Transnationale Museumsgeschichte 1750-1940. Internationale Tagung
Tagungsbericht im Auftrag der Veranstalter von Stéphanie Baumewerd, Berlin
Die Museumsgeschichte ist seit einigen Jahren ein zentrales Lehr- und Forschungsfeld des Fachgebiets Kunstgeschichte am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin. Konzipiert und organisiert von Bénédicte Savoy und Andrea Meyer, gefördert durch die DFG, hat am 17. und 18. Februar 2012 an der TU Berlin eine internationale Tagung zur Museumsgeschichte stattgefunden, die dezidiert darum bemüht war, die bisherige Forschung um eine transnationale Perspektive zu erweitern. In fünf Sektionen widmeten sich 17 internationale Referenten hauptsächlich in Fallbeispielen dem grenzüberschreitenden Ideen- und Erfahrungsaustausch von Museumsleuten, der Zirkulation und dem Transfer von Objekten, Hängungs- und Aufstellungssystematiken.
Beginnend mit dem 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Öffnung privater Sammlungen für die breite Öffentlichkeit, bis hin zum 20. Jahrhundert, in dem der Austausch dann auch bewusst gefordert und gefördert wurde, nahm die Tagung einen für die Museumsgeschichte entscheidenden Zeitraum in den Blick.
Collecting Points for Displaced Objects. Museums and the Transnational Circuits of Artefacts
Die erste Sektion widmete sich der grenzüberschreitenden Zirkulation von Objekten. Im ersten Vortrag stellte Waltraud Bayer (Graz) die unter den Vorzeichen marxistischer Kulturpolitik betriebenen Kunst"verkäufe" vor, die allein den Bestand der Leningrader Eremitage zwischen 1928 und 1933 um knapp 3.000 Gemälde, 16.000 kunstgewerbliche Arbeiten und ca. 4.000 Graphiken verminderte. Deutlich wurden die problematischen Verknüpfungen zwischen den offiziell für die Exporte verantwortlichen Akteuren auf Sowjetseite mit den Vertretern des Kunstmarkts und privaten Sammlern wie Calouste Gulbenkian oder Andrew Mellon aus dem Westen. Die verschlungenen Wege einzelner Kunstwerke von Altmeistern wie Rembrandt, Rubens oder Raffael aus der Eremitage in US-amerikanische und europäische Sammlungen zeichnete Bayer detailliert nach. Auch machte sie darauf aufmerksam, dass die weltweit verstreuten Werke aus ehemaligem sowjetischem Besitz noch keinesfalls vollständig erschlossen sind.
Charlotte Schreiter (Berlin) setzte sich in ihrem Vortrag mit Wandel und Wettstreit der großen Gipsabgusssammlungen moderner und antiker Skulpturen in Berlin, London und Paris auseinander. Zu Beginn als Lehrsammlungen zumeist an Akademien angesiedelt, entstand aus ihnen ein eigener Museumstypus, der sich vor allem über den Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit definierte und so nicht nur die Entstehung von Gipsformereien förderte, sondern auch den internationalen Handel mit den Abgüssen anregte. Darüber hinaus aber sollte die schiere Quantität der Exponate vergleichbare ausländische Sammlungen in den Schatten stellen.
Abgeschlossen wurde die Sektion durch den Vortrag von Mirjam Brusius (Berlin), die kurzfristig die erkrankte Dorothea Peters (Blankensee) ersetzte. Brusius zeigte, welche Schwierigkeiten die archäologischen Funde Henry Layards im Orient den Trustees und Mitarbeitern des Britischen Museums bereiteten: Bislang etablierte Ordnungs- und Inszenierungsschemata versagten, so dass sie nicht wussten, wie die ausgegrabenen Objekte in die existierenden Abteilungen des Museums, ja nicht einmal im Depot einzuordnen waren. Ebenso wenig konnte ihre "Entzifferung" gelingen, da Deutungen an sie herangetragen wurden, die aus der Beschäftigung mit bereits musealisierten Artefakten beispielsweise aus Griechenland und Ägypten resultierten, den neuen Funden aber nicht gerecht werden konnten.
Constructing the Museum. Cross-Border Transfers of Architectural and Display Principles
In der zweiten Sektion wurde der unmittelbare Wahrnehmungsrahmen der Exponate thematisiert, wie er durch die Architektur, das Innenraumdesign oder die Inszenierung bestimmt wird. Mit dem Vortrag von Stefanie Heraeus (Frankfurt am Main) zum Bau der Kasseler Gemäldegalerie [1749-1751] geriet konkret die Beleuchtungssituation in den Blick. Der in Frankreich ausgebildete Kasseler Architekt Simon du Ry und die Ausstellungsräume des Marquis Voyer d’Argenson veranlassten den Auftraggeber der Galerie, Landgraf Wilhelm VIII., vom üblichen Lichteinfall durch große Fenster an einer Seite abzuweichen und stattdessen Oberlichter, in diesem Fall schmale, hoch angesetzte Fensterreihen zu beiden Seiten, als Lichtquelle einzusetzen. Wie Heraeus’ Analyse der zeitgenössischen Reaktionen auf diese Lösung verdeutlichte, war damit jedoch noch keine abschließende Antwort auf die Frage nach der optimalen Beleuchtung gefunden.
Die Suche nach dem geeigneten architektonischen Rahmen für die Präsentation von Kunstwerken beschäftigte auch Miklos Székely (Budapest), der europäische Museumsbauten des 19. Jahrhunderts, z.B. in Berlin, London, Stockholm oder Budapest miteinander verglich. Er betonte, dass die klassizistische Bauweise europaweit überwog, andererseits die Sammlungsinhalte die architektonische Gestaltung bedingten. So entsprach die Außengestaltung namentlich kunstgewerblicher oder naturkundlicher Museen nicht dem klassizistischen Stil.
Alessandra Galizzi Kroegel (Trient) erläuterte am Beispiel der Aktivitäten des italienischen Kunsthistorikers Guglielmo Pacchioni, dass moderne Formen der Inszenierung, wie sie sich in Europa und den USA im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hatten, bereits vor dem Zweiten Weltkrieg auch in Italien eingeführt wurden. Pacchioni, der zu Beginn der 1930er Jahre im Piemont tätig war und dort die Neuordnung der Galleria Sabauda in Turin vornahm, rezipierte die internationalen Fachdebatten unter anderem über die Zeitschrift "Museion". Er favorisierte die Trennung in Studien- und Schausammlungen und distanzierte sich von den in Italien üblichen Ausstellungsinstallationen im Stil der Neorenaissance.
Inspiring Spying? Close Inspections of the ‘Other’: Commissions and Experts on Tour
Die dritte Sektion rückte die Rolle der Museumsgründer und -angestellten, ihren Austausch, gegenseitige Beobachtungen sowie die Entstehung von Netzwerken in den Vordergrund.
Thomas Adam (Arlington) erläuterte, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutsche Museumsmodelle in Nordamerika adaptiert wurden. Voraussetzung für den Transfer war das Interesse am europäischen Kulturerbe, das viele amerikanische Bürger zu Bildungsreisen über den Atlantik anregte. In Deutschland begeisterten diese sich vor allem für Dresden, wobei nicht allein die reichen Kunstsammlungen ausschlaggebend waren, sondern auch die niedrigen Lebenshaltungskosten und die Offenheit der höfischen Gesellschaft gegenüber Ausländern.
Reisetagebücher und Berichte, so von William Cullen Bryant, George Fiske Comfort oder James Mavor, belegen die Auseinandersetzung der reisenden Amerikaner mit der deutschen Museumslandschaft nachdrücklich. Sich auf diese Quellen stützend, konnte Adam herausarbeiten, dass insbesondere die bürgerlichen Museumsvereine das Augenmerk auf sich zogen. Sie standen Pate für die Organisation von Museen wie das Metropolitan Museum of Art oder das Boston Museum of Fine Arts, welche nach der Jahrhundertwende im Zuge der Museumsreformbewegung wiederum in Deutschland auf Beachtung stießen.
Der Vortrag von Arnaud Bertinet (Paris) widmete sich den Reisen französischer Museumsexperten wie Clément de Ris, die während der Regierungszeit Napoleon III. in deutschen Städten, etwa München, Kassel oder Mainz, nach Impulsen suchten, um die Entwicklung der eigenen, nationalen Museen zu Stätten der Volkserziehung voranzubringen. In einer bewegten Zeit, die durch Rivalität und Konflikten zwischen beiden Ländern geprägt war, stellte die Auseinandersetzung der französischen Museumsleitung mit deutschen Modellen eine Konstante dar.
Ein weiteres Beispiel für die systematische Inspektion der Organisationsstrukturen und Hängungsprinzipien bis hin zu den didaktischen Maßnahmen von Museen in ganz Europa seitens eines französischen Kritikers und Kunsthistorikers, Marius Vachon, stand im Mittelpunkt des letzten Vortrags der Sektion. Wie Lieske Tibbe (Nimwegen) auf der Grundlage der Berichte Vachons erläuterte, war es Ziel seiner ausgiebigen Reisetätigkeit während der 1880er und 1890er Jahre, geeignete Vorbilder für ein zu gründendes Kunstgewerbemuseum zu finden. Das "Musée des arts décoratifs", das dann 1905 tatsächlich im Louvre eröffnet wurde, enttäuschte ihn allerdings. Vachon bezweifelte, dass es in der Lage wäre das regionale Kunstgewerbe wiederzubeleben, wie er es 1889 mit einer Ausstellung in St. Étienne, die zur Gründung des dortigen "Musée d’Art et d’Industrie" führte, angestrebt hatte.
Reforming the Museum: A Supranational Project
In der vierten Sektion galt das Hauptaugenmerk den transnationalen Reformbestrebungen, welche die Institution Museum im 19. und frühen 20. Jahrhundert begleiteten und ihr (Selbst-)Verständnis, ihre Ziele und Funktionen einem steten Wandel unterzogen.
Alan Crookham und Susanna Avery Quash (beide London) erörterten die Anfänge der 1824 gegründeten National Gallery, die bekanntlich zunächst im Privathaus John Julius Angersteins beheimatet war. Es existierten weder Verwaltungs- oder Besucherregularien noch eine gezielte Ankaufs- und Hängungspolitik. Nach dem Umzug an den Trafalgar Square trug maßgeblich der freundschaftliche Austausch zwischen Charles Eastlake, dem ersten, seit 1855 amtierenden Direktor der National Gallery, und Gustav Friedrich Waagen, dem Direktor der Berliner Gemäldegalerie, zur Professionalisierung des Museumsbetriebs bei. Die Aneignung deutscher Konzepte und Praktiken in London war jedoch keineswegs selbstverständlich, da in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anti-deutsche Ressentiments weitverbreitet waren. Eastlake kam daher eine kaum zu unterschätzende Bedeutung als Vermittler zu, verstand er es doch dem heimischen Publikum „fremde" Prinzipien der Museumstheorie und -praxis verständlich zu machen, nicht zuletzt, weil er einflussreiche Positionen in der Viktorianischen Kunstwelt besetzte und eine überaus hohe Reputation genoss.
Der Vortrag von Xavier-Pol Tilliette (Paris) befasste sich mit einem anderen wichtigen Agenten und Museumsmann, Wilhelm R. Valentiner. Auf Empfehlung Wilhelm von Bodes erhielt dieser 1908 einen Posten als Kurator der Kunstgewerbeabteilung am Metropolitan Museum of Art in New York, wo er maßgeblich von Bode entwickelte Inszenierungsstrategien umsetzte. Stets unterhielt er dabei eine rege Korrespondenz mit Bode, in der Informationen über den Museumsalltag ausgetauscht und sogar Taxierungen für Ankäufe abgesprochen wurden. Der erhaltene Briefwechsel ist ein eindrucksvoller Beleg für eine Episode besonders intensiver deutsch-amerikanischer Interaktion auf Museumsebene, die zugleich deutschen Interessen unterstellt war.
Basierend auf noch unerforschten Quellen aus dem UNESCO-Archiv in Paris beschäftigte sich Christina Kott (Paris) im abschließenden Vortrag mit der ambivalenten Positionierung deutscher Museumsbeamter beim 1934 in Madrid stattfindenden internationalen Museumskongress. Die Vorläuferorganisationen der UNESCO, besonders das "Office International des Musées" (OIM) mit Sitz in Paris, war als Unterabteilung des Völkerbundes an der Planung der internationalen Tagung maßgeblich beteiligt. Deutschland war nur indirekt bei der Konferenz vertreten, was zum einen auf den Austritt des NS-Staates aus dem Völkerbund 1933 zurückzuführen ist. Zum anderen zeigten sich viele deutsche Museumsleiter skeptisch gegenüber der internationalen Kooperation, da sie das Streben nach der Vereinheitlichung museologischer Konzepte und Praktiken ablehnten. Umgekehrt bezogen sich die Teilnehmer des Kongresses in ihren Beiträgen immer wieder auf deutsche Museen als Leitbilder, wie auch das zweibändige, aus der Tagung hervorgegangene Handbuch verdeutlicht.
The Museum as a Transnational Site for National Identities
Die fünfte und letzte Sektion wandte sich dezidiert dem Museum als Ort zu, der sowohl von nationalen Interessen als auch von transnationalen Verflechtungen geprägt ist.
Emília Ferreira (Lissabon) widmete sich der Entstehungsgeschichte des ersten nationalen Kunst- und Archäologiemuseums Portugals in Lissabon. Durch eine Aufforderung des Londoner South Kensington Museums, Exponate für eine Ausstellung spanischer und portugiesischer Kunst zusammenzustellen, entstand bei den Beauftragten die Idee, im Anschluss an die Londoner Ausstellung 1881 ein ähnliches Ausstellungsprojekt in Lissabon zu realisieren. Tomas Defonseca, Delfim Guedes und Alfredo d’Andrade reisten trotz eines unausgebauten Verkehrsnetzes quer durch das Land und stellten beeindruckendes Material zusammen, welches nicht nur als Grundstock für die Londoner und Lissaboner Ausstellungen, sondern auch für das 1884 gegründete Museum diente. Ihre Erfahrungen, die sie während der Vorbereitungen für die Ausstellungen und im South Kensington Museum selbst sammelten, ließen sie in das Museumskonzept einfließen.
Im Vortrag von Ayşe Koksal (Istanbul) ging es um das erste moderne Kunstmuseum Istanbuls, das 1937 im Dolmabahçe-Palast eröffnet wurde, dessen Vorgeschichte sich jedoch bis ins Osmanische Reich zurückverfolgen lässt. Übernahmen west-europäischer Sammlungs- und Inszenierungsprinzipien durch das Museum für Malerei und Skulptur lassen sich beobachten, die darauf zielten die moderne, westliche Ausrichtung der wenige Jahre zuvor gegründeten Türkischen Republik zu veranschaulichen.
Nikolaus Bernau (Berlin) widmete seinen Vortrag ausgewählten Museumsgründungen im kolonial-britischen Indien. Französische, insbesondere aber britische Vorbilder wurden oftmals für die prachtvolle architektonische Gestaltung herangezogen. Dagegen diente die Ausstellung indischer Produktionsgüter der Wirtschaftsförderung sowie der Darstellung eines sich von der britischen Kolonialmacht emanzipierenden Indien.
Die Rahmenbedingungen für den Export musealer Konzepte und deren Funktionen in europäischen Kolonien untersuchte auch Bärbel Küster (Stuttgart) im abschließenden Vortrag, wobei sie den Blick auf Museumsbeispiele aus der Zeit der französischen Kolonialherrschaft in Afrika lenkte. Küster stellte das 1912 auf La Réunion von Ary und Marius Leblond gegründete Kunstmuseum dem 1930 in Algir eröffneten nationalen Kunstmuseum gegenüber. Obgleich die Sammlung auf La Réunion Produkt eines dezidiert modernen Kunstverständnisses war, folgten letztlich beide Museen den Richtlinien der offiziellen französischen Politik.
Die Vielfältigkeit der Beispiele und die Abschlussdiskussion eröffneten weitere Felder für zukünftige Forschungen und zeigten deutlich, wie wertvoll die Erweiterung der museumsgeschichtlichen Forschung um eine transnationale Perspektive sein kann.
Kontakt:
Prof. Dr. Bénédicte Savoy/ Dr. Andrea Meyer
Technische Universität Berlin
Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik
Sekretariat A 56
Straße des 17. Juni 150/152
10623 Berlin
E-Mail: tu.museumsgeschichtegooglemail.com
Website: http://www.kunstgeschichte.tu-berlin.de/index.php?id=307
Die Tagungsakten werden voraussichtlich im Herbst 2013 bei De Gruyter publiziert.
Empfohlene Zitation:
Stéphanie Baumewerd: [Tagungsbericht zu:] Transnationale Museumsgeschichte 1750-1940 (TU Berlin, 17.–18.02.2012). In: ArtHist.net, 30.01.2013. Letzter Zugriff 03.11.2024. <https://arthist.net/reviews/4609>.
Dieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.