Beim Kunstguß aus Eisen denkt man zunächst an das preußische "Berliner Eisen". Schon 20 Jahre bevor die Berliner Eisengießerei überhaupt gegründet wurde, gelang allerdings in der sächsischen Gießerei Lauchhammer 1784 der erste Hohlguß einer großformatigen Eisenstatue - der weltweit erste Figurenguß aus Gußeisen in einem Stück. Zuvor waren in Lauchhammer hauptsächlich Gebrauchsgegenstände hergestellt worden.
Viele der erhaltenen frühen Eisenstatuen und etliche Gipsabgüsse, die als Modelle dienten, hat die studentische "Lauchhammer-AG" am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin für die Ausstellung in der Abgußsammlung der Freien Universität Berlin zusammengestellt. Die Ergebnisse dieser mehrjährigen Forschungen werden gleichzeitig in einem Begleitband vorgelegt.
Der Originalguß der Bacchantin, der ersten Figur von 1784, hat sich nicht erhalten, dafür ist aber ein wenig später entstandener Teilnachguß der Büste ausgestellt. Daneben stehen die nicht zusammengehörenden antiken Originalfragmente, die das Vorbild für die Statue bildeten. Sie sind Leihgaben der Dresdener Skulpturensammlung, in der sie sich auch schon im späten 18. Jahrhundert befanden, zu einer Figur zusammengesetzt und ergänzt - der damaligen Vorliebe für "vollständige" Antiken entsprechend.
Graf Detlev Carl von Einsiedel (1737-1810), der Eigentümer des Lauchhammer Eisenwerkes, war sächsischer Konferenzminister und hatte durch seine Position am Dresdener Hof Zugang zur Skulpturensammlung. Aus dieser Sammlung und dem Nachlaß des spanischen Hofmalers Anton Raphael Mengs, dessen Antiken und Gipsabgüsse 1785 nach Dresden kamen, dürfte Einsiedel seine eigene Sammlung von Abgüssen nach der Antike aufgebaut haben. Ein solcher Modellvorrat war Teil der langjährigen Vorarbeiten, die nötig waren, um die erste großformatige Eisenstatue, die europaweit Aufsehen erregte, erfolgreich gießen zu können. Der weitaus bedeutsamere Teil bestand aber in der technischen Entwicklung mit etlichen Experimenten zur Optimierung von Material und Gußtechnik.[1]
Gipsabgüsse waren nicht wetterfest und Blei ebenfalls nicht sehr dauerhaft. Mit den Eisenstatuen schuf Einsiedel nun in einer Zeit der Antikenbegeisterung ein neues Material, aus dem sich wetterfeste Repliken zu einem günstigeren Preis als die "klassischen" Marmor- und Bronzekopien herstellen ließen. Eine repräsentative Aufstellung im Außenbereich konnten sich damit auch neue Schichten - der niedere Adel und das gehobene Bürgertum - leisten.
Der als englischer Landschaftsgarten gestaltete Park des Schlosses Wolkenburg, Stammsitz der Familie Einsiedel, präsentierte neben anderem mindestens fünf der großformatigen Eisenstatuen nach antiken Vorbildern aus der eigenen Gießerei - die sog. Wolkenburger Flora, nach einer Artemis aus Dresden, 1792 gegossen, seit 1989 verschollen; den 'Apoll von Belvedere' aus dem Vatikan, um 1800 gegossen; die sog. Knöchelspielerin aus der Berliner Antikensammlung, ebenfalls um 1800; den 'einschenkenden Satyrn' aus Dresden, Anfang des 19. Jh. hergestellt, und den 'Lykischen Apoll', auch als Apollino bezeichnet, aus den Florentiner Uffizien, schon 1789 gegossen und im nahegelegenen Park der Baumwollspinnerei aufgestellt.[2] Dabei hat sicher neben der Selbstdarstellung auch die Präsentation einer Art von Verkaufsausstellung eine Rolle gespielt.
Von diesen Figuren sind in der Ausstellung die 'Knöchelspielerin', der 'einschenkende Satyr' und der 'Lykische Apoll' zu sehen. Der 'Apoll von Belvedere' befindet sich im Schloßpark auf einem zu hohen Sockel, um transportiert werden zu können und ist nur als Abbildung präsent. Die drei Statuen sind jeweils neben einem modernen Gipsabguß des antiken Vorbilds positioniert und ermöglichen damit einen genauen Vergleich der Abweichungen. Da die Eisengüsse nach dem damaligen Stand der Technik als 'verlorene' Güsse hergestellt wurden und damit Einzelstücke waren, ist ein gewisser Grad der Abweichung von der direkten Vorlage unvermeidlich. Die erhaltenen Gipsabgüsse aus Lauchhammer umfassen jedoch nur Köpfe und Büsten, so daß sich der direkte Vergleich (antikes Original - Modellgips - Eisenguß) hierbei nicht anstellen läßt. Für die beiden Stücke nach Dresdener Originalen bestand die Chance auf genaue Gipsabgüssse, die direkt vom Original abgenommen wurden. Bei den anderen ist es wahrscheinlich, daß es Zwischenstationen gab, d. h. von einem vom Original abgenommenen Gips wurde ein weiterer Abguß gefertigt, dieser nochmals abgeformt usw. Dabei konnten die Stadien jeweils überarbeitet werden, da die Konturen von Schritt zu Schritt flauer wurden. Das war ein damals weit verbreitetes Verfahren, an dessen zunehmender Abweichung vom Original sich niemand störte - ebenso wenig wie an den Ergänzungen der echten oder vermeintlichen Antiken.
Beliebt waren Serien bestimmter Gruppen, seien es Götterdarstellungen oder Kaiserportraits. Letztere sind in einer Gruppe von Modellgipsen in der Ausstellung präsent. Um eine möglichst vollständige Reihe der besonders beliebten 'suetonischen' Kaiser (d.h. der Kaiser des 1. Jahrhunderts n. Chr.), anbieten zu können, scheuten sich die Kunsthändler in Rom, welche die europäischen Adelshöfe mit Antiken versorgten, nicht, gelegentlich auch eine barocke Neuschöpfung dazwischenzustellen. Diese fanden dann natürlich auch Eingang in die Lauchhammer Gipse - etwa ein Drittel der identifizierten Kaiserbüsten wird auf nichtantike Vorbilder zurückgeführt.[3]
Als Highlights in der Ausstellung und sicher auch in der Produktion der Lauchhammer Gießerei sind die beiden Statuen der sog. Großen und der sog. Kleinen Herculanerin zu betrachten - seit Winckelmann wichtige Stücke der Antikenrezeption. Dieser hatte die römischen Originale der beiden 1754 in Dresden sehen können - unter ungünstigen Bedingungen, denn die Sammlung war auf engstem Raum zwischengelagert.[4] Die eiserne 'Große Herculanerin' aus dem Garten des Schlosses Mückenberg bei Lauchhammer - ebenfalls im Besitz des Grafen Einsiedel - wurde 1788 gegossen und ist damit die früheste erhaltene Antikenkopie der Gießerei. Einträchtig daneben steht die "Kleine Herculanerin" von 1791 aus dem Berliner Stadtschloß, ursprünglich ein Ofen in der Bibliothek.
Während die Aufstellung von eisernen Statuen im Außenbereich meist als repräsentatives Zierstück erfolgte - alternativ war aber z. B. die Funktion als Brunnenaufsatz wie bei der Ildefonso-Gruppe von 1796 in Weimar möglich [5] -, bot das Material im Innenbereich die Möglichkeit einer Doppelnutzung als Figurenofen. Die Ildefonso-Gruppe nach einem Original im Prado in Madrid wurde im 18. Jahrhundert als "Castor und Pollux" bzw. "Tod und Schlaf" interpretiert und erfreute sich großer Beliebtheit. In Lauchhammer wurden zwischen 1793 und 1798 mindestens drei Exemplare gegossen. Eine heute im Schloßpark von Bad Freienwalde aufgestellte Gruppe von 1795 war ursprünglich ein Ofen - der eigentliche Ofenkasten dient jetzt als Sockel. In der Ausstellung ist die Gruppe als moderner Gipsabguß des antiken Originals präsent. Vorbild für die Eisenfassung könnte ein Abguß aus dem Nachlaß Mengs gewesen sein.
Zu den besonders beliebten Motiven zählte auch die von Friedrich II. im Park von Sanssouci aufgestellte antike Bronzestatue des sog. Betenden Knaben. In einem Katalog von 1938 wird er in drei Größen angeboten: 35, 59 und 136 cm. Außerdem hat sich das Gußmodell eines Kopfes zu einer ca. 120 cm hohen Nachbildung erhalten. Damit ist eine der frühesten in Lauchhammer gegossenen Skulpturen - 1786 wurde sie als "Ganymed" als Aufsatz für Figurenöfen angeboten - auch gleichzeitig einer der 'Dauerbrenner'.[6] In der Ausstellung sind ein verkleinerter Bronzenachguß aus der Zeit um 1900 sowie das Gußmodell des Kopfes zu sehen. In der Frühzeit des Kunstgusses in Lauchhammer spielten verkleinerte Nachbildungen keine große Rolle. Als preiswerteres Angebot neben den großformatigen Statuen wurden vor allem Büsten angeboten. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, als die führende Rolle an die Berliner Gießerei übergegangen war, tauchen sie vermehrt in Lauchhammer auf. Teilweise werden sie noch heute angeboten.
Neben den Antiken wurden aber auch moderne, d. h. klassizistische Werke gegossen. Die beiden ersten Büsten aus dem Jahr 1789 stellten den Minister Heinitz und den Grafen Detlev Carl von Einsiedel dar. Vor allem Darstellungen der Familie Einsiedel prägen die erste Zeit der klassizistischen Stücke, erst ab etwa 1804 weitete sich der Motivkreis zunächst mit der Giebelgestaltung der neuen Kirche in Wolkenstein. Ab etwa 1818 trat dann der technische Guß, vor allem mit Dampfmaschinenteilen, wieder in den Vordergrund.[7] In der Ausstellung wird dieser Bereich durch die Büsten von Detlev Carl - in Eisen -, seiner Frau Sidonie Albertine von Einsiedel - als Modellgips - sowie von Johann Friedrich Trautscholdt - in Gips - präsentiert. Letzterer war technischer und kaufmännischer Leiter des Lauchhammer Werkes ab 1798 und hatte 1825 zum 100jährigen Bestehen des Eisenwerkes u. a. eine Übersicht der bis dahin gegossenen Werke geliefert, die auch für die Identifizierung der 1990 auf einem Dachboden der Gießerei gefundenen Gipsabgüsse und damit für die Vorarbeiten dieser Ausstellung von großer Bedeutung ist.[8]
Die Objekte der Ausstellung werden in dem Begleitband nicht katalogartig behandelt, sondern sind in einzelnen in sich geschlossenen Themengruppen bearbeitet, so daß er über die Ausstellung hinaus eine nützliche Lektüre zum Eisenkunstguß bietet.
Begleitband zur Ausstellung: Pegasus, Berliner Beiträge zum Nachleben, Heft 5, 2004 (15 €), ISSN 1436-3461
Anmerkungen:
[1] Matthias Frotscher, Von der Erfindung des Gießens eiserner Figuren. Das Eisenwerk Lauchhammer, Pegasus 5 (2004), S. 40.
[2] Jana Wierik, "Gärten sind Zeugen des öffentlichen Geschmacks...". Der Wolkenburger Schloßpark und seine Eisenkunstguß-Plastiken, Pegasus 5 (2004), S. 175, Abb. 80; Übersicht der Eisengüsse ebenda S. 210-213.
[3] Übersicht der Gipsabgüsse ebenda S. 206-209.
[4] Gerald Heres, Winckelmann in Sachsen (1991) 104 f.
[5] Sandra König, Garten, Ofen, Treppenhaus. Die Aufstellung und Nutzung der Lauchhammer Eisenkunstgüsse, Pegasus 5 (2004), S. 138.
[6] Katharina Meinecke, Antike und moderne "Dauerbrenner". kleinformatige Antikenkopien aus dem Lauchhammer Werk, Pegasus 5 (2004), S. 95 f.
[7] Claudia Kabitschke, Die klassizistische Produktion des Lauchhammer Eisenwerkes, Pegasus 5 (2004), S. 110; S. 114.
[8] Verzeichnis der Eisengüsse nach Johann Friedrich Trautscholdt, Geschichte und Feyer des ersten Jahrhunderts des Eisenwerks Lauchhammer (1825), Reproduktion in: Pegasus 5 (2004), S. 198-201.
Recommended Citation:
Stefanie Bahe: [Review of:] Antike, Kunst und das Machbare. Früher Eisenkunstguß aus Lauchhammer (Abgußsammlung Antiker Plastik der Freien Universität Berlin, Jan 24–Mar 14, 2004). In: ArtHist.net, Feb 17, 2004 (accessed Nov 3, 2024), <https://arthist.net/reviews/492>.
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