REV-EX 09.08.2005

covering the real. Kunst und Pressebild von Warhol bis Tillmans

Kunstmuseum Basel, 01.05.–21.08.2005

Rezensiert von Steffen Haug, Berlin
Dorothea Klein, Berlin
Redaktion: Philipp Zitzlsperger
Click to enlarge

Die seit den 1990er Jahren intensiv geführte intellektuelle Diskussion um die „neue Macht der Bilder“ hat inzwischen eine Fülle bildwissenschaftlicher Publikationen in Geistes- und Naturwissenschaften hervorgebracht. Dabei geriet jedoch allzu leicht in den Hintergrund, dass spätestens seit den 1960er Jahren sowohl theoretisch als auch künstlerisch die sich stetig mehrenden Quantitäten, Qualitäten, Herstellungsverfahren und Wirkungsmechanismen allgegenwärtiger Bilder kritisch thematisiert wurden. Gerade der Aspekt der künstlerischen Reflexion massenmedial verbreiteter Bilder, der in der jüngsten Diskussion um den Iconic Turn lediglich eine marginale Rolle spielte, steht im Zentrum der derzeit im Kunstmuseum Basel gezeigten Ausstellung „covering the real. Kunst und Pressebild von Warhol bis Tillmans.“ In der Schau sind rund 100 Exponate verschiedenster Gattungen von 25 internationalen Künstlern versammelt. Damit liefert sie erstmals einen Überblick über eine wichtige Form künstlerischer Bildkritik im Umgang mit den Massenmedien der letzten 40 Jahre.

Der Ausstellungsparcours im Kunstmuseum ist in drei thematische Bereiche gegliedert. Den Großteil bildet eine lockere Chronologie, die Werke von 1962 (Warhol) bis ins Jahr 2005 (Tillmans) umfasst und im langen Gang des Seitenflügels über sechs Räume präsentiert ist. Als zweiter Bereich ist an dessen Kopfende ein Raum mit einer großformatigen Projektionswand eingerichtet, die per Direktübertragung die Bilder aneinanderreiht, die aktuell in der Schweizerischen Bildagentur Keystone aus aller Welt eintreffen. Davon seitlich abzweigend ist der dritte Teil Künstlern gewidmet, die selbst fotojournalistisch vor Ort arbeiten und den Pressbildern und Vertriebswegen eigene Aufnahmen und Präsentationsformen entgegenstellen.

Der chronologische Hauptteil bietet eine bemerkenswerte Werkauswahl, die zum einen vorführt, welche Bedeutung das Pressebild in der jüngeren Kunst einnimmt und die zum anderen die diversen Perspektiven aufzeigt, aus denen sich Künstler diesem Phänomen genähert haben. Dabei unterscheiden sich grundlegend zwei Vorgehensweisen: die Übersetzung des Ausgangsmaterials in ein künstlerisches Medium und die direkte Einbeziehung des Fotos als Readymade im Werk.

Als Andy Warhol 1962 beginnt, Pressefotos als Bildvorlagen zu verwenden, greift er nicht nur Motive auf, sondern auch die Ästhetik des Mediums. Im Siebdruckverfahren werden die Vorlagen vergrößert, koloriert und ihre Eigenschaften als Massenprodukt auf einer Leinwand durch die Serialität herausgestellt. Dabei benutzt er nicht nur Fotos politischer Ereignisse, sondern auch Sensations-, Society- und Unterhaltungsbilder, wie sie im Zeitungslayout in unmittelbarer Nachbarschaft auftauchen. Ähnlich überführen auch Gerhard Richter und Sigmar Polke wenige Jahre später formale Eigenschaften des Pressebildes in die Malerei – das Schwarzweiß und die Unschärfe bei Richter, die Rasterpunkte bei Polke.

Die politische Rolle, die Medienbilder in den Protesten gegen den Vietnamkrieg spielten, thematisiert die 20-teilige Collage-Serie „Bringing the War Home“ (1967-72) von Martha Rosler. In die idyllischen Interieurs US-amerikanischer Dekorations-Magazine montierte sie die Fotos von Kriegsopfern. Damit kontrastiert sie nicht nur die zwei Wahrnehmungswelten von idyllischer Heimat und geographisch fernem Kriegsgeschehen, sondern kommentiert bildlich die paradoxe Situation des alltäglichen Konsums von Auslandsnachrichten im heimischen Wohnzimmer.

Die Bedeutung des Kontextes (Bildausschnitt, Bildunterschrift etc.) für die Interpretation eines Pressebildes stellen die Werke John Baldessari und John Hilliard heraus. In Baldessaris Video „The Meaning of Various News Photos to Ed Henderson“ (1973) legt der Künstler seinem Gegenüber acht aus ihren Ursprungszusammenhang isolierte Zeitungsfotos verschiedener Sparten vor. Im Versuch, das Dargestellte genauer einzuordnen, spürt er einerseits detektivisch den Details nach, um den ursprünglichen Zusammenhang rekonstruieren zu können, andererseits entspinnt er Phantasiegeschichten um die Motive und bindet sie damit in neue, fiktive Kontexte ein.
Die 4-teilige Fotoarbeit „Cause of Death?“ (1974) von Hilliard kombiniert verschiedene Ausschnitte desselben Bildes mit unterschiedlichen Bildunterschriften und löst damit jeweils Spekulationen über den Bildinhalt aus.

Dass Pressebilder von verschiedenen politischen Gruppen strategisch eingesetzt und inszeniert werden können, dokumentiert die Wandarbeit „April 21, 1978“ (1978) von Sarah Charlesworth. Sie reiht 45 s/w-Drucke der Titelseiten internationaler Tageszeitungen jenes Datums auf, von denen bis auf die Kopfzeile sämtlicher Text getilgt ist. Geblieben sind die Bilder und dabei stets das Foto, das den entführten italienischen Premier Aldo Moro mit der Zeitung des Vortages darstellt – denn in jener Ausgabe hatte die Presse aufgrund einer absichtlichen Falschmeldung der Entführer seinen Tod vermeldet.

Einer der frühesten Künstler, die das Sammeln und Archivieren von Zeitungsbildern zum Prinzip seines Schaffens machten, ist Hans-Peter Feldmann, der seit den 1960er Jahren zahlreiche Künstlerbücher und Serien schuf, in denen er gefundenes Bildmaterial unkommentiert in motivischen Gruppen neu arrangiert. Von ihm ist trotz seines großen Oeuvres lediglich ein Künstlerbuch, „Der Banküberfall“ (1975), in der Ausstellung vertreten.
In Feldmanns Tradition hat auch der Fotograf Wolfgang Tillmans Bilder eines Motivs gesammelt, das er als eines der prägnantesten der 1990er Jahre empfand: das des Soldaten, der jedoch nicht in Kampfhandlungen, sondern Alltagssituationen festgehalten ist. Teile seiner Sammlung an Zeitungsausrissen sind in „Soldiers. The Nineties“ (1999-2005) tableauartig als raumgreifende Wandinstallation präsentiert. Diese Arbeit nimmt eine Sonderstellung in der Ausstellung ein, weil sie zugleich das Presse-Archiv des Künstlers als Ausgangsbasis von Werken sichtbar macht. Solche Archive von Medienbildern dürften in ähnlicher Form ein Großteil der vertretenen Künstler angelegt haben, auch wenn sie meist nicht selbst gezeigt werden, sondern als Arbeitsmaterial im Atelier verbleiben.

Zu der Ausstellung ist ein umfangreicher, zweisprachiger (dt. u. engl.) Katalog erschienen, der weniger die Ausstellung dokumentiert, als ihr ein eigenständiges Werk an die Seite stellt.
Über die Hälfte des Buches ist einer umfangreichen Bildstrecke vorbehalten und nur ein verhältnismäßig kleiner Teil wissenschaftlichen Texten gewidmet. Dabei fokussieren die sechs Essays auf zwei Schwerpunkte: einerseits die Problematisierung der Pressefotografie und journalistischen Praxis an sich, andererseits die exemplarische Analyse künstlerischer Arbeiten. Einen Grundtenor aller Texte bilden Überlegungen zur medialen Vermittlung von Realität, zur Konstruktion und Lenkung von Wissen, zu Bild- und Textgläubigkeit oder medienspezifischen Strategien der Informationspolitik.

Im einführenden Artikel des Kataloges diskutiert der Kurator der Ausstellung Hartwig Fischer die Grundprobleme im Umgang mit öffentlich verbreiteten Bildern: „Was sehen wir wirklich auf [...] Bildern? Was sind diese Bilder? Wo erscheinen sie, wie erscheinen sie? Wie schauen wir sie an? Wie schauen sie uns an? […] Welche Bedeutung geben wir ihnen?“ (S. 16) Dabei stellt Fischer kursorisch die Künstler und Werke der Ausstellung vor, kommt aber insbesondere auf eine in Basel nicht gezeigte Arbeit Alan Kaprows zu sprechen. Dieser hatte in der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 20.3.1981 drei Pressephotos je viermal in den Rubriken Politik, Wirtschaft, Feuilleton und Modernes Leben in wechselnden Größen und variierenden, auf das Ressort thematisch abgestimmten Untertiteln platziert, so dass die Motive in ihren Bedeutungen variierten. Das Projekt war explizit nicht für einen musealen Kontext entworfen, sondern setzte auf den Überraschungsmoment bei der alltäglichen Zeitungslektüre.

Kaprows Arbeit verdeutlicht künstlerisch ein wesentliches Problem massenmedialer Informationsvermittlung: Was Medienbilder zeigen sind Konstrukte, „von Menschen gemachte Zeichen technischen Ursprungs, die zum real vorhandenen in einem problematischen Verhältnis stehen.“ (S. 27) Dieser nicht neuen, aber bedenkenswerten Tatsache widmet sich der Text von Yves Michaud. Da Fotografien die Realität in besonderem Maße wiederzugeben scheinen und das Verständnis von Zeitungen als objektiven Informationsmedien verbreitet ist, verleiten gerade Pressebilder zu einem blinden Vertrauen auf den „Index-Charakter“ des fotografischen Zeichens und des schwarz auf weiß Gedruckten. Bei jedem Medienbild müsse jedoch bedacht werden, dass schon dessen Entstehungsprozess von vielfältigen Faktoren abhängig ist und dass es bis zu seiner öffentlichen Präsentation einem vielschichtigen Procedere unterworfen wird, bei dem Selektion, Montage, Bildausschnitt und -unterschrift sowie die Platzierung innerhalb der Zeitung nur einige Komponenten darstellen.

Kunstwerke, die sich explizit mit Alltagsbildern auseinandersetzen und deren Eigenheiten hinterfragen, werden in dem Beitrag von Michael Diers exemplarisch vorgestellt und analysiert. Dabei konzentriert sich Diers auf künstlerische Arbeiten, die die mediale Berichterstattung des Irak-Krieges reflektieren, wobei er einleitend auf die kunstgeschichtliche Tradition verweist, in denen diese Kriegsbilder selbst wiederum interpretierbar sind. Mit Luc Tuymans, Thomas Demand, Wolfgang Tillmans und Gerhard Richter werden vier prominente Künstler gewählt, die durch verschiedene künstlerische Strategien den Anspruch einer in Massenmedien Bild gewordenen (Kriegs-)Realität thematisieren. Durch Abstraktion, Rekonstruktion, Isolation, Sammlung oder Neuzusammenstellung des Ursprungsmaterials rufen die Werke auf unterschiedliche Weise dazu auf, sich zu erinnern, zu vergleichen, zu assoziieren und zu begreifen.

Verena Kuni leitet ihren Aufsatz mit der Rückverfolgung der ambivalenten Begriffsgeschichte der beiden titelgebenden Worte der Ausstellung ein. Erst seit dem 19. Jahrhundert werde „to cover“ im Kontext von Nachrichtenmedien im Sinne eines „Versprechens einer gleichsam flächendeckenden Bereitstellung von Information“ (S. 63) gebraucht, meint jedoch in seinem vorrangigen Wortgehalt „bedecken“ oder „verbergen“. Diesen Zwiespalt diskutiert der Artikel anhand einiger Arbeiten von Gerhard Richter, Sigmar Polke, Sarah Charlesworth und John Baldessari. Dabei steht die Frage, mit welchen Möglichkeiten Kunst die Funktionen und Mechanismen von Wirklichkeitskonstruktion reflektieren und freilegen kann, im Zentrum der Werkanalysen.

Den Unterschied zwischen dem Blick auf ein traditionelles Kunstwerk und einer Pressefotografie unterzieht Bruno Haas einer kunstphilosophischen Analyse. Während gerade beim religiösen Kunstwerk auch der Rezeptions-Ort, etwa als Raum der Andacht, von Bedeutung ist, spiele dieser bei Pressefotos keine Rolle. Stattdessen versetze sich der Betrachter hier an die Stelle des Fotografen und damit imaginär an den Ort des Geschehens. Auf die Antinomien dieser Identifikation reagiere die zeitgenössische Kunst zum einen, indem sie die Materialität des Bildes gegen seinen Realismus stellt und zum anderen, indem sie den Gegensatz zwischen dem spezifischen Augenblick der Aufnahme und den heterogenen Momenten der Rezeption betont.

Jörg Huber beklagt im abschließenden Aufsatz die Reduktion der Bildlektüre auf die journalistische Praxis der „sechs »W« - Wo? Was? Wer? Wie? Wann? Warum?“ (S. 71). Mit der Angabe entsprechender Informationen würden Pressebilder in einen festen Rahmen gezwängt, der ein rein visuelles Lesen und Erkennen der Bildinformation verhindere. Huber fordert, sich von dieser Informationskultur zu verabschieden und den Blick vielmehr auf die Ambivalenz des Sich-Ereignens und Erfahrens von Welt zu lenken. Gerade durch das Erkennen des Unabschließbaren, Fragmentarischen und Geheimnisvollen des Weltgeschehens könne einem voreiligen Kurzschließen und vermeintlichen Verstehen von Ereignissen entgegengewirkt werden.

Diesem Gedanken scheint die in der Katalogmitte platzierte Bildstrecke zu folgen. Auf rund 200 Seiten werden Ausstellungsexponate und Pressebilder, die einem nicht näher bezeichneten „Privatarchiv“ entstammen und zumeist in die letzten fünf Jahre datieren, achronologisch und unkommentiert aneinandergereiht. Der Katalog gibt so den Anspruch eines handhabbaren Werkverzeichnisses auf, da die Kunstwerke oder auch die Publikationsquelle der Pressebilder erst im Anhang aufgeschlüsselt werden. Die Abbildungen der Pressefotos sind innerhalb der Bildstrecke durch Druckraster oder das Schwarzweiß von den hochqualitativen Farbablichtungen der Kunstwerke zu unterscheiden und erhalten durch diese Präsentation als Einzelbild eine Bedeutung, die ihnen im Originalzusammenhang nur selten oder in völlig anderer Form zugekommen sein dürfte. Nach welchem Muster dabei Zeitungsbild und Kunstwerk aufeinander folgen, erschließt sich weder über formale, motivische oder inhaltliche Komponenten, noch nimmt der Katalog hierzu Stellung. Die Herausgeber scheinen anstelle einer Anordnung, in der sich wechselseitige Bezüge und Assoziationen hätten herstellen lassen, einen optischen Bilderstrom bezwecken zu wollen, der jeder Seite für sich die gleiche Aufmerksamkeit schenkt.

Die Werkauswahl von „covering the real“ setzt mit den 1960er Jahren als Beginn des massenmedialen Zeitalters ein. Dennoch hat gerade die künstlerische Auseinandersetzung mit Pressebildern eine Vorgeschichte, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurückzuverfolgen ist, auf die jedoch weder in Ausstellung noch Katalog hingewiesen wird. So greifen nicht nur die Collagen des Dadaismus Zeitungsbilder auf, sondern gerade die politischen Montagen John Heartfields seit den 1920er Jahren stellen eine direkte Antwort auf die propagandistischen Tendenzen der Pressebilder im Ersten Weltkrieg dar. Auch Picassos „Guernica“ (1937) ist in Anlehnung an das Pressefoto vollständig in Grautönen gehalten und zitiert zudem den Schriftsatz der Zeitungsspalten als Schraffur in den Figuren.

Zudem ist anzumerken, dass die mediale Revolution der 1960er Jahre mehr durch die Etablierung des Fernsehens geprägt war als durch die Presse. Jedoch werden künstlerische Positionen, die sich mit den bewegten Bildern des Fernsehens beschäftigen, in der Ausstellung kaum berücksichtigt. Hier ließe sich der Themenkreis gedanklich erweitern um Videos von Paul Garrin, Johan Grimonprez oder Julian Rosefeldt/ Piero Steinle, oder in jüngerer Zeit auch um Werke der Netzkunst.

Festzuhalten bleibt abschließend, dass die Konzentration auf das gedruckte Nachrichtenfoto und die Zeitspanne von 1962-2005 insofern sinnvoll sind, als das Pressebild, trotz der neueren bewegten und digitalen Bilder, den zentralen Fundus der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Massenmedien bis in die Gegenwart bildet. Damit liefert die Ausstellung einen ersten und zugleich repräsentativen Überblick über ein Forschungsfeld, das bislang nicht systematisch betrachtet und analysiert wurde.

Fischer, Hartwig; Arden, Roy; Arden, Roy (Hrsg.): Covering the real. Kunst und Pressebild, von Warhol bis Tillmans : Roy Arden ... ; [anläßlich der Ausstellung "Covering the Real, Kunst und Pressebild, von Warhol bis Tillmans" ... Kunstmuseum Basel, 01.05.-21.08.2005], Köln: DuMont Buchverlag 2005
ISBN-13: 978-3-8321-7514-6, 373 S, EUR 59.90, sfr 83.00

Empfohlene Zitation:
Steffen Haug, Dorothea Klein: [Rezension zu:] covering the real. Kunst und Pressebild von Warhol bis Tillmans (Kunstmuseum Basel, 01.05.–21.08.2005). In: ArtHist.net, 09.08.2005. Letzter Zugriff 23.04.2024. <https://arthist.net/reviews/473>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^