REV-EX 10.02.2006

Antonello da Messina. Der heilige Sebastian. Das restaurierte Meisterwerk.

Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 12.11.2005–05.02.2006

Rezensiert von Angela Matyssek
Redaktion: Livia Cárdenas
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Kabinettausstellungen sind eine gute Sache. Auf wenige Objekte konzentriert und deshalb kaum je überfrachtet, laden sie ihre Besucher zum Verweilen ein. Das ungute Gefühl, in einem viel zu großen Kunstparcours kaum je einen genügenden Eindruck von den gezeigten Werken, visuellen Bezügen und Blickachsen zu gewinnen, stellt sich bei ihnen nicht ein. Die Chance der Werke und Botschaft(en), das Publikum zu erreichen, bietet sich in der Beschränkung auf Weniges potenziert dar. Das ist auch so in Dresden, wo seit 12. November 2005 als zweiter Teil der Reihe „Das restaurierte Meisterwerk“ in der Gemäldegalerie Alte Meister der „Heilige Sebastian“ von Antonello da Messina vorgestellt wird. „Anlass für die Restaurierung des Gemäldes“, so ein Text eingangs, „war neben den konservatorischen Erfordernissen wie Farbhebungen, Farbverluste oder gelockerte Kittungen auch der ästhetische Allgemeinzustand.“ Ist das aber Anlass genug für eine Ausstellung? Auf jeden Fall. Kann man doch an kaum einem anderen Thema als an einer Restaurierung besser Wesen und Widersprüche der Institution Museum zeigen oder auch den Grund dafür, warum gerade an Feiertagen die Besucher in Scharen in Museen strömen. Das 1873 aus einer Wiener Privatsammlung für Dresden angekaufte Gemälde, das erst kurze Zeit später als ein Hauptwerk von Antonello da Messina anerkannt wurde, war schon zum Zeitpunkt seines Ankaufs in schlechtem Erhaltungszustand. Ursprünglich auf Holz gemalt, übertrug man es vermutlich Mitte des 18. Jahrhunderts aus konservatorischen Notwendigkeiten auf Leinwand. Die Prozedur führte zu Beschädigungen und die Retuschen sowie weiträumigen Übermalungen dieser Fehlstellen und anderer Teile des Bildes schoben sich in der Folgezeit als dunkle Flecken immer mehr in den Vordergrund der Betrachteraufmerksamkeit; ein stark vergilbter Firnis dämpfte die Farbwirkung. Beseitigt wurden durch die von 1999 bis 2004 dauernde, letzte Dresdner Restaurierung also vornehmlich Spuren früherer Restaurierungen und deren Konsequenzen.

Die Ausstellung zeigt das frisch wiederhergestellte Kunstwerk, erklärt in vier Vitrinen mit vielen Abbildungen die Techniken der Voruntersuchung und die Arbeitsschritte der Restaurierung. Durchlicht-, Streiflicht-, UV- und Röntgenfotografien, Infrarotreflektografie, mikroskopische Untersuchung, Probefenster werden in Methoden wie Befunden anschaulich dargestellt. Die Restaurierungsmaßnahmen, wie Festigung von Farbpartien, Entfernen von Firnissen, Kittungen und der Aufbau neuer, zweischichtiger Retuschen in Gouache und Harz-Ölfarbe, sind kurz zusammengefasst. Der überraschende Fund der übermalten Signatur des Künstlers, der die bisherige Zuschreibung bestätigt, erhält als „kleine Sensation“ besonderen Raum. Eine Auswahl weiterer Kunstwerke bietet Ansätze des kunsthistorischen Hintergrunds: ein Marmortorso, als Kopie eines Bronzewerks Polyklets verweist auf das Antikenstudium und die Versuche zur Gestaltung eines idealen menschlichen Körpers in der Renaissance. Fünf weitere Darstellungen des „Heiligen Sebastian“ aus der italienischen Abteilung des Museums – von Lorenzo Costa (1480/85) bis Palma il Giovane (um 1612) – zeigen frühneuzeitliche Spielarten der Ikonografie.

Ein schmaler, sehr reich bebilderter Katalog dokumentiert die Ausstellung und liefert kunsthistorische und technologische Zusammenhänge. Der Konservator der Gemäldegalerie Andreas Henning stellt souverän den „Heiligen Sebastian“ als „Kunststück der Renaissance“ dar, an dem Antonello seinen neuen venezianischen Auftraggebern sein Können besonders der Aktdarstellung und der Perspektive demonstrierte. Die Spur der Rekonstruktion des Altars, zu dem die Tafel gehörte, verfolgt detailliert der Kunsthistoriker Tas Skorupa, während Tobias Burg, ebenfalls Kunsthistoriker, knapp über die Geschichte der Signatur in Form eines „cartellino“ informiert, der Augentäuschung eines gefalteten Zettelchens, das scheinbar auf dem Gemälde angebracht war. Restaurator Günter Ohlhoff beschreibt die Restaurierungsgeschichte des Objekts sowie die letzten, von ihm vorgenommenen Untersuchungen und Eingriffe. Da Antonello einer seit Vasari gepflegten Legende nach die Ölmalerei in Italien „einführte“, die die ältere Temperamalerei ablöste, untersuchten Mitarbeiter des Münchner Doerner-Instituts – Ursula Baumer, Irene Fiedler, Johann Koller – die Bindemittel in diesem Dresdner Spätwerk. Diese entpuppten sich jedoch als Temperaformen und liefern einen Befund, der wie Einsichten in Antonellos Arbeitsweise durch die fotografischen Untersuchungstechniken und die Entdeckung der Signatur aufmerken lässt. Der heuristische Wert der Restaurierung kann kaum eindrücklicher als hier demonstriert werden.

„Das erste charakteristische Merkmal der Museen“ – so Krzysztof Pomian, einer der Altmeister der Sammlungsgeschichte – „ist ihre Permanenz.“[1] Diese schließt die ihrer Objekte mit ein, die in Museen ihrem Auftrag gemäß gesammelt, ausgestellt und erforscht, mindestens aber bewahrt werden sollen. Jenseits der bekannten Beobachtung, dass Museen an die Stelle von Kirchen getreten sind, wenn es darum geht, Gemeinschaften zu stiften und Identitäten zu stabilisieren, haben sie auch auf anderer Ebene die Funktion von Kontinuitätsstützen, bedingt doch die Innovationsspirale der Moderne die stetige (Neu)Aneignung der eigenen Vergangenheit. „Die moderne Fortschrittswelt wird – und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil sie Wegwerfgesellschaft ist – zugleich Bewahrungskultur“.[2] Dabei – und im Laufe ihrer Geschichte, dies ist das eigentliche Thema Pomians – werden einzelnen Objekten wechselnde Bedeutungen zugeschrieben, neue soziale, verbale, räumliche Kontexte, die von Ausstellungen, neue Publika und ein gegenüber den Dingen sich änderndes Verhalten. Zu diesen Änderungen zählen restauratorische Eingriffe in ihre Substanz und ihr Erscheinungsbild. Wenn (museale) Ausstellungen „Verfahren“ sind, „die Dinge zu ihren Möglichkeiten zu bringen“[3], dann werden eben diese Möglichkeiten und das Authentizitätsversprechen der Originale durch Restaurierungen immer wieder neu gesichert und den ästhetischen Erfordernissen der eigenen Zeit, sowie ihren technischen Möglichkeiten gemäß, neu bearbeitet. Die Eingriffe in das Eigenleben der Dinge, ihr Altern und die sich in sie einschreibenden Spuren ihrer Geschichte, müssen stetig neu eingeholt werden. Das Original muss immer wieder neu hergestellt werden. Das Neue soll dabei allein das Alte sein, wobei Eingriffe normalerweise optisch zum Verschwinden gebracht werden und dem modernen Paradigma der Reversibilität von Restaurierungen entsprechend, auch substantiell wieder verschwinden können sollen.

Ausgehend von dieser wiederherstellenden „Erneuerung“ von Museumsobjekten lässt sich für die Dresdner Ausstellung festhalten, dass sie an dieser Stelle noch einen Schritt hätte weitergehen können. Die schwierige Restaurierung des „Heiligen Sebastian“ wird als eine Erfolgsgeschichte dargestellt. Das ist sehr legitim. Schade hingegen ist, dass die klassische Schere zwischen Kunstgeschichte und Naturwissenschaft als Restaurierung auch hier aufrechterhalten wird. Die wenigen Dresdner Exponate produzieren eine Fülle von Fragen. Die Restaurierungsgeschichte als Kulturgeschichte ist angelegt, bleibt aber implizit. Man hätte sie ruhig direkt thematisieren und die historischen Konzepte, Werkzeuge und Möglichkeiten der Objektbearbeitung, die immer Entscheidungen sind, die auch Verluste mit einschließen, einbringen können. Die Ausstellung, sicher aber der Katalog und die gesamte, so instruktive wie ein Desiderat darstellende Reihe „Das restaurierte Meisterwerk“ hätten dadurch mehr als nur eine weitere Facette gewonnen. Die Kabinettausstellung könnte als Forschungswerkzeug gerade auf dem Gebiet der Objektbewahrung wichtige Impulse geben, die Kunstgeschichte, -technologie und Wissenschaftsgeschichte aufeinander beziehen und miteinander verbinden.

Anmerkungen:
[1] Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, aus dem Französischen von Gustav Roßler, Berlin 1993, S. 67.
[2] Odo Marquard, Wegwerfgesellschaft und Bewahrungskultur, in: Macrocosmos in microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450-1800, hrsg. von Andreas Grote, Opladen: Leske + Budrich 1994, S. 909-918, hier: S. 915.
[3] Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, hg. von Anke te Heesen und Petra Lutz, Köln u.a.: Böhlau 2005, S. 17, Einleitung der Herausgeberinnen.

Henning, Andreas; Günter Ohlhoff (Hrsg.): Antonello da Messina, der heilige Sebastian. Kabinettausstellung anlässlich der Restaurierung des Gemäldes ; [in der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Semperbau, Ausstellungsdauer: 12. November 2005 bis 05. Februar 2006] (= Das @restaurierte Meisterwerk; 2), Dresden: Sandstein Verlag 2005
ISBN-13: 978-3-937602-49-3, 92 S., 17,90 Euro

Empfohlene Zitation:
Angela Matyssek: [Rezension zu:] Antonello da Messina. Der heilige Sebastian. Das restaurierte Meisterwerk. (Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 12.11.2005–05.02.2006). In: ArtHist.net, 10.02.2006. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/460>.

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