von Dominique Thiébaut. Paris: Louvre Éd. u.a., 2013.
[2] Giotto: bilancio critico di sessant'anni di studi e ricerche. Hrsg. von Angelo Tartuferi. Firenze: Giunti, 2000.
[3] Schwarz, Michael Viktor, Theis, Pia: Giottus Pictor. Band I: Giottos Leben. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2004.
[4] Vgl. Leone de Castris, Pierluigi: Giotto a Napoli. Neapel: Electa Napoli, 2006.
[5] Bologna, Ferdinando: I pittori alla corte angioina di Napoli, 1266 - 1414, e un riesame dell'arte nell'età fridericiana. Roma: Bozzi, 1969.
Thiebaut, Dominique (Hrsg.): Giotto e compagni. [cet ouvrage accompagne l'exposition Giotto e Compagni présentée à Paris au Musée du Louvre du 18 avril au 15 juillet 2013], Milano: Louvre Éditions 2013
ISBN-13: 978-88-97737-11-7, 255 S.
Recommended Citation:
Katharina Weiger: [Review of:] Giotto e compagni (Paris) (Musée du Louvre, Salle de la Chapelle, Apr 18–Jul 15, 2013). In: ArtHist.net, Sep 28, 2013 (accessed Nov 18, 2024), <https://arthist.net/reviews/6034>.
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