REV 08.09.2013

Silvia Schlegel: Mittelalterliche Taufgefäße

Rezensiert von Jörg Widmaier, Tübingen
Redaktion: Livia Cárdenas
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Mittelalterliche Taufgefäße sind innerhalb liturgischer Gebrauchszusammenhänge zu verstehen, und können – je nach spezifischem entstehungsgeschichtlichem Kontext – mit komplexen Bild- und/oder Inschriften-Programmen ausgestaltet sein. Darüber hinaus ermöglichen sie auch weitere, nach Rezipientenkreis differenzierte Formen der Medialisierung auch außerhalb einer liturgischen Praktik. Es ist daher bemerkenswert, dass Taufbecken bisher hauptsächlich auf Basis formaler Kriterien in Typen gegliedert worden sind, welche zwar einen strukturierten Überblick zum verhältnismäßig umfassenden Bestand an erhaltenen Objekten ermöglichen, dabei jedoch Fragen nach der spezifischen Funktion eines Objektes weitgehend offen gelassen haben.[1]

Es ist das Verdienst der 2009 als Dissertation an der Universität Bonn eingereichten und 2012 veröffentlichten funktionsgeschichtlichen Untersuchung mittelalterlicher Taufgefäße von Silvia Schlegel, diesem Umstand Abhilfe geleistet zu haben. Ausgehend von ausführlich dargestellten liturgischen und theologischen Zusammenhängen der Taufe schlägt die Autorin eine neue funktionsbezogene Typologie der von ihr untersuchten Taufbecken vor (S.24). Je nach kirchenrechtlichem, kirchenpolitischem, sozialem oder historischem Kontext, können diesen Artefakten durchaus verschiedene Funktionen zugeschrieben werden. Schlegel trennt vor allem das repräsentative Taufgefäß von einem für den alltäglichen Ritus der Säuglingstaufe verwendeten Taufbecken. Ersteres fand – so ihre These – nur für jährliche bischöfliche Taufhandlungen Verwendung und spielt in der Taufwasserweihe an den ursprünglichen Taufterminen Ostern und Pfingsten eine herausragende Rolle. Diese überdimensionierten Taufgefäße sind vor allem in repräsentativen Kirchenbauten (Stiftskirche, Klosterkirche, Kathedralen) zu verorten. Dem gegenüber steht das Liturgiegerät alltäglicher Taufhandlungen, das sich nicht nur durch eine „nutzerfreundlichere“ Dimensionierung, sondern ebenso durch eine Vereinfachung des Bildprogramms auszeichne.

Die Arbeit gliedert sich in vier Hauptkapitel: In einem einleitenden Teil werden der Forschungsüberblick, das Vorgehen und die Fragestellung sowie wichtige Begriffe der Untersuchung besprochen. Anschließend werden Bestand und Verbreitung normierter und typisierter Taufgefäße kurz dargestellt. Der folgende und mit 190 Seiten umfassendste Teil der Arbeit stellt den Ritus und den Ort der Taufe in den Blickpunkt. Hier sind es vor allem die liturgischen und historischen Quellen, die Einblick in die differenzierte Praxis der Taufe und der Taufwasserweihe geben und welche die hier präsentierte Perspektive auf die Taufgefäße und deren Ausstattung prägen. Überlegungen zum Taufort auf Basis archäologischer Quellen schließen sich daran an. Die Ausführungen zum Standort und zur Inszenierung der Taufgefäße im Raum sind in der bisherigen Forschungsliteratur größtenteils vernachlässigt oder nur am Rande besprochen worden.[2] Ein weiteres bedeutendes Verdienst der Arbeit stellen daher jene Ausführungen dar, welche die Untersuchung des Taufgefäßes vor dem Hintergrund einer anzunehmenden komplexen Taufanlage anstellt, zu der neben einer spezifischen Verortung im Raum, eine hervorgehobene Inszenierung auf Stufenanlagen sowie eine – heute in den seltensten Fällen erhaltene – Deckelkonstruktion gehören (ab S.177). Das abschließende Kapitel stellt die Frage nach dem Zusammenhang von Tauftheologie und Bildprogramm. Dabei wird eine Auswahl möglicher Themenfelder (Apostelreihen, Gut-Böse-Schema, Paradiessymbolik, sowie die beiden traditionellen Taufdeutungen nach Paulus und Johannes) exemplarisch anhand einzelner Fallbeispiele erörtert, welche die summarischen Angaben innerhalb des Katalogteiles durch weiterführende und kontextualisierende Überlegungen ergänzen. Vor allem die überzeugende Deutung des Bildprogramms des Taufbeckens von Limburg ist hier hervorzuheben (S.291ff.). Da die Inschriften in einem separaten, sehr kurzen Kapitel von den Bildprogrammen getrennt vorgestellt werden (ab S.266) und auch die Angaben im Katalog nicht auf intermediale Bezüge verweisen, blieb leider auch die kontextualiserende sowie intermediale Lesung oft aus. Neben diesen inhaltlichen Ausführungen, denen die grundlegende Differenzierung der Taufgefäße als stringentes Argumentationsmuster zu eigen ist, liefert die Untersuchung ein umfassendes Inventar an Taufbecken, die sich innerhalb der heutigen Staatsgrenzen Deutschlands erhalten haben. Am Ende der Arbeit sind alle Taufgefäß bis um das Jahr 1500 listenartig mit kurzen Informationen zum verwendeten Material und zur Datierung sowie einer formalen Beschreibung aufgeführt. Für die Untersuchung Schlegels, die als zeitliche Eingrenzung das 11. Jahrhundert bis um 1300 angibt, ist jedoch ein dieser Inventarliste vorangestellter Katalog mit einer Auswahl an 100 figürlichen Taufgefäßen grundlegend. Die Auswahlkriterien des vorliegenden Katalogs für die Objekte dieses Zeitraumes sind im Einzelfall nicht immer nachvollziehbar. Doch die präsentierten Taufbecken zählen zu den wichtigsten in der Arbeit besprochenen Artefakten und werden daher jeweils auf ein bis drei Seiten größtenteils mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Literaturangaben, Forschungsgeschichte, Beschreibung und summarischer Deutung als Kurztext vorgestellt (vgl. S.26). Angesichts des beinahe unüberschaubaren Bestandes an erhaltenen Taufbecken liefert die Autorin damit ein umfassendes Inventar der Taufgefäße, wobei sie die selektive Objektauswahl im Katalog durch die Inventarliste ergänzt. Diese Objektsammlung kann auch weiteren Untersuchungen zu Taufbecken als einschlägige und unverzichtbare Grundlage dienen. Einzig die Qualität einzelner Fotos im Katalog und die Beschränkung auf das heutige Staatsgebiet Deutschlands bleibt kritisch anzumerken, da so vor allem die weitläufigen Verbreitungen und Handelswege von in großer Auflage produzierten Exporttaufbecken (bspw. Bentheim, Namur) vernachlässigt werden mussten und auch die, möglicherweise die Objekte prägenden Zusammenhänge historisch-verbundener Bistümer oder Regionen kaum dargestellt werden können.

Im Ganzen gesehen lassen vor allem die funktionstypologische Differenzierung der Taufbecken sowie auch die umfassende Materialsammlung die vorliegende Untersuchung zu einem unverzichtbaren Beitrag zur Erforschung mittelalterlicher Liturgiegeräte werden. Schlegel hat im Besonderen die These der Ausdifferenzierung nach repräsentativen und alltäglichen Taufgefäßen stringent verfolgt und in den meisten Fällen überzeugend dargestellt, soweit dies auf Basis der liturgischen wie historischen Quellen möglich erscheint. Fraglich bleiben allein jene Fallbeispiele, für welche die Autorin allein auf Basis kirchenrechtlicher Zusammenhänge von einer repräsentativen Ausgestaltung oder Inszenierung ausgeht, obwohl entweder kein Taufgefäß erhalten oder eine zugehörige Taufanlage archäologisch nicht nachweisbar war (bspw. Lüttich, St. Adalbert oder Cappel bei Lippstadt). Diese Schlussfolgerungen wären im Einzelfall kritisch zu überprüfen. Denn es haben sich auch weniger repräsentative Taufgefäße im Kontext von Stifts- oder Klosterkirchen erhalten (bspw. Köln, St. Aposteln). Des Weiteren sind teilweise formal und ikonographisch identische Objekte sowohl in Pfarr- als auch Stiftskirchen anzutreffen (bspw. Metelen oder Marienhafe), oder theologisch komplexe Programme auch in Pfarrkirchen verwirklicht worden (bspw. Vellern). Vor allem an diesen Ausnahmen zeigen sich die mitunter sehr spezifischen und differenzierten, entstehungsgeschichtlichen Zusammenhänge, welche zur Ausgestaltung einer Taufanlage führen und auf die die Autorin in den Ausführungen zu städtischen Taufortinszenierungen detaillierter eingeht.

Aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive ist für den bearbeiteten Zeitraum eine Trennung von repräsentativer Taufwasserweihe und alltäglicher Taufpraxis anzunehmen. Die Taufgefäße können aus dieser Perspektive – das zeigt die Untersuchung Schlegels – als Liturgiegeräte diese funktionale Trennung ebenfalls aufzeigen. Dennoch ist auf Basis des erhaltenen Objektbestandes – besonders vor dem Hintergrund komplexer historischer Verhältnisse und kirchenrechtlicher Realitäten – anhand des Einzelfalls zu entscheiden, für welchen spezifischen Funktionszusammenhang ein Artefakt entstanden ist. Auch bleibt zu überlegen, ob eine derartige Differenzierung auf Grund doppelter kirchenrechtlicher Stellung innerhalb eines Bauwerkes überhaupt nötig war (bspw. Köln, St. Aposteln oder Freckenhorst) oder ob eine Umnutzung unter bestimmten Umständen ermöglicht wurde. Zudem sind darüber hinaus weitere prägende entstehungsgeschichtliche Zusammenhänge mit in die Überlegungen miteinzubeziehen.

Für alle weiteren Untersuchungen zu mittelalterlichen Taufgefäßen bleibt die grundlegende These Schlegels von zu differenzierenden funktionalen Typen von Taufbecken jedenfalls eine unverzichtbare Überlegung. Zudem liefert das von ihr vorgelegte Inventar eine ideale Basis für künftige Untersuchungen, die sich Fragen zur „Lesbarkeit“, zu Rezipienten- und Adressatengruppen, zur Medialität der Objekte, vor allem jenen mit komplexen Bild-Inschriften-Programmen widmen können. Gleichzeitig kann die vorliegende Arbeit gerade aufgrund des umfassenden Materialkataloges als gelungene Handreichung für eine breite Leserschaft, vor allem jedoch für entsprechende staatliche wie private Institutionen wie Kirchengemeinden, Landeskirchen und Denkmalpflegeämtern dienen.

Anmerkungen:
[1] Zuletzt bspw. Colin Stuart Drake, The Romanesque fonts of northern Europe and Scandinavia, Woodbridge 2003.
[2] Winkler, Friedemann: Ein runder Kalk-Estrich in der Stadtkirche zu Trebsen: Der mittelalterliche Taufort. In: Michael Beyer (Hg.): Zur Kirche gehört mehr als ein Kruzifix: Studien zur mitteldeutschen Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte; Festgabe für Gerhard Graf zum 65. Geburtstag. Leipzig, 2008, S. 112–124; Sennhauser, Hans Rudolf: Ausgrabungen in Stadtkirche und Dreikönigskapelle Baden 1967/1968: Kirchen und Siedlungsgeschichte von der Frühzeit bis ins späte Mittelalter. Zürich 2008, u.a. S. 48ff und 288ff.

Schlegel, Silvia: Mittelalterliche Taufgefäße. Funktion und Ausstattung (= Sensus; 3), Köln [u.a.]: Böhlau Verlag 2012
ISBN-13: 978-3-412-20782-3, 686 S., EUR 71.90

Empfohlene Zitation:
Jörg Widmaier: [Rezension zu:] Schlegel, Silvia: Mittelalterliche Taufgefäße. Funktion und Ausstattung (= Sensus; 3), Köln [u.a.] 2012. In: ArtHist.net, 08.09.2013. Letzter Zugriff 21.12.2024. <https://arthist.net/reviews/5778>.

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