REV-EX 10.07.2003

"actionbutton". Neuerwerbungen zur Sammlung zeitgenössischer Kunst der BRD

Hamburger Bahnhof, Berlin, 16.05.–13.08.2003

Rezensiert von Ute Pannen

Trash repräsentiert - Die Neuankäufe der Bundeskunstsammlung

Abbildungen von Gerhard Schröder vor der "Adlerpartitur" von Georg Baselitz gehören schon zum vertrauten Anblick. Doch welcher Politiker wird sich zukünftig mit Kunstwerken wie "Direktor Pudel" und "Rosa Schafskopf" ablichten lassen oder ein Gemälde mit der Aufschrift "degenerated" hinter seinen Schreibtisch hängen? Die Minister und Diplomaten wählen bald aus 88 neuen Ankäufen der Bundeskunstsammlung die Kunst für ihre Amtsstuben, denn die Dauerleihgaben sind für die Ministerien, Botschaften und obersten Gerichte bestimmt. In den Büros, Fluren und Foyers werden dann zeitgenössische Gemälde, Skulpturen Fotografie, Installation, Video und Grafik die deutsche Kunst repräsentieren. Bis zum 31. August zeigt der Hamburger Bahnhof in Berlin unter dem Titel "actionbutton" die erstaunlich vielfältigen und ironischen Neuerwerbungen der Bundeskunstsammlung.

Während zuvor eine Kommission über Neuankäufe diskutieren und abstimmen mußte, liegt seit drei Jahren die Entscheidung allein bei Veit Loers, dem Leiter des Mönchengladbacher Museums Abteiberg. Er war lediglich an das schmale Jahresbudget von 500.000 Euro gebunden, dass er bravourös einsetzte um eine große Zahl Newcomer anzukaufen und ganz im Sinne der Sammlungsphilosophie zu fördern. Diese hat das Ziel formuliert die öffentlichen Gebäude repräsentativ mit Kunst auszustatten und dabei besonders junge noch wenig etablierte Künstler zu unterstützen. Darüber hinaus soll die Sammlung Tendenzen der Gegenwartskunst dokumentieren, also einen Überblick verschaffen ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Seit Willy Brandt1970 die Sammlung begründete, wurden über tausend Werke angeschafft. Georg Meistermann, der Brandt seinerzeit porträtierte, gab den Impuls. In einem Brief an den Kanzler appellierte er den neuen Geist, der "dem Selbstverständnis der Demokratie entsprechen sollte(...)" auch optisch durch künstlerische Arbeiten sichtbar zu machen. Schließlich war es von Anfang an Ziel der Sammlung, die ausschließlich Werke ab 1945 aufnimmt, den demokratischen Charakter der neuen Bundesrepublik zu repräsentieren. Moderne und zeitgenössische Kunst sollte als Zeichen für geistige Offenheit und freies Denken, nicht nur nach außen wirken, sondern auch die Politiker in einen "fruchtbaren Dialog von Kunst und Politik führen."

Wer würde diesen demokratischen Geist besser repräsentieren als Joseph Beuys, der zur documenta 5 sein "Büro für direkte Demokratie als soziale Plastik installierte? Schon bald für die Sammlung angekauft, zierte und provozierte er den Staat; zum Beispiel mit seinen Arbeiten "Loreley" 1957 oder "Spur I" 1974. Ein Schlüsselwerk wurde nun in die Sammlung aufgenommen: "Die soziale Plastik". Diese Skizze, die Beuys 1973 während eines Vortrags über seinen erweiterten Kunstbegriff anfertigte, ist nun mit einer Aufzeichnung des Vortrags ausgestellt. Auch Martin Kippenbergers "Durchgangslager Neptuns Kull" und "Pop it out" sowie Dieter Roths "Taucher" wurden in den letzten beiden Jahren teuer nachgekauft. Ein Klassiker wie Anselm Kiefer fehlt der Sammlung allerdings noch.

Nicht nur die großen Künstler der sechziger Jahre werfen ihren Blick ironisch auf nationale Themen. Von dem in Berlin und New York lebenden Thailänder Rirkrit Tiravanija wurden güldene Siegerkränze angekauft. Auf deren in nationalfarben gestreiften Scherpen sind noch Gratulationen zum gewonnenen Kartrennen erkennbar. Aufgetürmt wirken sie wie eine Parodie des Repräsentativen. In seinen Performances thematisiert Rirkrit Tiravanija multinationale Gegensätze, Identität und die Rolle von Institutionen. Er steht für "Deutsche Kunst heute", die so betont Loers im Katalogtext "nur Kunst in Deutschland bedeuten" kann.

Science Fiction und Fantasien werden aufgegriffen. Erik Schmidt taucht mit der Arbeit "Chat" in eine virtuelle Welt ab. Er übermalt Werbeposter einer H&M-Blondine mit Tarnmustern und überschreibt sie mit Texten aus Internetchats wie "Was suchst Du, Wo bist Du, Willst Du Küssen, Wie siehst Du aus, Willst Du kommen, Was hast Du an?"

Auch die stark vertretenen Künstler der von Nicolaus Schafhausen kuratierten Ausstellung "deutschemalereizweitausenddrei" träumen und phantasieren. Kai Althoffs Installation "zu Dir" erscheint als finstere und sehr nach innen gewandte Reflexion der Gesellschaft zwischen menschlicher Wärme und Abgrund, Religiösität und Diabolik. Der Blick wechselt besinnlich von Zeichnung zu Gemälde und Fotografie. Weniger träumend eher kosmisch präsentiert Corinne Wasmuht ihre Arbeit "Astronauten". In leuchtenden Farben schließt sie Astronauten in Kristalle ein. Eine fantastische Landschaft aus prismenartig dekonstruierten Elementen ergießt sich unter einem höhlengleichen Himmel aus Farb-Stalaktiten. Wieder andere Visionen entwickelt Dani Jakob mit "Before my time". Auf Seide zerläuft diese Malerei in grellen Farben, während die Form eines Auges im Bildzentrum auf das Zeichenrepertoire des Symbolismus verweist. Zwischen Science Fiction , Träumereien und den ins Esoterische driftenden Seidenmalereien Dani Jakobs fehlt ein Gegenpol. Zu vermissen ist beispielsweise der fotorealistische Künstler Tim Eitel. Doch so unpolitisch seine neue figürliche Malerei ist, schwebt über ihr noch das nationalsozialistische Erbe der deutschen Geschichte. Ist die Formensprache der dreißiger Jahre wirklich noch zu präsent, um nun allzu fotorealistische, scharfkantige, kühle Malereien auszuschließen? Taugen sie nicht zur Staatsrepräsentation?

In noch anderen Welten bewegen sich Michel Majerus trashige Malereien "actionbutton" und "degeneratet", die Alltagskultur und Ihre Ästhetik thematisieren. Sie nehmen Subkultur- und Medienbilder auf, wobei die Frage nach Autorenschaft an Bedeutung verliert. Mit der Benennung der Ausstellung, nach seinem gleichnamigen Werk zollt die Kunstwelt dem im letzten Jahr jung verstorbenen Michel Majerus besondere Anerkennung. Mit Pop-Trash kann auch Jonathan Meese aufwarten, der den deutschen Helden Siegfried als Schaufensterpuppe mit verrutschtem Schlüpfer zeigt. Seine Themen erweisen sich als ebenso vielfältig wie seine Medien. Malerei, Zeichnung und Schriftzüge wie "Staatskannnibalismus (Erzsau)" sind ebenso typisch wie Comic und Collage. In seiner von Kinderzimmer bis Gruselkammer reichenden Ästhetik schließt er Jugendkultur, Mythologie, Fantasie, Religion und Geschichte ein.

Veit Loers sprach bei der Eröffnung von Rhizomen. Im deleuzschen Sinne ist damit ein Wurzelsystem gemeint, dass nicht auf einen Ursprung zurückzuführen ist, nicht als Entität, sondern als Mannigfaltigkeit zu begreifen ist. Und so scheint auch diese Sammlung ein System rhizomatischen Austauschs zu sein: Die Auswahl an Themen reicht von nationalen Perspektiven über Science Fiction bis hin zu Trash, wobei nicht nur Etabliertes repräsentiert.

Leider stehen die Neuankäufe nur noch bis zum 31. August als Ausstellung in direkter Kommunikation. Ein Phänomen dieser Sammlung, die bisher niemand als Ganzes kennen lernte, ist ihre räumliche Streuung. Sind die Neuerwerbungen erst über die Botschaften und Ministerien verteilt, in einzelnen Arbeitszimmern verschlossen wird sich nicht mehr dieses sich gegenseitig neutralisierende Gesamtbild ergeben, sondern die Werke werden ihrer eigentlichen Aufgabe zugeführt: Zu geistiger Offenheit anregend einen Dialog zwischen Kunst und Alltag herstellen. Für manch einen Minister wird es zur Herausforderung werden täglich Jon Bocks "Dionysische Monolgicus- Gelüste eines Schwachomaten" zu passieren und - ganz im Sinne der Sammlung - in kritischer Auseinandersetzungen mit den Strömungen unserer Zeit neue Ansätze zu finden.

Mit Veit Loers Auswahl bekommt die Sammlung ein wohltuend neues Image, wirft Fragen auf und provoziert, wie es nur diese "subjektive" Entscheidung eines einzelnen Kurators vermag. Dennoch ist Kulturstaatsministerin Christina Weiss geneigt wieder eine Kommission einzusetzen. Für einen Verantwortlichen allein sei das Amt zu zeitintensiv. Schon verdrängt scheint das Dilemma der letzten Kommission, die 2000 geschlossen zurücktrat, als Michael Naumann verkündete eine Kunsthändlerin solle die Kommission unterstützten, schließlich seien Kunst und Ökonomie längst untrennbar geworden. Dennoch einen Vorteil mag die Kommission haben. Sie mag versuchen ein ausgleichendes Verhältnis der Gewichte zu schaffen, das derzeit nicht gegeben ist, wenn das Verhältnis Ost- und Westkünstler oder die Geschlechterfrage betrachtet werden. Bei weniger als einem Drittel Künstlerinnen, sollte womöglich eine Kuratorin die nächsten Ankäufe tätigen.

Redaktion: Iris Mahnke

Empfohlene Zitation:
Ute Pannen: [Rezension zu:] "actionbutton". Neuerwerbungen zur Sammlung zeitgenössischer Kunst der BRD (Hamburger Bahnhof, Berlin, 16.05.–13.08.2003). In: ArtHist.net, 10.07.2003. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/500>.

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