REV-CONF 02.12.2010

Vom Frosch zum Prinzen. Kommunikation sozialen Aufstiegs.

Marburg, 09.–10.07.2010

Bericht von Anastasia Dittmann, Bildarchiv Foto Marburg
Redaktion: Rainer Donandt

„Vom Frosch zum Prinzen. Kommunikation sozialen Aufstiegs“ . Interdisziplinäre Tagung der Arbeitsgruppe „Frühe Neuzeit: Herrschaft – Kommunikation – Transfer“ des Graduiertenzentrums für Geistes- und Sozialwissenschaften, Philipps-Universität Marburg.

Kommunikationsbezogene Implikationen sozialer Mobilität empirisch und theoretisch zu schärfen war Hauptanliegen der Tagung, die sich zum größten Teil aus Nachwuchswissenschaftler/innen zusammengesetzt hatte. Bereits der Fragenkatalog ließ erahnen, dass die seit den 1960er Jahren am Beispiel der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft untersuchten Legitimationsformen sozialen Aufstiegs [1] um bildliche, politische sowie sozikulturelle Kommunikationsstrategien erweitert werden sollte. Das Postulat einer solchen epochenübergreifenden Analyse sozialer Mobilität, die Personen, Richtung, Ort, Zeitraum und Inszenierungen des Aufstiegs untersucht, stand hier in der Nachfolge Pierre Bourdieus.[2] Mit welchen Strategien verfolgten Aufsteigerfamilien demzufolge ihre Aufstiegspolitik? Und: Welche Bereiche der Repräsentation waren es, die einen eindeutigen ‚Kurswechsel‘ nach dem Titelerhalt aufweisen? Gibt es aufsteigerspezifische Repräsentationsmuster und handlungsbezogene Implikatoren und wie reagierten die Etablierten in ihrer Repräsentation auf die möglicherweise entstehende Konkurrenzsituation?

Der Historiker Michael Hecht (Münster) fragte nach Praktiken der Distinktion der alteingesessenen Stadtpatrizier in Lüneburg. Nach einer kurzen Einführung in die an Karl-Siegbert Rehberg angelehnte Institutionstheorie [3] stellte er dar, dass eine „confusio inter ordines“ letztlich durch langwierige kommunikative Prozesse herbeigeführt werden konnte. Die Buchdruckerfamilie Stern lieferte in diesem Kontext ein sprechendes Beispiel, für die es galt, allgemeine Akzeptanz innerhalb des städtischen Patrizierstandes zu erlangen. Hier zeigte sich die spezifische Prozessualität eines kulturell vermittelten sozialen Aufstiegs, den nicht nur die fürstliche Unterstützung der Höfe in Celle und Wolfenbüttel besiegelte, sondern der auch durch die publizierten Drucke und Flugschriften gegen seine Kritiker durchgesetzt wurde

Inga Brinkmann (Marburg) präsentierte memoriale Repräsentationsstrategien landsässiger Familien des lutherischen Adels im Heiligen Römischen Reich unter dem Aspekt einer Konsolidierung neuer Anforderungen an die Begräbniskultur. Weniger im Sinne sozialer Mobilität (es erfolgten keinerlei Standeserhöhungen), sondern vielmehr als impulsgebende Angleichung und Selbstbehauptung des landsässigen Adels gegenüber den einflussreicheren Kurfürsten und Herzögen bewertet Brinkmann die Aufstellung innovativer Wandgräber in residenzstädtischen Kirchenräumen.

Soziale, ökonomische und geographische Mobilität im frühmodernen Dalmatien am Beispiel städtischer Eliten in Zadar zwischen 1540 und 1570 diskutierte der Historiker Stephan Karl Sander (Wien). Im venezianischen Kolonialreich, einem Spannungsfeld zwischen dem italienisch geprägten Kulturraum der Markusrepublik und dem osmanisch dominierten östlichen Mittelmeerraum, können Repräsentationsstrategien und Akte sozialer Mobilität emigrierter Familien und einzelner Individuen nachgezeichnet werden, für die Sander heiratspolitische und statusdefinierende Parallelen zwischen zaratinischen und venezianischen Patriziern aufzeigte. Dabei setzten allerdings gerade die Diskrepanzen in der Titelvergabe zwischen den Elitebürgern in Zadar und den Adligen der Markusrepublik dieser speziellen sozialen Angleichung Grenzen.

Mit einer Analyse der Repräsentationsstrategien eines Scharfrichtersohns, Johann Friedrich Glaser (1707–1789) aus dem thüringischen Wasingen beschloss Ruth Schilling (Berlin) die erste Sektion der Tagung. Glasers familiär-berufliche Herkunft stand seinem Zugang zur akademischen Medizinerschicht im Wege. Durch sein Universitätsstudium in Erfurt, Altdorf und Wittenberg, welches seinem älteren Bruder noch versagt geblieben war, und die Vermählung mit der Tochter eines Amtsrates, konsolidierte Glaser seinen sukzessiven Aufstieg. Schilling gelang es, sehr deutlich aber auch die Grenzen seiner Aufstiegsmöglichen aufzuzeigen. Ein Changieren zwischen Glasers scharfrichterlicher Tätigkeit und der Präsentation als Amtsträger und Wissenschaftler hatte sich bezeichnenderweise besonders in seinen Publikationen niedergeschlagen, die wiederholt wissenschaftliche Rand- bzw. Grenzgebiete zum Gegenstand hatten. Glasers sozialhistorisch beispielslose Karriere manifestierte sich so nicht zuletzt gerade in dem Offenlegen seiner Herkunft und dem damit verknüpften semi-akademischen Bildungshintergrund.

Marieke von Bernstorffs (Rom) thematisierte Inszenierungsstrategien adliger Dilettanten und nobilitierter Künstler am Beispiel des römischen Patriziers Giovanni Battista Crescenzi (1577–1635). Crescenzi, der seine adlige Kunstausbildung in höfischen Kreisen als Distinktionsmerkmal einsetzte, agierte sehr erfolgreich als Mediator zwischen Künstlern und Auftraggebern und ermöglichte sich so eine neue Laufbahn in dem sich neu konstituierenden Kunstmarkt. Die Tatsache, dass nobilierte Künstler bisweilen ihren Statusaufstieg durch die Befolgung spezifischer Regeln ihrer Ausbildung und Kunstausübung legitimieren mussten, um als gleichberechtigtes Mitglied der Aristokratie anerkannt zu werden, zeigte hier soziale Mobilität als eine Art Rollenspiel, welches Crescenzi nicht nur aufgrund seiner Kenntnis der künstlerischen Arbeitsweise sondern auch wegen seiner Sammlertätigkeit mit Erfolg zu spielen wusste.

Monika Melters (München) diskutierte das Potential architektonischer Neuerungen für Kommunikationsstrategien der sozialen Mobilität am Beispiel adliger Aufsteiger in den habsburgisch regierten Ländern. Die Rezeption königlicher Vorbilder in Elementen der Fassaden- und Raumgestaltung der mitteleuropäischen ‚Nouveaux Riches’ in Wien, Prag und Böhmen als Kommunikationsform des sozialen Aufstiegs zu diskutieren, mag die Frage aufwerfen, ob es sich dabei um eine explizit repräsentative Kommunikationsstrategie handelte, oder vielmehr um einen bloßen Ausdruck angepasster Modernität.

Auf der Grundlage theoretischer Überlegungen zur Ausstattungspraxis in der Frühen Neuzeit führte der Vortrag von Katja Heitmann (Marburg) in das soziale Kommunikationspotential der raumkünstlerischen Einheit im deutschen Schlossbau über. Am Beispiel von Schloss Heidecksburg in Rudolstadt diskutierte Heitmann den prachtvoll gestalteten Hauptsaal als eine statusbewusste Inszenierung, welche tradierte, konventionelle Ausstattungselemente mit innovativen und bis dahin völlig ungewöhnlichen baulichen und dekorativen Lösungen kombinierte. Vor dem Hintergrund eines jahrzehntelangen Ringens um Anerkennung der Schwarzburg-Rudolstädter im Reichsfürstenstand konnte die Anders- und Einzigartigkeit dieser Raumgestaltung als eine nachdrückliche Repräsentationsgeste an die Adresse der Standesgenossen gelesen werden. Trotz der über Generationen fortgeführten Baumaßnahmen blieb dem Haus die reichsfürstliche Anerkennung jedoch versagt.

Annika Höppner (Marburg) demonstrierte die phasenweise extremen Möglichkeiten der sozialen Mobilität innerhalb der venezianischen Oberschicht. Nach dem Verlust des Königsreichs Kreta im Türkenkrieg (1645) wurden in der Folgezeit Ankäufe von Adelstiteln möglich, wodurch ein mannigfaltiges Spektrum an altadeligen und neuadeligen Repräsentationselementen miteinander in Konkurrenz trat. Auf der Basis theoretischer Überlegungen Bourdieus zum sozialen, kulturellen und ökonomischen Kapital versuchte Höppner die Strategien des sozialen Aufstiegs zu kategorisieren und graphisch zu visualisieren. Ein interessanter Aspekt ist hierbei die an europäischen Modellen orientierte Selbstdarstellung des venezianischen Neuadels. In der Forschung wurde bislang übersehen, dass der erhaltene Titel dabei selbst ins Bild gesetzt wurde, um dezidiert auf die geleisteten Dienste für die Republik zu verweisen.

Bettina Morlang (Mainz) exemplifizierte anhand der Planungs- und Entstehungsgeschichte der Prachtstraße Via Balbi die sozialen und wirtschaftlichen Mechanismen der neuen oligarchischen Herrschaftsstruktur der Republik Genua nach dem Allianzabkommen mit Spanien (1528). Dabei gelang es der Aufsteigerfamilie Balbi durch ihre Übernahme des öffentlichen Urbanisierungsprojektes sich nicht nur als Mäzene im Namen der Republik zu profilieren, sondern auch – viel nachhaltiger – als Repräsentanten einer neuen Führungsklasse zu positionieren. Der Aspekt der verinnerlichten Geschichte, den Morlang sehr überzeugend auf die Genueser Neuformierung des Staatssystems und mithin der Rolle des Einzelnen im kollektiven Machtgefüge anwendete, zeigte soziale Mobilität und Aufsteigertum einmal mehr als einen kreativen, anpassungsfähigen und innovativen Prozess.
Christine Follmann (Florenz) stellte abschließend die berufliche Laufbahn und den politischen Aufstieg der toskanischen Tuchhändlerfamilie Feroni vor. Hier lieferte die aufwändig gestaltete und ausgesprochen luxuriöse Villa Bellavista das entsprechende Repräsentationsmuster. Im Gegensatz zu den Balbi in Genua, die Kollektivität und Akzeptanz als vorherrschende Reaktionen auf ihren Aufstieg erfahren haben, waren es hier Neid und Ablehnung. Die vollständige Assimilation in die Florentiner Adelsschicht erfolgte so erst in der dritten Generation durch die erbliche Titelvergabe eines „Marchese di Bellavista“.
Die Tagung vermittelte den Eindruck, dass soziale Mobilität in der Frühen Neuzeit von außen nachweisbar und an konkreten Kapitalwerten messbar ist, dennoch von Prozessen vorangetrieben wird, die weniger den Titelerwerb selbst als vielmehr den Kompetenzzuwachs betreffen. Sozialer Aufstieg, dies bewies vor allem das Spektrum der kommunikativen Kanäle, wird ausgelöst durch den Wechsel eines Berufes, des Aufenthaltsortes, der politischen und finanziellen Handlungsfähigkeit. Zentral an diesem Prozess ist, dass Aufsteiger ihre eigene Geschichte und Erfahrungen in die neue Position hinein transportieren – demnach Eigenschaften besitzen, die vor dem eigentlichen Aufstieg erworben worden sind. Nicht nur angesichts der systematischen Untersuchungen von weniger privilegierten Gesellschaftsgruppen sondern auch wegen der Bandbreite an diskutierten Ausprägungen und Implikatoren sozialer Mobilität freut man sich auf die vorgesehene Publikation der Vorträge.

Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu vor allem den Kongressbericht von Winfried Schulze (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität (Schriften des Historischen Kollegs 12), München 1988.
[2] Pierre Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 2005 [1992].
[3] Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Mobilität-Raum-Kultur. Erfahrungswandel vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Kulturstudien 1

Empfohlene Zitation:
Anastasia Dittmann: [Tagungsbericht zu:] Vom Frosch zum Prinzen. Kommunikation sozialen Aufstiegs. (Marburg, 09.–10.07.2010). In: ArtHist.net, 02.12.2010. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/588>.

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